Эрих Мария Ремарк. На западном фронте без перемен (germ)
OCR, Spellcheck: Илья Франк,
http://franklang.ru
(мультиязыковой проект. Ильи Франка)
Erich Maria Remarque
Im Westen nichts Neues
Dieses Buch soll weder eine Anklage
noch ein Bekenntnis sein.
Es soll nur den Versuch machen,
u
ber eine Generation zu berichten,
die vom Kriege zerst
u
rt wurde -
auch wenn sie seinen Granaten entkam.
Wir liegen neun Kilometer hinter der Front. Gestern wurden wir
abgel
u
st; jetzt haben wir den Magen voll weißer Bohnen mit Rindfleisch
und sind satt und zufrieden. Sogar f
u
r abends hat jeder noch ein
Kochgeschirr voll fassen k
u
nnen; dazu gibt es außerdem doppelte Wurst-
und Brotportionen - das schafft. So ein Fall ist schon lange nicht mehr
dagewesen: der K
u
chenbulle mit seinem roten Tomatenkopf bietet das Essen
direkt an; jedem, der vorbeikommt, winkt er mit seinem L
u
ffel zu und f
u
llt
ihm einen kr
u
ftigen Schlag ein. Er ist ganz verzweifelt, weil er nicht
weiß, wie er seine Gulaschkanone leer kriegen soll. Tjaden und M
u
ller
haben ein paar Waschsch
u
sseln aufgetrieben und sie sich bis zum Rand
gestrichen voll geben lassen, als Reserve. Tjaden macht das aus
Freßsucht, M
u
ller aus Vorsicht. Wo Tjaden es l
u
ßt, ist allen ein
R
u
tsel. Er ist und bleibt ein magerer Hering.
Das Wichtigste aber ist, daß es auch doppelte Rauchportionen
gegeben hat. F
u
r jeden zehn Zigarren, zwanzig Zigaretten und zwei St
u
ck
Kautabak, das ist sehr anst
u
ndig. Ich habe meinen Kautabak mit Katczinsky
gegen seine Zigaretten getauscht, das macht f
u
r mich vierzig Zigaretten.
Damit langt man schon einen Tag.
Dabei steht uns diese ganze Bescherung eigentlich nicht zu. So splendid
sind die Preußen nicht. Wir haben sie nur einem Irrtum zu verdanken.
Vor vierzehn Tagen mußten wir nach vorn, um abzul
u
sen. Es war
ziemlich ruhig in unserm Abschnitt, und der Furier hatte deshalb f
u
r den Tag
unserer R
u
ckkehr das normale Quantum Lebensmittel erhalten und f
u
r die
hundertf
u
nfzig Mann starke Kompanie vorgesorgt. Nun aber gab es gerade am
letzten Tage bei uns
u
berraschend viel Langrohr und dicke Brocken, englische
Artillerie, die st
u
ndig auf unsere Stellung trommelte, so daß wir
starke Verluste hatten und nur mit achtzig Mann zur
u
ckkamen.
Wir waren nachts einger
u
ckt und hatten uns gleich hingehauen, um erst
einmal anst
u
ndig zu schlafen; denn Katczinsky hat recht: es w
u
re alles nicht
so schlimm mit dem Krieg, wenn man nur mehr Schlaf haben w
u
rde. Vorne ist es
doch nie etwas damit, und vierzehn Tage jedes mal sind eine lange Zeit.
Es war schon Mittag, als die ersten von uns aus den Baracken krochen.
Eine halbe Stunde sp
u
ter hatte jeder sein Kochgeschirr gegriffen, und wir
versammelten uns vor der Gulaschmarie, die fettig und nahrhaft roch. An der
Spitze nat
u
rlich die Hungrigsten: der kleine Albert Kropp, der von uns am
klarsten denkt und deshalb erst Gefreiter ist; - M
u
ller V, der noch
Schulb
u
cher mit sich herumschleppt und vom Notexamen tr
u
umt; im Trommelfeuer
b
u
ffelt er physikalische Lehrs
u
tze; - Leer, der einen Vollbart tr
u
gt und
große Vorliebe f
u
r M
u
dchen aus den Offizierspuffs hat; er schw
u
rt
darauf, daß sie durch Armeebefehl verpflichtet w
u
ren, seidene Hemden
zu tragen und bei G
u
sten vom Hauptmann aufw
u
rts vorher zu baden; - und als
vierter ich, Paul B
u
umer. Alle vier neunzehn Jahre alt, alle vier aus
derselben Klasse in den Krieg gegangen.
Dicht hinter uns unsere Freunde. Tjaden, ein magerer Schlosser, so alt
wie wir, der gr
u
ßte Fresser der Kompanie. Er setzt sich schlank zum
Essen hin und steht dick wie eine schwangere Wanze wieder auf; - Haie
Westhus, gleich alt, Torfstecher, der bequem ein Kommißbrot in eine
Hand nehmen und fragen kann: Ratet mal, was ich in der Faust habe; -
Detering, ein Bauer, der nur an seinen Hof und an seine Frau denkt; - und
endlich Stanislaus Katczinsky, das Haupt unserer Gruppe, z
u
h, schlau,
gerissen, vierzig Jahre alt, mit einem Gesicht aus Erde, mit blauen Augen,
h
u
ngenden Schultern und einer wunderbaren Witterung f
u
r dicke Luft, gutes
Essen und sch
u
ne Druckposten. Unsere Gruppe bildete die Spitze der Schlange
vor der Gulaschkanone. Wir wurden ungeduldig, denn der ahnungslose
K
u
chenkarl stand noch immer und wartete. Endlich rief Katczinsky ihm zu:
"Nun mach deinen Bouillonkeller schon auf, Heinrich! Man sieht doch,
daß die Bohnen gar sind."
Der sch
u
ttelte schl
u
frig den Kopf: "Erst m
u
ßt ihr alle da sein."
Tjaden grinste: "Wir sind alle da."
Der Unteroffizier merkte noch nichts. "Das k
u
nnte euch so passen! Wo
sind denn die andern?"
"Die werden heute nicht von dir verpflegt! Feldlazarett und
Massengrab."
Der K
u
chenbulle war erschlagen, als er die Tatsachen erfuhr. Er wankte.
"Und ich habe f
u
r hundertf
u
nfzig Mann gekocht."
Kropp stieß ihm in die Rippen. "Dann werden wir endlich mal satt.
Los, fang an!"
Pl
u
tzlich aber durchfuhr Tjaden eine Erleuchtung. Sein spitzes
Mausegesicht fing ordentlich an zu schimmern, die Augen wurden klein vor
Schlauheit, die Backen zuckten, und er trat dichter heran: "Menschenskind,
dann hast du ja auch f
u
r hundertf
u
nfzig Mann Brot empfangen, was?" Der
Unteroffizier nickte verdattert und geistesabwesend. Tjaden packte ihn am
Rock. "Und Wurst auch?"
Der Tomatenkopf nickte wieder.
Tjadens Kiefer bebten. "Tabak auch?"
"Ja, alles."
Tjaden sah sich strahlend um. "Donnerwetter, das nennt man Schwein
haben! Das ist dann ja alles f
u
r uns! Da kriegt jeder ja - wartet mal -
tats
u
chlich, genau doppelte Portionen!"
Jetzt aber erwachte die Tomate wieder zum Leben und erkl
u
rte: "Das geht
nicht."
Doch nun wurden auch wir munter und schoben uns heran.
"Warum geht das denn nicht, du Mohrr
u
be?" fragte Katczinsky.
"Was f
u
r hundertf
u
nfzig Mann ist, kann doch nicht f
u
r achtzig sein."
"Das werden wir dir schon zeigen", knurrte M
u
ller.
"Das Essen meinetwegen, aber Portionen kann ich nur f
u
r achtzig Mann
ausgeben", beharrte die Tomate.
Katczinsky wurde
u
rgerlich. "Du mußt wohl mal abgel
u
st werden,
was? Du hast nicht f
u
r achtzig Mann, sondern f
u
r die 2. Kompanie Furage
empfangen, fertig. Die gibst du aus! Die 2. Kompanie sind wir."
Wir r
u
ckten dem Kerl auf den Leib. Keiner konnte ihn gut leiden, er war
schon ein paarmal schuld daran gewesen, daß wir im Graben das Essen
viel zu sp
u
t und kalt bekommen hatten, weil er sich bei etwas Granatfeuer
mit seinem Kessel nicht nahe genug herantraute, so daß unsere
Essenholer einen viel weiteren Weg machen mußten als die der andern
Kompanien. Da war Bulcke von der ersten ein besserer Bursche. Er war zwar
fett wie ein Winterhamster, aber er schleppte, wenn es darauf ankam, die
T
u
pfe selbst bis zur vordersten Linie.
Wir waren gerade in der richtigen Stimmung, und es h
u
tte bestimmt
Kleinholz gegeben, wenn nicht unser Kompanief
u
hrer aufgetaucht w
u
re. Er
erkundigte sich nach dem Streitfall und sagte vorl
u
ufig nur: "Ja, wir haben
gestern starke Verluste gehabt -"
Dann guckte er in den Kessel. "Die Bohnen scheinen gut zu sein."
Die Tomate nickte. "Mit Fett und Fleisch gekocht."
Der Leutnant sah uns an. Er wußte, was wir dachten. Auch sonst
wußte er noch manches, denn er war zwischen uns groß geworden
und als Unteroffizier zur Kompanie gekommen. Er hob den Deckel noch einmal
vom Kessel und schnupperte. Im Weggehen sagte er: "Bringt mir auch einen
Teller voll. Und die Portionen werden alle verteilt. Wir k
u
nnen sie
brauchen."
Die Tomate machte ein dummes Gesicht. Tjaden tanzte um sie herum.
"Das schadet dir gar nichts! Als ob ihm das Proviantamt geh
u
rt, so tut
er. Und nun fang an, du alter Speckj
u
ger, und verz
u
hle dich nicht -"
"H
u
ng dich auf!" fauchte die Tomate. Sie war geplatzt, so etwas ging
ihr gegen den Verstand. Sie begriff die Welt nicht mehr. Und als wollte sie
zeigen, daß nun schon alles egal sei, verteilte sie pro Kopf
freiwillig noch ein halbes Pfund Kunsthonig.
Der Tag ist wirklich gut heute. Sogar Post ist da, fast jeder hat ein
paar Briefe und Zeitungen. Nun schlendern wir zu der Wiese hinter den
Baracken hin
u
ber. Kropp hat den runden Deckel eines Margarinefasses unterm
Arm.
Am rechten Rande der Wiese ist eine große Massenlatrine erbaut,
ein
u
berdachtes, stabiles Geb
u
ude. Doch das ist was f
u
r Rekruten, die noch
nicht gelernt haben, aus jeder Sache Vorteil zu ziehen. Wir suchen etwas
Besseres.
u
berall verstreut stehen n
u
mlich noch kleine Einzelk
u
sten f
u
r
denselben Zweck. Sie sind viereckig, sauber, ganz aus Holz getischlert,
rundum geschlossen, mit einem tadellosen, bequemen Sitz. An den
Seitenfl
u
chen befinden sich Handgriffe, so daß man sie transportieren
kann.
Wir r
u
cken drei im Kreise zusammen und nehmen gem
u
tlich Platz. Vor zwei
Stunden werden wir hier nicht wieder aufstehen.
Ich weiß noch, wie wir uns anfangs genierten als Rekruten in der
Kaserne, wenn wir die Gemeinschaftslatrine benutzen mußten. T
u
ren gibt
es da nicht, es sitzen zwanzig Mann nebeneinander wie in der Eisenbahn. Sie
sind mit einem Blick zu
u
bersehen; - der Soldat soll eben st
u
ndig unter
Aufsicht sein.
Wir haben inzwischen mehr gelernt, als das bißchen Scham zu
u
berwinden. Mit der Zeit wurde uns noch ganz anderes gel
u
ufig.
Hier draußen ist die Sache aber geradezu ein Genuß. Ich
weiß nicht mehr, weshalb wir fr
u
her an diesen Dingen immer scheu
vorbeigehen mußten, sie sind ja ebenso nat
u
rlich wie Essen und
Trinken. Und man brauchte sich vielleicht auch nicht besonders dar
u
ber zu
u
ußern, wenn sie nicht so eine wesentliche Rolle bei uns spielten und
gerade uns neu gewesen w
u
ren - den
u
brigen waren sie l
u
ngst
selbstverst
u
ndlich.
Dem Soldaten ist sein Magen und seine Verdauung ein vertrauteres Gebiet
als jedem anderen Menschen. Drei Viertel seines Wortschatzes sind ihm
entnommen, und sowohl der Ausdruck h
u
chster Freude als auch der tiefster
Entr
u
stung findet hier seine kernige Untermalung. Es ist unm
u
glich, sich auf
eine andere Art so knapp und klar zu
u
ußern. Unsere Familien und
unsere Lehrer werden sich sch
u
n wundern, wenn wir nach Hause kommen, aber es
ist hier nun einmal die Universalsprache.
F
u
r uns haben diese ganzen Vorg
u
nge den Charakter der Unschuld
wiedererhalten durch ihre zwangsm
u
ßige
u
ffentlichkeit. Mehr noch: sie
sind uns so selbstverst
u
ndlich, daß ihre gem
u
tliche
Erledigung ebenso gewertet wird wie meinetwegen ein sch
u
n
durchgef
u
hrter, bombensicherer Grand ohne viere. Nicht umsonst ist f
u
r
Geschw
u
tz aller Art das Wort "Latrinenparole" entstanden; diese Orte sind
die Klatschecken und der Stammtischersatz beim Kommiß.
Wir f
u
hlen uns augenblicklich wohler als im noch so weiß
gekachelten Luxuslokus. Dort kann es nur hygienisch sein; hier aber ist es
sch
u
n.
Es sind wunderbar gedankenlose Stunden.
u
ber uns steht der blaue
Himmel. Am Horizont h
u
ngen hellbestrahlte gelbe Fesselballons und die
weißen W
u
lkchen der Flakgeschosse. Manchmal schnellen sie wie eine
Garbe hoch, wenn sie einen Flieger verfolgen.
Nur wie ein sehr fernes Gewitter h
u
ren wir das ged
u
mpfte Brummen der
Front. Hummeln, die vor
u
bersummen,
u
bert
u
nen es schon.
Und rund um uns liegt die bl
u
hende Wiese. Die zarten Rispen der Gr
u
ser
wiegen sich, Kohlweißlinge taumeln heran, sie schweben im weichen,
warmen Wind des Sp
u
tsommers, wir lesen Briefe und Zeitungen und rauchen, wir
setzen die M
u
tzen ab und legen sie neben uns, der Wind spielt mit unseren
Haaren, er spielt mit unseren Worten und Gedanken.
Die drei K
u
sten stehen mitten im leuchtenden, roten Klatschmohn. -
Wir legen den Deckel des Margarinefasses auf unsere Knie. So haben wir
eine gute Unterlage zum Skatspielen. Kropp hat die Karten bei sich. Nach
jedem Nullouvert wird eine Partie Schieberamsch eingelegt. Man k
u
nnte ewig
so sitzen.
Die T
u
ne einer Ziehharmonika klingen von den Baracken her. Manchmal
legen wir die Karten hin und sehen uns an. Einer sagt dann: "Kinder, Kinder
-", oder: "Das h
u
tte schiefgehen k
u
nnen -", und wir versinken einen
Augenblick in Schweigen. In uns ist ein starkes, verhaltenes Gef
u
hl, jeder
sp
u
rt es, das braucht nicht viele Worte. Leicht h
u
tte es sein k
u
nnen,
daß wir heute nicht auf unsern K
u
sten s
u
ßen, es war verdammt
nahe daran. Und darum ist alles neu und stark - der rote Mohn und das gute
Essen, die Zigaretten und der Sommerwind.
Kropp fragt: "Hat einer von euch Kemmerich noch mal gesehen?"
"Er liegt in St. Joseph", sage ich.
M
u
ller meint, er habe einen Oberschenkeldurchschuß, einen guten
Heimatpaß.
Wir beschließen, ihn nachmittags zu besuchen.
Kropp holt einen Brief hervor. "Ich soll euch gr
u
ßen von
Kantorek."
Wir lachen. M
u
ller wirft seine Zigarette weg und sagt: "Ich wollte, der
w
u
re hier."
Kantorek war unser Klassenlehrer, ein strenger, kleiner Mann in grauem
Schoßrock, mit einem Spitzmausgesicht. Er hatte ungef
u
hr dieselbe
Statur wie der Unteroffizier Himmelstoß, der "Schrecken des
Klosterberges". Es ist
u
brigens komisch, daß das Ungl
u
ck der Welt so
oft von kleinen Leuten herr
u
hrt, sie sind viel energischer und
unvertr
u
glicher als großgewachsene. Ich habe mich stets geh
u
tet, in
Abteilungen mit kleinen Kompanief
u
hrern zu geraten; es sind meistens
verfluchte Schinder.
Kantorek hielt uns in den Turnstunden so lange Vortr
u
ge, bis unsere
Klasse unter seiner F
u
hrung geschlossen zum Bezirkskommando zog und sich
meldete. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er uns durch seine Brillengl
u
ser
anfunkelte und mit ergriffener Stimme fragte: "Ihr geht doch mit,
Kameraden?"
Diese Erzieher haben ihr Gef
u
hl so oft in der Westentasche parat; sie
geben es ja auch stundenweise aus. Doch dar
u
ber machten wir uns damals noch
keine Gedanken.
Einer von uns allerdings z
u
gerte und wollte nicht recht mit. Das war
Josef Behm, ein dicker, gem
u
tlicher Bursche. Er ließ sich dann aber
u
berreden, er h
u
tte sich auch sonst unm
u
glich gemacht. Vielleicht dachten
noch mehrere so wie er; aber es konnte sich niemand gut ausschließen,
denn mit dem Wort "feige" waren um diese Zeit sogar Eltern rasch bei der
Hand. Die Menschen hatten eben alle keine Ahnung von dem, was kam. Am
vern
u
nftigsten waren eigentlich die armen und einfachen Leute; sie hielten
den Krieg gleich f
u
r ein Ungl
u
ck, w
u
hrend die bessergestellten vor Freude
nicht aus noch ein wußten, obschon gerade sie sich
u
ber die Folgen
viel eher h
u
tten klarwerden k
u
nnen.
Katczinsky behauptet, das k
u
me von der Bildung, sie mache d
u
mlich. Und
was Kat sagt, das hat er sich
u
berlegt.
Sonderbarerweise war Behm einer der ersten, die fielen. Er erhielt bei
einem Sturm einen Schuß in die Augen, und wir ließen ihn f
u
r tot
liegen. Mitnehmen konnten wir ihn nicht, weil wir
u
berst
u
rzt zur
u
ck
mußten. Nachmittags h
u
rten wir ihn pl
u
tzlich rufen und sahen ihn
draußen herumkriechen. Er war nur bewußtlos gewesen. Weil er
nichts sah und wild vor Schmerzen war, nutzte er keine Deckung aus, so
daß er von dr
u
ben abgeschossen wurde, ehe jemand herankam, um ihn zu
holen.
Man kann Kantorek nat
u
rlich nicht damit in Zusammenhang bringen; - wo
bliebe die Welt sonst, wenn man das schon Schuld nennen wollte. Es gab ja
Tausende von Kantoreks, die alle
u
berzeugt waren, auf eine f
u
r sie bequeme
Weise das Beste zu tun.
Darin liegt aber gerade f
u
r uns ihr Bankerott.
Sie sollten uns Achtzehnj
u
hrigen Vermittler und F
u
hrer zur Welt des
Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der Kultur und des
Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie manchmal und spielten ihnen
Meine Streiche, aber im Grunde glaubten wir ihnen. Mit dem Begriff der
Autorit
u
t, dessen Tr
u
ger sie waren, verband sich m unseren Gedanken
gr
u
ßere Einsicht und menschlicheres Wissen. Doch der erste Tote, den
wir sahen, zertr
u
mmerte diese
u
berzeugung. Wir mußten erkennen,
daß unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die
Phrase und die Geschicklichkeit voraus. Das erste Trommelfeuer zeigte uns
unseren Irrtum, und unter ihm st
u
rzte die Weltanschauung zusammen, die sie
uns gelehrt hatten.
W
u
hrend sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und
Sterbende; - w
u
hrend sie den Dienst am Staate als das Gr
u
ßte
bezeichneten, wußten wir bereits, daß die Todesangst st
u
rker
ist. Wir wurden darum keine Meuterer, keine Deserteure, keine Feiglinge -
alle diese Ausdr
u
cke waren ihnen ja so leicht zur Hand -, wir liebten unsere
Heimat genauso wie sie, und wir gingen bei jedem Angriff mutig vor; - aber
wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen gelernt. Und wir
sahen, daß nichts von ihrer Welt
u
brig blieb. Wir waren pl
u
tzlich auf
furchtbare Weise allein; - und wir mußten allein damit fertig werden.
Bevor wir zu Kemmerich aufbrechen, packen wir seine Sachen ein; er wird
sie unterwegs gut brauchen k
u
nnen.
Im Feldlazarett ist großer Betrieb; es riecht wie immer nach
Karbol, Eiter und Schweiß. Man ist aus den Baracken manches gewohnt,
aber hier kann einem doch flau werden. Wir fragen uns nach Kemmerich durch;
er liegt in einem Saal und empf
u
ngt uns mit einem schwachen Ausdruck von
Freude und hilfloser Aufregung. W
u
hrend er bewußtlos war, hat man ihm
seine Uhr gestohlen.
M
u
ller sch
u
ttelt den Kopf: "Ich habe dir ja immer gesagt, daß man
eine so gute Uhr nicht mitnimmt."
M
u
ller ist etwas tapsig und rechthaberisch. Sonst w
u
rde er den Mund
halten, denn jeder sieht, daß Kemmerich nicht mehr aus diesem Saal
herauskommt. Ob er seine Uhr wiederfindet, ist ganz egal, h
u
chstens,
daß man sie nach Hause schicken k
u
nnte.
"Wie geht's denn, Franz?" fragt Kropp.
Kemmerich l
u
ßt den Kopf sinken. "Es geht ja - ich habe bloß
so verfluchte Schmerzen im Fuß."
Wir sehen auf seine Decke. Sein Bein liegt unter einem Drahtkorb, das
Deckbett w
u
lbt sich dick dar
u
ber. Ich trete M
u
ller gegen das Schienbein,
denn er br
u
chte es fertig, Kemmerich zu sagen, was uns die Sanit
u
ter
draußen schon erz
u
hlt haben: daß Kemmerich keinen Fuß mehr
hat. Das Bein ist amputiert.
Er sieht schrecklich aus, gelb und fahl, im Gesicht sind schon die
fremden Linien, die wir so genau kennen, weil wir sie schon hundertmal
gesehen haben. Es sind eigentlich keine Linien, es sind mehr Zeichen. Unter
der Haut pulsiert kein Leben mehr; es ist bereits herausgedr
u
ngt bis an den
Rand des K
u
rpers, von innen arbeitet sich der Tod durch, die Augen
beherrscht er schon. Dort liegt unser Kamerad Kemmerich, der mit uns vor
kurzem noch Pferdefleisch gebraten und im Trichter gehockt hat; - er ist es
noch, und er ist es doch nicht mehr, verwaschen, unbestimmt ist sein Bild
geworden, wie eine fotografische Platte, auf der zwei Aufnahmen gemacht
worden sind. Selbst seine Stimme klingt wie Asche.
Ich denke daran, wie wir damals abfuhren. Seine Mutter, eine gute,
dicke Frau, brachte ihn zum Bahnhof. Sie weinte ununterbrochen, ihr Gesicht
war davon gedunsen und geschwollen. Kemmerich genierte sich deswegen, denn
sie war am wenigsten gefaßt von allen, sie zerfloß f
u
rmlich in
Fett und Wasser. Dabei hatte sie es auf mich abgesehen, immer wieder ergriff
sie meinen Arm und flehte mich an, auf Franz draußen achtzugeben. Er
hatte allerdings auch ein Gesicht wie ein Kind und so weiche Knochen,
daß er nach vier Wochen Tornistertragen schon Plattf
u
ße bekam.
Aber wie kann man im Felde auf jemand achtgeben!
"Du wirst ja nun nach Hause kommen", sagt Kropp, "auf Urlaub h
u
ttest du
mindestens noch drei, vier Monate warten m
u
ssen."
Kemmerich nickt. Ich kann seine H
u
nde nicht gut ansehen, sie sind wie
Wachs. Unter den N
u
geln sitzt der Schmutz des Grabens, er sieht blauschwarz
aus wie Gift. Mir f
u
llt ein, daß diese N
u
gel weiterwachsen werden,
lange noch, gespenstische Kellergew
u
chse, wenn Kemmerich l
u
ngst nicht mehr
atmet. Ich sehe das Bild vor mir: sie kr
u
mmen sich zu Korkenziehern und
wachsen und wachsen, und mit ihnen die Haare auf dem zerfallenden Sch
u
del,
wie Gras auf gutem Boden, genau wie Gras, wie ist das nur m
u
glich -?
M
u
ller b
u
ckt sich. "Wir haben deine Sachen mitgebracht, Franz."
Kemmerich zeigt mit der Hand. "Legt sie unters Bett."
M
u
ller tut es. Kemmerich f
u
ngt wieder von der Uhr an. Wie soll man ihn
nur beruhigen, ohne ihn mißtrauisch zu machen!
M
u
ller taucht mit einem Paar Fliegerstiefel wieder auf. Es sind
herrliche englische Schuhe aus weichem, gelbem Leder, die bis zum Knie
reichen und ganz hinauf geschn
u
rt werden, eine begehrte Sache. M
u
ller ist
von ihrem Anblick begeistert, er h
u
lt ihre Sohlen gegen seine eigenen
klobigen Schuhe und fragt: "Willst du denn die Stiefel mitnehmen, Franz?"
Wir denken alle drei das gleiche: selbst wenn er gesund w
u
rde, k
u
nnte
er nur einen gebrauchen, sie w
u
ren f
u
r ihn also wertlos. Aber wie es jetzt
steht, ist es ein Jammer, daß sie hierbleiben; - denn die Sanit
u
ter
werden sie nat
u
rlich sofort wegschnappen, wenn er tot ist.
M
u
ller wiederholt: "Willst du sie nicht hier lassen?"
Kemmerich will nicht. Es sind seine besten St
u
cke.
"Wir k
u
nnen sie ja umtauschen", schl
u
gt M
u
ller wieder vor, "hier
draußen kann man so was brauchen."
Doch Kemmerich ist nicht zu bewegen.
Ich trete M
u
ller auf den Fuß; er legt die sch
u
nen Stiefel z
u
gernd
wieder unter das Bett.
Wir reden noch einiges und verabschieden uns dann. "Mach's gut, Franz."
Ich verspreche ihm, morgen wiederzukommen. M
u
ller redet ebenfalls
davon; er denkt an die Schn
u
rschuhe und will deshalb auf dem Posten sein.
Kemmerich st
u
hnt. Er hat Fieber. Wir halten draußen einen
Sanit
u
ter an und reden ihm zu, Kemmerich eine Spritze zu geben.
Er lehnt ab. "Wenn wir jedem Morphium geben wollten, m
u
ßten wir
F
u
sser voll haben -"
"Du bedienst wohl nur Offiziere", sagt Kropp geh
u
ssig.
Rasch lege ich mich ins Mittel und gebe dem Sanit
u
ter zun
u
chst mal eine
Zigarette. Er nimmt sie. Dann frage ich: "Darfst du denn
u
berhaupt eine
machen?"
Er ist beleidigt. "Wenn ihr's nicht glaubt, was fragt ihr mich -"
Ich dr
u
cke ihm noch ein paar Zigaretten in die Hand. "Tu uns den
Gefallen -"
"Na, sch
u
n", sagt er. Kropp geht mit hinein, er traut ihm nicht und
will zusehen. Wir warten draußen.
M
u
ller f
u
ngt wieder von den Stiefeln an." Sie w
u
rden mir tadellos
passen. In diesen K
u
hnen laufe ich mir Blasen
u
ber Blasen. Glaubst du,
daß er durchh
u
lt bis morgen nach dem Dienst? Wenn er nachts abgeht,
haben wir die Stiefel gesehen -"
Albert kommt zur
u
ck. "Meint ihr -?" fragt er.
"Erledigt", sagt M
u
ller abschließend.
Wir gehen zu unsern Baracken zur
u
ck. Ich denke an den Brief, den ich
morgen schreiben muß an Kemmerichs Mutter. Mich friert. Ich m
u
chte
einen Schnaps trinken. M
u
ller rupft Gr
u
ser aus und kaut daran. Pl
u
tzlich
wirft der kleine Kropp seine Zigarette weg, trampelt wild darauf herum,
sieht sich um, mit einem aufgel
u
sten und verst
u
rten Gesicht, und stammelt:
"Verfluchte Scheiße, diese verfluchte Scheiße."
Wir gehen weiter, eine lange Zeit. Kropp hat sich beruhigt, wir kennen
das, es ist der Frontkoller, jeder hat ihn mal. M
u
ller fragt ihn: "Was hat
dir der Kantorek eigentlich geschrieben?"
Er lacht: "Wir w
u
ren die eiserne Jugend."
Wir lachen alle drei
u
rgerlich. Kropp schimpft; er ist froh, daß
er reden kann. -
Ja, so denken sie, so denken sie, die hunderttausend Kantoreks! Eiserne
Jugend. Jugend! Wir sind alle nicht mehr als zwanzig Jahre. Aber jung?
Jugend? Das ist lange her. Wir sind alte Leute.
Es ist f
u
r mich sonderbar, daran zu denken, daß zu Hause, in
einer Schreibtischlade, ein angefangenes Drama "Saul" und ein Stoß
Gedichte liegen. Manchen Abend habe ich dar
u
ber verbracht, wir haben ja fast
alle so etwas
u
hnliches gemacht; aber es ist mir so unwirklich geworden,
daß ich es mir nicht mehr richtig vorstellen kann.
Seit wir hier sind, ist unser fr
u
heres Leben abgeschnitten, ohne
daß wir etwas dazu getan haben. Wir versuchen manchmal, einen
u
berblick und eine Erkl
u
rung daf
u
r zu gewinnen, doch es gelingt uns nicht
recht. Gerade f
u
r uns Zwanzigj
u
hrige ist alles besonders unklar, f
u
r Kropp,
M
u
ller, Leer, mich, f
u
r uns, die Kantorek als eiserne Jugend bezeichnet. Die
u
lteren Leute sind alle fest mit dem Fr
u
heren verbunden, sie haben Grund,
sie haben Frauen, Kinder, Berufe und Interessen, die schon so stark sind,
daß der Krieg sie nicht zerreißen kann. Wir Zwanzigj
u
hrigen aber
haben nur unsere Eltern und manche ein M
u
dchen. Das ist nicht viel - denn in
unserm Alter ist die Kraft der Eltern am schw
u
chsten, und die M
u
dchen sind
noch nicht beherrschend. Außer diesem gab es ja bei uns nicht viel
anderes mehr; etwas Schw
u
rmertum, einige Liebhabereien und die Schule;
weiter reichte unser Leben noch nicht. Und davon ist nichts geblieben.
Kantorek w
u
rde sagen, wir h
u
tten gerade an der Schwelle des Daseins
gestanden. So
u
hnlich ist es auch. Wir waren noch nicht eingewurzelt. Der
Krieg hat uns weggeschwemmt. F
u
r die andern, die
u
lteren, ist er eine
Unterbrechung, sie k
u
nnen
u
ber ihn hinausdenken. Wir aber sind von ihm
ergriffen worden und wissen nicht, wie das enden soll. Was wir wissen, ist
vorl
u
ufig nur, daß wir auf eine sonderbare und schwerm
u
tige Weise
verroht sind, obschon wir nicht einmal oft mehr traurig werden.
Wenn M
u
ller gern Kemmerichs Stiefel haben will, so ist er deshalb nicht
weniger teilnahmsvoll als jemand, der vor Schmerz nicht daran zu denken
wagte. Er weiß nur zu unterscheiden. W
u
rden die Stiefel Kemmerich
etwas nutzen, dann liefe M
u
ller lieber barfuß
u
ber Stacheldraht, als
groß zu
u
berlegen, wie er sie bekommt. So aber sind die Stiefel etwas,
das gar nichts mit Kemmerichs Zustand zu tun hat, w
u
hrend M
u
ller sie gut
verwenden kann. Kemmerich wird sterben, einerlei, wer sie erh
u
lt. Warum soll
deshalb M
u
ller nicht dahinter her sein, er hat doch mehr Anrecht darauf als
ein Sanit
u
ter! Wenn Kemmerich erst tot ist, ist es zu sp
u
t. Deshalb
paßt M
u
ller eben jetzt schon auf.
Wir haben den Sinn f
u
r andere Zusammenh
u
nge verloren, weil sie
k
u
nstlich sind. Nur die Tatsachen sind richtig und wichtig f
u
r uns. Und gute
Stiefel sind selten.
Fr
u
her war auch das anders. Als wir zum Bezirkskommando gingen, waren
wir noch eine Klasse von zwanzig jungen Menschen, die sich, manche zum
ersten Male,
u
berm
u
tig gemeinsam rasieren ließ, bevor sie den
Kasernenhof betrat. Wir hatten keine festen Pl
u
ne f
u
r die Zukunft, Gedanken
an Karriere und Beruf waren bei den wenigsten praktisch bereits so bestimmt,
daß sie eine Daseinsform bedeuten konnten; - daf
u
r jedoch steckten wir
voll Ungewisser Ideen, die dem Leben und auch dem Kriege in unseren Augen
einen idealisierten und fast romantischen Charakter verliehen.
Wir wurden zehn Wochen milit
u
risch ausgebildet und in dieser Zeit
entscheidender umgestaltet als in zehn Jahren Schulzeit. Wir lernten,
daß ein geputzter Knopf wichtiger ist als vier B
u
nde Schopenhauer.
Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließlich gleichg
u
ltig erkannten
wir, daß nicht der Geist ausschlaggebend zu sein schien, sondern die
Wichsb
u
rste, nicht der Gedanke, sondern das System, nicht die Freiheit,
sondern der Drill. Mit Begeisterung und gutem Willen waren wir Soldaten
geworden; aber man tat alles, um uns das auszutreiben. Nach drei Wochen war
es uns nicht mehr unfaßlich, daß ein betreßter Brieftr
u
ger
mehr Macht
u
ber uns besaß als fr
u
her unsere Eltern, unsere Erzieherund
s
u
mtliche Kulturkreise von Plato bis Goethe zusammen. Mit unseren jungen,
wachen Augen sahen wir, daß der klassische Vaterlandsbegriff unserer
Lehrer sich hier vorl
u
ufig realisierte zu einem Aufgeben der Pers
u
nlichkeit,
wie man es dem geringsten Dienstboten nie zugemutet haben w
u
rde.
Gr
u
ßen, Strammstehen, Parademarsch, Gewehrpr
u
sentieren, Rechtsum,
Linksum, Hackenzusammenschlagen, Schimpfereien und tausend Schikanen: wir
hatten uns unsere Aufgabe anders gedacht und fanden, daß wir auf das
Heldentum wie Zirkuspferde vorbereitet wurden. Aber wir gew
u
hnten uns bald
daran. Wir begriffen sogar, daß ein Teil dieser Dinge notwendig, ein
anderer aber ebenso
u
berfl
u
ssig war. Der Soldat hat daf
u
r eine feine Nase.
Zu dreien und vieren wurde unsere Klasse
u
ber die Korporalschaften
verstreut, zusammen mit friesischen Fischern, Bauern, Arbeitern und
Handwerkern, mit denen wir uns schnell anfreundeten. Kropp, M
u
ller,
Kemmerich und ich kamen zur neunten Korporalschaft, die der Unteroffizier
Himmelstoß f
u
hrte.
Er galt als der sch
u
rfste Schinder des Kasernenhofes, und das war sein
Stolz. Ein kleiner, untersetzter Kerl, der zw
u
lf Jahre gedient hatte, mit
fuchsigem, aufgewirbeltem Schnurrbart, im Zivilberuf Brieftr
u
ger. Auf Kropp,
Tjaden, Westhus und mich hatte er es besonders abgesehen, weil er unsern
stillen Trotz sp
u
rte.
Ich habe an einem Morgen vierzehnmal sein Bett gebaut. Immer wieder
fand er etwas daran auszusetzen und riß es herunter. Ich habe in
zwanzigst
u
ndiger Arbeit - mit Pausen nat
u
rlich - ein Paar uralte, steinharte
Stiefel so butterweich geschmiert, daß selbst Himmelstoß nichts
mehr daran auszusetzen fand; - ich habe auf seinen Befehl mit einer
Zahnb
u
rste die Korporalschaftsstube sauber geschrubbt; - Kropp und ich haben
uns mit einer Handb
u
rste und einem Fegeblech an den Auftrag gemacht, den
Kasernenhof vom Schnee reinzufegen, und wir h
u
tten durchgehalten bis zum
Erfrieren, wenn nicht zuf
u
llig ein Leutnant aufgetaucht w
u
re, der uns
fortschickte und Himmelstoß m
u
chtig anschnauzte. Die Folge war leider
nur, daß Himmelstoß um so w
u
tender auf uns wurde. Ich habe vier
Wochen hintereinander jeden Sonntag Wache geschoben und ebensolange
Stubendienst gemacht; - ich habe in vollem Gep
u
ck mit Gewehrauf losem,
nassem Sturzacker "Sprung auf, marsch, marsch" und "Hinlegen" ge
u
bt, bis ich
ein Dreckklumpen war und zusammenbrach; - ich habe vier Stunden sp
u
ter
Himmelstoß mein tadellos gereinigtes Zeug vorgezeigt, allerdings mit
blutig geriebenen H
u
nden; - ich habe mit Kropp, Westhus und Tjaden ohne
Handschuhe bei scharfem Frost eine Viertelstunde "Stillgestanden" ge
u
bt, die
bloßen Finger am eisigen Gewehrlauf, lauernd umschlichen von
Himmelstoß, der auf die geringste Bewegung wartete, um ein Vergehen
festzustellen; - ich bin nachts um zwei Uhr achtmal im Hemd vom ob ersten
Stock der Kaserne heruntergerannt bis auf den Hof, weil meine Unterhose
einige Zentimeter
u
ber den Rand des Schemels hinausragte, auf dem jeder
seine Sachen aufschichten mußte. Neben mir lief der Unteroffizier vom
Dienst, Himmelstoß, und trat mir auf die Zehen; - ich habe beim
Bajonettieren st
u
ndig mit Himmelstoß fechten m
u
ssen, wobei ich ein
schweres Eisengestell und er ein handliches Holzgewehr hatte, so daß
er mir bequem die Arme braun und blau schlagen konnte; allerdings geriet ich
dabei einmal so in Wut, daß ich ihn blindlings
u
berrannte und ihm
einen derartigen Stoß vor den Magen gab, daß er umfiel. Als er
sich beschweren wollte, lachte ihn der Kompanief
u
hrer aus und sagte, er
solle doch aufpassen; erkannte seinen Himmelstoß und schien ihm den
Reinfall zu g
u
nnen. - Ich habe mich zu einem perfekten Kletterer auf die
Spinde entwickelt; - ich suchte allm
u
hlich auch im Kniebeugen meinen
Meister; - wir haben gezittert, wenn wir nur seine Stimme h
u
rten, aber
kleingekriegt hat uns dieses wildgewordene Postpferd nicht.
Als Kropp und ich im Barackenlager sonntags an einer Stange die
Latrineneimer
u
ber den Hof schleppten und Himmelstoß, blitzblank
geschniegelt, zum Ausgehen bereit, gerade vorbeikam, sich vor uns hinstellte
und fragte, wie uns die Arbeit gefiele, markierten wir trotz allem ein
Stolpern und g
u
ssen ihm den Eimer
u
ber die Beine. Er tobte, aber das
Maß war voll.
"Das setzt Festung", schrie er.
Kropp hatte genug. "Vorher aber eine Untersuchung, und da werden wir
auspacken", sagte er.
"Wie reden Sie mit einem Unteroffizier!" br
u
llte Himmelstoß,
"sind Sie verr
u
ckt geworden? Warten Sie, bis Sie gefragt werden! Was wollen
Sie tun?"
"
u
ber Herrn Unteroffizier auspacken!" sagte Kropp und nahm die Finger
an die Hosennaht.
Himmelstoß merkte nun doch, was los war, und schob ohne ein Wort
ab. Bevor er verschwand, krakehlte er zwar noch: "Das werde ich euch
eintr
u
nken", - aber es war vorbei mit seiner Macht. Er versuchte es noch
einmal in den Sturz
u
ckern mit "Hinlegen" und "Sprung auf, marsch, marsch".
Wir befolgten zwar jeden Befehl; denn Befehl ist Befehl, er muß
ausgef
u
hrt werden. Aber wir f
u
hrten ihn so langsam aus, daß
Himmelstoß in Verzweiflung geriet.
Gem
u
tlich gingen wir auf die Knie, dann auf die Arme und so fort;
inzwischen hatte er schon w
u
tend ein anderes Kommando gegeben. Bevor wir
schwitzten, war er heiser. Er ließ uns dann in Ruhe. Zwar bezeichnete
er uns immer noch als Schweinehunde. Aber es lag Achtung darin.
Es gab auch viele anst
u
ndige Korporale, die vern
u
nftiger waren; die
anst
u
ndigen waren sogar in der
u
berzahl. Aber vor allem wollte jeder seinen
guten Posten hier in der Heimat so lange behalten wie m
u
glich, und das
konnte er nur, wenn er stramm mit den Rekruten war.
Uns ist dabei wohl jeder Kasernenhofschliff zuteil geworden, der
m
u
glich war, und oft haben wir vor Wut geheult. Manche von uns sind auch
krank dadurch geworden. Wolf ist sogar an Lungenentz
u
ndung gestorben. Aber
wir w
u
ren uns l
u
cherlich vorgekommen, wenn wir klein beigegeben h
u
tten. Wir
wurden hart, mißtrauisch, mitleidlos, rachs
u
chtig, roh - und das war
gut; denn diese Eigenschaften fehlten uns gerade. H
u
tte man uns ohne diese
Ausbildungszeit in den Sch
u
tzengraben geschickt, dann w
u
ren wohl die meisten
von uns verr
u
ckt geworden. So aber waren wir vorbereitet f
u
r das, was uns
erwartete.
Wir zerbrachen nicht, wir paßten uns an; unsere zwanzig Jahre,
die uns manches andere so schwer machten, halfen uns dabei. Das Wichtigste
aber war, daß in uns ein festes, praktisches Zusammen
geh
u
rigkeitsgef
u
hl erwachte, das sich im Felde dann zum Besten
steigerte, was der Krieg hervorbrachte: zur Kameradschaft!
Ich sitze am Bette Kemmerichs. Er verf
u
llt mehr und mehr. Um uns ist
viel Radau. Ein Lazarettzug ist angekommen, und die transportf
u
higen
Verwundeten werden ausgesucht. An Kemmerichs Bett geht der Arzt vorbei, er
sieht ihn nicht einmal an.
"Das n
u
chstemal, Franz", sage ich.
Er hebt sich in den Kissen auf die Ellbogen. "Sie haben mich
amputiert."
Das weiß er also doch jetzt. Ich nicke und antworte:
"Sei froh, daß du so weggekommen bist."
Er schweigt.
Ich rede weiter: "Es konnten auch beide Beine sein, Franz. Wegeler hat
den rechten Arm verloren. Das ist viel schlimmer. Du kommst ja auch nach
Hause."
Er sieht mich an. "Meinst du?"
"Nat
u
rlich."
Er wiederholt: "Meinst du?"
" Sicher, Franz. Du mußt dich nur erst von der Operation
erholen."
Er winkt mir, heranzur
u
cken. Ich beuge mich
u
ber ihn, und er fl
u
stert:
"Ich glaube es nicht."
"Rede keinen Quatsch, Franz, in ein paar Tagen wirst du es selbst
einsehen. Was ist das schon groß: ein amputiertes Bein; hier werden
ganz andere Sachen wieder zurechtgepflastert."
Er hebt eine Hand hoch. "Sieh dir das mal an, diese Finger."
"Das kommt von der Operation. Futtere nur ordentlich, dann wirst du
schon aufholen. Habt ihr anst
u
ndige Verpflegung?"
Er zeigt auf eine Sch
u
ssel, die noch halb voll ist. Ich gerate in
Erregung. "Franz, du mußt essen. Essen ist die Hauptsache. Das ist
doch ganz gut hier."
Er wehrt ab. Nach einer Pause sagt er langsam: "Ich wollte mal
Oberf
u
rster werden."
"Das kannst du noch immer", tr
u
ste ich. "Es gibt jetzt großartige
Prothesen, du merkst damit gar nicht, daß dir etwas fehlt. Sie werden
an die Muskeln angeschlossen. Bei Handprothesen kann man die Finger bewegen
und arbeiten, sogar schreiben. Und außerdem wird da immer noch mehr
erfunden werden."
Er liegt eine Zeitlang still. Dann sagt er: " Du kannst meine
Schn
u
rschuhe f
u
r M
u
ller mitnehmen.
Ich nicke und denke nach, was ich ihm Aufmunterndes sagen kann. Seine
Lippen sind weggewischt, sein Mund ist gr
u
ßer geworden, die Z
u
hne
stechen hervor, als w
u
ren sie aus Kreide. Das Fleisch zerschmilzt, die Stirn
w
u
lbt sich st
u
rker, die Backenknochen stehen vor. Das Skelett arbeitet sich
durch. Die Augen versinken schon. In ein paar Stunden wird es vorbei sein.
Er ist nicht der erste, den ich so sehe; aber wir sind zusammen
aufgewachsen, da ist es doch immer etwas anders. Ich habe die Aufs
u
tze von
ihm abgeschrieben. Er trug in der Schule meistens einen braunen Anzug mit
G
u
rtel, der an den
u
rmeln blankgewetzt war. Auch war er der einzige von uns,
der die große Riesenwelle am Reck konnte. Das Haar flog ihm wie Seide
ms Gesicht, wenn er sie machte. Kantorek war deshalb stolz auf ihn. Aber
Zigaretten konnte er nicht vertragen. Seine Haut war sehr weiß, er
hatte etwas von einem M
u
dchen.
Ich blicke auf meine Stiefel. Sie sind groß und klobig, die Hose
ist hineingeschoben; wenn man aufsteht, sieht man dick und kr
u
ftig in diesen
breiten R
u
hren aus. Aber wenn wir baden gehen und uns ausziehen, haben wir
pl
u
tzlich wieder schmale Beine und schmale Schultern. Wir sind dann keine
Soldaten mehr, sondern beinahe Knaben, man w
u
rde auch nicht glauben,
daß wir Tornister schleppen k
u
nnen. Es ist ein sonderbarer Augenblick,
wenn wir nackt sind; dann sind wir Zivilisten und f
u
hlen uns auch beinahe
so.
Franz Kemmerich sah beim Baden klein und schmal aus wie ein Kind. Da
liegt er nun, weshalb nur? Man sollte die ganze Welt an diesem Bette
vorbeif
u
hren und sagen: Das ist Franz Kemmerich, neunzehneinhalb Jahre alt,
er will nicht sterben. Laßt ihn nicht sterben!
Meine Gedanken gehen durcheinander. Diese Luft von Karbol und Brand
verschleimt die Lungen, sie ist ein tr
u
ger Brei, der erstickt.
Es wird dunkel. Kemmerichs Gesicht verbleicht, es hebt sich von den
Kissen und ist so blaß, daß es schimmert. Der Mund bewegt sich
leise. Ich n
u
here mich ihm. Er fl
u
stert: "Wenn ihr meine Uhr findet, schickt
sie nach Hause."
Ich widerspreche nicht. Es hat keinen Zweck mehr. Man kann ihn nicht
u
berzeugen. Mir ist elend vor Hilflosigkeit. Diese Stirn mit den
eingesunkenen Schl
u
fen, dieser Mund, der nur noch Gebiß ist, diese
spitze Nase! Und die dicke weinende Frau zu Hause, an die ich schreiben
muß. Wenn ich nur den Brief schon weg h
u
tte.
Lazarettgehilfen gehen herum mit Flaschen und Eimern. Einer kommt
heran, wirft Kemmerich einen forschenden Blick zu und entfernt sich wieder.
Man sieht, daß er wartet, wahrscheinlich braucht er das Bett.
Ich r
u
cke nahe an Franz heran und spreche, als k
u
nnte ihn das retten:
"Vielleicht kommst du in das Erholungsheim am Klosterberg, Franz, zwischen
den Villen. Du kannst dann vom Fenster aus
u
ber die Felder sehen bis zu den
beiden B
u
umen am Horizont. Es ist jetzt die sch
u
nste Zeit, wenn das Korn
reift, abends in der Sonne sehen die Felder dann aus wie Perlmutter. Und die
Pappela
u
ee am Klosterbach, in dem wir Stichlinge gefangen haben! Du kannst
dir dann wieder ein Aquarium anlegen und Fische z
u
chten, du kannst ausgehen
und brauchst niemand zu fragen, und Klavierspielen kannst du sogar auch,
wenn du willst."
Ich beuge mich
u
ber sein Gesicht, das im Schatten liegt. Er atmet noch,
leise. Sein Gesicht ist naß, er weint. Da habe ich ja sch
u
nen Unsinn
angerichtet mit meinem dummen Gerede!
"Aber Franz" - ich umfasse seine Schulter und lege mein Gesicht an
seins. "Willst du jetzt schlafen?"
Er antwortet nicht. Die Tr
u
nen laufen ihm die Backen herunter. Ich
m
u
chte sie abwischen, aber mein Taschentuch ist zu schmutzig.
Eine Stunde vergeht. Ich sitze gespannt und beobachte jede seiner
Mienen, ob er vielleicht noch etwas sagen m
u
chte. Wenn er doch den Mund
auftun und schreien wollte! Aber er weint nur, den Kopf zur Seite gewandt.
Er spricht nicht von seiner Mutter und seinen Geschwistern, er sagt nichts,
es liegt wohl schon hinter ihm; - er ist
jetzt allein mit seinem kleinen neunzehnj
u
hrigen Leben und weint, weil
es ihn verl
u
ßt.
Dies ist der fassungsloseste und schwerste Abschied, den ich je gesehen
habe, obwohl es beiTiedjen auch schlimm war, der nach seiner Mutter br
u
llte,
ein b
u
renstarker Kerl, und der den Arzt mit aufgerissenen Augen angstvoll
mit einem Seitengewehr von seinem Bett fernhielt, bis er zusammenklappte.
Pl
u
tzlich st
u
hnt Kemmerich und f
u
ngt an zu r
u
cheln.
Ich springe auf, stolpere hinaus und frage: "Wo ist der Arzt? Wo ist
der Arzt?"
Als ich den weißen Kittel sehe, halte ich ihn fest. "Kommen Sie
rasch, Franz Kemmerich stirbt sonst."
Er macht sich los und fragt einen dabeistehenden Lazarettgehilfen: "Was
soll das heißen?"
Der sagt: "Bett 26, Oberschenkel amputiert."
Er schnauzt: "Wie soll ich davon etwas wissen, ich habe heute f
u
nf
Beine amputiert", schiebt mich weg, sagt dem Lazarettgehilfen: "Sehen Sie
nach", und rennt zum Operationssaal.
Ich bebe vor Wut, als ich mit dem Sanit
u
ter gehe. Der Mann sieht mich
an und sagt: "Eine Operation nach der andern, seit morgens f
u
nf Uhr - doll,
sage ich dir, heute allein wieder sechzehn Abg
u
nge - deiner ist der
siebzehnte. Zwanzig werden sicher noch voll -"
Mir wird schwach, ich kann pl
u
tzlich nicht mehr. Ich will nicht mehr
schimpfen, es ist sinnlos, ich m
u
chte mich fallen lassen und nie wieder
aufstehen.
Wir sind am Bette Kemmerichs. Er ist tot. Das Gesicht ist noch
naß von den Tr
u
nen. Die Augen stehen halb offen, sie sind gelb wie
alte Hornkn
u
pfe. -
Der Sanit
u
ter st
u
ßt mich in die Rippen.
"Nimmst du seine Sachen mit?"
Ich nicke.
Er f
u
hrt fort: "Wir m
u
ssen ihn gleich wegbringen, wir brauchen das
Bett. Draußen liegen sie schon auf dem Flur."
Ich nehme die Sachen und kn
u
pfe Kemmerich die Erkennungsmarke ab. Der
Sanit
u
ter fragt nach dem Soldbuch. Es ist nicht da.
Ich sage, daß es wohl auf der Schreibstube sein m
u
sse, und gehe.
Hinter mir zerren sie Franz schon auf eine Zeltbahn.
Vor der T
u
r f
u
hle ich wie eine Erl
u
sung das Dunkel und den Wind. Ich
atme, so sehr ich es vermag, und sp
u
re die Luft warm und weich wie nie in
meinem Gesicht. Gedanken an M
u
dchen, an bl
u
hende Wiesen, an weiße
Wolken fliegen mir pl
u
tzlich durch den Kopf. Meine F
u
ße bewegen sich
in den Stiefeln vorw
u
rts, ich gehe schneller, ich laufe. Soldaten kommen an
mir vor
u
ber, ihre Gespr
u
che erregen mich, ohne daß ich sie verstehe.
Die Erde ist von Kr
u
ften durchflossen, die durch meine Fußsohlen in
mich
u
berstr
u
men. Die Nacht knistert elektrisch, die Front gewittert dumpf
wie ein Trommelkonzert. Meine Glieder bewegen sich geschmeidig, ich f
u
hle
meine Gelenke stark, ich schnaufe und schnaube. Die Nacht lebt, ich lebe.
Ich sp
u
re Hunger, einen gr
u
ßeren als nur vom Magen. -
M
u
ller steht vor der Baracke und erwartet mich. Ich gebe ihm die
Schuhe. Wir gehen hinein, und er probiert sie an. Sie passen genau. -
Er kramt in seinen Vorr
u
ten und bietet mir ein sch
u
nes St
u
ck
Zervelatwurst an. Dazu gibt es heißen Tee mit Rum.
Wir bekommen Ersatz. Die L
u
cken werden ausgef
u
llt, und die Strohs
u
cke
in den Baracken sind bald belegt. Zum Teil sind es alte Leute, aber auch
f
u
nfundzwanzig Mann junger Ersatz aus den Feldrekrutendepots werden uns
u
berwiesen. Sie sind fast ein Jahr j
u
nger als wir. Kropp st
u
ßt mich
an: "Hast du die Kinder gesehen?"
Ich nicke. Wir werfen uns in die Brust, lassen uns auf dem Hof
rasieren, stecken die H
u
nde in die Hosentaschen, sehen uns die Rekruten an
und f
u
hlen uns als steinaltes Milit
u
r.
Katczinsky schließt sich uns an. Wir wandern durch die
Pferdest
u
lle und kommen zu den Ersatzleuten, die gerade Gasmasken und Kaffee
empfangen. Kat fragt einen der j
u
ngsten: "Habt wohl lange nichts
Vern
u
nftiges zu futtern gekriegt, was?"
Der verzieht das Gesicht. "Morgens Steckr
u
benbrot - mittags
Steckr
u
bengem
u
se, abends Steckr
u
benkoteletts und Steckr
u
bensalat."
Katczinsky pfeift fachm
u
nnisch. "Brot aus Steckr
u
ben? Da habt ihr Gl
u
ck
gehabt, sie machen es auch schon aus S
u
gesp
u
nen. Aber was meinst du zu
weißen Bohnen, willst du einen Schlag haben?"
Der Junge wird rot. "Verkohlen brauchst du mich nicht."
Katczinsky antwortet nichts als: "Nimm dein Kochgeschirr."
Wir folgen neugierig. Er f
u
hrt uns zu einer Tonne neben seinem
Strohsack. Sie ist tats
u
chlich halb voll weißer Bohnen mit
Rindfleisch. Katczinsky steht vor ihr wie ein General und sagt: "Auge auf,
Finger lang! Das ist die Parole bei den Preußen."
Wir sind
u
berrascht. Ich frage: "Meine Fresse, Kat, wie kommst du denn
dazu?"
"Die Tomate war froh, als ich ihr's abnahm. Ich habe drei St
u
ck
Fallschirmseide daf
u
r gegeben. Na, weiße Bohnen schmecken kalt doch
tadellos."
Er gibt g
u
nnerhaft dem Jungen eine Portion auf und sagt: "Wenn du das
n
u
chstemal hier antrittst mit deinem Kochgeschirr, hast du in der linken
Hand eine Zigarre oder einen Priem. Verstanden?"
Dann wendet er sich zu uns. "Ihr kriegt nat
u
rlich so."
Katczinsky ist nicht zu entbehren, weil er einen sechsten Sinn hat. Es
gibt
u
berall solche Leute, aber niemand sieht ihnen von vornherein an,
daß es so ist. Jede Kompanie hat einen oder zwei davon. Katczinsky ist
der gerissenste, den ich kenne. Von Beruf ist er, glaube ich, Schuster, aber
das tut nichts zur Sache, er versteht jedes Handwerk. Es ist gut, mit ihm
befreundet zu sein. Wir sind es, Kropp und ich, auch Haie Westhus geh
u
rt
halb und halb dazu. Er ist allerdings schon mehr ausf
u
hrendes Organ, denn er
arbeitet unter dem Kommando Kats, wenn eine Sache geschmissen wird, zu der
man F
u
uste braucht. Daf
u
r hat er dann seine Vorteile.
Wir kommen zum Beispiel nachts in einen v
u
llig unbekannten Ort, ein
tr
u
bseliges Nest, dem man gleich ansieht, daß es ausgepowert ist bis
auf die Mauern. Quartier ist eine kleine, dunkle Fabrik, die erst dazu
eingerichtet worden ist. Es stehen Betten darin, vielmehr nur Bettstellen,
ein paar Holzlatten, die mit Drahtgeflecht bespannt sind.
Drahtgeflecht ist hart. Eine Decke zum Unterlegen haben wir nicht, wir
brauchen unsere zum Zudecken. Die Zeltbahn ist zu d
u
nn.
Kat sieht sich die Sache an und sagt zu Haie Westhus: "Komm mal mit."
Sie gehen los, in den v
u
llig unbekannten Ort hinein. Eine halbe Stunde
sp
u
ter sind sie wieder da, die Arme hoch voll Stroh. Kat hat einen
Pferdestall gefunden und damit das Stroh. Wir k
u
nnten jetzt warm schlafen,
wenn wir nicht noch einen so entsetzlichen Kohldampf h
u
tten.
Kropp fragt einen Artilleristen, der schon l
u
nger in der Gegend ist:
"Gibt es hier irgendwo eine Kantine?"
Der lacht: "Hat sich was! Hier ist nichts zu holen. Keine Brotrinde
holst du hier."
"Sind denn keine Einwohner mehr da?"
Er spuckt aus. "Doch, ein paar. Aber die lungern selbst um jeden
K
u
chenkessel herum und betteln."
Das ist eine b
u
se Sache. Dann m
u
ssen wir eben den Schmachtriemen enger
schnallen und bis morgen warten, wenn die Furage kommt.
Ich sehe jedoch, wie Kat seine M
u
tze aufsetzt, und frage: "Wo willst du
hin, Kat?"
"Mal etwas die Lage spannen." Er schlendert hinaus.
Der Artillerist grinst h
u
hnisch. "Spann man! Verheb dich nicht dabei."
Entt
u
uscht legen wir uns hin und
u
berlegen, ob wir die eisernen
Portionen anknabbern sollen. Aber es ist uns zu riskant. So versuchen wir
ein Auge voll Schlaf zu nehmen.
Kropp bricht eine Zigarette durch und gibt mir die H
u
lfte. Tjaden
erz
u
hlt von seinem Nationalgericht, großen Bohnen mit Speck. Er
verdammt die Zubereitung ohne Bohnenkraut. Vor allem aber soll man alles
durcheinander kochen, um Gottes willen nicht die Kartoffeln, die Bohnen und
den Speck getrennt. Jemand knurrte, daß er Tjaden zu Bohnenkraut
verarbeiten w
u
rde, wenn er nicht sofort still w
u
re. Darauf wird es ruhig in
dem großen Raum. Nur ein paar Kerzen flackern in den Flaschenh
u
lsen,
und ab und zu spuckt der Artillerist aus.
Wir duseln ein bißchen, als die T
u
r aufgeht und Kat erscheint.
Ich glaube zu tr
u
umen: er hat zwei Brote unter dem Arm und in der Hand einen
blutigen Sandsack mit Pferdefleisch.
Dem Artilleristen f
u
llt die Pfeife aus dem Munde. Er betastet das Brot.
"Tats
u
chlich, richtiges Brot, und noch warm."
Kat redet nicht weiter dar
u
ber. Er hat eben Brot, das andere ist egal.
Ich bin
u
berzeugt, wenn man ihn in der W
u
ste aussetzte, w
u
rde er in einer
Stunde ein Abendessen aus Datteln, Braten und Wein zusammenfinden.
Er sagt kurz zu Haie: "Hack Holz."
Dann holt er eine Bratpfanne unter seinem Rock hervor und zieht eine
Handvoll Salz und sogar eine Scheibe Fett aus der Tasche; - er hat an alles
gedacht. Haie macht auf dem Fußboden ein Feuer. Es prasselt durch die
kahle Fabrikhalle. Wir klettern aus den Betten.
Der Artillerist schwankt. Er
u
berlegt, ob er loben soll, damit
vielleicht auch etwas f
u
r ihn abf
u
llt. Aber Katczinsky sieht ihn gar nicht,
so sehr ist er Luft f
u
r ihn. Da zieht er fluchend ab.
Kat kennt die Art, Pferdefleisch weichzubraten. Es darf nicht gleich in
die Pfanne, dann wird es hart. Vorher muß es in wenig Wasser
vorgekocht werden. Wir hocken uns mit unsern Messern im Kreis und schlagen
uns den Magen voll.
Das ist Kat. Wenn in einem Jahr in einer Gegend nur eine Stunde lang
etwas Eßbares aufzutreiben w
u
re, so w
u
rde er genau in dieser Stunde,
wie von einer Erleuchtung getrieben, seine M
u
tze aufsetzen, hinausgehen,
geradewegs wie nach einem Kompaß darauf zu, und es finden.
Er findet alles; - wenn es kalt ist, kleine Ofen und Holz, Heu und
Stroh, Tische, St
u
hle - vor allem aber Fressen. Es ist r
u
tselhaft, man
sollte glauben, er zaubere es aus der Luft. Seine Glanzleistung waren vier
Dosen Hummer. Allerdings h
u
tten wir lieber Schmalz daf
u
r gehabt.
Wir haben uns auf der Sonnenseite der Baracken hingehauen. Es riecht
nach Teer, Sommer und Schweißf
u
ßen.
Kat sitzt neben mir, denn er unterh
u
lt sich gern. Wir haben heute
mittag eine Stunde Ehrenbezeigungen ge
u
bt, weil Tjaden einen Major
nachl
u
ssig gegr
u
ßt hat. Das will Kat nicht aus dem Kopf. Er
u
ußert: "Paß auf, wir verlieren den Krieg, weil wir zu gut
gr
u
ßen k
u
nnen."
Kropp storcht n
u
her, barfuß, die Hosen aufgekrempelt. Er legt
seine gewaschenen Socken zum Trocknen aufs Gras. Kat sieht in den Himmel,
l
u
ßt einen kr
u
ftigen Laut h
u
ren und sagt versonnen dazu: "Jedes
B
u
hnchen gibt ein T
u
nchen."
Die beiden fangen an zu disputieren. Gleichzeitig wetten sie um eine
Flasche Bier auf einen Fliegerkampf, der sich
u
ber uns abspielt.
Kat l
u
ßt sich nicht von seiner Meinung abbringen, die er als
altes Frontschwein wieder in Reimen von sich gibt: "Gleiche L
u
hnung,
gleiches Essen, war'der Krieg schon l
u
ngst vergessen." -
Kropp dagegen ist ein Denker. Er schl
u
gt vor, eine Kriegserkl
u
rung
solle eine Art Volksfest werden mit Eintrittskarten und Musik wie bei
Stiergefechten. Dann m
u
ßten in der Arena die Minister und Gener
u
le der
beiden L
u
nder in Badehosen, mit Kn
u
ppeln bewaffnet, aufeinander losgehen.
Wer
u
brigbliebe, dessen Land h
u
tte gesiegt. Das w
u
re einfacher und besser
als hier, wo die falschen Leute sich bek
u
mpfen.
Der Vorschlag gef
u
llt. Dann gleitet das Gespr
u
ch auf den Kasernendrill
u
ber.
Mir f
u
llt dabei ein Bild ein. Gl
u
hender Mittag auf dem Kasernenhof. Die
Hitze steht
u
ber dem Platz. Die Kasernen wirken wie ausgestorben. Alles
schl
u
ft. Man h
u
rt nur Trommler
u
ben, irgendwo haben sie sich aufgestellt und
u
ben, ungeschickt, eint
u
nig, stumpfsinnig. Welch ein Dreiklang:
Mittagshitze, Kasernenhof und Trommel
u
ben!
Die Fenster der Kaserne sind leer und dunkel. Aus einigen h
u
ngen
trocknende Drillichhosen. Man sieht sehns
u
chtig hin
u
ber. Die Stuben sind
k
u
hl. -
Oh, ihr dunklen, muffigen Korporalschaftsstuben mit den eisernen
Bettgestellen, den gew
u
rfelten Betten, den Spindschr
u
nken und den Schemeln
davor! Selbst ihr k
u
nnt das Ziel von W
u
nschen werden; hier draußen
seid ihr sogar ein sagenhafter Abglanz von Heimat, ihr Gelasse voll Dunst
von abgestandenen Speisen, Schlaf, Rauch und Kleidern!
Katczinsky beschreibt sie mit Farbenpracht und großer Bewegung.
Was w
u
rden wir geben, wenn wir zu ihnen zur
u
ck k
u
nnten! Denn weiter wagen
sich unsre Gedanken schon gar nicht -
Ihr Instruktionsstunden in der Morgenfr
u
he - "Worin zerf
u
llt das Gewehr
98?" - ihr Turnstunden am Nachmittag - "Klavierspieler vortreten. Rechts
heraus. Meldet euch in der K
u
che zum Kartoffelsch
u
len" -
Wir schwelgen in Erinnerungen. Kropp lacht pl
u
tzlich und sagt: "In
L
u
hne umsteigen."
Das war das liebste Spiel unseres Korporals. L
u
hne ist ein
Umsteigebahnhof. Damit unsre Urlauber sich dort nicht verlaufen sollten,
u
bte Himmelstoß das Umsteigen mit uns in der Kasernenstube. Wir
sollten lernen, daß man in L
u
hne durch eine Unterf
u
hrung zum
Anschlußzug gelangte. Die Betten stellten die Unterf
u
hrung dar, und
jeder baute sich links davon auf. Dann kam das Kommando: "In L
u
hne
umsteigen!", und wie der Blitz kroch alles unter den Betten hindurch auf die
andere Seite. Das haben wir stundenlang ge
u
bt. -
Inzwischen ist das deutsche Flugzeug abgeschossen worden. Wie ein Komet
st
u
rzt es in einer Rauchfahne abw
u
rts. Kropp hat dadurch eine Flasche Bier
verloren und z
u
hlt mißmutig sein Geld.
"Der Himmelstoß ist als Brieftr
u
ger sicher ein bescheidener
Mann", sagte ich, nachdem sich Alberts Entt
u
uschung gelegt hat, "wie mag es
nur kommen, daß er als Unteroffizier ein solcher Schinder ist?"
Die Frage macht Kropp wieder mobil. "Das ist nicht nur Himmelstoß
allein, das sind sehr viele. Sowie sie Tressen oder einen S
u
bel haben,
werden sie andere Menschen, als ob sie Beton gefressen h
u
tten."
"Das macht die Uniform", vermute ich.
"So ungef
u
hr", sagt Kat und setzt sich zu einer großen Rede
zurecht, "aber der Grund liegt anderswo. Sieh mal, wenn du einen Hund zum
Kartoffelfressen abrichtest und du legst ihm dann nachher ein St
u
ck Fleisch
hin, so wird er trotzdem danach schnappen, weil das in seiner Natur liegt.
Und wenn du einem Menschen ein St
u
ckchen Macht gibst, dann geht es ihm
ebenso; er schnappt danach. Das kommt ganz von selber, denn der Mensch ist
an und f
u
r sich zun
u
chst einmal ein Biest, und dann erst ist vielleicht
noch, wie bei einer Schmalzstulle, etwas Anst
u
ndigkeit draufgeschmiert. Der
Kommiß besteht nun darin, daß immer einer
u
ber den andern Macht
hat. Das Schlimme ist nur, daß jeder viel zuviel Macht hat; ein
Unteroffizier kann einen Gemeinen, ein Leutnant einen Unteroffizier, ein
Hauptmann einen Leutnant derartig zwiebeln, daß er verr
u
ckt wird. Und
weil er das weiß, deshalb gew
u
hnt er es sich gleich schon etwas an.
Nimm nur die einfachste Sache: wir kommen vom Exerzierplatz und sind
hundem
u
de. Da wird befohlen: Singen! Na, es wird ein schlapper Gesang, denn
jeder ist froh, daß er sein Gewehr noch schleppen kann. Und schon
macht die Kompanie kehrt und muß eine Stunde strafexerzieren. Beim
R
u
ckmarsch heißt es wieder: ‚Singen!', und jetzt wird gesungen. Was
hat das Ganze f
u
r einen Zweck? Der Kompanief
u
hrer hat seinen Kopf
durchgesetzt, weil er die Macht dazu hat. Niemand wird ihn tadeln, im
Gegenteil, er gilt als stramm. Dabei ist so etwas nur eine Kleinigkeit, es
gibt doch noch ganz andere Sachen, womit sie einen schinden. Nun frage ich
euch: Mag der Mann in Zivil sein, was er will, in welchem Beruf kann er sich
so etwas leisten, ohne daß ihm die Schnauze eingeschlagen wird ? Das
kann er nur beim Kommiß! Seht ihr, und das steigt jedem zu Kopf! Und
es steigt ihm um so mehr zu Kopf, je weniger er als Zivilist zu sagen
hatte."
"Es heißt eben, Disziplin muß sein -", meint Kropp
nachl
u
ssig.
" Gr
u
nde", knurrt Kat, "haben sie immer. Mag ja auch sein. Aber es darf
keine Schikane werden. Und mach du das mal einem Schlosser oder Knecht oder
Arbeiter klar, erkl
u
re das mal einem Muskoten, und das sind doch die meisten
hier; der sieht nur, daß er geschunden wird und ins Feld kommt, und er
weiß ganz genau, was notwendig ist und was nicht. Ich sage euch,
daß der einfache Soldat hier vorn so aush
u
lt, das ist allerhand!
Allerhand ist das!"
Jeder gibt es zu, denn jeder weiß, daß nur im
Sch
u
tzengraben der Drill aufh
u
rt, daß er aber wenige Kilometer hinter
der Front schon wieder beginnt, und sei es mit dem gr
u
ßten Unsinn, mit
Gr
u
ßen und Parademarsch. Denn es ist eisernes Gesetz: Der Soldat
muß auf jeden Fall besch
u
ftigt werden.
Doch nun erscheint Tjaden, mit roten Flecken im Gesicht. Er ist so
aufgeregt, daß er stottert. Strahlend buchstabiert er:
"Himmelstoß ist unterwegs nach hier. Er kommt an die Front."
Tjaden hat eine Hauptwut auf Himmelstoß, weil der ihn im
Barackenlager auf seine Weise erzogen hat. Tjaden ist Bettn
u
sser, nachts
beim Schlafen passiert es ihm eben. Himmelstoß behauptet steif und
fest, es sei nur Faulheit, und er fand ein seiner w
u
rdiges Mittel, um Tjaden
zu heilen. Er trieb in der benachbarten Baracke einen zweiten Bettn
u
sser
auf, der Kindervater hieß. Den quartierte er mit Tjaden zusammen. In
den Baracken standen die typischen Bettgestelle, zwei Betten
u
bereinander,
die Bettb
u
den aus Draht. Himmelstoß legte beide nun so zusammen,
daß der eine das obere, der andere das darunter befindliche Bett
bekam. Der untere war dadurch nat
u
rlich scheußlich daran. Daf
u
r wurde
am n
u
chsten Abend gewechselt, der untere kam nach oben, damit er Vergeltung
hatte. Das war Himmelstoß' Selbsterziehung.
Der Einfall war gemein, aber in der Idee gut. Leider nutzte er nichts,
weil die Voraussetzung nicht stimmte: es war keine Faulheit bei den beiden.
Das konnte jeder merken, der ihre fahle Haut ansah. Die Sache endete damit,
daß immer einer von beiden auf dem Fußboden schlief. Er h
u
tte
sich leicht dabei erk
u
lten k
u
nnen. -
Haie hat sich inzwischen auch neben uns niedergelassen. Er blinzelt mir
zu und reibt and
u
chtig seine Tatze. Wir haben zusammen den sch
u
nsten Tag
unseres Kommißlebens erlebt. Das war der Abend, bevor wir ins Feld
fuhren. Wir waren einem der Regimenter mit der hohen Hausnummer zugeteilt,
vorher aber zur Einkleidung in die Garnison zur
u
ckbef
u
rdert worden,
allerdings nicht zum Rekrutendepot, sondern in eine andere Kaserne. Am
n
u
chsten Morgen fr
u
h sollten wir abfahren. Abends machten wir uns auf, um
mit Himmelstoß abzurechnen. Das hatten wir uns seit Wochen geschworen.
Kropp war sogar so weit gegangen, daß er sich vorgenommen hatte, im
Frieden das Postfach einzuschlagen, um sp
u
ter, wenn Himmelstoß wieder
Brieftr
u
ger war, sein Vorgesetzter zu werden. Er schwelgte in Bildern, wie
er ihn schleifen w
u
rde. Denn das war es gerade, weshalb er uns nicht
kleinkriegen konnte; wir rechneten stets damit, daß wir ihn schon
einmal schnappen w
u
rden, sp
u
testens am Kriegsende.
Einstweilen wollten wir ihn gr
u
ndlich verhauen. Was konnte uns schon
passieren, wenn er uns nicht erkannte und wir ohnehin morgen fr
u
h abfuhren.
Wir wußten, in welcher Kneipe er jeden Abend saß. Wenn er
von dort zur Kaserne ging, mußte er durch eine dunkle, unbebaute
Straße. Dort lauerten wir ihm hinter einem Steinhaufen auf. Ich hatte
einen Bett
u
berzug bei mir. Wir zitterten vor Erwartung, ob er auch allein
sein w
u
rde. Endlich h
u
rten wir seinen Schritt, den kannten wir genau, wir
hatten ihn oft genug morgens geh
u
rt, wenn die T
u
r aufflog und "Aufstehen!"
gebr
u
llt wurde.
"Allein?" fl
u
sterte Kropp.
"Allein!" - Ich schlich mit Tjaden um den Steinhaufen herum.
Da blitzte schon sein Koppelschloß. Himmelstoß schien etwas
angeheitert zu sein; er sang. Ahnungslos ging er vor
u
ber.
Wir faßten das Bettuch, machten einen leisen Satz, st
u
lpten es
ihm von hinten
u
ber den Kopf, rissen es nach unten, so daß er wie in
einem weißen Sack dastand und die Arme nicht heben konnte. Das Singen
erstarb.
Im n
u
chsten Moment war Haie Westhus heran. Mit ausgebreiteten Armen
warf er uns zur
u
ck, um nur ja der erste zu sein. Er stellte sich
genußreich in Positur, hob den Arm wie einen Signalmast, die Hand wie
eine Kohlenschaufel und knallte einen Schlag auf den weißen Sack, der
einen Ochsen h
u
tte t
u
ten k
u
nnen.
Himmelstoß
u
berschlug sich, landete f
u
nf Meter weiter und fing an
zu br
u
llen. Auch daf
u
r hatten wir gesorgt, denn wir hatten ein Kissen bei
uns. Haie hockte sich hin, legte das Kissen auf die Knie, packte
Himmelstoß da, wo der Kopf war, und dr
u
ckte ihn auf das Kissen. Sofort
wurde er im Ton ged
u
mpfter. Haie ließ ihn ab und zu mal Luft
schnappen, dann kam aus dem Gurgeln ein prachtvoller heller Schrei, der
gleich wieder zart wurde.
Tjaden kn
u
pfte jetzt Himmelstoß die Hosentr
u
ger ab und zog ihm
die Hose herunter. Die Klopfpeitsche hielt er dabei mit den Z
u
hnen fest.
Dann erhob er sich und begann sich zu bewegen.
Es war ein wunderbares Bild: Himmelstoß auf der Erde,
u
ber ihn
gebeugt, seinen Kopf auf den Knien, Haie mit teuflisch grinsendem Gesicht
und vor Lust offenem Maul, dann die zuckende, gestreifte Unterhose mit den
X-Beinen, die in der heruntergeschobenen Hose bei jedem Schlag die
originellsten Bewegungen machten, und dar
u
ber wie ein Holzhacker der
unerm
u
dliche Tjaden. Wir mußten ihn schließlich geradezu
wegreißen, um auch noch an die Reihe zu kommen.
Endlich stellte Haie Himmelstoß wieder auf die Beine und gab als
Schluß eine Privatvorstellung. Er schien Sterne pfl
u
cken zu wollen, so
holte seine Rechte aus zu einer Backpfeife. Himmelstoß kippte um. Haie
hob ihn wieder auf, stellte ihn sich parat und langte ihm ein zweites,
erstklassig gezieltes Ding mit der linken Hand. Himmelstoß heulte und
fl
u
chtete auf allen vieren. Sein gestreifter Brieftr
u
gerhintern leuchtete im
Mond.
Wir verschwanden im Galopp.
Haie sah sich noch einmal um und sagte ingrimmig, ges
u
ttigt und etwas
r
u
tselhaft: "Rache ist Blutwurst." -
Eigentlich konnte Himmelstoß froh sein; denn sein Wort, daß
immer einer den andern erziehen m
u
sse, hatte an ihm selbst Fr
u
chte getragen.
Wir waren gelehrige Sch
u
ler seiner Methoden geworden.
Er hat nie heraus gekriegt, wem er die Sache verdankte. Immerhin gewann
er dabei ein Bettuch; denn als wir einige Stunden sp
u
ter noch einmal
nachsahen, war es nicht mehr zu finden.
Dieser Abend war der Grund, daß wir am n
u
chsten Morgen
einigermaßen gefaßt abfuhren. Ein wehender Vollbart bezeichnete
uns deshalb ganz ger
u
hrt als Heldenjugend.
Wir m
u
ssen nach vorn zum Schanzen. Beim Dunkelwerden rollen die
Lastwagen an. Wir klettern hinauf. Es ist ein warmer Abend, und die
D
u
mmerung erscheint uns wie ein Tuch, unter dessen Schutz wir uns wohl
f
u
hlen. Sie verbindet uns; sogar der geizige Tjaden schenkt mir eine
Zigarette und gibt mir Feuer.
Wir stehen nebeneinander, dicht an dicht, sitzen kann niemand. Das sind
wir auch nicht gew
u
hnt. M
u
ller ist endlich mal guter Laune; er tr
u
gt seine
neuen Stiefel.
Die Motoren brummen an, die Wagen klappern und rasseln. Die
Straßen sind ausgefahren und voller L
u
cher. Es darf kein Licht gemacht
werden, deshalb rumpeln wir hinein, daß wir fast aus dem Wagen
purzeln. Das beunruhigt uns nicht weiter. Was kann schon passieren; ein
gebrochener Arm ist besser als ein Loch im Bauch, und mancher w
u
nscht sich
geradezu eine solch gute Gelegenheit, nach Hause zu kommen.
Neben uns fahren in langer Reihe die Munitionskolonnen. Sie haben es
eilig,
u
berholen uns fortw
u
hrend. Wir rufen ihnen Witze zu, und sie
antworten.
Eine Mauer wird sichtbar, sie geh
u
rt zu einem Hause, das abseits der
Straße liegt. Ich spitze pl
u
tzlich die Ohren. T
u
usche ich mich? Wieder
h
u
re ich deutlich G
u
nsegeschnatter. Ein Blick zu Katczinsky - ein Blick von
ihm zur
u
ck; wir verstehen uns.
"Kat, ich h
u
re da einen Kochgeschirraspiranten -"
Er nickt. "Wird gemacht, wenn wir zur
u
ck sind. Ich weiß hier
Bescheid."
Nat
u
rlich weiß Kat Bescheid. Er kennt bestimmt jedes G
u
nsebein in
zwanzig Kilometer Umkreis.
Die Wagen erreichen das Gebiet der Artillerie. Die Gesch
u
tzst
u
nde sind
gegen Fliegersicht mit B
u
schen verkleidet, wie zu einer Art milit
u
rischem
Laubh
u
ttenfest. Diese Lauben s
u
hen lustig und friedlich aus, wenn ihre
Insassen keine Kanonen w
u
ren.
Die Luft wird diesig von Gesch
u
tzrauch und Nebel. Man schmeckt den
Pulverqualm bitter auf der Zunge. Die Absch
u
sse krachen, daß unser
Wagen bebt, das Echo rollt tosend hinterher, alles schwankt. Unsere
Gesichter ver
u
ndern sich unmerklich. Wir brauchen zwar nicht in die Gr
u
ben,
sondern nur zum Schanzen, aber in - jedem Gesicht steht jetzt: hier ist die
Front, wir sind in ihrem Bereich. Es ist das noch keine Angst. Wer so oft
nach vorn gefahren ist wie wir, der wird dickfellig. Nur die jungen Rekruten
sind aufgeregt. Kat belehrt sie: "Das war ein 30,5. Ihr h
u
rt es am
Abschuß; - gleich kommt der Einschlag."
Aber der dumpfe Hall der Einschl
u
ge dringt nicht her
u
ber. Er ertrinkt
im Gemurmel der Front. Kat horcht hinaus: "Die Nacht gibt es Kattun."
Wir horchen alle. Die Front ist unruhig. Kropp sagt:
"Die Tommys schießen schon."
Die Absch
u
sse sind deutlich zu h
u
ren. Es sind die englischen Batterien,
rechts von unserm Abschnitt. Sie beginnen eine Stunde zu fr
u
h. Bei uns
fingen sie immer erst Punkt zehn Uhr an.
"Was f
u
llt denn denen ein", ruft M
u
ller, "ihre Uhren gehen wohl vor."
"Es gibt Kattun, sag ich euch, ich sp
u
re es in den Knochen." Kat zieht
die Schultern hoch.
Neben uns dr
u
hnen drei Absch
u
sse. Der Feuerstrahl schießt schr
u
g
in den Nebel, die Gesch
u
tze brummen und rumoren. Wir fr
u
steln und sind froh,
daß wir morgen fr
u
h wieder in den Baracken sein werden.
Unsere Gesichter sind nicht blasser und nicht r
u
ter als sonst; sie sind
auch nicht gespannter oder schlaffer, und doch sind sie anders. Wir f
u
hlen,
daß in unserm Blut ein Kontakt angeknipst ist. Das sind keine
Redensarten; es ist Tatsache. Die Front ist es, das Bewußtsein der
Front, das diesen Kontakt ausl
u
st. Im Augenblick, wo die ersten Granaten
pfeifen, wo die Luft unter den Absch
u
ssen zerreißt, ist pl
u
tzlich in
unsern Adern, unsern H
u
nden, unsern Augen ein geducktes Warten, ein Lauern,
ein st
u
rkeres Wachsein, eine sonderbare Geschmeidigkeit der Sinne. Der
K
u
rper ist mit einem Schlage in voller Bereitschaft.
Oft ist es mir, als w
u
re es die ersch
u
tterte, vibrierende Luft, die mit
lautlosem Schwingen auf uns
u
berspringt; oder als w
u
re es die Front selbst,
von der eine Elektrizit
u
t ausstrahlt, die unbekannte Nervenspitzen
mobilisiert.
Jedesmal ist es dasselbe: wir fahren ab und sind m
u
rrische oder
gutgelaunte Soldaten; - dann kommen die ersten Gesch
u
tzst
u
nde, und jedes
Wort unserer Gespr
u
che hat einen ver
u
nderten Klang. -
Wenn Kat vor den Baracken steht und sagt: "Es gibt Kattun -", so ist
das eben seine Meinung, fertig; - wenn er es aber hier sagt, so hat der Satz
eine Sch
u
rfe wie ein Bajonett nachts im Mond, er schneidet glatt durch die
Gedanken, er ist n
u
her und spricht zu diesem Unbewußten, das in uns
aufgewacht ist, mit einer dunklen Bedeutung, "es gibt Kattun" -. Vielleicht
ist es unser innerstes und geheimstes Leben, das erzittert und sich zur
Abwehr erhebt.
F
u
r mich ist die Front ein unheimlicher Strudel. Wenn man noch weit
entfernt von seinem Zentrum im ruhigen Wasser ist, f
u
hlt man schon die
Saugkraft, die einen an sich zieht, langsam, unentrinnbar, ohne viel
Widerstand. Aus der Erde, aus der Luft aber str
u
men uns Abwehrkr
u
fte zu, -
am meisten von der Erde. F
u
r niemand ist die Erde so viel wie f
u
r den
Soldaten. Wenn er sich an sie preßt, lange, heftig, wenn er sich tief
mit dem Gesicht und den Gliedern in sie hineinw
u
hlt in der Todesangst des
Feuers, dann ist sie sein einziger Freund, sein Bruder, seine Mutter, er
st
u
hnt seine Furcht und seine Schreie in ihr Schweigen und ihre
Geborgenheit, sie nimmt sie auf und entl
u
ßt ihn wieder zu neuen zehn
Sekunden Lauf und Leben, faßt ihn wieder, und manchmal f
u
r immer.
Erde - Erde - Erde -!
Erde, mit deinen Bodenfalten und L
u
chern und Vertiefungen, in die man
sich hineinwerfen, hineinkauern kann! Erde, du gabst uns im Krampf des
Grauens, im Aufspritzen der Vernichtung, im Todesbr
u
llen der Explosionen die
ungeheure Widerwelle gewonnenen Lebens! Der irre Sturm fast zerfetzten
Daseins floß im R
u
ckstrom von dir durch unsre H
u
nde, so daß wir
die geretteten in dich gruben und im stummen Angstgl
u
ck der
u
berstandenen
Minute mit unseren Lippen in dich hineinbissen! -
Wir schnellen mit einem Ruck in einem Teil unseres Seins beim ersten
Dr
u
hnen der Granaten um Tausende von Jahren zur
u
ck. Es ist der Instinkt des
Tieres, der in uns erwacht, der uns leitet und besch
u
tzt. Er ist nicht
bewußt, er ist viel schneller, viel sicherer, viel unfehlbarer als das
Bewußtsein. Man kann es nicht erkl
u
ren. Man geht und denkt an nichts -
pl
u
tzlich liegt man in einer Bodenmulde, und
u
ber einen spritzen die
Splitter hinweg; - aber man kann sich nicht entsinnen, die Granate kommen
geh
u
rt oder den Gedanken gehabt zu haben, sich hinzulegen. H
u
tte man sich
darauf verlassen sollen, man w
u
re bereits ein Haufen verstreutes Fleisch. Es
ist das andere gewesen, diese hellsichtige Witterung in uns, die uns
niedergerissen und gerettet hat, ohne daß man weiß, wie. Wenn
sie nicht w
u
re, g
u
be es von Flandern bis zu den Vogesen schon l
u
ngst keine
Menschen mehr.
Wir fahren ab als m
u
rrische oder gutgelaunte Soldaten, - wir kommen in
die Zone, wo die Front beginnt, und sind Menschentiere geworden.
Ein d
u
rftiger Wald nimmt uns auf. Wir passieren die Gulaschkanonen.
Hinter dem Walde steigen wir ab. Die Wagen fahren zur
u
ck. Sie sollen uns
morgens vor dem Hellwerden wieder abholen.
Nebel und Gesch
u
tzrauch stehen in Brusth
u
he
u
ber den Wiesen. Der Mond
scheint darauf. Auf der Straße ziehen Truppen. Die Stahlhelme
schimmern mit matten Reflexen im Mondlicht. Die K
u
pfe und die Gewehre ragen
aus dem weißen Nebel, nickende K
u
pfe, schwankende Gewehrl
u
ufe.
Weiter vorn h
u
rt der Nebel auf. Die K
u
pfe werden hier zu Gestalten; -
R
u
cke, Hosen und Stiefel kommen aus dem Nebel wie aus einem Milchteich. Sie
formieren sich zur Kolonne. Die Kolonne marschiert, geradeaus, die Gestalten
schließen sich zu einem Keil, man erkennt die einzelnen nicht mehr,
nur ein dunkler Keil schiebt sich nach vorn, sonderbar erg
u
nzt aus den im
Nebelteich heranschwimmenden K
u
pfen und Gewehren. Eine Kolonne - keine
Menschen.
Auf einer Querstraße fahren leichte Gesch
u
tze und Munitionswagen
heran. Die Pferde haben gl
u
nzende R
u
cken im Mondschein, ihre Bewegungen sind
sch
u
n, sie werfen die K
u
pfe, man sieht die Augen blitzen. Die Gesch
u
tze und
Wagen gleiten vor dem verschwimmenden Hintergrund der Mondlandschaft
vor
u
ber, die Reiter mit ihren Stahlhelmen sehen aus wie Ritter einer
vergangenen Zeit, es ist irgendwie sch
u
n und ergreifend.
Wir streben dem Pionierpark zu. Ein Teil von uns ladet sich gebogene,
spitze Eisenst
u
be auf die Schultern, der andere steckt glatte Eisenst
u
cke
durch Drahtrollen und zieht damit ab. Die Lasten sind unbequem und schwer.
Das Terrain wird zerrissener. Von vorn kommen Meldungen durch:
"Achtung, links tiefer Granattrichter" - "Vorsicht, Graben" -
Unsere Augen sind angespannt, unsere F
u
ße und St
u
cke f
u
hlen vor,
ehe sie die Last des K
u
rpers empfangen. Mit einmal h
u
lt der Zug; - man
prallt mit dem Gesicht gegen die Drahtrolle des Vordermannes und schimpft.
Einige zerschossene Wagen sind im Wege. Ein neuer Befehl. "Zigaretten
und Pfeifen aus." -Wir sind dicht an den Gr
u
ben.
Es ist inzwischen ganz dunkel geworden. Wir umgehen ein W
u
ldchen und
haben dann den Frontabschnitt vor uns.
Eine Ungewisse, r
u
tliche Helle steht am Horizont von einem Ende zum
andern. Sie ist in st
u
ndiger Bewegung, durchzuckt vom M
u
ndungsfeuer der
Batterien. Leuchtkugeln steigen dar
u
ber hoch, silberne und rote B
u
lle, die
zerplatzen und in weißen, gr
u
nen und roten Sternen niederregnen.
Franz
u
sische Raketen schießen auf, die in der Luft einen Seidenschirm
entfalten und ganz langsam niederschweben. Sie erleuchten alles taghell, bis
zu uns dringt ihr Schein, wir sehen unsere Schatten scharf am Boden.
Minutenlang schweben sie, ehe sie ausgebrannt sind. Sofort steigen neue
hoch,
u
berall, und dazwischen wieder die gr
u
nen, roten und blauen.
"Schlamassel", sagt Kat.
Das Gewitter der Gesch
u
tze verst
u
rkt sich zu einem einzigen dumpfen
Dr
u
hnen und zerf
u
llt dann wieder in Gruppeneinschl
u
ge. Die trockenen Salven
der Maschinengewehre knarren.
u
ber uns ist die Luft erf
u
llt von unsichtbarem
Jagen, Heulen, Pfeifen und Zischen. Es sind kleinere Geschosse; - dazwischen
orgeln aber auch die großen Kohlenk
u
sten, die ganz schweren Brocken
durch die Nacht und landen weit hinteruns. Sie haben einen r
u
hrenden,
heiseren, entfernten Ruf, wie Hirsche in der Brunft, und ziehen hoch
u
ber
dem Geheul und Gepfeife der kleineren Geschosse ihre Bahn.
Die Scheinwerfer beginnen den schwarzen Himmel abzusuchen. Sie rutschen
dar
u
ber hin wie riesige, am Ende d
u
nner werdende Lineale. Einer steht still
und zittert nur wenig. Sofort ist ein zweiter bei ihm, sie kreuzen sich, ein
schwarzes Insekt ist zwischen ihnen und versucht zu entkommen: der Flieger.
Er wird unsicher, geblendet und taumelt.
Wir rammen die Eisenpf
u
hle in regelm
u
ßigen Abst
u
nden fest. Immer
zwei Mann halten eine Rolle, die andern spulen den Stacheldraht ab. Es ist
der ekelhafte Draht mit den dichtstehenden, langen Stacheln. Ich bin das
Abrollen nicht mehr gew
u
hnt und reiße mir die Hand auf.
Nach einigen Stunden sind wir fertig Aber wir haben noch Zeit, bis die
Lastwagen kommen. Die meisten von uns legen sich hin und schlafen. Ich
versuche es auch. Doch es wird zu k
u
hl. Man merkt, daß wir nahe am
Meere sind, man wacht vor K
u
lte immer wieder auf.
Einmal schlafe ich fest. Als ich pl
u
tzlich mit einem Ruck hochfliege,
weiß ich nicht, wo ich bin. Ich sehe die Sterne, ich sehe die Raketen
und habe einen Augenblick den Eindruck, auf einem Fest im Garten
eingeschlafen zu sein. Ich weiß nicht, ob es Morgen oder Abend ist,
ich liege in der bleichen Wiege der D
u
mmerung und warte auf weiche Worte,
die kommen m
u
ssen, weich und geborgen - weine ich? Ich fasse nach meinen
Augen, es ist so wunderlich, bin ich ein Kind? Sanfte Haut; - nur eine
Sekunde w
u
hrt es, dann erkenne ich die Silhouette Katczinskys. Er sitzt
ruhig, der alte Soldat, und raucht eine Pfeife, eine Deckelpfeife nat
u
rlich.
Als er bemerkt, daß ich wach bin, sagt er nur: "Du bist sch
u
n
zusammengefahren. Es war nur ein Z
u
nder, er ist da ins Geb
u
sch gesaust."
Ich setze mich hoch, ich f
u
hle mich sonderbar allein. Es ist gut,
daß Kat da ist. Er sieht gedankenvoll zur Front und sagt: "Ganz
sch
u
nes Feuerwerk, wenn's nicht so gef
u
hrlich w
u
re."
Hinter uns schl
u
gt es ein. Ein paar Rekruten fahren erschreckt auf.
Nach ein paar Minuten funkt es wieder her
u
ber, n
u
her als vorher. Kat klopft
seine Pfeife aus. "Es gibt Zunder."
Schon geht es los. Wir kriechen weg, so gut es in der Eile geht. Der
n
u
chste Schuß sitzt bereits zwischen uns. Ein paar Leute schreien. Am
Horizont steigen gr
u
ne Raketen auf. Der Dreck fliegt hoch, Splitter surren.
Man h
u
rt sie noch aufklatschen, wenn der L
u
rm der Einschl
u
ge l
u
ngst wieder
verstummt ist.
Neben uns liegt ein ver
u
ngstigter Rekrut, ein Flachskopf. Er hat das
Gesicht in die H
u
nde gepreßt. Sein Helm ist weggepurzelt. Ich fische
ihn heran und will ihn auf seinen Sch
u
del st
u
lpen. Er sieht auf, st
u
ßt
den Helm fort und kriecht wie ein Kind mit dem Kopf unter meinen Arm, dicht
an meine Brust. Die schmalen Schultern zucken. Schultern, wie Kemmerich sie
hatte.
Ich lasse ihn gew
u
hren. Damit der Helm aber wenigstens zu etwas nutze
ist, packe ich ihn auf seinen Hintern, nicht aus Bl
u
dsinn, sondern aus
u
berlegung, denn das ist der h
u
chste Fleck. Wenn da zwar auch dickes Fleisch
sitzt, Sch
u
sse hinein sind doch verflucht schmerzhaft, außerdem
muß man monatelang im Lazarett auf dem Bauch liegen und nachher
ziemlich sicher hinken.
Irgendwo hat es m
u
chtig eingehauen. Man h
u
rt Schreien zwischen den
Einschl
u
gen.
Endlich wird es ruhig. Das Feuer ist
u
ber uns hinweggefegt und liegt
nun auf den letzten Reservegr
u
ben. Wir riskieren einen Blick. Rote Raketen
flattern am Himmel. Wahrscheinlich kommt ein Angriff.
Bei uns bleibt es ruhig. Ich setze mich auf und r
u
ttele den Rekruten an
der Schulter. "Vorbei, Kleiner! Ist noch mal gutgegangen."
Er sieht sich verst
u
rt um. Ich rede ihm zu: "Wirst dich schon
gew
u
hnen."
Er bemerkt seinen Helm und setzt ihn auf. Langsam kommt er zu sich.
Pl
u
tzlich wird er feuerrot und hat ein verlegenes Aussehen. Vorsichtig langt
er mit der Hand nach hinten und sieht mich gequ
u
lt an. Ich verstehe sofort:
Kanonenfieber. Dazu hatte ich ihm eigentlich den Helm nicht gerade
dorthingepackt - aber ich tr
u
ste ihn doch: "Das ist keine Schande, es haben
schon ganz andere Leute als du nach ihrem ersten Feuer
u
berfall die Hosen
voll gehabt. Geh hinter den Busch da und schmeiß deine Unterhose weg.
Erledigt -"
Er trollt sich. Es wird stiller, doch das Schreien h
u
rt nicht auf. "Was
ist los, Albert?" frage ich.
"Dr
u
ben haben ein paar Kolonnen Volltreffer gekriegt."
Das Schreien dauert an. Es sind keine Menschen, sie k
u
nnen nicht so
furchtbar schreien.
Kat sagt: "Verwundete Pferde."
Ich habe noch nie Pferde schreien geh
u
rt und kann es kaum glauben. Es
ist der Jammer der Welt, es ist die gemarterte Kreatur, ein wilder,
grauenvoller Schmerz, der da st
u
hnt. Wir sind bleich. Detering richtet sich
auf. "Schinder, Schinder! Schießt sie doch ab!"
Er ist Landwirt und mit Pferden vertraut. Es geht ihm nahe. Und als
w
u
re es Absicht, schweigt das Feuer jetzt beinahe. Um so deutlicher wird das
Schreien der Tiere. Man weiß nicht mehr, woher es kommt in dieser
jetzt so stillen, silbernen Landschaft, es ist unsichtbar, geisterhaft,
u
berall, zwischen Himmel und Erde, es schwillt unermeßlich an -
Detering wird w
u
tend und br
u
llt: "Erschießt sie, erschießt sie
doch, verflucht noch mal!"
"Sie m
u
ssen doch erst die Leute holen", sagt Kat.
Wir stehen auf und suchen, wo die Stelle ist. Wenn man die Tiere
erblickt, wird es besser auszuhalten sein. Meyer hat ein Glas bei sich. Wir
sehen eine dunkle Gruppe Sanit
u
ter mit Tragbahren und schwarze,
gr
u
ßere Klumpen, die sich bewegen. Das sind die verwundeten Pferde.
Aber nicht alle. Einige galoppieren weiter entfernt, brechen nieder und
rennen weiter. Einem ist der Bauch aufgerissen, die Ged
u
rme h
u
ngen lang
heraus. Es verwickelt sich darin und st
u
rzt, doch es steht wieder auf.
Detering reißt das Gewehr hoch und zielt. Kat schl
u
gt es in die
Luft. "Bist du verr
u
ckt -?"
Detering zittert und wirft sein Gewehr auf die Erde.
Wir setzen uns hin und halten uns die Ohren zu. Aber dieses
entsetzliche Klagen und St
u
hnen und Jammern schl
u
gt durch, es schl
u
gt
u
berall durch.
Wir k
u
nnen alle etwas vertragen. Hier aber bricht uns der Schweiß
aus. Man m
u
chte aufstehen und fortlaufen, ganz gleich wohin, nur um das
Schreien nicht mehr zu h
u
ren. Dabei sind es doch keine Menschen, sondern nur
Pferde.
Von dem dunklen Kn
u
uel l
u
sen sich wieder Tragbahren. Dann knallen
einzelne Sch
u
sse. Die Klumpen zucken und werden flacher. Endlich! Aber es
ist noch nicht zu Ende. Die Leute kommen nicht an die verwundeten Tiere
heran, die in ihrer Angst fl
u
chten, allen Schmerz in den weit aufgerissenen
M
u
ulern. Eine der Gestalten geht aufs Knie, ein Schuß - ein Pferd
bricht nieder, - noch eins. Das letzte stemmt sich auf die Vorderbeine und
dreht sich im Kreise wie ein Karussell, sitzend dreht es sich auf den
hochgestemmten Vorderbeinen im Kreise, wahrscheinlich ist der R
u
cken
zerschmettert. Der Soldat rennt hin und schießt es nieder. Langsam,
dem
u
tig rutscht es zu Boden.
Wir nehmen die H
u
nde von den Ohren. Das Schreien ist verstummt. Nur ein
langgezogener, ersterbender Seufzer h
u
ngt noch in der Luft. Dann sind wieder
nur die Raketen, das Granatensingen und die Sterne da - und das ist fast
sonderbar.
Detering geht und flucht: "M
u
chte wissen, was die f
u
r Schuld haben." Er
kommt nachher noch einmal heran. Seine Stimme ist erregt, sie klingt beinahe
feierlich, als er sagt: "Das sage ich euch, es ist die allergr
u
ßte
Gemeinheit, daß Tiere im Krieg sind."
Wir gehen zur
u
ck. Es ist Zeit, zu unseren Wagen zu gelangen. Der Himmel
ist eine Spur heller geworden. Drei Uhr morgens. Der
Wind ist frisch und k
u
hl, die fahle Stunde macht unsere Gesichter
Wir tappen uns vorw
u
rts im G
u
nsemarsch durch die Gr
u
ben und Trichter
und gelangen wieder in die Nebelzone. Katczinsky ist unruhig, das ist ein
schlechtes Zeichen.
"Was hast du, Kat?" fragt Kropp.
"Ich wollte, wir w
u
ren erst zu Hause." - Zu Hause," er meint die
Baracken.
"Dauert nicht mehr lange, Kat."
Er ist nerv
u
s.
"Ich weiß nicht, ich weiß nicht -"
Wir kommen in die Laufgr
u
ben und dann in die Wiesen. Das W
u
ldchen
taucht auf; wir kennen hier jeden Schritt Boden. Da ist der J
u
gerfriedhof
schon mit den H
u
geln und den schwarzen Kreuzen.
In diesem Augenblick pfeift es hinter uns, schwillt, kracht, donnert.
Wir haben uns geb
u
ckt - hundert Meter vor uns schießt eine Feuerwolke
empor.
In der n
u
chsten Minute hebt sich ein St
u
ck Wald unter einem zweiten
Einschlag langsam
u
ber die Gipfel, drei, vier B
u
ume segeln mit und brechen
dabei in St
u
cke. Schon zischen wie Kesselventile die folgenden Granaten
heran - scharfes Feuer -
"Deckung!" br
u
llt jemand - "Deckung!" -
Die Wiesen sind flach, der Wald ist zu weit und gef
u
hrlich; - es gibt
keine andere Deckung als den Friedhof und die Gr
u
berh
u
gel. Wir stolpern im
Dunkel hinein, wie hingespuckt klebt jeder gleich hinter einem H
u
gel.
Keinen Moment zu fr
u
h. Das Dunkel wird wahnsinnig. Es wogt und tobt.
Schw
u
rzere Dunkelheiten als die Nacht rasen mit Riesenbuckeln auf uns los,
u
ber uns hinweg. Das Feuer der Explosionen
u
berflackert den Friedhof.
Nirgendwo ist ein Ausweg. Ich wage im Aufblitzen der Granaten einen Blick
auf die Wiesen. Sie sind ein aufgew
u
hltes Meer, die Stichflammen der
Geschosse springen wie Font
u
nen heraus. Es ist ausgeschlossen, daß
jemand dar
u
ber hinwegkommt.
Der Wald verschwindet, er wird zerstampft, zerfetzt, zerrissen. Wir
m
u
ssen hier auf dem Friedhof bleiben.
Vor uns birst die Erde. Es regnet Schollen. Ich sp
u
re einen Ruck. Mein
u
rmel ist aufgerissen durch einen Splitter. Ich balle die Faust. Keine
Schmerzen. Doch das beruhigt mich nicht, Verletzungen schmerzen stets erst
sp
u
ter. Ich fahre
u
ber den Arm. Er ist angekratzt, aber heil. Da knallt es
gegen meinen Sch
u
del, daß mir das Bewußtsein verschwimmt. Ich
habe den blitzartigen Gedanken: Nicht ohnm
u
chtig werden!, versinke in
schwarzem Brei und komme sofort wieder hoch. Ein Splitter ist gegen meinen
Helm gehauen, er kam so weit her, daß er nicht durchschlug. Ich wische
mir den Dreck aus den Augen. Vor mir ist ein Loch aufgerissen, ich erkenne
es undeutlich. Granaten treffen nicht leicht in denselben Trichter, deshalb
will ich hinein. Mit einem Satze schnelle ich mich lang vor, flach wie ein
Fisch
u
ber den Boden, da pfeift es wieder, rasch krieche ich zusammen,
greife nach der Deckung, f
u
hle links etwas, presse mich daneben, es gibt
nach, ich st
u
hne, die Erde zerreißt, der Luftdruck donnert in meinen
Ohren, ich krieche unter das Nachgebende, decke es
u
ber mich, es ist Holz,
Tuch, Deckung, Deckung, armselige Deckung vor herabschlagenden Splittern.
Ich
u
ffne die Augen, meine Finger halten einen
u
rmel umklammert, einen
Arm. Ein Verwundeter? Ich schreie ihm zu, keine Antwort - ein Toter. Meine
Hand faßt weiter, in Holzsplitter, da weiß ich wieder, daß
wir auf dem Friedhof liegen.
Aber das Feuer ist st
u
rker als alles andere. Es vernichtet die
Besinnung, ich krieche nur noch tiefer unter den Sarg, er soll mich
sch
u
tzen, und wenn der Tod selber in ihm liegt.
Vor mir klafft der Trichter. Ich fasse ihn mit den Augen wie mit
F
u
usten, ich muß mit einem Satz hinein. Da erhalte ich einen Schlag
ins Gesicht, eine Hand klammert sich um meine Schulter - ist der Tote wieder
erwacht? - Die Hand sch
u
ttelt mich, ich wende den Kopf, in sekundenkurzem
Licht starre ich in das Gesicht Katczinskys, er hat den Mund weit offen und
br
u
llt, ich h
u
re nichts, er r
u
ttelt mich, n
u
hert sich; in einem Moment des
Abschwellens erreicht mich seine Stimme: "Gas - Gaaas - Gaaas!
-Weitersagen!"
Ich reiße die Gaskapsel heran. Etwas entfernt von mir liegt
jemand. Ich denke an nichts mehr als an dies: Der dort muß es wissen:
"Gaaas - Gaaas -!"
Ich rufe, schiebe mich heran, schlage mit der Kapsel nach ihm, er merkt
nichts - noch einmal, noch einmal - er duckt sich nur - es ist ein Rekrut -
ich sehe verzweifelt nach Kat, er hat die Maske vor - ich reiße meine
auch heraus, der Helm fliegt beiseite, sie streift sich
u
ber mein Gesicht,
ich erreiche den Mann, am n
u
chsten liegt mir seine Kapsel, ich fasse die
Maske, schiebe sie
u
ber seinen Kopf, er greift zu - ich lasse los - und
liege pl
u
tzlich mit einem Ruck im Trichter.
Der dumpfe Knall der Gasgranaten mischt sich in das Krachen der
Explosivgeschosse. Eine Glocke dr
u
hnt zwischen die Explosionen, Gongs,
Metallklappern k
u
nden
u
berallhin - Gas - Gas - Gaas -
Hinter mir plumpst es, einmal, zweimal. Ich wische die Augenscheiben
meiner Maske vom Atemdunst sauber. Es sind Kat, Kropp und noch jemand. Wir
liegen zu viert in schwerer, lauernder Anspannung und atmen so schwach wie
m
u
glich.
Die ersten Minuten mit der Maske entscheiden
u
ber Leben und Tod: ist
sie dicht? Ich kenne die furchtbaren Bilder aus dem Lazarett: Gaskranke, die
m tagelangem W
u
rgen die verbrannten Lungen st
u
ckweise auskotzen.
Vorsichtig, den Mund auf die Patrone gedr
u
ckt, atme ich. Jetzt
schleicht der Schwaden
u
ber den Boden und sinkt in alle Vertiefungen. Wie
ein weiches, breites Quallentier legt er sich in unseren Trichter, r
u
kelt
sich hinein. Ich stoße Kat an: es ist besser herauszukriechen und oben
zu liegen, als hier, wo das Gas sich am meisten sammelt. Doch wir kommen
nicht dazu, ein zweiter Feuerhagel beginnt. Es ist, als ob nicht mehr die
Geschosse br
u
llen; es ist, als ob die Erde selbst tobt.
Mit einem Krach saust etwas Schwarzes zu uns herab. Hart neben uns
schl
u
gt es ein, ein hochgeschleuderter Sarg.
Ich sehe Kat sich bewegen und krieche hin
u
ber. Der Sarg ist dem vierten
in unserem Loch auf den ausgestreckten Arm geschlagen. Der Mann versucht,
mit der andern Hand die Gasmaske abzureißen. Kropp greift rechtzeitig
zu, biegt ihm die Hand hart auf den R
u
cken und h
u
lt sie fest.
Kat und ich gehen daran, den verwundeten Arm frei zu machen. Der
Sargdeckel ist lose und geborsten, wir k
u
nnen ihn leicht abreißen, den
Toten werfen wir hinaus, er sackt nach unten, dann versuchen wir, den
unteren Teil zu lockern.
Zum Gl
u
ck wird der Mann bewußtlos, und Albert kann uns helfen.
Wir brauchen nun nicht mehr so behutsam zu sein und arbeiten, was wir
k
u
nnen, bis der Sarg mit einem Seufzer nachgibt unter dem daruntergesteckten
Spaten.
Es ist heller geworden. Kat nimmt ein St
u
ck des Deckels, legt es unter
den zerschmetterten Arm, und wir binden alle unsere Verbandsp
u
ckchen darum.
Mehr k
u
nnen wir im Moment nicht tun.
Mein Kopf brummt und dr
u
hnt in der Gasmaske, er ist nahe am Platzen.
Die Lungen sind angestrengt, sie haben nur immer wieder denselben
heißen, verbrauchten Atem, die Schl
u
fenadern schwellen, man glaubt zu
ersticken -
Graues Licht sickert zu uns herein. Wind fegt
u
ber den Friedhof. Ich
schiebe mich
u
ber den Rand des Trichters. In der schmutzigen D
u
mmerung liegt
vor mir ein ausgerissenes Bein, der Stiefel ist vollkommen heil, ich sehe
das alles ganz deutlich im Augenblick. Aber jetzt erhebt sich wenige Meter
weiter jemand, ich putze die Fenster, sie beschlagen mir vor Aufregung
sofort wieder, ich starre hin
u
ber - der Mann dort tr
u
gt keine Gasmaske mehr.
Noch Sekunden warte ich - er bricht nicht zusammen, er blickt suchend
umher und macht einige Schritte - der Wind hat das Gas zerstreut, die Luft
ist frei - da zerre ich r
u
chelnd ebenfalls die Maske weg und falle hin, wie
kaltes Wasser str
u
mt die Luft in mich hinein, die Augen wollen brechen, die
Welle
u
berschwemmt mich und l
u
scht mich dunkel aus.
Die Einschl
u
ge haben aufgeh
u
rt. Ich drehe mich zum Trichter und winke
den andern. Sie klettern herauf und reißen sich die Masken herunter.
Wir umfassen den Verwundeten, einer nimmt seinen geschienten Arm. So
stolpern wir hastig davon.
Der Friedhof ist ein Tr
u
mmerfeld. S
u
rge und Leichen liegen verstreut.
Sie sind noch einmal get
u
tet worden; aber jeder von ihnen, der zerfetzt
wurde, hat einen von uns gerettet.
Der Zaun ist verw
u
stet, die Schienen der Feldbahn dr
u
ben sind
aufgerissen, sie starren hochgebogen in die Luft. Vor uns liegt jemand. Wir
halten an, nur Kropp geht mit dem Verwundeten weiter.
Der am Boden ist ein Rekrut. Seine H
u
fte ist blutverschmiert; er ist so
ersch
u
pft, daß ich nach meiner Feldflasche greife, in der ich Rum mit
Tee habe. Kat h
u
lt meine Hand zur
u
ck und beugt sich
u
ber ihn: "Wo hat's dich
erwischt, Kamerad?"
Er bewegt die Augen; er ist zu schwach zum Antworten.
Wir schneiden vorsichtig die Hose auf. Er st
u
hnt. "Ruhig, ruhig, es
wird ja besser -"
Wenn er einen Bauchschuß hat, darf er nichts trinken. Er hat
nichts erbrochen, das ist g
u
nstig. Wir legen die H
u
fte bloß. Sie ist
ein einziger Fleischbrei mit Knochensplittern. Das Gelenk ist getroffen.
Dieser Junge wird nie mehr gehen k
u
nnen.
Ich wische ihm mit dem befeuchteten Finger
u
ber die Schl
u
fe und gebe
ihm einen Schluck. In seine Augen kommt Bewegung. Jetzt erst sehen wir,
daß auch der rechte Arm blutet.
Kat zerfasert zwei Verbandsp
u
ckchen so breit wie m
u
glich, damit sie die
Wunde decken. Ich suche nach Stoff, um ihn lose dar
u
berzuwickeln. Wir haben
nichts mehr, deshalb schlitze ich dem Verwundeten das Hosenbein weiter auf,
um ein St
u
ck seiner Unterhose als Binde zu verwenden. Aber er tr
u
gt keine.
Ich sehe ihn genauer an: es ist der Flachskopf von vorhin.
Kat hat inzwischen aus den Taschen eines Toten noch P
u
ckchen geholt,
die wir vorsichtig an die Wunde schieben. Ich sage dem Jungen, der uns
unverwandt ansieht: "Wir holen jetzt eine Bahre."
Da
u
ffnet er den Mund und fl
u
stert: "Hierbleiben -"
Kat sagt: "Wir kommen ja gleich wieder. Wir holen f
u
r dich eine Bahre."
Man kann nicht erkennen, ob er verstanden hat; er wimmert wie ein Kind
hinter uns her: "Nicht weggehen -"
Kat sieht sich um und fl
u
stert: "Sollte man da nicht einfach einen
Revolver nehmen, damit es aufh
u
rt?"
Der Junge wird den Transport kaum
u
berstehen, und h
u
chstens kann es
noch einige Tage mit ihm dauern. Alles bisher aber wird nichts sein gegen
diese Zeit, bis er stirbt. Jetzt ist er noch bet
u
ubt und f
u
hlt nichts. In
einer Stunde wird er ein kreischendes B
u
ndel unertr
u
glicher Schmerzen
werden. Die Tage, die er noch leben kann, bedeuten f
u
r ihn eine einzige
rasende Qual. Und wem n
u
tzt es, ob er sie noch hat oder nicht -
Ich nicke. "Ja, Kat, man sollte einen Revolver nehmen."
" Gib her", sagt er und bleibt stehen. Er ist entschlossen, ich sehe
es. Wir blicken uns um, aber wir sind nicht mehr allein. Vor uns sammelt
sich ein H
u
uflein, aus den Trichtern und Gr
u
bern kommen K
u
pfe. Wir holen
eine Bahre.
Kat sch
u
ttelt den Kopf. " So junge Kerle" - Er wiederholt es: "So
junge, unschuldige Kerle -"
Unsere Verluste sind geringer, als anzunehmen war: f
u
nf Tote und acht
Verwundete. Es war nur ein kurzer Feuer
u
berfall. Zwei von unseren Toten
liegen in einem der aufgerissenen Gr
u
ber; wir brauchen sie bloß
zuzubuddeln.
Wir gehen zur
u
ck. Schweigend trotten wir im G
u
nsemarsch hintereinander
her. Die Verwundeten werden zur Sanit
u
tsstation gebracht. Der Morgen ist
tr
u
be, die Krankenw
u
rter laufen mit Nummern und Zetteln, die Verletzten
wimmern. Es beginnt zu regnen.
Nach einer Stunde haben wir unsere Wagen erreicht und klettern hinauf.
Jetzt ist mehr Platz als vorher da.
Der Regen wird st
u
rker. Wir breiten Zeltbahnen aus und legen sie auf
unsere K
u
pfe. Das Wasser trommelt darauf nieder. An den Seiten fließen
die Regenstr
u
hnen ab. Die Wagen platschen durch die L
u
cher, und wir wiegen
uns im Halbschlaf hin und her.
Zwei Mann vorn im Wagen haben lange gegabelte St
u
cke bei sich. Sie
achten auf die Telefondr
u
hte, die quer
u
ber die Straße h
u
ngen, so
tief, daß sie unsere K
u
pfe wegreißen k
u
nnen. Die beiden Leute
fangen sie mit ihren gegabelten St
u
cken auf und heben sie
u
ber uns hinweg.
Wir h
u
ren ihren Ruf: "Achtung - Draht", und im Halbschlaf gehen wir in die
Kniebeuge und richten uns wieder auf.
Monoton pendeln die Wagen, monoton sind die Rufe, monoton rinnt der
Regen. Er rinnt auf unsere K
u
pfe und auf die K
u
pfe der Toten vorn, auf den
K
u
rper des kleinen Rekruten mit der Wunde, die viel zu groß f
u
r seine
H
u
fte ist, er rinnt auf das Grab Kemmerichs, er rinnt auf unsere Herzen.
Ein Einschlag hallt irgendwo. Wir zucken auf, die Augen sind gespannt,
die H
u
nde wieder bereit, um die K
u
rper
u
ber die W
u
nde des Wagens in den
Straßengraben zu werfen.
Es kommt nichts weiter. - Monoton nur die Rufe: "Achtung - Draht" - wir
gehen in die Knie, wir sind wieder im Halbschlaf.
Es ist beschwerlich, die einzelne Laus zu t
u
ten, wenn man Hunderte hat.
Die Tiere sind etwas hart, und das ewige Knipsen mit den Fingern
u
geln wird
langweilig. Tjaden hat deshalb den Deckel einer Schuhputzschachtel mit Draht
u
ber einem brennenden Kerzenstumpf befestigt. In diese kleine Pfanne werden
die L
u
use einfach hineingeworfen - es knackt, und sie sind erledigt.
Wir sitzen rundherum, die Hemden auf den Knien, den Oberk
u
rper nackt in
der warmen Luft, die H
u
nde bei der Arbeit. Haie hat eine besonders feine Art
von L
u
usen: sie haben ein rotes Kreuz auf dem Kopf. Deshalb behauptet er,
sie aus dem Lazarett inThourhout mitgebracht zu haben, sie seien von einem
Oberstabsarzt pers
u
nlich. Er will auch das sich langsam in dem Blechdeckel
ansammelnde Fett zum Stiefelschmieren benutzen und br
u
llte eine halbe Stunde
lang vor Lachen
u
ber seinen Witz.
Doch heute hat er wenig Erfolg; etwas anderes besch
u
ftigt uns zu sehr.
Das Ger
u
cht ist Wahrheit geworden. Himmelstoß ist da. Gestern ist
er erschienen, wir haben seine wohlbekannte Stimme schon geh
u
rt. Er soll zu
Hause ein paar junge Rekruten zu kr
u
ftig im Sturzacker gehabt haben. Ohne
daß er es wußte, war der Sohn des Regierungspr
u
sidenten dabei.
Das brach ihm das Genick.
Hier wird er sich wundern. Tjaden er
u
rtert seit Stunden alle
M
u
glichkeiten, wie er ihm antworten will. Haie sieht nachdenklich seine
große Flosse an und kneift mir ein Auge. Die Pr
u
gelei war der
H
u
hepunkt seines Daseins; er hat mir erz
u
hlt, daß er noch manchmal
davon tr
u
umt.
Kropp und M
u
ller unterhalten sich. Kropp hat als einziger ein
Kochgeschirr voll Linsen erbeutet, wahrscheinlich bei der Pionierk
u
che.
M
u
ller schielt gierig hin, beherrscht sich aber und fragt: ,.....
"Albert, was w
u
rdest du tun, wenn jetzt mit einemmal Frieden w
u
re?"
"Frieden gibt's nicht!"
u
ußert Albert kurz.
"Na, aber wenn -", beharrt M
u
ller, "was w
u
rdest du machen?"
"Abhauen!" knurrt Kropp.
"Das ist klar. Und dann?"
"Mich besaufen", sagt Albert.
"Rede keinen Quatsch, ich meine es ernst -"
"Ich auch", sagt Albert, "was soll man denn anders machen."
Kat interessiert sich f
u
r die Frage. Er fordert von Kropp seinen Tribut
an den Linsen, erh
u
lt ihn,
u
berlegt dann lange und meint: "Besaufen k
u
nnte
man sich ja, sonst aber auf die n
u
chste Eisenbahn - und ab nach Muttern.
Mensch, Frieden, Albert -"
Er kramt in seiner Wachstuchbrieftasche nach einer Fotografie und zeigt
sie stolz herum. "Meine Alte!" Dann packt er sie weg und flucht: "Verdammter
Lausekrieg -"
"Du kannst gut reden", sage ich. "Du hast deinen Jungen und deine
Frau."
"Stimmt", nickt er, "ich muß daf
u
r sorgen, daß sie was zu
essen haben."
Wir lachen. "Daran wird's nicht fehlen, Kat, sonst requierierst du
eben."
M
u
ller ist hungrig und gibt sich noch nicht zufrieden. Er schreckt Haie
Westhus aus seinen Verpr
u
geltr
u
umen. "Haie, was w
u
rdest du denn machen, wenn
jetzt Frieden w
u
re?"
"Er m
u
ßte dir den Arsch vollhauen, weil du hier von so etwas
u
berhaupt anf
u
ngst", sage ich, "wie kommt das eigentlich?"
"Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach?" antwortet M
u
ller lakonisch und
wendet sich wieder an Haie Westhus. Es ist zu schwer auf einmal f
u
r Haie. Er
wiegt seinen sommersprossigen Sch
u
del: "Du meinst, wenn kein Krieg mehr
ist?"
"Richtig. Du merkst auch alles."
"Dann k
u
men doch wieder Weiber, nicht?" - Haie leckt sich das Maul.
"Das auch."
"Meine Fresse noch mal", sagt Haie, und sein Gesicht taut auf, " dann
w
u
rde ich mir so einen strammen Feger schnappen, so einen richtigen
K
u
chendragoner, weißt du, mit ordentlich was dran zum Festhalten, und
sofort nichts wie 'rin in die Betten! Stell dir mal vor, richtige
Federbetten mit Sprungmatratzen, Kinners, acht Tage lang w
u
rde ich keine
Hose wieder anziehen."
Alles schweigt. Das Bild ist zu wunderbar. Schauer laufen uns
u
ber die
Haut. Endlich ermannt sich M
u
ller und fragt: "Und danach?"
Pause. Dann erkl
u
rt Haie etwas verzwickt: "Wenn ich Unteroffizier w
u
re,
w
u
rde ich erst noch bei den Preußen bleiben und kapitulieren."
"Haie, du hast glatt einen Vogel", sage ich.
Er fragt gem
u
tlich zur
u
ck: "Hast du schon mal Torf gestochen? Probier's
mal."
Damit zieht er seinen L
u
ffel aus dem Stiefelschaft und langt damit in
Alberts Eßnapf.
"Schlimmer als Schanzen in der Champagne kann's auch nicht sein",
erwiderte ich.
Haie kaut und grinst: "Dauert aber l
u
nger. Kannst dich auch nicht
dr
u
cken."
"Aber, Mensch, zu Hause ist es doch besser, Haie."
"Teils, teils", sagt er und versinkt mit offenem Munde in Gr
u
belei.
Man kann auf seinen Z
u
gen lesen, was er denkt. Da ist eine arme
Moorkate, da ist schwere Arbeit in der Hitze der Heide vom fr
u
hen Morgen bis
zum Abend, da ist sp
u
rlicher Lohn, da ist ein schmutziger Knechtsanzug --
"Hast beim Kommiß in Frieden keine Sorgen", teilt er mit, "jeden
Tag ist dein Futter da, sonst machst du Krach, hast dein Bett, alle acht
Tage reine W
u
sche wie ein Kavalier, machst deinen Unteroffiziersdienst, hast
dein sch
u
nes Zeug; - abends bist du ein freier Mann und gehst in die
Kneipe."
Haie ist außerordentlich stolz auf seine Idee. Er verliebt sich
darin. "Und wenn du deine zw
u
lf Jahre um hast, kriegst du deinen
Versorgungsschein und wirst Landj
u
ger. Den ganzen Tag kannst du
Spazierengehen."
Er schwitzt jetzt vor Zukunft. " Stell dir vor, wie du dann traktiert
wirst. Hier einen Kognak, da einen halben Liter. Mit einem Landj
u
ger will
doch jeder gutstehen."
"Du wirst ja nie Unteroffizier, Haie", wirft Kat ein. Haie blickt ihn
betroffen an und schweigt. In seinen Gedanken sind jetzt wohl die klaren
Abende im Herbst, die Sonntage in der Heide, die Dorfglocken, die
Nachmittage und N
u
chte mit den M
u
gden, die Buchweizenpfannkuchen mit den
großen Speckaugen, die sorglos verschwatzten Stunden im Krug -
Mit soviel Phantasie kann er so rasch nicht fertig werden; deshalb
knurrt er nur erbost: "Was ihr immer f
u
r Bl
u
dsinn zusammenfragt."
Er streift sein Hemd
u
ber den Kopf und kn
u
pft den Waffenrock zu.
"Was w
u
rdest du machen, Tjaden?" ruft Kropp.
Tjaden kennt nur eins. "Aufpassen, daß mir Himmelstoß nicht
durchgeht."
Er m
u
chte ihn wahrscheinlich am liebsten in einen K
u
fig sperren und
jeden Morgen mit einem Kn
u
ppel
u
ber ihn herfallen. Zu Kropp schw
u
rmt er:
"An deiner Stelle w
u
rde ich sehen, daß ich Leutnant w
u
rde. Dann
kannst du ihn schleifen, daß ihm das Wasser im Hintern kocht."
"Und du, Detering?" forscht M
u
ller weiter. Er ist der geborene
Schulmeister mit seiner Fragerei.
Detering ist wortkarg. Aber auf dieses Thema gibt er Antwort. Er sieht
in die Luft und sagt nur einen Satz: "Ich w
u
rde gerade noch zur Ernte
zurechtkommen." Damit steht er auf und geht weg.
Er macht sich Sorgen. Seine Frau muß den Hof bewirtschaften.
Dabei haben sie ihm noch zwei Pferde weggeholt. Jeden Tag liest er die
Zeitungen, die kommen, ob es in seiner oldenburgischen Ecke auch nicht
regnet. Sie bringen das Heu sonst nicht fort.
In diesem Augenblick erscheint Himmelstoß. Er kommt direkt auf
unsere Gruppe zu. Tjadens Gesicht wird fleckig. Er legt sich l
u
ngelang ms
Gras und schließt die Augen vor Aufregung.
Himmelstoß ist etwas unschl
u
ssig, sein Gang wird langsamer. Dann
marschiert er dennoch zu uns heran. Niemand macht Miene, sich zu erheben.
Kropp sieht ihm interessiert entgegen.
Er steht jetzt vor uns und wartet. Da keiner etwas sagt, l
u
ßt er
ein "Na?" vom Stapel.
Ein paar Sekunden verstreichen; Himmelstoß weiß sichtlich
nicht, wie er sich benehmen soll. Am liebsten m
u
chte er uns jetzt im Galopp
schleifen. Immerhin scheint er schon gelernt zu haben, daß die Front
kein Kasernenhof ist. Er versucht es abermals und wendet sich nicht mehr an
alle, sondern an einen, er hofft, so leichter Antwort zu erhalten. Kropp ist
ihm am n
u
chsten. Ihn beehrt er deshalb. "Na, auch hier?"
Aber Albert ist sein Freund nicht. Er antwortet knapp: "Bißchen
l
u
nger als Sie, denke ich."
Der r
u
tliche Schnurrbart zittert. "Ihr kennt mich wohl nicht mehr,
was?"
Tjaden schl
u
gt jetzt die Augen auf. "Doch."
Himmelstoß wendet sich ihm zu: "Das ist doch Tjaden, nicht?"
Tjaden hebt den Kopf.
"Und weißt du, was du bist?"
Himmelstoß ist verbl
u
fft. "Seit wann duzen wir uns denn? Wir
haben doch nicht zusammen im Chausseegraben gelegen."
Er weiß absolut nichts aus der Situation zu machen. Diese offene
Feindseligkeit hat er nicht erwartet. Aber er h
u
tet sich vorl
u
ufig; sicher
hat ihm jemand den Unsinn von Sch
u
ssen in den R
u
cken vorgeschwatzt.
Tjaden wird auf die Frage nach dem Chausseegraben vor Wut sogar witzig.
"Nee, das warst du alleme."
Jetzt kocht Himmelstoß auch. Tjaden kommt ihm jedoch eilig zuvor.
Er muß seinen Spruch loswerden. "Was du bist, willst du wissen? Du
bist ein Sauhund, das bist du! Das wollt' ich dir schon lange mal sagen."
Die Genugtuung vieler Monate leuchtet ihm aus den blanken Schweinsaugen, als
er den Sauhund hinausschmettert.
Auch Himmelstoß ist nun entfesselt: "Was willst du Mistk
u
ter, du
dreckiger Torfdeubel? Stehen Sie auf, Knochen zusammen, wenn ein
Vorgesetzter mit Ihnen spricht!"
Tjaden winkt großartig. "Sie k
u
nnen r
u
hren, Himmelstoß.
Wegtreten."
Himmelstoß ist ein tobendes Exerzierreglement. Der Kaiser k
u
nnte
nicht beleidigter sein. Er heult: "Tjaden, ich befehle Ihnen dienstlich:
Stehen Sie auf!"
"Sonst noch was?" fragt Tjaden.
"Wollen Sie meinem Befehl Folge leisten oder nicht?"
Tjaden erwidert gelassen und abschließend, ohne es zu wissen, mit
dem bekanntesten Klassikerzitat. Gleichzeitig l
u
ftet er seine Kehrseite.
Himmelstoß st
u
rmt davon: " Sie kommen vors Kriegsgericht!"
Wir sehen ihn in der Richtung zur Schreibstube verschwinden.
Haie und Tjaden sind ein gewaltiges Torfstechergebr
u
ll. Haie lacht so,
daß er sich die Kinnlade ausrenkt und mit offenem Maul pl
u
tzlich
hilflos dasteht. Albert muß sie ihm mit einem Faustschlag erst wieder
einsetzen.
Kat ist besorgt. "Wenn er dich meldet, wird's b
u
se."
"Meinst du, daß er es tut?" fragt Tjaden.
"Bestimmt", sage ich.
"Das mindeste, was du kriegst, sind f
u
nf Tage Dicken", erkl
u
rt Kat.
Das ersch
u
ttert Tjaden nicht. "F
u
nf Tage Kahn sind f
u
nf Tage Ruhe."
"Und wenn du auf Festung kommst?" forscht der gr
u
ndlichere M
u
ller.
"Dann ist der Krieg f
u
r mich so lange aus."
Tjaden ist ein Sonntagskind. F
u
r ihn gibt es keine Sorgen. Mit Haie und
Leer zieht er ab, damit man ihn nicht in der ersten Aufregung findet.
M
u
ller ist noch immer nicht zu Ende. Er nimmt sich wieder Kropp vor.
"Albert, wenn du nun tats
u
chlich nach Hause k
u
mst, was w
u
rdest du machen?"
Kropp ist jetzt satt und deshalb nachgiebiger. "Wieviel Mann w
u
ren wir
dann eigentlich in der Klasse?"
Wir rechnen: von zwanzig sind sieben tot, vier verwundet, einer in der
Irrenanstalt. Es k
u
men h
u
chstens also zw
u
lf Mann zusammen.
"Drei sind davon Leutnants", sagt M
u
ller. "Glaubst du, daß sie
sich von Kantorek anschnauzen ließen?"
"Wir glauben es nicht; wir w
u
rden uns auch nicht mehr anschnauzen
lassen."
"Was h
u
ltst du eigentlich von der dreifachen Handlung im Wilhelm Teil?"
erinnert sich Kropp mit einem Male und br
u
llt vor Lachen.
"Was waren die Ziele des G
u
ttinger Hainbundes?" forscht auch M
u
ller
pl
u
tzlich sehr streng.
"Wieviel Kinder hatte Karl der K
u
hne?" erwidere ich ruhig.
"Aus Ihnen wird im Leben nichts, B
u
umer", qu
u
kt M
u
ller.
"Wann war die Schlacht bei Zama?" will Kropp wissen.
"Ihnen fehlt der sittliche Ernst, Kropp, setzen Sie sich, drei minus
-", winke ich ab.
"Welche Aufgaben hielt Lykurgus f
u
r die wichtigsten im Staate?" wispert
M
u
ller und scheint an einem Kneifer zu r
u
cken.
"Heißt es: Wir Deutsche f
u
rchten Gott, sonst niemand in der Welt,
oder wir Deutschen ...?" gebe ich zu bedenken.
"Wieviel Einwohner hat Melbourne ?" zwitschert M
u
ller zur
u
ck.
"Wie wollen Sie bloß im Leben bestehen, wenn Sie das nicht
wissen?" frage ich Albert emp
u
rt.
"Was versteht man unter Koh
u
sion?" trumpft der nun auf.
Von dem ganzen Kram wissen wir nicht mehr allzuviel. Er hat uns auch
nichts genutzt. Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht, wie man bei
Regen und Sturm eine Zigarette anz
u
ndet, wie man ein Feuer aus nassem Holz
machen kann - oder daß man ein Bajonett am besten in den Bauch
st
u
ßt, weil es da nicht festklemmt wie bei den Rippen.
M
u
ller sagt nachdenklich: "Was nutzt es. Wir werden doch wieder auf die
Schulbank m
u
ssen."
Ich halte es f
u
r ausgeschlossen. "Vielleicht machen wir ein Notexamen."
"Dazu brauchst du Vorbereitung. Und wenn du es schon bestehst, was
dann? Student sein ist nicht viel besser. Wenn du kein Geld hast, mußt
du auch b
u
ffeln."
"Etwas besser ist es. Aber Quatsch bleibt es trotzdem, was sie dir da
eintrichtern."
Kropp trifft unsere Stimmung:
"Wie kann man das ernst nehmen, wenn man hier draußen gewesen
ist."
"Aber du mußt doch einen Beruf haben", wendet M
u
ller ein, als
w
u
re er Kantorek in Person.
Albert reinigt sich die N
u
gel mit dem Messer. Wir sind erstaunt
u
ber
dieses Stutzertum. Aber es ist nur Nachdenklichkeit. Er schiebt das Messer
weg und erkl
u
rt: "Das ist es ja. Kat und Detering und Haie werden wieder in
ihren Beruf gehen, weil sie ihn schon vorher gehabt haben. Himmelstoß
auch. Wir haben keinen gehabt. Wie sollen wir uns da nach diesem hier" - er
macht eine Bewegung zur Front - "an einen gew
u
hnen."
"Man m
u
ßte Rentier sein und dann ganz allein in einem Walde
wohnen k
u
nnen -", sage ich, sch
u
me mich aber sofort
u
ber diesen
Gr
u
ßenwahn.
"Was soll das bloß werden, wenn wir zur
u
ckkommen?" meint M
u
ller,
und selbst er ist betroffen.
Kropp zuckt die Achseln. "Ich weiß nicht. Erst mal da sein, dann
wird sich's ja zeigen."
Wir sind eigentlich alle ratlos. "Was k
u
nnte man denn machen?" frage
ich.
"Ich habe zu nichts Lust", antwortet Kropp m
u
de. "Eines Tages bist du
doch tot, was hast du da schon? Ich glaube nicht, daß wir
u
berhaupt
zur
u
ckkommen."
"Wenn ich dar
u
ber nachdenke, Albert", sage ich nach einer Weile und
w
u
lze mich auf den R
u
cken, "so m
u
chte ich, wenn ich das Wort Friede h
u
re,
und es w
u
re wirklich so, irgend etwas Unausdenkbares tun, so steigt es mir
zu Kopf. Etwas, weißt du, was wert ist, daß man hier im
Schlamassel gelegen hat. Ich kann mir bloß nichts vorstellen. Was ich
an M
u
glichem sehe, diesen ganzen Betrieb mit Beruf und Studium und Gehalt
und so weiter - das kotzt mich an, denn das war ja immer schon da und ist
widerlich. Ich finde nichts - ich finde nichts, Albert."
Mit einemmal scheint mir alles aussichtslos und verzweifelt.
Kropp denkt ebenfalls dar
u
ber nach. Es wird
u
berhaupt schwer werden mit
uns allen. Ob die sich in der Heimat eigentlich nicht manchmal Sorgen machen
deswegen? Zwei Jahre Schießen und Handgranaten - das kann man doch
nicht ausziehen wie einen Strumpf nachher -"
Wir stimmen darin
u
berein, daß es jedem
u
hnlich geht; nicht nur
uns hier;
u
berall, jedem, der in der gleichen Lage ist, dem einen mehr, dem
andern weniger. Es ist das gemeinsame Schicksal unserer Generation.
Albert spricht es aus. "Der Krieg hat uns f
u
r alles verdorben."
Er hat recht. Wir sind keine Jugend mehr. Wir wollen die Welt nicht
mehr st
u
rmen. Wir sind Fl
u
chtende. Wir fl
u
chten vor uns. Vor unserem Leben.
Wir waren achtzehn Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben; wir
mußten darauf schießen. Die erste Granate, die einschlug, traf
in unser Herz. Wir sind abgeschlossen vom T
u
tigen, vom Streben, vom
Fortschritt. Wir glauben nicht mehr daran; wir glauben an den Krieg.
Die Schreibstube wird lebendig. Himmelstoß scheint sie alarmiert
zu haben. An der Spitze der Kolonne trabt der dicke Feldwebel. Komisch,
daß fast alle etatsm
u
ßigen Feldwebel dick sind.
Ihm folgt der rached
u
rstende Himmelstoß. Seine Stiefel gl
u
nzen in
der Sonne.
Wir erheben uns. Der Spieß schnauft:
"Wo ist Tjaden?"
Nat
u
rlich weiß es keiner. Himmelstoß glitzert uns b
u
se an.
"Bestimmt wißt ihr es. Wollt es bloß nicht sagen. Raus mit
der Sprache."
Der Spieß sieht sich suchend um; Tjaden ist nirgendwo zu
erblicken. Er versucht es andersherum. "In zehn Minuten soll Tjaden sich
auf der Schreibstube melden." Damit zieht er davon, Himmelstoß in
seinem Kielwasser.
"Ich habe das Gef
u
hl, daß mir beim n
u
chsten Schanzen eine
Drahtrolle auf die Beine von Himmelstoß fallen wird", vermutet Kropp.
"Wir werden an ihm noch viel Spaß haben", lacht M
u
ller. Das ist
nun unser Ehrgeiz: einem Brieftr
u
ger die Meinung stoßen. -
Ich gehe in die Baracke und sage Tjaden Bescheid, damit er
verschwindet. Dann wechseln wir unsern Platz und lagern uns wieder, um
Karten zu spielen. Denn das k
u
nnen wir: Kartenspielen, fluchen und Krieg
f
u
hren. Nicht viel f
u
r zwanzig Jahre - zuviel f
u
r zwanzig Jahre.
Nach einer halben Stunde ist Himmelstoß erneut bei uns. Niemand
beachtet ihn. Er fragt nach Tjaden. Wir zucken die Achseln.
"Ihr solltet ihn doch suchen", beharrt er.
"Wieso ihr?" erkundigt sich Kropp.
"Na, ihr hier -"
"Ich m
u
chte Sie bitten, uns nicht zu duzen", sagt Kropp wie ein Oberst.
Himmelstoß f
u
llt aus den Wolken. "Wer duzt euch denn?"
"Sie!"
"Ich?"
"Ja."
Es arbeitet in ihm. Er schielt Kropp mißtrauisch an, weil er
keine Ahnung hat, was der meint. Immerhin traut er sich in diesem Punkte
nicht ganz und kommt uns entgegen. "Habt ihr ihn nicht gefunden?"
Kropp legt sich ins Gras und sagt: "Waren Sie schon mal hier
draußen?"
"Das geht Sie gar nichts an", bestimmt Himmelstoß. "Ich verlange
Antwort."
"Gemacht", erwidert Kropp und erhebt sich. "Sehen Sie mal dorthin, wo
die kleinen W
u
lkchen stehen. Das sind die Geschosse der Flaks. Da waren wir
gestern. F
u
nf Tote, acht Verwundete .Dabei war es eigentlich ein Spaß.
Wenn Sie n
u
chstens mit 'rausgehen, werden die Mannschaften, bevor sie
sterben, erst vor Sie hintreten, die Knochen zusammenreißen und zackig
fragen: Bitte wegtreten zu d
u
rfen! Bitte abkratzen zu d
u
rfen! Auf Leute wie
Sie haben wir hier gerade gewartet."
Er setzt sich wieder, und Himmelstoß verschwindet wie ein Komet.
"Drei Tage Arrest", vermutet Kat.
"Das n
u
chstemal lege ich los", sage ich zu Albert.
Aber es ist Schluß. Daf
u
r findet abends beim Appell eine
Vernehmung statt. In der Schreibstube sitzt unser Leutnant Bertinck und
l
u
ßt einen nach dem andern rufen.
Ich muß ebenfalls als Zeuge erscheinen und kl
u
re auf, weshalb
Tjaden rebelliert hat. Die Bettn
u
ssergeschichte macht Eindruck.
Himmelstoß wird herangeholt und ich wiederhole meine Aussagen.
"Stimmt das?" fragt Bertinck Himmelstoß.
Der windet sich und muß es schließlich zugeben, als Kropp
die gleichen Angaben macht.
"Weshalb hat denn niemand das damals gemeldet?" fragt Bertinck.
Wir schweigen; er muß doch selbst wissen, was eine Beschwerde
u
ber solche Kleinigkeiten beim Kommiß f
u
r Zweck hat. Gibt es beim
Kommiß
u
berhaupt Beschwerden ? Er sieht es wohl ein und kanzelt
Himmelstoß zun
u
chst ab, indem er ihm noch einmal energisch klarmacht,
daß die Front kein Kasernenhof sei. Dann kommt in verst
u
rktem
Maße Tjaden an die Reihe, der eine ausgewachsene Predigt und drei Tage
Mittelarrest erh
u
lt. Kropp diktiert er mit einem Augenzwinkern einen Tag
Arrest.
"Geht nicht anders", sagt erbedauernd zu ihm. Er ist ein vern
u
nftiger
Kerl.
Mittelarrest ist angenehm. Das Arrestlokal ist ein fr
u
herer
H
u
hnerstall; da k
u
nnen beide Besuch empfangen, wir verstehen uns schon
darauf, hinzukommen. Dicker Arrest w
u
re Keller gewesen. Fr
u
her wurden wir
auch an einen Baum gebunden, doch das ist jetzt verboten. Manchmal werden
wir schon wie Menschen behandelt.
Eine Stunde nachdem Tjaden und Kropp hinter ihren Drahtgittern sitzen,
brechen wir zu ihnen auf. Tjaden begr
u
ßt uns kr
u
hend.
Dann spielen wir bis in die Nacht Skat. Tjaden gewinnt nat
u
rlich, das
dumme Luder.
Beim Aufbrechen fragt Kat mich: "Was meinst du zu G
u
nsebraten?"
"Nicht schlecht", finde ich.
Wir klettern auf eine Munitionskolonne. Die Fahrt kostet zwei
Zigaretten. Kat hat sich den Ort genau gemerkt. Der Stall geh
u
rt einem
Regimentsstab. Ich beschließe, die Gans zu holen, und lasse mir
Instruktionen geben. Der Stall ist hinter der Mauer, nur mit einem Pflock
verschlossen.
Kat h
u
lt mir die H
u
nde hin, ich stemme den Fuß hinein und
klettere
u
ber die Mauer. Kat steht unterdessen Schmiere.
Einige Minuten bleibe ich stehen, um die Augen an die Dunkelheit zu
gew
u
hnen. Dann erkenne ich den Stall. Leise schleiche ich mich heran, taste
den Pflock ab, ziehe ihn weg und
u
ffne die T
u
r.
Ich unterscheide zwei weiße Flecke. Zwei G
u
nse, das ist faul:
faßt man die eine, so schreit die andere. Also beide - wenn ich
schnell bin, klappt es.
Mit einem Satz springe ich zu. Eine erwische ich sofort, einen Moment
sp
u
ter die zweite. Wie verr
u
ckt haue ich die K
u
pfe gegen die Wand, um sie zu
bet
u
uben. Aber ich muß wohl nicht gen
u
gend Wucht haben. Die Biester
r
u
uspern sich und schlagen mit F
u
ßen und Fl
u
geln um sich. Ich k
u
mpfe
erbittert, aber, Donnerwetter, was hat so eine Gans f
u
r Kraft! Sie zerren,
daß ich hin und her taumele. Im Dunkel sind diese weißen Lappen
scheußlich, meine Arme haben Fl
u
gel gekriegt, beinahe habe ich Angst,
daß ich mich zum Himmel erhebe, als h
u
tte ich ein paar Fesselballons
in den Pfoten.
Da geht auch schon der L
u
rm los; einer der H
u
lse hat Luft geschnappt
und schnarrt wie eine Weckuhr. Ehe ich mich versehe, tappt es draußen
heran, ich bekomme einen Stoß, liege am Boden und h
u
re w
u
tendes
Knurren. Ein Hund.
Ich blicke zur Seite; da schnappt er schon nach meinem Halse. Sofort
liege ich still und ziehe vor allem das Kinn an den Kragen.
Es ist eine Dogge. Nach einer Ewigkeit nimmt sie den Kopf zur
u
ck und
setzt sich neben mich. Doch wenn ich versuche, mich zu bewegen, knurrt sie.
Ich
u
berlege. Das einzige, was ich tun kann, ist, daß ich meinen
kleinen Revolver zu fassen kriege. Fort muß ich hier auf jeden Fall,
ehe Leute kommen. Zentimeterweise schiebe ich die Hand heran.
Ich habe das Gef
u
hl, daß es Stunden dauert. Immer eine leise
Bewegung und ein gef
u
hrliches Knurren; Stilliegen und erneuter Versuch. Als
ich den Revolver in der Hand habe, f
u
ngt sie an zu zittern. Ich dr
u
cke sie
auf den Boden und mache mir klar: Revolver hochreißen, schießen,
ehe er zufassen kann, und t
u
rmen.
Langsam hole ich Atem und werde ruhiger. Dann halte ich die Luft an,
zucke den Revolver hoch, es knallt, die Dogge spritzt jaulend zur Seite, ich
gewinne die T
u
r des Stalles und purzele
u
ber eine der gefl
u
chteten G
u
nse.
Im Galopp greife ich schnell noch zu, schmeiße sie mit einem
Schwung
u
ber die Mauer und klettere selbst hoch. Ich bin noch nicht hin
u
ber,
da ist die Dogge auch schon wieder munter und springt nach mir. Rasch lasse
ich mich fallen. Zehn Schritt vor mir steht Kat, die Gans im Arm. Sowie er
mich sieht, laufen wir.
Endlich k
u
nnen wir verschnaufen. Die Gans ist tot, Kat hat das in einem
Moment erledigt. Wir wollen sie gleich braten, damit keiner etwas merkt. Ich
hole T
u
pfe und Holz aus der Baracke, und wir kriechen in einen kleinen
verlassenen Schuppen, den wir f
u
r solche Zwecke kennen. Die einzige
Fensterluke wird dicht verh
u
ngt. Eine Art Herd ist vorhanden, auf
Backsteinen liegt eine eiserne Platte. Wir z
u
nden ein Feuer an.
Kat rupft die Gans und bereitet sie zu. Die Federn legen wir sorgf
u
ltig
beiseite. Wir wollen uns zwei kleine Kissen daraus machen mit der
Aufschrift: "Ruhe sanft im Trommelfeuer!"
Das Artilleriefeuer der Front umsummt unsern Zufluchtsort. Lichtschein
flackert
u
ber unsere Gesichter, Schatten tanzen auf der Wand. Manchmal ein
dumpfer Krach, dann zittert der Schuppen. Fliegerbomben. Einmal h
u
ren wir
ged
u
mpfte Schreie. Eine Baracke muß getroffen sein.
Flugzeuge surren; das Tacktack von MaschirMßgewehren wird laut.
Aber von uns dringt kein Licht hinaus, dasrzu sehen w
u
re.
So sitzen wir uns gegen
u
ber, Kat und ich, zwei Soldaten in abgeschabten
R
u
cken, die eine Gans braten, mitten in der Nacht. Wir reden nicht viel,
aber wir sind voll zarterer R
u
cksicht miteinander, als ich mir denke,
daß Liebende es sein k
u
nnen. Wir sind zwei Menschen, zwei winzige
Funken Leben, draußen ist die Nacht und der Kreis des Todes. Wir
sitzen an ihrem Rande, gef
u
hrdet und geborgen,
u
ber unsere H
u
nde trieft
Fett, wir sind uns nahe mit unseren Herzen, und die Stunde ist wie der Raum:
u
berflackert von einem sanften Feuer, gehen die Lichter und Schatten der
Empfindungen hin und her. Was weiß er von mir - was weiß ich von
ihm, fr
u
her w
u
re keiner unserer Gedanken
u
hnlich gewesen - jetzt sitzen wir
vor einer Gans und f
u
hlen unser Dasein und sind uns so nahe, daß wir
nicht dar
u
ber sprechen m
u
gen.
Es dauert lange, eine Gans zu braten, auch wenn sie jung und fett ist.
Wir wechseln uns deshalb ab. Einer begießt sie, w
u
hrend der andere
unterdessen schl
u
ft. Ein herrlicher Duft verbreitet sich allm
u
hlich.
Die Ger
u
usche von draußen werden zu einem Band, zu einem Traum,
der aber die Erinnerung nicht ganz verliert. Ich sehe im Halbschlaf Kat den
L
u
ffel heben und senken, ich liebe ihn, seine Schultern, seine eckige,
gebeugte Gestalt - und zu gleicher Zeit sehe ich hinter ihm W
u
lder und
Sterne, und eine gute Stimme sagt Worte, die mir Ruhe geben, mir, einem
Soldaten, der mit seinen großen Stiefeln und seinem Koppel und seinem
Brotbeutel klein unter dem hohen Himmel den Weg geht, der vor ihm liegt, der
rasch vergißt und nur selten noch traurig ist, der immer weitergeht
unter dem großen Nachthimmel.
Ein kleiner Soldat und eine gute Stimme, und wenn man ihn streicheln
w
u
rde, k
u
nnte er es vielleicht nicht mehr verstehen, der Soldat mit den
großen Stiefeln und dem zugesch
u
tteten Herzen, der marschiert, weil er
Stiefel tr
u
gt, und alles vergessen hat außer dem Marschieren. Sind am
Horizont nicht Blumen und eine Landschaft, die so still ist, daß er
weinen m
u
chte, der Soldat? Stehen dort nicht Bilder, die er nicht verloren
hat, weil er sie nie besessen hat, verwirrend, aber dennoch f
u
r ihn vor
u
ber?
Stehen dort nicht seine zwanzig Jahre?
Ist mein Gesicht naß, und wo bin ich? Kat steht vor mir, sein
riesiger geb
u
ckter Schatten f
u
llt
u
ber mich wie eine Heimat. Er spricht
leise, er l
u
chelt und geht zum Feuer zur
u
ck.
Dann sagt er: "Es ist fertig."
"Ja, Kat."
Ich sch
u
ttele mich. In der Mitte des Raumes leuchtet der braune Braten.
Wir holen unsere zusammenklappbaren Gabeln und unsere Taschenmesser heraus
und schneiden uns jeder eine Keule ab. Dazu essen wir Kommißbrot, das
wir in die Soße tunken. Wir essen langsam, mit vollem Genuß.
"Schmeckt es, Kat?"
"Gut! Dir auch?"
"Gut, Kat."
Wir sind Br
u
der und schieben uns gegenseitig die besten St
u
cke zu.
Hinterher rauche ich eine Zigarette, Kat eine Zigarre. Es ist noch viel
u
briggeblieben.
"Wie w
u
re es, Kat, wenn wir Kropp und Tjaden ein St
u
ck br
u
chten?"
"Gemacht", sagt er. Wir schneiden eine Portion ab und wickeln sie
sorgf
u
ltig in Zeitungspapier. Den Rest wollen wir eigentlich in unsere
Baracke tragen, aber Kat lacht und sagt nur: "Tjaden."
Ich sehe es ein, wir m
u
ssen alles mitnehmen. So machen wir uns auf den
Weg zum H
u
hnerstall, um die beiden zu wecken. Vorher packen wir noch die
Federn weg.
Kropp und Tjaden halten uns f
u
r eine Fata Morgana. Dann knirschen ihre
Gebisse. Tjaden hat einen Fl
u
gel mit beiden H
u
nden wie eine Mundharmonika im
Munde und kaut. Er s
u
uft das Fett aus dem Topf und schmatzt: "Das vergesse
ich euch nie!"
Wir gehen zu unserer Baracke. Da ist der hohe Himmel wieder mit den
Sternen und der beginnenden D
u
mmerung, und ich gehe darunter hin, ein Soldat
mit großen Stiefeln und vollem Magen, ein kleiner Soldat in der Fr
u
he
- aber neben mir, gebeugt und eckig, geht Kat, mein Kamerad.
Die Umrisse der Baracke kommen in der D
u
mmerung auf uns zu wie ein
schwarzer, guter Schlaf.
Es wird von einer Offensive gemunkelt. Wir gehen zwei Tage fr
u
her als
sonst an die Front. Auf dem Wege passieren wir eine zerschossene Schule. An
ihrer L
u
ngsseite aufgestapelt steht eine doppelte, hohe Mauer von ganz
neuen, hellen, unpolierten S
u
rgen. Sie riechen noch nach Harz und Kiefern
und Wald. Es sind mindestens hundert.
"Da ist ja gut vorgesorgt zur Offensive", sagt M
u
ller erstaunt.
"Die sind f
u
r uns", knurrt Detering.
"Quatsch nicht!" f
u
hrt Kat ihn an.
"Sei froh, wenn du noch einen Sarg kriegst", grinst Tjaden, "dir
verpassen sie doch nur eine Zeltbahn f
u
r deine Schießbudenfigur,
paß auf!"
Auch die andern machen Witze, unbehagliche Witze, was sollen wir sonst
tun. - Die S
u
rge sind ja tats
u
chlich f
u
r uns. In solchen Dingen klappt die
Organisation.
u
berall vorn brodelt es. In der ersten Nacht versuchen wir uns zu
orientieren. Da es ziemlich still ist, k
u
nnen wir h
u
ren, wie die Transporte
hinter der gegnerischen Front rollen, unausgesetzt, bis in die D
u
mmerung
hinein. Kat sagt, daß sie nicht abrollen, sondern Truppen bringen,
Truppen, Munition, Gesch
u
tze.
Die englische Artillerie ist verst
u
rkt, das h
u
ren wir sofort. Es stehen
rechts von der Ferme mindestens vier Batterien 20,5 mehr, und hinter dem
Pappelstumpf sind Minenwerfer eingebaut. Außerdem ist eine Anzahl
dieser kleinen franz
u
sischen Biester mit Aufschlagz
u
ndern hinzugekommen.
Wir sind in gedr
u
ckter Stimmung. Zwei Stunden nachdem wir in den
Unterst
u
nden stecken, schießt uns die eigene Artillerie in den Graben.
Es ist das drittemal in vier Wochen. Wenn es noch Zielfehler w
u
ren, w
u
rde
keiner was sagen, aber es liegt daran, daß die Rohre zu ausgeleiert
sind; sie streuen bis in unsern Abschnitt, so
unsicher werden die Sch
u
sse oft. In dieser Nacht haben wir dadurch zwei
Verwundete.
Die Front ist ein K
u
fig, in dem man nerv
u
s warten muß auf das,
was geschehen wird. Wir liegen unter dem Gitter der Granatenbogen und leben
in der Spannung des Ungewissen.
u
ber uns schwebt der Zufall. Wenn ein
Geschoß kommt, kann ich mich ducken, das ist alles; wohin es schl
u
gt,
kann ich weder genau wissen noch beeinflussen.
Dieser Zufall ist es, der uns gleichg
u
ltig macht. Ich saß vor
einigen Monaten in einem Unterstand und spielte Skat; nach einer Weile stand
ich auf und ging, Bekannte in einem andern Unterstand zu besuchen. Als ich
zur
u
ckkam, war von dem ersten nichts mehr zu sehen, er war von einem
schweren Treffer zerstampft. Ich ging zum zweiten zur
u
ck und kam gerade
rechtzeitig, um zu helfen, ihn aufzugraben. Er war inzwischen versch
u
ttet
worden.
Ebenso zuf
u
llig, wie ich getroffen werde, bleibe ich am Leben. Im
bombensicheren Unterstand kann ich zerquetscht werden, und auf freiem Felde
zehn Stunden Trommelfeuer unverletzt
u
berstehen. Jeder Soldat bleibt nur
durch tausend Zuf
u
lle am Leben. Und jeder Soldat glaubt und vertraut dem
Zufall.
Wir m
u
ssen auf unser Brot achtgeben. Die Ratten haben sich sehr
vermehrt in der letzten Zeit, seit die Gr
u
ben nicht mehr recht in Ordnung
sind. Detering behauptet, es w
u
re das sicherste Vorzeichen f
u
r dicke Luft.
Die Ratten hier sind besonders widerw
u
rtig, weil sie so groß
sind. Es ist die Art, die man Leichenratten nennt. Sie haben
scheußliche, b
u
sartige, nackte Gesichter, und es kann einem
u
bel
werden, wenn man ihre langen, kahlen Schw
u
nze sieht.
Sie scheinen recht hungrig zu sein. Bei fast allen haben sie das Brot
angefressen. Kropp hat es unter seinem Kopf fest in die Zeltbahn gewickelt,
doch er kann nicht schlafen, weil sie ihm
u
ber das Gesicht laufen, um
heranzugelangen. Detering wollte schlau sein; er hatte an der Decke einen
d
u
nnen Draht befestigt und sein Brot darangeh
u
ngt. Als er nachts seine
Taschenlampe anknipst, sieht er den Draht hin und her schwanken. Auf dem
Brot reitet eine fette Ratte.
Schließlich machen wir ein Ende. Die St
u
cke Brot, die von den
Tieren benagt sind, schneiden wir sorgf
u
ltig aus; wegwerfen k
u
nnen wir das
Brot ja auf keinen Fall, weil wir morgen sonst nichts zu essen haben.
Die abgeschnittenen Scheiben legen wir in der Mitte auf dem Boden
zusammen. Jeder nimmt seinen Spaten heraus und legt sich schlagbereit hin.
Detering, Kropp und Kat halten ihre Taschenlampen bereit.
Nach wenigen Minuten h
u
ren wir das erste Schlurfen und Zerren. Es
verst
u
rkt sich, nun sind es viele kleine F
u
ße. Da blitzen die
Taschenlampen auf, und alles schl
u
gt auf den schwarzen Haufen ein, der
auseinanderzischt. Der Erfolg ist gut. Wir schaufeln die Rattenteile
u
ber
den Grabenrand und legen uns wieder auf die Lauer.
Noch einige Male gelingt uns der Schlag. Dann haben die Tiere etwas
gemerkt oder das Blut gerochen. Sie kommen nicht mehr. Trotzdem ist der
Brotrest auf dem Boden am n
u
chsten Tage von ihnen weggeholt.
Im benachbarten Abschnitt haben sie zwei große Katzen und einen
Hund
u
berfallen, totgebissen und angefressen.
Am n
u
chsten Tage gibt es Edamer K
u
se. Jeder erh
u
lt fast einen
Viertelk
u
se. Das ist teilweise gut, denn Edamer schmeckt - und es ist
teilweise faul, denn f
u
r uns waren die dicken roten B
u
lle bislang immer ein
Anzeichen f
u
r schweren Schlamassel. Unsere Ahnung steigert sich, als noch
Schnaps ausgeteilt wird. Vorl
u
ufig trinken wir ihn; aber uns ist nicht wohl
zumute dabei.
Tags
u
ber machen wir Wettschießen auf Ratten und lungern umher.
Die Patronen und Handgranatenvorr
u
te werden reichlicher. Die Bajonette
revidieren wir selbst. Es gibt n
u
mlich welche, die gleichzeitig auf der
stumpfen Seite als S
u
ge eingerichtet sind. Wenn die dr
u
ben jemand damit
erwischen, wird er rettungslos abgemurkst. Im Nachbarabschnitt sind Leute
von uns wiedergefunden worden, denen mit diesen S
u
geseitengewehren die Nasen
abgeschnitten und die Augen ausgestochen waren. Dann hatte man ihnen den
Mund und Nase mit S
u
gesp
u
nen gef
u
llt und sie so erstickt.
Einige Rekruten haben noch Seitengewehre
u
hnlicher Art; wir schaffen
sie weg und besorgen ihnen andere.
Das Seitengewehr hat allerdings an Bedeutung verloren. Zum St
u
rmen ist
es jetzt manchmal Mode, nur mit Handgranaten und Spaten vorzugehen. Der
gesch
u
rfte Spaten ist eine leichtere und vielseitigere Waffe, man kann ihn
nicht nur unter das Kinn stoßen, sondern vor allem damit schlagen, das
hat gr
u
ßere Wucht; besonders wenn man schr
u
g zwischen Schulter und
Hals trifft, spaltet man leicht bis zur Brust durch. Das Seitengewehr bleibt
beim Stich oft stecken, man muß dann erst dem andern kr
u
ftig gegen den
Bauch treten, um es loszukriegen, und in der Zwischenzeit hat man selbst
leicht eins weg. Dabei bricht es noch außerdem manchmal ab.
Nachts wird Gas abgeblasen. Wir erwarten den Angriff und liegen mit den
Masken fertig, bereit, sie abzureißen, sowie der erste Schatten
auftaucht.
Der Morgen graut, ohne daß etwas erfolgt. Nur immer dieses
nervenzerreibende Rollen dr
u
ben, Z
u
ge, Z
u
ge, Lastwagen, Lastwagen, was
konzentriert sich da nur? Unsere Artillerie funkt st
u
ndig hin
u
ber, aber es
h
u
rt nicht auf, es h
u
rt nicht auf. -
Wir haben m
u
de Gesichter und sehen aneinander vorbei. "Es wird wie an
der Somme, da hatten wir nachher sieben Tage und N
u
chte Trommelfeuer", sagt
Kat d
u
ster. Er hat gar keinen Witz mehr, seit wir hier sind, und das ist
schlimm, denn Kat ist ein altes Frontschwein, das Witterung besitzt. Nur
Tjaden freut sich der guten Portionen und des Rums; er meint sogar, wir
w
u
rden genauso in Ruhe zur
u
ckkehren, es w
u
rde gar nichts passieren.
Fast scheint es so. Ein Tag nach dem andern geht vor
u
ber. Ich sitze
nachts im Loch auf Horchposten.
u
ber mir steigen die Raketen und
Leuchtschirme auf und nieder. Ich bin vorsichtig und gespannt, mein Herz
klopft. Immer wieder liegt mein Auge auf der Uhr mit dem Leuchtzifferblatt;
der Zeiger will nicht weiter. Der Schlaf h
u
ngt in meinen Augenlidern, ich
bewege die Zehen in den Stiefeln, um wachzubleiben. Nichts geschieht, bis
ich abgel
u
st werde; - nur immer das Rollen dr
u
ben. Wir werden allm
u
hlich
ruhig und spielen st
u
ndig Skat und Mauscheln. Vielleicht haben wir Gl
u
ck.
Der Himmel h
u
ngt tags
u
ber voll Fesselballons. Es heißt, daß
von dr
u
ben jetzt auch hier Tanks eingesetzt werden sollen und
Infanterieflieger beim Angriff. Das interessiert uns aber weniger als das,
was von den neuen Flammenwerfern erz
u
hlt wird.
Mitten in der Nacht erwachen wir. Die Erde dr
u
hnt. Schweres Feuer liegt
u
ber uns. Wir dr
u
cken uns in die Ecken. Geschosse aller Kaliber k
u
nnen wir
unterscheiden.
Jeder greift nach seinen Sachen und vergewissert sich alle Augenblicke
von neuem, daß sie da sind. Der Unterstand bebt, die Nacht ist ein
Br
u
llen und Blitzen. Wir sehen uns bei dem sekundenlangen Licht an und
sch
u
tteln mit bleichen Gesichtern und gepreßten Lippen die K
u
pfe.
Jeder f
u
hlt es mit, wie die schweren Geschosse die Grabenbr
u
stung
wegreißen, wie sie die B
u
schung durchw
u
hlen und die obersten
Betonkl
u
tze zerfetzen. Wir merken den dumpferen, rasenderen Schlag, der dem
Prankenhieb eines fauchenden Raubtiers gleicht, wenn der Schuß im
Graben sitzt. Morgens sind einige Rekruten bereits gr
u
n und kotzen. Sie sind
noch zu unerfahren.
Langsam rieselt widerlich graues Licht in den Stollen und macht das
Blitzen der Einschl
u
ge fahler. Der Morgen ist da. Jetzt mischen sich
explodierende Minen in das Artilleriefeuer. Es ist das Wahnsinnigste an
Ersch
u
tterung, was es gibt. Wo sie niederfegen, ist ein Massengrab.
Die Abl
u
sungen gehen hinaus, die Beobachter taumeln herein, mit Schmutz
beworfen, zitternd. Einer legt sich schweigend in die Ecke und ißt,
der andere, ein Ersatzreservist, schluchzt; er ist zweimal
u
ber die
Brustwehr geflogen durch den Luftdruck der Explosion, ohne sich etwas
anderes zu holen als einen Nervenschock.
Die Rekruten sehen zu ihm hin. So etwas steckt rasch an, wir m
u
ssen
aufpassen, schon fangen verschiedene Lippen an zu flattern. Gut ist,
daß es Tag wird; vielleicht erfolgt der Angriff vormittags.
Das Feuer schw
u
cht nicht ab. Es liegt auch hinter uns. So weit man
sehen kann, spritzen Dreck- und Eisenfont
u
nen. Ein sehr breiter G
u
rtel wird
bestrichen.
Der Angriff erfolgt nicht, aber die Einschl
u
ge dauern an. Wir werden
langsam taub. Es spricht kaum noch jemand. Man kann sich auch nicht
verstehen.
Unser Graben ist fast fort. An vielen Stellen reicht er nur noch einen
halben Meter hoch, er ist durchbrochen von L
u
chern, Trichtern und Erdbergen.
Direkt vor unserm Stollen platzt eine Granate. Sofort ist es dunkel. Wir
sind zugesch
u
ttet und m
u
ssen uns ausgraben. Nach einer Stunde ist der
Eingang wieder frei, und wir sind etwas gefaßter, weil wir Arbeit
hatten.
Unser Kompanief
u
hrer klettert herein und berichtet, daß zwei
Unterst
u
nde weg sind. Die Rekruten beruhigen sich, als sie ihn sehen. Er
sagt, daß heute abend versucht werden soll, Essen heranzubringen.
Das klingt tr
u
stlich. Keiner hat daran gedacht, außer Tjaden. Nun
r
u
ckt etwas wieder von draußen n
u
her; - wenn Essen geholt werden soll,
kann es ja nicht so schlimm sein, denken die Rekruten. Wir st
u
ren sie nicht,
wir wissen, daß Essen ebenso wichtig wie Munition ist und nur deshalb
herangeschafft werden muß.
Aber es mißlingt. Eine zweite Staffel geht los. Auch sie kehrt
um. Schließlich ist Kat dabei, und selbst er erscheint
unverrichtetersache wieder. Niemand kommt durch, kein Hundeschwanz ist
schmal genug f
u
r dieses Feuer.
Wir ziehen unsere Schmachtriemen enger und kauen jeden Happen dreimal
so lange. Doch es reicht trotzdem nicht aus; wir haben verfluchten
Kohldampf. Ich bewahre mir eine Kante auf; das Weiche esse ich heraus, die
Kante bleibt im Brotbeutel; ab und zu knabbere ich mal daran.
Die Nacht ist unertr
u
glich. Wir k
u
nnen nicht schlafen, wir stieren vor
uns hin und duseln. Tjaden bedauert, daß wir unsere angefressenen
Brotst
u
cke f
u
r die Ratten vergeudet haben. Wir h
u
tten sie ruhig aufheben
sollen. Jeder w
u
rde sie jetzt essen. Wasser fehlt uns auch, aber noch nicht
so sehr.
Gegen Morgen, als es noch dunkel ist, entsteht Aufregung. Durch den
Eingang st
u
rzt ein Schw
u
rm fl
u
chtender Ratten und jagt die W
u
nde hinauf. Die
Taschenlampen beleuchten die Verwirrung. Alle schreien und fluchen und
schlagen zu. Es ist der Ausbruch der Wut und der Verzweiflung vieler
Stunden, der sich entl
u
dt. Die Gesichter sind verzerrt, die Arme schlagen,
die Tiere quietschen, es f
u
llt schwer, daß wir aufh
u
ren, fast h
u
tte
einer den anderen angefallen.
Der Ausbruch hat uns ersch
u
pft. Wir liegen und warten wieder. Es ist
ein Wunder, daß unser Unterstand noch keine Verluste hat. Er ist einer
der wenigen tiefen Stollen, die es jetzt noch gibt.
Ein Unteroffizier kriecht herein; der hat ein Brot bei sich. Drei
Leuten ist es doch gegl
u
ckt, nachts durchzukommen und etwas Proviant zu
holen. Sie haben erz
u
hlt, daß das Feuer in unverminderter St
u
rke bis
zu den Artilleriest
u
nden l
u
ge. Es sei ein R
u
tsel, wo die dr
u
ben so viele
Gesch
u
tze hern
u
hmen.
Wir m
u
ssen warten, warten. Mittags passiert das, womit ich schon
rechnete. Einer der Rekruten hat einen Anfall. Ich habe ihn schon lange
beobachtet, wie er ruhelos die Z
u
hne bewegte und die F
u
uste ballte und
schloß. Diese gehetzten, herausspnngenden Augen kennen wir zur Gen
u
ge.
In den letzten Stunden ist er nur scheinbar stiller geworden. Er ist in sich
zusammengesunken wie ein morscher Baum.
Jetzt steht er auf, unauff
u
llig kriecht er durch den Raum, verweilt
einen Augenblick und rutscht dann dem Ausgang zu. Ich lege mich herum und
frage: "Wo willst du hin?"
"Ich bin gleich wieder da", sagt er und will an mir vorbei. "Warte doch
noch, das Feuer l
u
ßt schon nach."
Er horcht auf, und das Auge wird einen Moment klar. Dann hat es wieder
den tr
u
ben Glanz wie bei einem tollw
u
tigen Hund, er schweigt und dr
u
ngt mich
fort. "Eine Minute, Kamerad!" rufe ich.
Kat wird aufmerksam. Gerade als der Rekrut mich fortst
u
ßt, packt
er zu, und wir halten ihn fest.
Sofort beginnt er zu toben: "Laßt mich los, laßt mich
'raus, ich will hier'raus!"
Er h
u
rt auf nichts und schl
u
gt um sich, der Mund ist naß und
spr
u
ht Worte, halbverschluckte, sinnlose Worte. Es ist ein Anfall von
Unterstandsangst, er hat das Gef
u
hl, hier zu ersticken, und kennt nur den
einen Trieb: hinauszugelangen. Wenn man ihn laufen ließe, w
u
rde er
ohne Deckung irgendwohin rennen. Er ist nicht der erste.
Da er sehr wild ist und die Augen sich schon verdrehen, so hilft es
nichts, wir m
u
ssen ihn verpr
u
geln, damit er vern
u
nftig wird. Wir tun es
schnell und erbarmungslos und erreichen, daß er vorl
u
ufig wieder ruhig
sitzt. Die andern sind bleich bei der Geschichte geworden; hoffentlich
schreckt es sie ab. Dieses Trommelfeuer ist zuviel f
u
r die armen Kerle; sie
sind vom Feldrekrutendepot gleich in einen Schlamassel geraten, der selbst
einem alten Mann graue Haare machen k
u
nnte.
Die stickige Luft f
u
llt uns nach diesem Vorgang noch mehr auf die
Nerven. Wir sitzen wie in unserm Grabe und warten nur darauf, daß wir
zugesch
u
ttet werden. Pl
u
tzlich heult und blitzt es ungeheuer, der Unterstand
kracht in allen Fugen unter einem Treffer, gl
u
cklicherweise einem leichten,
dem die Betonkl
u
tze standgehalten haben. Es klirrt metallisch und
f
u
rchterlich, die W
u
nde wackeln, Gewehre, Helme, Erde, Dreck und Staub
fliegen. Schwefeliger Qualm dringt ein. Wenn wir statt in dem festen
Unterstand in einem der leichten Dinger s
u
ßen, wie sie neuerdings
gebaut werden, lebte jetzt keiner mehr.
Die Wirkung ist aber auch so schlimm genug. Der Rekrut von vorhin tobt
schon wieder, und zwei andere schließen sich an. Einer reißt aus
und l
u
uft weg. Wir haben M
u
he mit den beiden andern. Ich st
u
rze hinter dem
Fl
u
chtenden her und
u
berlege, ob ich ihm in die Beine schießen soll; -
da pfeift es heran, ich werfe mich hin, und als ich aufstehe, ist die
Grabenwand mit heißen Splittern, Fleischfetzen und Uniformlappen
bepflastert. Ich klettere zur
u
ck.
Der erste scheint wirklich verr
u
ckt geworden zu sein. Er rennt mit dem
Kopf wie ein Bock gegen die Wand, wenn man ihn losl
u
ßt. Wir werden
nachts versuchen m
u
ssen, ihn nach hinten zu bringen. Vorl
u
ufig binden wir
ihn so fest, daß man ihn beim Angriff sofort wieder losmachen kann.
Kat schl
u
gt vor, Skat zu spielen; - was soll man tun, vielleicht ist es
leichter dann. Aber es wird nichts daraus, wir lauschen auf jeden Einschlag,
der n
u
her ist, und verz
u
hlen uns bei den Stichen oder bedienen nicht die
Farbe. Wir m
u
ssen es lassen. Wie in einem gewaltig dr
u
hnenden Kessel sitzen
wir, auf den von allen Seiten losgeschlagen wird.
Noch eine Nacht. Wir sind jetzt stumpf vor Spannung. Es ist eine
t
u
dliche Spannung, die wie ein schartiges Messer unser R
u
ckenmark entlang
kratzt. Die Beine wollen nicht mehr, die H
u
nde zittern, der K
u
rper ist eine
d
u
nne Haut
u
ber m
u
hsam unterdr
u
cktem Wahnsinn,
u
ber einem gleich hemmungslos
ausbrechenden Gebr
u
ll ohne Ende. Wir haben kein Fleisch und keine Muskeln
mehr, wir k
u
nnen uns nicht mehr ansehen, aus Furcht vor etwas
Unberechenbarem. So pressen wir die Lippen aufeinander - es wird
vor
u
bergehen - es wird vor
u
bergehen - vielleicht kommen wir durch.
Mit einem Male h
u
ren die nahen Einschl
u
ge auf. Das Feuer dauert an,
aber es ist zur
u
ckverlegt, unser Graben ist frei. Wir greifen nach den
Handgranaten, werfen sie vor den Unterstand und springen hinaus. Das
Trommelfeuer hat aufgeh
u
rt, daf
u
r liegt hinter uns ein schweres Sperrfeuer.
Der Angriff ist da.
Niemand w
u
rde glauben, daß in dieser zerw
u
hlten W
u
ste noch
Menschen sein k
u
nnten; aber jetzt tauchen
u
berall aus dem Graben die
Stahlhelme auf, und f
u
nfzig Meter von uns entfernt ist schon ein
Maschinengewehr in Stellung gebracht, das gleich losbellt.
Die Drahtverhaue sind zerfetzt. Immerhin halten sie noch etwas auf. Wir
sehen die St
u
rmenden kommen. Unsere Artillerie funkt. Maschinengewehre
knarren, Gewehre knattern. Von dr
u
ben arbeiten sie sich heran. Haie und
Kropp beginnen mit den Handgranaten. Sie werfen, so rasch sie k
u
nnen, die
Stiele werden ihnen abgezogen zugereicht. Haie wirft sechzig Meter weit,
Kropp f
u
nfzig, das ist ausprobiert und wichtig. Die von dr
u
ben k
u
nnen im
Laufen nicht viel eher etwas machen, als bis sie auf dreißig Meter
heran sind.
Wir erkennen die verzerrten Gesichter, die flachen Helme, es sind
Franzosen. Sie erreichen die Reste des Drahtverhaus und haben schon
sichtbare Verluste. Eine ganze Reihe wird von dem Maschinengewehr neben uns
umgelegt; dann haben wir viele Ladehemmungen, und sie kommen n
u
her.
Ich sehe einen von ihnen in einen spanischen Reiter st
u
rzen, das
Gesicht hoch erhoben. Der K
u
rper sackt zusammen, die H
u
nde bleiben h
u
ngen,
als wollte er beten. Dann f
u
llt der K
u
rper ganz weg, und nur noch die
abgeschossenen H
u
nde mit den Armst
u
mpfen h
u
ngen im Draht.
Im Augenblick, als wir zur
u
ckgehen, heben sich vorn drei Gesichter vom
Boden. Unter einem der Helme ein dunkler Spitzbart und zwei Augen, die fest
auf mich gerichtet sind. Ich hebe die Hand, aber ich kann nicht werfen in
diese sonderbaren Augen, einen verr
u
ckten Moment lang rast die ganze
Schlacht wie ein Zirkus um mich und diese beiden Augen, die allein
bewegungslos sind, dann reckt sich dr
u
ben der Kopf auf, eine Hand, eine
Bewegung, und meine Handgranate fliegt hin
u
ber, hinein.
Wir laufen zur
u
ck, reißen spanische Reiter in den Graben und
lassen abgezogene Handgranaten hinter uns fallen, die uns einen feurigen
R
u
ckzug sichern. Von der n
u
chsten Stellung aus feuern die Maschinengewehre.
Aus uns sind gef
u
hrliche Tiere geworden. Wir k
u
mpfen nicht, wir
verteidigen uns vor der Vernichtung. Wir schleudern die Granaten nicht gegen
Menschen, was wissen wir im Augenblick davon, dort hetzt mit H
u
nden und
Helmen der Tod hinter uns her, wir k
u
nnen ihm seit drei Tagen zum ersten
Male ins Gesicht sehen, wir k
u
nnen uns seit drei Tagen zum ersten Male
wehren gegen ihn, wir haben eine wahnsinnige Wut, wir liegen nicht mehr
ohnm
u
chtig wartend auf dem Schafott, wir k
u
nnen zerst
u
ren und t
u
ten, um uns
zu retten und zu r
u
chen.
Wir hocken hinter jeder Ecke, hinter jedem Stacheldrahtgestell und
werfen den Kommenden B
u
ndel von Explosionen vor die F
u
ße, ehe wir
forthuschen. Das Krachen der Handgranaten schießt kraftvoll in unsere
Arme, in unsere Beine, geduckt wie Katzen laufen wir,
u
berschwemmt von
dieser Welle, die uns tr
u
gt, die uns grausam macht, zu Wegelagerern, zu
M
u
rdern, zu Teufeln meinetwegen, dieser Welle, die unsere Kraft
vervielf
u
ltigt in Angst und Wut und Lebensgier, die uns Rettung sucht und
erk
u
mpft. K
u
me dein Vater mit denen dr
u
ben, du w
u
rdest nicht zaudern, ihm
die Granate gegen die Brust zu werfen!
Die vorderen Gr
u
ben werden aufgegeben. Sind es noch Gr
u
ben? Sie sind
zerschossen, vernichtet - es sind nur einzelne Grabenst
u
cke, L
u
cher,
verbunden durch Laufg
u
nge, Trichternester, nicht mehr. Aber die Verluste
derer von dr
u
ben h
u
ufen sich. Sie haben nicht mit so viel Widerstand
gerechnet.
Es wird Mittag. Die Sonne brennt heiß, uns beißt der
Schweiß in die Augen, wir wischen ihn mit dem
u
rmel weg, manchmal ist
Blut dabei. Der erste etwas besser erhaltene Graben taucht auf. Er ist
besetzt und vorbereitet zum Gegenstoß, er nimmt uns auf. Unsere
Artillerie setzt m
u
chtig ein und riegelt den Vorstoß ab.
Die Linien hinter uns stocken. Sie k
u
nnen nicht vorw
u
rts. Der Angriff
wird zerfetzt durch unsere Artillerie. Wir lauern. Das Feuer springt hundert
Meter weiter, und wir brechen wieder vor. Neben mir wird einem Gefreiten der
Kopf abgerissen. Er l
u
uft noch einige Schritte, w
u
hrend das Blut ihm wie ein
Springbrunnen aus dem Halse schießt.
Es kommt nicht ganz zum Handgemenge, die andern m
u
ssen zur
u
ck. Wir
erreichen unsere Grabenst
u
cke wieder und gehen dar
u
ber hinaus vor.
Oh, dieses Umwenden! Man hat die sch
u
tzenden Reservestellungen
erreicht, man m
u
chte hindurchkriechen, verschwinden; - und muß sich
umdrehen und wieder in das Grauen hinein. W
u
ren wir keine Automaten in
diesem Augenblick, wir blieben liegen, ersch
u
pft, willenlos. Aber wir werden
wieder mit vorw
u
rts gezogen, willenlos und doch wahnsinnig wild und w
u
tend,
wir wollen t
u
ten, denn das dort sind unsere Todfeinde jetzt, ihre Gewehre
und Granaten sind gegen uns gerichtet, vernichten wir sie nicht, dann
vernichten sie uns!
Die braune Erde, die zerrissene, zerborstene braune Erde, fettig unter
den Sonnenstrahlen schimmernd, ist der Hintergrund rastlos dumpfen
Automatentunis, unser Keuchen ist das Abschnarren der Feder, die Lippen sind
trocken, der Kopf ist w
u
ster als nach einer durchsoffenen Nacht - so taumeln
wir vorw
u
rts, und in unsere durchsiebten, durchl
u
cherten Seelen bohrt sich
qu
u
lend eindringlich das Bild der braunen Erde mit der fettigen Sonne und
den zuckenden und toten Soldaten, die da liegen, als m
u
ßte es so sein,
die nach unsern Beinen greifen und schreien, w
u
hrend wir
u
ber sie
hinwegspringen.
Wir haben alles Gef
u
hl f
u
reinander verloren, wir kennen uns kaum noch,
wenn das Bild des andern in unseren gejagten Blick f
u
llt. Wir sind
gef
u
hllose Tote, die durch einen Trick, einen gef
u
hrlichen Zauber noch
laufen und t
u
ten k
u
nnen.
Ein junger Franzose bleibt zur
u
ck, er wird erreicht, hebt die H
u
nde, in
einer hat er noch den Revolver - man weiß nicht, will er
schießen oder sich ergeben -, ein Spatenschlag spaltet ihm das
Gesicht. Ein zweiter sieht es und versucht, weiterzufl
u
chten, ein Bajonett
zischt ihm in den R
u
cken. Er springt hoch, und die Arme ausgebreitet, den
Mund schreiend weit offen, taumelt er davon, in seinem R
u
cken schwankt das
Bajonett. Ein dritter wirft das Gewehr weg, kauert sich nieder, die H
u
nde
vor den Augen. Er bleibt zur
u
ck mit einigen andern Gefangenen, um Verwundete
fortzutragen.
Pl
u
tzlich geraten wir in der Verfolgung an die feindlichen Stellungen.
Wir sind so dicht hinter den weichenden Gegnern, daß es uns
gelingt, fast gleichzeitig mit ihnen anzulangen. Dadurch haben wir wenig
Verluste. Ein Maschinengewehr kl
u
fft, wird aber durch eine Handgranate
erledigt. Immerhin haben die paar Sekunden f
u
r f
u
nf Bauchsch
u
sse bei uns
ausgereicht. Kat schl
u
gt einem der unverwundet gebliebenen
Maschinengewehrsch
u
tzen mit dem Kolben das Gesicht zu Brei. Die andern
erstechen wir, ehe sie ihre Handgranaten heraus haben. Dann saufen wir
durstig das K
u
hlwasser aus.
u
berall knacken Drahtzangen, poltern Bretter
u
ber die Verhaue, springen
wir durch die schmalen Zug
u
nge in die Gr
u
ben. Haie st
u
ßt einem
riesigen Franzosen seinen Spaten in den Hals und wirft die erste
Handgranate; wir ducken uns einige Sekunden hinter einer Brustwehr, dann ist
das gerade St
u
ck des Grabens vor uns leer. Schr
u
g
u
ber die Ecke zischt der
n
u
chste Wurf und schafft freie Bahn, im Vorbeilaufen fliegen geballte
Ladungen in die Unterst
u
nde, die Erde ruckt, es kracht, dampft und st
u
hnt,
wir stolpern
u
ber glitschige Fleischfetzen,
u
ber weiche K
u
rper, ich falle in
einen zerrissenen Bauch, auf dem ein neues, sauberes Offiziersk
u
ppi liegt.
Das Gefecht stockt. Die Verbindung mit dem Feinde reißt ab. Da
wir uns hier nicht lange halten k
u
nnen, werden wir unter dem Sch
u
tze unserer
Artillerie zur
u
ckgenommen auf unsere Stellung. Kaum wissen wir es, als wir
in gr
u
ßter Eile noch in die n
u
chsten Unterst
u
nde st
u
rzen, um von
Konserven an uns zu reißen, was wir gerade sehen, vor allem die
B
u
chsen mit Corned beef und Butter, ehe wir t
u
rmen.
Wir kommen gut zur
u
ck. Es erfolgt vorl
u
ufig kein weiterer Angriff von
dr
u
ben.
u
ber eine Stunde liegen wir, keuchen und ruhen uns aus, ehe jemand
spricht. Wir sind so v
u
llig ausgepumpt, daß wir trotz unseres starken
Hungers nicht an die Konserven denken. Erst allm
u
hlich werden wir wieder so
etwas wie Menschen.
Das Corned beef von dr
u
ben ist an der ganzen Front ber
u
hmt. Es ist
mitunter sogar der Hauptgrund zu einem
u
berraschenden Vorstoß von
unserer Seite, denn unsere Ern
u
hrung ist im allgemeinen schlecht; wir haben
st
u
ndig Hunger.
Insgesamt haben wir f
u
nf B
u
chsen geschnappt. Die Leute dr
u
ben werden ja
verpflegt, das ist eine Pracht gegen uns Hungerleider mit unserer
R
u
benmarmelade, das Fleisch steht da nur so herum, man braucht bloß
danach zu greifen. Haie hat außerdem ein d
u
nnes franz
u
sisches
Weißbrot erwischt und hinter sein Koppel geschoben wie einen Spaten.
An einer Ecke ist es ein bißchen blutig, doch das l
u
ßt sich
abschneiden.
Es ist ein Gl
u
ck, daß wir jetzt gut zu essen haben; wir werden
unsere Kr
u
fte noch brauchen. Sattessen ist ebenso wertvoll wie ein guter
Unterstand; deshalb sind wir so gierig danach, denn es kann uns das Leben
retten.
Tjaden hat noch zwei Feldflaschen Kognak erbeutet. Wir lassen sie
reihum gehen.
Der Abendsegen beginnt. Die Nacht kommt, aus den Trichtern steigen
Nebel. Es sieht aus, als w
u
ren die L
u
cher von gespenstigen Geheimnissen
erf
u
llt. Der weiße Dunst kriecht angstvoll umher, ehe er wagt,
u
ber
den Rand hinwegzugleiten. Dann ziehen lange Streifen von Trichter zu
Trichter.
Es ist k
u
hl. Ich bin auf Posten und starre in die Dunkelheit. Mir ist
schwach zumute, wie immer nach einem Angriff, und deshalb wird es mir
schwer, mit meinen Gedanken allein zu sein. Es sind keine eigentlichen
Gedanken; es sind Erinnerungen, die mich in meiner Schw
u
che jetzt heimsuchen
und mich sonderbar stimmen.
Die Leuchtschirme gehen hoch - und ich sehe ein Bild, einen
Sommerabend, wo ich im Kreuzgang des Domes bin und auf hohe Rosenb
u
sche
schaue, die in der Mitte des kleinen Kreuzgartens bl
u
hen, in dem die
Domherren begraben werden. Rundum stehen die Steinbilder der Stationen des
Rosenkranzes. Niemand ist da; - eine große Stille h
u
lt dieses bl
u
hende
Viereck umfangen, die Sonne liegt warm auf den dicken grauen Steinen, ich
lege meine Hand darauf und f
u
hle die W
u
rme.
u
ber der rechten Ecke des
Schieferdaches strebt der gr
u
ne Domturm in das matte, weiche Blau des
Abends. Zwischen den begl
u
nzten kleinen S
u
ulen der umlaufenden Kreuzg
u
nge
ist das k
u
hle Dunkel, das nur Kirchen haben, und ich stehe dort und denke
daran, daß ich mit zwanzig Jahren die verwirrenden Dinge kennen werde,
die von den Frauen kommen.
Das Bild ist best
u
rzend nahe, es r
u
hrt mich an, ehe es unter dem
Aufflammen der n
u
chsten Leuchtkugel zergeht.
Ich fasse mein Gewehr und r
u
cke es zurecht. Der Lauf ist feucht, ich
lege meine Hand fest darum und zerreibe die Feuchtigkeit mit den Fingern.
Zwischen den Wiesen hinter unserer Stadt erhob sich an einem Bach eine
Reihe von alten Pappeln. Sie waren weithin sichtbar, und obschon sie nur auf
einer Seite standen, hießen sie die Pappelallee. Schon als Kinder
hatten wir eine Vorliebe f
u
r sie, unerkl
u
rlich zogen sie uns an, ganze Tage
verbrachten wir bei ihnen und honen ihrem leisen Rauschen zu. Wir
saßen unter ihnen am Ufer des Baches und ließen die F
u
ße
in die hellen, eiligen Wellen h
u
ngen. Der reine Duft des Wassers und die
Melodie des Windes in den Pappeln beherrschten unsere Phantasie. Wir liebten
sie sehr, und das Bild dieser Tage l
u
ßt mir jetzt noch das Herz
klopfen, ehe es wieder geht.
Es ist seltsam, daß alle Erinnerungen, die kommen, zwei
Eigenschaften haben. Sie sind immer voll Stille, das ist das St
u
rkste an
ihnen, und selbst dann, wenn sie es nicht in dem Maße in Wahrheit
waren, wirken sie so. Sie sind lautlose Erscheinungen, die zu mir sprechen
mit Blicken und Geb
u
rden, wortlos und schweigend, - und ihr Schweigen ist
das Ersch
u
tternde, das mich zwingt, meinen
u
rmel anzufassen und mein Gewehr,
um mich nicht vergehen zu lassen in dieser Aufl
u
sung und Lockung, in der
mein K
u
rper sich ausbreiten und sanft zerfließen m
u
chte zu den stillen
M
u
chten hinter den Dingen.
Sie sind so still, weil das f
u
r uns so unbegreiflich ist. An der Front
gibt es keine Stille, und der Bann der Front reicht so weit, daß wir
nie außerhalb von ihr sind. Auch in den zur
u
ckgelegenen Depots und
Ruhequartieren bleibt das Summen und das ged
u
mpfte Poltern des Feuers stets
in unseren Ohren. Wir sind nie so weit fort, daß wir es nicht mehr
h
u
ren. In diesen Tagen aber war es unertr
u
glich.
Die Stille ist die Ursache daf
u
r, daß die Bilder des Fr
u
her nicht
so sehr W
u
nsche erwecken als Trauer - eine ungeheure, fassungslose
Schwermut. Sie waren - aber sie kehren nicht wieder. Sie sind vorbei, sie
sind eine andere Welt, die f
u
r uns vor
u
ber ist. Auf den Kasernenh
u
fen riefen
sie ein rebellisches, wildes Begehren hervor, da waren sie noch mit uns
verbunden, wir geh
u
rten zu ihnen und sie zu uns, wenn wir auch getrennt
waren. Sie stiegen auf bei den Soldatenliedern, die wir sangen, wenn wir
zwischen Morgenrot und schwarzen Waldsilhouetten zum Exerzieren nach der
Heide marschierten, sie waren eine heftige Erinnerung, die in uns war und
aus uns kam.
Hier in den Gr
u
ben aber ist sie uns verlorengegangen. Sie steigt nicht
mehr aus uns auf; - wir sind tot, und sie steht fern am Horizont, sie ist
eine Erscheinung, ein r
u
tselhafter Widerschein, der uns heimsucht, den wir
f
u
rchten und ohne Hoffnung lieben. Sie ist stark, und unser Begehren ist
stark - aber sie ist unerreichbar, und wir wissen es. Sie ist ebenso
vergeblich wie die Erwartung, General zu werden.
Und selbst wenn man sie uns wiederg
u
be, diese Landschaft unserer
Jugend, wir w
u
rden wenig mehr mit ihr anzufangen wissen. Die zarten und
geheimen Kr
u
fte, die von ihr zu uns gingen, k
u
nnen nicht wiedererstehen. Wir
w
u
rden in ihr sein und in ihr umgehen; wir w
u
rden uns erinnern und sie
lieben und bewegt sein von ihrem Anblick. Aber es w
u
re das gleiche, wie wenn
wir nachdenklich werden vor der Fotografie eines toten Kameraden; es sind
seine Z
u
ge, es ist sein Gesicht, und die Tage, die wir mit ihm zusammen
waren, gewinnen ein tr
u
gerisches Leben in unserer Erinnerung; aber er ist es
nicht selbst.
Wir w
u
rden nicht mehr verbunden sein mit ihr, wie wir es waren. Nicht
die Erkenntnis ihrer Sch
u
nheit und ihrer Stimmung hat uns ja angezogen,
sondern das Gemeinsame, dieses Gleichf
u
hlen einer Br
u
derschaft mit den
Dingen und Vorf
u
llen unseres Seins, die uns abgrenzte und uns die Welt
unserer Eltern immer etwas unverst
u
ndlich machte; - denn wir waren irgendwie
immer z
u
rtlich an sie verloren und hingegeben, und das Kleinste m
u
ndete uns
einmal immer in den Weg der Unendlichkeit. Vielleicht war es nur das
Vorrecht unserer Jugend - wir sahen noch keine Bezirke, und nirgendwo gaben
wir ein Ende zu; wir hatten die Erwartung des Blutes, die uns eins machte
mit dem Verlauf unserer Tage.
Heute w
u
rden wir in der Landschaft unserer Jugend umhergehen wie
Reisende. Wir sind verbrannt von Tatsachen, wir kennen Unterschiede wie
H
u
ndler und Notwendigkeiten wie Schl
u
chter. Wir sind nicht mehr unbek
u
mmert
- wir sind f
u
rchterlich gleichg
u
ltig. Wir w
u
rden da sein; aber w
u
rden wir
leben?
Wir sind verlassen wie Kinder und erfahren wie alte Leute, wir sind roh
und traurig und oberfl
u
chlich - ich glaube, wir sind verloren.
Meine H
u
nde werden kalt, und meine Haut schauert; dabei ist es eine
warme Nacht. Nur der Nebel ist k
u
hl, dieser unheimliche Nebel, der die Toten
vor uns beschleicht und ihnen das letzte, verkrochene Leben aussaugt. Morgen
werden sie bleich und gr
u
n sein und ihr Blut gestockt und schwarz.
Immer noch steigen die Leuchtschirme empor und werfen ihr
erbarmungsloses Licht
u
ber die versteinerte Landschaft, die voll Krater und
Lichtk
u
lte ist wie ein Mond. Das Blut unter meiner Haut bringt Furcht und
Unruhe herauf in meine Gedanken. Sie werden schwach und zittern, sie wollen
W
u
rme und Leben. Sie k
u
nnen es nicht aushaken ohne Trost und T
u
uschung, sie
verwirren sich vor dem nackten Bilde der Verzweiflung.
Ich h
u
re das Klappern von Kochgeschirren und habe sofort das heftige
Verlangen nach warmem Essen, es wird mir gut tun und mich beruhigen. Mit
M
u
he zwinge ich mich, zu warten, bis ich abgel
u
st werde.
Dann gehe ich in den Unterstand und finde einen Becher mit Graupen vor.
Sie sind fett gekocht und schmecken gut, ich esse sie langsam. Aber ich
bleibe still, obschon die andern besser gelaunt sind, weil das Feuer
eingeschlafen ist.
Die Tage gehen hin, und jede Stunde ist unbegreiflich und
selbstverst
u
ndlich. Die Angriffe wechseln mit Gegenangriffen, und langsam
h
u
ufen sich auf dem Trichterfeld zwischen den Gr
u
bern die Toten. Die
Verwundeten, die nicht sehr weit weg liegen, k
u
nnen wir meistens holen.
Manche aber m
u
ssen lange liegen, und wir h
u
ren sie sterben.
Einen suchen wir vergeblich zwei Tage hindurch. Er muß auf dem
Bauche liegen und sich nicht mehr umdrehen k
u
nnen. Anders ist es nicht zu
erkl
u
ren, daß wir ihn nicht finden; denn nur wenn man mit dem Munde
dicht auf dem Boden schreit, ist die Richtung so schwer festzustellen.
Er wird einen b
u
sen Schuß haben, eine dieser schlimmen
Verletzungen, die nicht so stark sind, daß sie den K
u
rper rasch derart
schw
u
chen, daß man halb bet
u
ubt verd
u
mmert, und auch nicht so leicht,
daß man die Schmerzen mit der Aussicht ertragen kann, wieder heil zu
werden. Kat meint, er h
u
tte entweder eine Beckenzertr
u
mmerung oder einen
Wirbels
u
ulenschuß. Die Brust sei nicht verletzt, sonst bes
u
ße er
nicht so viel Kraft zum Schreien. Man m
u
ßte ihn bei einer anderen
Verletzung sich auch bewegen sehen.
Er wird allm
u
hlich heiser. Die Stimme ist so ungl
u
cklich im Klang,
daß sie
u
berall herkommen k
u
nnte. In der ersten Nacht sind dreimal
Leute von uns draußen. Aber wenn sie glauben, die Richtung zu haben,
und schon hinkriechen, ist die Stimme beim n
u
chstenmal, wenn sie horchen,
wieder ganz anderswo.
Bis in die D
u
mmerung hinein suchen wir vergeblich. Tags
u
ber wird das
Gel
u
nde mit Gl
u
sern durchforscht; nichts ist zu entdecken. Am zweiten Tag
wird der Mann leiser; man merkt, daß die Lippen und der Mund
vertrocknet sind.
Unser Kompanief
u
hrer hat dem, der ihn findet, Vorzugsurlaub und drei
Tage Zusatz versprochen. Das ist ein m
u
chtiger Anreiz, aber wir w
u
rden auch
ohne das tun, was m
u
glich ist; denn das Rufen ist furchtbar. Kat und Kropp
gehen sogar nachmittags noch einmal vor. Albert wird das Ohrl
u
ppchen dabei
abgeschossen. Es ist umsonst, sie haben ihn nicht bei sich.
Dabei ist deutlich zu verstehen, was er ruft. Zuerst hat er immer nur
um Hilfe geschrien - in der zweiten Nacht muß er etwas Fieber haben,
er spricht mit seiner Frau und seinen Kindern, wir k
u
nnen oft den Namen
Elise heraush
u
ren. Heute weint er nur noch. Abends erlischt die Stimme zu
einem Kr
u
chzen. Aber er st
u
hnt noch die ganze Nacht leise. Wir h
u
ren es so
genau, weil der Wind auf unsern Graben zusteht. Morgens, als wir schon
glauben, er habe l
u
ngst Ruhe, dringt noch einmal ein gurgelndes R
u
cheln
her
u
ber -.
Die Tage sind heiß, und die Toten liegen unbeerdigt. Wir k
u
nnen
sie nicht alle holen, wir wissen nicht, wohin wir mit ihnen sollen. Sie
werden von den Granaten beerdigt. Manchen treiben die B
u
uche auf wie
Ballons. Sie zischen, r
u
lpsen und bewegen sich. Das Gas rumort in ihnen.
Der Himmel ist blau und ohne Wolken. Abends wird es schw
u
l, j und die
Hitze steigt aus der Erde. Wenn der Wind zu uns her
u
berweht, bringt er den
Blutdunst mit, der schwer und widerw
u
rtig s
u
ßlich ist, diesen
Totenbrodem der Trichter, der aus Chloroform und Verwesung gemischt scheint
und uns
u
belkeiten und Erbrechen verursacht.
Die N
u
chte werden ruhig, und die Jagd auf die kupfernen F
u
hrungsringe
der Granaten und die Seidenschirme der franz
u
sischen Leuchtkugeln geht los.
Weshalb die F
u
hrungsringe so begehrt sind, weiß eigentlich keiner
recht. Die Sammler behaupten einfach, sie seien wertvoll. Es gibt Leute, die
so viel davon mitschleppen, daß sie krumm und schief darunter gehen,
wenn wir abr
u
cken.
Haie gibt wenigstens einen Grund an; er will sie seiner Braut als
Strumpfb
u
nderersatz schicken. Dar
u
ber bricht bei den Friesen nat
u
rlich
unb
u
ndige Heiterkeit aus; sie schlagen sich auf die Knie, das ist ein Witz,
Donnerwetter, der Haie, der hat es hinter den Ohren. Besonders Tjaden kann
sich gar nicht fassen; er hat den gr
u
ßten der Ringe in der Hand und
steckt alle Augenblicke sein Bein hindurch, um zu zeigen, wieviel da noch
frei ist. "Haie, Mensch, die muß ja Beine haben, Beine" - seine
Gedanken klettern etwas h
u
her -, "und einen Hintern muß die dann ja
haben, wie - wie ein Elefant."
Er kann sich nicht genug tun. "Mit der m
u
chte ich mal Schinkenkloppen
spielen, meine Fresse..."
Haie strahlt, weil seine Braut soviel Anerkennung findet, und
u
ußert selbstzufrieden und knapp: "Stramm isse!"
Die Seidenschirme sind praktischer zu verwerten. Drei oder vier ergeben
eine Bluse, je nach der Brustweite. Kropp und ich brauchen sie als
Taschent
u
cher. Die andern schicken sie nach Hause. Wenn die Frauen sehen
k
u
nnten, mit wieviel Gefahr diese d
u
nnen Lappen oft geholt werden, w
u
rden
sie einen sch
u
nen Schreck kriegen.
Kat
u
berrascht Tjaden, wie er von einem Blindg
u
nger in aller Seelenruhe
die Ringe abzuklopfen versucht. Bei jedem andern w
u
re das Ding explodiert,
Tjaden hat wie stets Gl
u
ck.
Einen ganzen Vormittag spielen zwei Schmetterlinge vor unserm Graben.
Es sind Zitronenfalter, ihre gelben Fl
u
gel haben rote Punkte. Was mag sie
nur hierher verschlagen haben; weit und breit ist keine Pflanze und keine
Blume. Sie ruhen sich auf den Z
u
hnen eines Sch
u
dels aus. Ebenso sorglos wie
sie sind die V
u
gel, die sich l
u
ngst an den Krieg gew
u
hnt haben. Jeden Morgen
steigen Lerchen zwischen der Front auf. Vor einem Jahr konnten wir sogar
br
u
tende beobachten, die ihre Jungen auch hochbekamen.
Vor den Ratten haben wir Ruhe im Graben. Sie sind vorn - wir wissen,
wozu. Sie werden fett; wo wir eine sehen, knallen wir sie weg. Nachts h
u
ren
wir wieder das Rollen von dr
u
ben. Tags
u
ber haben wir nur das normale Feuer,
so daß wir die Gr
u
ben ausbessern k
u
nnen. Unterhaltung ist ebenfalls
da, die Flieger sorgen daf
u
r. T
u
glich finden zahlreiche K
u
mpfe ihr Publikum.
Die Kampfflieger lassen wir uns gefallen, aber die
Beobachtungsflugzeuge hassen wir wie die Pest; denn sie holen uns das
Artilleriefeuer her
u
ber. Ein paar Minuten nachdem sie erscheinen, funkt es
von Schrapnells und Granaten. Dadurch verlieren wir elf Leute an einem Tag,
darunter f
u
nf Sanit
u
ter. Zwei werden so zerschmettert, daß Tjaden
meint, man k
u
nne sie mit dem L
u
ffel von der Grabenwand abkratzen und im
Kochgeschirr beerdigen. Einem andern wird der Unterleib mit den Beinen
abgerissen. Er lehnt tot auf der Brust im Graben, sein Gesicht ist
zitronengelb, zwischen dem Vollbart glimmt noch die Zigarette. Sie glimmt,
bis sie auf den Lippen verzischt.
Wir legen die Toten vorl
u
ufig in einen großen Trichter. Es sind
bis jetzt drei Lagen
u
bereinander.
Pl
u
tzlich beginnt das Feuer nochmals zu trommeln. Bald sitzen wir
wieder in der gespannten Starre des unt
u
tigen Wartens.
Angriff, Gegenangriff, Stoß, Gegenstoß - das sind Worte,
aber was umschließen sie! Wir verlieren viele Leute, am meisten
Rekruten. Auf unserem Abschnitt wird wieder Ersatz eingeschoben. Es ist
eines der neuen Regimenter, fast lauter junge Leute der letzten ausgehobenen
Jahrg
u
nge. Sie haben kaum eine Ausbildung, nur theoretisch haben sie etwas
u
ben k
u
nnen, ehe sie ins Feld r
u
ckten. Was eine Handgranate ist, wissen sie
zwar, aber von Deckung haben sie wenig Ahnung, vor allen Dingen haben sie
keinen Blick daf
u
r. Eine Bodenwelle muß schon einen halben Meter hoch
sein, ehe sie von ihnen gesehen wird.
Obschon wir notwendig Verst
u
rkung brauchen, haben wir fast mehr Arbeit
mit den Rekruten, als daß sie uns n
u
tzen. Sie sind hilflos in diesem
schweren Angriff s gebiet und fallen wie die Fliegen. Der Stellungskampf von
heute erfordert Kenntnisse und Erfahrungen, man muß Verst
u
ndnis f
u
r
das Gel
u
nde haben, man muß die Geschosse, ihre Ger
u
usche und Wirkungen
im Ohr haben, man muß vorausbestimmen k
u
nnen, wo sie einbauen, wie sie
streuen und wie man sich sch
u
tzt.
Dieser junge Ersatz weiß nat
u
rlich von alledem noch fast gar
nichts. Er wird aufgerieben, weil er kaum ein Schrapnell von einer Granate
unterscheiden kann, die Leute werden weggem
u
ht, weil sie angstvoll auf das
Heulen der ungef
u
hrlichen großen, weit hinten einbauenden Kohlenk
u
sten
lauschen und das pfeifende, leise Surren der flach zerspritzenden kleinen
Biester
u
berh
u
ren. Wie die Schafe dr
u
ngen sie sich zusammen, anstatt
auseinanderzulaufen, und selbst die Verwundeten werden noch wie Hasen von
den Fliegern abgeknallt.
Die blassen Steckr
u
bengesichter, die armselig gekrallten H
u
nde, die
jammervolle Tapferkeit dieser armen Hunde, die trotzdem vorgehen und
angreifen, dieser braven, armen Hunde, die so versch
u
chtert sind, daß
sie nicht laut zu schreien wagen und mit zerrissenen Br
u
sten und B
u
uchen und
Armen und Beinen leise nach ihrer Mutter wimmern und gleich aufh
u
ren, wenn
man sie ansieht!
Ihre toten, flaumigen, spitzen Gesichter haben die entsetzliche
Ausdruckslosigkeit gestorbener Kinder.
Es sitzt einem in der Kehle, wenn man sie ansieht, wie sie aufspringen
und laufen und fallen. Man m
u
chte sie verpr
u
geln, weil sie so
dumm sind, und sie auf die Arme nehmen und wegbringen von hier, wo sie
nichts zu suchen haben. Sie tragen ihre grauen R
u
cke und Hosen und Stiefel,
aber den meisten ist die Uniform zu weit, sie schlottert um die Glieder, die
Schultern sind zu schmal, die K
u
rper sind zu gering, es gab keine Uniformen,
die f
u
r dieses Kindermaß eingerichtet waren.
Auf einen alten Mann fallen f
u
nf bis zehn Rekruten. Ein
u
berraschender
Gasangriff rafft viele weg. Sie sind nicht dazu gelangt, zu ahnen, was ihrer
wartete. Einen Unterstand voll finden wir mit blauen K
u
pfen und schwarzen
Lippen. In einem Trichter haben sie die Masken zu fr
u
h losgemacht; sie
wußten nicht, daß sich das Gas auf dem Grunde am l
u
ngsten h
u
lt;
als sie andere ohne Maske oben sahen, rissen sie sie auch ab und schluckten
noch genug, um sich die Lungen zu verbrennen. Ihr Zustand ist hoffnungslos,
sie w
u
rgen sich mit Blutst
u
rzen und Erstickungsanf
u
llen zu Tode.
In einem Grabenst
u
ck sehe ich mich pl
u
tzlich Himmelstoß
gegen
u
ber. Wir ducken uns in demselben Unterstand. Atemlos liegt alles
beieinander und wartet ab, bis der Vorstoß einsetzt.
Obschon ich sehr erregt bin, schießt mir beim Hinauslaufen doch
noch der Gedanke durch den Kopf: Ich sehe Himmelstoß nicht mehr. Rasch
springe ich in den Unterstand zur
u
ck und finde ihn, wie er in der Ecke liegt
mit einem kleinen Streifschuß und den Verwundeten simuliert. Sein
Gesicht ist wie verpr
u
gelt. Er hat einen Angstkoller, er ist ja auch noch
neu hier. Aber es macht mich rasend, daß der junge Ersatz
draußen ist und er hier.
"Raus!" fauche ich.
Er r
u
hrt sich nicht, die Lippen zittern, der Schnurrbart bebt.
"Raus!" wiederhole ich.
Er zieht die Beine an, dr
u
ckt sich an die Wand und bleckt die Z
u
hne wie
ein K
u
ter.
Ich fasse ihn am Arm und will ihn hochreißen. Er qu
u
kt auf. Da
gehen meine Nerven durch. Ich habe ihn am Hals, sch
u
ttele ihn wie einen
Sack, daß der Kopf hin und her fliegt, und schreie ihm ins Gesicht:
"Du Lump, willst du 'raus - du Hund, du Schinder, du willst dich dr
u
cken?"
Er verglast, ich schleudere seinen Kopf gegen die Wand - "Du Vieh" - ich
trete ihm in die Rippen - "Du Schwein" - ich stoße ihn vorw
u
rts mit
dem Kopf voran hinaus.
Eine neue Welle von uns kommt gerade vorbei. Ein Leutnant ist dabei. Er
sieht uns und ruft: "Vorw
u
rts, vorw
u
rts, anschließen,
anschließen -!" Und was meine Pr
u
gel nicht vermocht haben, das wirkte
dieses Wort. Himmelstoß h
u
rt den Vorgesetzten, sieht sich erwachend um
und schließt sich an.
Ich folge und sehe ihn springen. Er ist wieder der schneidige
Himmelstoß des Kasernenhofes, er hat sogar den Leutnant eingeholt und
ist weit voraus. -
Trommelfeuer, Sperrfeuer, Gardinenfeuer, Minen, Gas, Tanks,
Maschinengewehre, Handgranaten - Worte, Worte, aber sie umfassen das Grauen
der Welt.
Unsere Gesichter sind verkrustet, unser Denken ist verw
u
stet, wir sind
todm
u
de; - wenn der Angriff kommt, m
u
ssen manche mit den F
u
usten geschlagen
werden, damit sie erwachen und mitgehen; - die Augen sind entz
u
ndet, die
H
u
nde zerrissen, die Knie bluten, die Ellbogen sind zerschlagen.
Vergehen Wochen - Monate -Jahre? Es sind nur Tage. - Wir sehen die Zeit
neben uns schwinden in den farblosen Gesichtern der Sterbenden, wir l
u
ffeln
Nahrung in uns hinein, wir laufen, wir werfen, wir schießen, wir
t
u
ten, wir liegen herum, wir sind schwach und stumpf, und nur das h
u
lt uns,
daß noch Schw
u
chere, noch Stumpfere, noch Hilflosere da sind, die mit
aufgerissenen Augen uns ansehen als G
u
tter, die manchmal dem Tode entrinnen
k
u
nnen.
In den wenigen Stunden der Ruhe unterweisen wir sie. "Da, siehst du den
Wackeltopp? Das ist eine Mine, die kommt! Bleib liegen, sie geht dr
u
ben hin.
Wenn sie aber so geht, dann reiß aus! Man kann vor ihr weglaufen."
Wir machen ihre Ohren scharf auf das heimt
u
ckische Surren der kleinen
Dinger, die man kaum vernimmt, sie sollen sie aus dem Krach herauskennen wie
M
u
ckensummen; - wir bringen ihnen bei, daß sie gef
u
hrlicher sind als
die großen, die man lange vorher h
u
rt.
Wir zeigen ihnen, wie man sich vor Fliegern verbirgt, wie man den toten
Mann macht, wenn man vom Angriff
u
berrannt wird, wie man Handgranaten
abziehen muß, damit sie eine halbe Sekunde vor dem Aufschlag
explodieren; - wir lehren sie, vor Granaten mit Aufschlagz
u
ndern
blitzschnell in Trichter zu fallen, wir machen vor, wie man mit einem B
u
ndel
Handgranaten einen Graben aufrollt, wir erM
u
ren den Unterschied in der
Z
u
ndungsdauer zwischen den gegnerischen Handgranaten und unseren, wir machen
sie auf den Ton der Gasgranaten aufmerksam und zeigen ihnen die Kniffe, die
sie vor dem Tode retten k
u
nnen. Sie h
u
ren zu, sie sind folgsam - aber wenn
es wieder losgeht, machen sie es in der Aufregung meistens doch wieder
falsch.
Haie Westhus wird mit abgerissenem R
u
cken fortgeschleppt; bei jedem
Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde. Ich kann ihm noch die Hand dr
u
cken;
- "is alle, Paul", st
u
hnt er und beißt sich vor Schmerz in die Arme.
Wir sehen Menschen leben, denen der Sch
u
del fehlt; wir sehen Soldaten
laufen, denen beide F
u
ße weggefetzt sind; sie stolpern auf den
splitternden St
u
mpfen bis zum n
u
chsten Loch; ein Gefreiter kriecht zwei
Kilometer weit auf den H
u
nden und schleppt die zerschmetterten Knie hinter
sich her; ein anderer geht zur Verbandsstelle, und
u
ber seine festhaltenden
H
u
nde quellen die D
u
rme; wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne
Gesicht; wir finden jemand, der mit den Z
u
hnen zwei Stunden die Schlagader
seines Armes klemmt, um nicht zu verbluten, die Sonne geht auf, die Nacht
kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende.
Doch das St
u
ckchen zerw
u
hlter Erde, in dem wir liegen, ist gehalten
gegen die
u
bermacht, nur wenige hundert Meter sind preisgegeben worden. Aber
auf jeden Meter kommt ein Toter.
Wir werden abgel
u
st. Die R
u
der rollen unter uns weg, wir stehen dumpf,
und wenn der Ruf: "Achtung - Draht!" kommt, gehen wir in die Kniebeuge. Es
war Sommer, als wir hier vor
u
berfuhren, die B
u
ume waren noch gr
u
n, jetzt
sehen sie schon herbstlich aus, und die Nacht ist grau und feucht. Die Wagen
halten, wir klettern
97
hinunter, ein durcheinandergew
u
rfelter Haufen, ein Rest von vielen
Namen. An den Seiten, dunkel, stehen Leute und rufen die Nummern von
Regimentern, von Kompanien aus. Und bei jedem Ruf sondert sich ein H
u
uflein
ab, ein karges, geringes H
u
uflein schmutziger, fahler Soldaten, ein
furchtbar kleines H
u
uflein und ein furchtbar kleiner Rest.
Nun ruft jemand die Nummer unserer Kompanie, es ist, man h
u
rt es, der
Kompanief
u
hrer, er ist also davongekommen, sein Arm liegt in der Binde. Wir
treten zu ihm hin, und ich erkenne Kat und Albert, wir stellen uns zusammen,
lehnen uns aneinander und sehen uns an.
Und noch einmal und noch einmal h
u
ren wir unsere Nummer rufen. Er kann
lange rufen, man h
u
rt ihn nicht in den Lazaretten und den Trichtern.
Noch einmal: "Zweite Kompanie hierher!"
Und dann leiser: "Niemand mehr zweite Kompanie?" Er schweigt und ist
etwas heiser, als er fragt: "Das sind alle?" und befiehlt: "Abz
u
hlen!"
Der Morgen ist grau, es war noch Sommer, als wir hinausgingen, und wir
waren hundertf
u
nfzig Mann. Jetzt friert uns, es ist Herbst, die Bl
u
tter
rascheln, die Stimmen flattern m
u
de auf: "Eins - zwei -drei - vier -", und
bei zweiunddreißig schweigen sie. Und es schweigt lange, ehe die
Stimme fragt: "Noch jemand?" - und wartet und dann leise sagt: "In Gruppen
-", und doch abbricht und nur vollenden kann: "Zweite Kompanie -", m
u
hselig:
"Zweite Kompanie - ohne Tritt marsch!"
Eine Reihe, eine kurze Reihe tappt in den Morgen hinaus,
Zweiunddreißig Mann.
Man nimmt uns weiter als sonst zur
u
ck, in ein Feld-Rekrutendepot, damit
wir dort neu zusammengestellt werden k
u
nnen. Unsere Kompanie braucht
u
ber
hundert Mann Ersatz.
Einstweilen bummeln wir umher, wenn wir keinen Dienst machen. Nach zwei
Tagen kommt Himmelstoß zu uns. Seine große Schnauze hat er
verloren, seit er im Graben war. Er schl
u
gt vor, daß wir uns vertragen
wollen. Ich bin bereit, denn ich habe gesehen, daß er Haie Westhus,
dem der R
u
cken weggerissen wurde, mit fortgebracht hat. Da er außerdem
wirklich vern
u
nftig redet, haben wir nichts dabei, daß er uns in die
Kantine einl
u
dt. NurTjaden ist mißtrauisch und reserviert.
Doch auch er wird gewonnen, denn Himmelstoß erz
u
hlt, daß er
den in Urlaub fahrenden K
u
chenbullen vertreten soll. Als Beweis daf
u
r r
u
ckt
er sofort zwei Pfund Zucker f
u
r uns und ein halbes Pfund Butter f
u
r Tjaden
besonders heraus. Er sorgt sogar daf
u
r, daß wir f
u
r die n
u
chsten drei
Tage in die K
u
che zum Kartoffel- und Steckr
u
bensch
u
len kommandiert werden.
Das Essen, das er uns dort vorsetzt, ist tadellose Offizierskost.
So haben wir im Augenblick wieder die beiden Dinge, die der Soldat zum
Gl
u
ck braucht: gutes Essen und Ruhe. Das ist wenig, wenn man es bedenkt. Vor
ein paar Jahren noch h
u
tten wir uns furchtbar verachtet. Jetzt sind wir fast
zufrieden. Alles ist Gewohnheit, auch der Sch
u
tzengraben.
Diese Gewohnheit ist der Grund daf
u
r, daß wir scheinbar so rasch
vergessen. Vorgestern waren wir noch im Feuer, heute machen wir Albernheiten
und fechten uns durch die Gegend, morgen gehen wir wieder in den Graben. In
Wirklichkeit vergessen wir nichts. Solange wir hier im Felde sein m
u
ssen,
sinken die Fronttage, wenn sie vorbei sind, wie Steine in uns hinunter, weil
sie zu schwer sind, um sofort dar
u
ber nachdenken zu k
u
nnen. T
u
ten wir es,
sie w
u
rden uns hinterher erschlagen; denn soviel habe ich schon gemerkt: Das
Grauen l
u
ßt sich ertragen, solange man sich einfach duckt; aber es
t
u
tet, wenn man dar
u
ber nachdenkt.
Genau wie wir zu Tieren werden, wenn wir nach vorn gehen, weil es das
einzige ist, was uns durchbringt, so werden wir zu oberfl
u
chlichen
Witzbolden und Schlafm
u
tzen, wenn wir in Ruhe sind. Wir k
u
nnen gar nicht
anders, es ist f
u
rmlich ein Zwang. Wir wollen leben um jeden Preis; da
k
u
nnen wir uns nicht mit Gef
u
hlen belasten, die f
u
r den Frieden dekorativ
sein m
u
gen, hier aber falsch sind. Kemmerich ist tot, Haie Westhus stirbt,
mit dem K
u
rper Hans Kramers werden sie am J
u
ngsten Tage Last haben, ihn aus
einem Volltreffer zusammenzuklauben, Martens hat keine Beine mehr, Meyer ist
tot, Marx ist tot, Beyer ist tot, H
u
mmerling ist tot, hundertzwanzig Mann
liegen irgendwo mit Sch
u
ssen, es ist eine verdammte Sache, aber was geht es
uns noch an, wir leben. K
u
nnten wir sie retten, ja dann sollte man mal
sehen, es w
u
re egal, ob wir selbst draufgingen, so w
u
rden wir loslegen; denn
wir haben einen verfluchten Muck, wenn wir wollen; Furcht kennen wir nicht
viel - Todesangst wohl, doch das ist etwas anderes, das ist k
u
rperlich.
Aber unsere Kameraden sind tot, wir k
u
nnen ihnen nicht helfen, sie
haben Ruhe - wer weiß, was uns noch bevorsteht; wir wollen uns
hinhauen und schlafen oder fressen, soviel wir in den Magen kriegen, und
saufen und rauchen, damit die Stunden nicht
u
de sind. Das Leben ist kurz.
Das Grauen der Front versinkt, wenn wir ihm den R
u
cken kehren, wir
gehen ihm mit gemeinen und grimmigen Witzen zuleibe; wenn jemand stirbt,
dann heißt es, daß er den Arsch zugekniffen hat, und so reden
wir
u
ber alles, das rettet uns vor dem Verr
u
cktwerden, solange wir es so
nehmen, leisten wir Widerstand.
Aber wir vergessen nicht! Was in den Kriegszeitungen steht
u
ber den
goldenen Humor der Truppen, die bereits T
u
nzchen arrangieren, wenn sie kaum
aus dem Trommelfeuer zur
u
ck sind, ist großer Quatsch. Wir tun das
nicht, weil wir Humor haben, sondern wir haben Humor, weil wir sonst kaputt
gehen. Die Kiste wird ohnehin nicht mehr allzulange halten, der Humor ist
jeden Monat bitterer.
Und ich weiß: all das, was jetzt, solange wir im Kriege sind,
versackt in uns wie ein Stein, wird nach dem Kriege wieder aufwachen, und
dann beginnt erst die Auseinandersetzung auf Leben und Tod.
Die Tage, die Wochen, die Jahre hier vorn werden noch einmal
zur
u
ckkommen, und unsere toten Kameraden werden dann aufstehen und mit uns
marschieren, unsere K
u
pfe werden klar sein, wir werden ein Ziel haben, und
so werden wir marschieren, unsere toten Kameraden neben uns, die Jahre der
Front hinter uns: - gegen wen, gegen wen?
Hier in der Gegend war vor einiger Zeit ein Fronttheater. Auf einer
Bretterwand kleben noch bunte Plakate von den Vorstellungen her. Mit
großen Augen stehen Kropp und ich davor. Wir k
u
nnen nicht begreifen,
daß es so etwas noch gibt. Da ist ein M
u
dchen in einem hellen
Sommerkleid abgebildet, mit einem roten Lackg
u
rtel um die H
u
ften. Sie st
u
tzt
sich mit der einen Hand auf ein Gel
u
nder, mit der anderen h
u
lt sie einen
Strohhut. Sie tr
u
gt weiße Str
u
mpfe und weiße Schuhe, zierliche
Spangenschuhe mit hohen Abs
u
tzen. Hinter ihr leuchtet die blaue See mit
einigen Wogenk
u
mmen, eine Bucht greift seitlich hell hinein. Es ist ein ganz
herrliches M
u
dchen, mit einer schmalen Nase, mit roten Lippen und langen
Beinen, unvorstellbar sauber und gepflegt, es badet gewiß zweimal am
Tage und hat nie Dreck unter den N
u
geln. H
u
chstens vielleicht mal ein
bißchen Sand vom Strand.
Neben ihm steht ein Mann in weißer Hose, mit blauem Jackett und
Seglerm
u
tze, aber der interessiert uns viel weniger.
Das M
u
dchen auf der Bretterwand ist f
u
r uns ein Wunder. Wir haben ganz
vergessen, daß es so etwas gibt, und auch jetzt noch trauen wir
unseren Augen kaum. Seit Jahren jedenfalls haben wir nichts Derartiges
gesehen, nichts nur entfernt Derartiges an Heiterkeit, Sch
u
nheit und Gl
u
ck.
Das ist der Frieden, so muß er sein, sp
u
ren wir erregt.
"Sieh dir nur diese leichten Schuhe an, darin k
u
nnte sie keinen
Kilometer marschieren", sage ich und komme mir gleich albern vor, denn es
ist bl
u
dsinnig, bei einem solchen Bild an Marschieren zu denken.
"Wie alt mag sie sein?" fragt Kropp.
Ich sch
u
tze: "AUerh
u
chstens zweiundzwanzig, Albert."
"Dann w
u
re sie ja
u
lter als wir. Sie ist nicht mehr als siebzehn, sage
ich dir!"
Eine G
u
nsehaut
u
berl
u
uft uns. "Albert, das w
u
re was, meinst du nicht?"
Er nickt. "Zu Hause habe ich auch eine weiße Hose."
"Weiße Hose", sage ich, "aber so ein M
u
dchen -"
Wir sehen an uns herunter, gegenseitig. Da ist nicht viel zu finden,
eine ausgeblichene, geflickte, schmutzige Uniform bei jedem. Es ist
hoffnungslos, sich zu vergleichen.
Zun
u
chst einmal kratzen wir deshalb den jungen Mann mit der
weißen Hose von der Bretterwand ab, vorsichtig, damit wir das M
u
dchen
nicht besch
u
digen. Dadurch ist schon etwas erreicht. Dann schl
u
gt Kropp vor:
"Wir k
u
nnten uns mal entlausen lassen."
Ich bin nicht ganz einverstanden, denn die Sachen leiden darunter, aber
die L
u
use hat man nach zwei Stunden wieder. Doch nachdem wir uns wieder in
das Bild vertieft haben, erkl
u
re ich mich bereit. Ich gehe sogar noch
weiter. "K
u
nnten auch mal sehen, ob wir nicht ein reines Hemd zu fassen
kriegen -"
Albert meint aus irgendeinem Grunde: "Fußlappen w
u
ren noch
besser."
"Vielleicht auch Fußlappen. Wir wollen mal ein bißchen
spekulieren gehen."
Doch da schlendern Leer und Tjaden heran; sie sehen das Plakat, und im
Handumdrehen wird die Unterhaltung ziemlich schweinisch. Leer war in unserer
Klasse der erste, der ein Verh
u
ltnis hatte und davon aufregende Einzelheiten
erz
u
hlte. Er begeistert sich in seiner Weise an dem Bilde, und Tjaden stimmt
m
u
chtig ein.
Es ekelt uns nicht gerade an. Wer nicht schweinigelt, ist kein Soldat;
nur liegt es uns im Moment nicht ganz, deshalb schlagen wir uns seitw
u
rts
und marschieren der Entlausungsanstalt zu mit einem Gef
u
hl, als sei sie ein
feines Herrenmodengesch
u
ft.
Die H
u
user, in denen wir Quartier haben, liegen nahe am Kanal. Jenseits
des Kanals sind Teiche, die von Pappelw
u
ldern umstanden sind; - jenseits des
Kanals sind auch Frauen.
Die H
u
user auf unserer Seite sind ger
u
umt worden. Auf der andern jedoch
sieht man ab und zu noch Bewohner.
Abends schwimmen wir. Da kommen drei Frauen am Ufer entlang. Sie gehen
langsam und sehen nicht weg, obschon wir keine Badehosen tragen.
Leer ruft zu ihnen hin
u
ber. Sie lachen und bleiben stehen, um uns
zuzuschauen. Wir werfen ihnen in gebrochenem Franz
u
sisch S
u
tze zu, die uns
gerade einfallen, alles durcheinander, eilig, damit sie nicht fortgehen. Es
sind nicht gerade feine Sachen, aber wo sollen wir die auch herhaben. Eine
Schmale, Dunkle ist dabei. Man sieht ihre Z
u
hne schimmern, wenn sie lacht.
Sie hat rasche Bewegungen, der Rock schl
u
gt locker um ihre Beine. Obschon
das Wasser kalt ist, sind wir m
u
chtig aufger
u
umt und bestrebt, sie zu
interessieren, damit sie bleiben. Wir versuchen Witze, und sie antworten,
ohne daß wir sie verstehen; wir lachen und winken. Tjaden ist
vern
u
nftiger. Er l
u
uft ins Haus, holt ein Kommißbrot und h
u
lt es hoch.
Das erzielt großen Erfolg. Sie nicken und winken, daß wir
hin
u
berkommen sollen. Aber das d
u
rfen wir nicht. Es ist verboten, das
jenseitige Ufer zu betreten.
u
berall stehen Posten an den Br
u
cken. Ohne
Ausweis ist nichts zu machen. Wir dolmetschen deshalb, sie m
u
chten zu uns
kommen; aber sie sch
u
tteln die K
u
pfe und zeigen auf die Br
u
cken. Man
l
u
ßt auch sie nicht durch.
Sie kehren um, langsam gehen sie den Kanal aufw
u
rts, immer am Ufer
entlang. Wir begleiten sie schwimmend. Nach einigen hundert Metern biegen
sie ab und zeigen auf ein Haus, das abseits aus B
u
umen und Geb
u
sch
herauslugt. Leer fragt, ob sie dort wohnen.
Sie lachen - ja, dort sei ihr Haus.
Wir rufen ihnen zu, daß wir kommen wollen, wenn uns die Posten
nicht sehen k
u
nnen. Nachts. Diese Nacht.
Sie heben die H
u
nde, legen sie flach zusammen, die Gesichter darauf,
und schließen die Augen. Sie haben verstanden. Die Schmale, Dunkle
macht Tanzschritte. Eine Blonde zwitschert: "Brot - gut -"
Wir best
u
tigen eifrig, daß wir es mitbringen werden. Auch noch
andere sch
u
ne Sachen, wir rollen die Augen und zeigen sie mit den H
u
nden.
Leer ers
u
uft fast, als er "ein St
u
ck Wurst" klarmachen will. Wenn es
notwendig w
u
re, w
u
rden wir ihnen ein ganzes Proviantdepot versprechen. Sie
gehen und wenden sich noch oft um. Wir klettern an das Ufer auf unserer
Seite und achten darauf, ob sie auch in das Haus gehen, denn es kann ja
sein, daß sie schwindeln. Dann schwimmen wir zur
u
ck.
Ohne Ausweis darf niemand
u
ber die Br
u
cke, deshalb werden wir einfach
nachts hin
u
berschwimmen. Die Erregung packt uns und l
u
ßt uns nicht
los. Wir k
u
nnen es nicht an einem Fleck aushalten und gehen zur Kantine.
Dort gibt es gerade Bier und eine Art Punsch.
Wir trinken Punsch und l
u
gen uns phantastische Erlebnisse vor. Jeder
glaubt dem andern gern und wartet ungeduldig, um noch dicker aufzutrumpfen.
Unsere H
u
nde sind unruhig, wir paffen ungez
u
hlte Zigaretten, bis Kropp sagt:
"Eigentlich k
u
nnten wir ihnen auch ein paar Zigaretten mitbringen." Da legen
wir sie in unsere M
u
tzen und bewahren sie auf.
Der Himmel wird gr
u
n wie ein unreifer Apfel. Wir sind zu viert, aber
drei k
u
nnen nur mit; deshalb m
u
ssen wir Tjaden loswerden und geben Rum und
Punsch f
u
r ihn aus, bis er torkelt. Als es dunkel wird, gehen wirunsern
H
u
usern zu. Tjaden in der Mitte. Wir gl
u
hen und sind von Abenteuerlust
erf
u
llt. F
u
r mich ist die Schmale, Dunkle, das haben wir verteilt und
ausgemacht.
Tjaden f
u
llt auf seinen Strohsack und schnarcht. Einmal wacht er auf
und grinst uns so listig an, daß wir schon erschrecken und glauben, er
habe gemogelt, und der ausgegebene Punsch sei umsonst gewesen. Dann f
u
llt er
zur
u
ck und schl
u
ft weiter.
Jeder von uns dreien legt ein ganzes Kommißbrot bereit und
wickelt es in Zeitungspapier. Die Zigaretten packen wir dazu, außerdem
noch drei gute Portionen Leberwurst, die wir heute abend empfangen haben.
Das ist ein anst
u
ndiges Geschenk.
Vorl
u
ufig stecken wir die Sachen in unsere Stiefel; denn Stiefel m
u
ssen
wir mitnehmen, damit wir dr
u
ben auf dem andern Ufer nicht in Draht und
Scherben treten. Da wir vorher schwimmen m
u
ssen, k
u
nnen wir weiter keine
Kleider brauchen. Es ist ja auch dunkel und nicht weit.
Wir brechen auf, die Stiefel in den H
u
nden. Rasch gleiten wir ins
Wasser, legen uns auf den R
u
cken, schwimmen und halten die Stiefel mit dem
Inhalt
u
ber unsere K
u
pfe.
Am andern Ufer klettern wir vorsichtig hinauf, nehmen die Pakete heraus
und ziehen die Stiefel an. Die Sachen klemmen wir unter die Arme. So setzen
wir uns, naß, nackt, nur mit Stiefeln bekleidet, in Trab. Wir finden
das Haus sofort. Es liegt dunkel in den B
u
schen. Leer f
u
llt
u
ber eine Wurzel
und schrammt sich die Ellbogen. "Macht nichts", sagt er fr
u
hlich.
Vor den Fenstern sind L
u
den. Wir umschleichen das Haus und versuchen,
durch die Ritzen zu sp
u
hen. Dann werden wir ungeduldig. Kropp z
u
gert
pl
u
tzlich. "Wenn nun ein Major drinnen bei ihnen ist?"
"Dann kneifen wir eben aus", grinst Leer, "er kann unsere
Regimentsnummer ja hier lesen", und klatscht sich auf den Hintern.
Die Haust
u
r ist offen. Unsere Stiefel machen ziemlichen L
u
rm. Eine T
u
r
u
ffnet sich, Licht f
u
llt hindurch, eine Frau st
u
ßt erschreckt einen
Schrei aus. Wir machen "Pst, pst - camerade - bon ami -" und heben
beschw
u
rend unsere Pakete hoch.
Die andern beiden sind jetzt auch sichtbar, die T
u
r
u
ffnet sich ganz,
und das Licht bestrahlt uns. Wir werden erkannt, und alle drei lachen
unb
u
ndig
u
ber unsern Aufzug. Sie biegen und beugen sich im T
u
rrahmen, so
m
u
ssen sie lachen. Wie geschmeidig sie sich bewegen!
"Un moment -." Sie verschwinden und werfen uns Zeugst
u
cke zu, die wir
uns notd
u
rftig umwickeln. Dann d
u
rfen wir eintreten. Eine kleine Lampe
brennt im Zimmer, es ist warm und riecht etwas nach Parf
u
m. Wir packen
unsere Pakete aus und
u
bergeben sie ihnen. Ihre Augen gl
u
nzen, man sieht,
daß sie Hunger haben.
Dann werden wir alle etwas verlegen. Leer macht die Geb
u
rde des Essens.
Da kommt wieder Leben hinein, sie holen Teller und Messer und fallen
u
ber
die Sachen her. Bei jedem Scheibchen Leberwurst heben sie, ehe sie es essen,
das St
u
ck zuerst bewundernd in die H
u
he, und wir sitzen stolz dabei.
Sie
u
bersprudeln uns mit ihrer Sprache - wir verstehen nicht viel, aber
wir h
u
ren, daß es freundliche Worte sind. Vielleicht sehen wir auch
sehr jung aus. Die Schmale, Dunkle, streicht mir
u
ber das Haar und sagt, was
alle franz
u
sischen Frauen immer sagen: "La guerre - grand malheur - pauvres
gar
u
ons -"
Ich halte ihren Arm fest und lege meinen Mund in ihre Handfl
u
che. Die
Finger umschließen mein Gesicht. Dicht
u
ber mir sind ihre erregenden
Augen, das sanfte Braun der Haut und die roten Lippen. Der Mund spricht
Worte, die ich nicht verstehe. Ich verstehe auch die Augen nicht ganz, sie
sagen mehr, als wir erwarteten, da wir hierher kamen.
Es sind Zimmer nebenan. Im Gehen sehe ich Leer, er ist mit der Blonden
handfest und laut. Er kennt das ja auch. Aber ich - ich bin verloren an ein
Fernes, Leises und Ungest
u
mes und vertraue mich ihm an. Meine W
u
nsche sind
sonderbar gemischt aus Verlangen und Versinken. Mir wird schwindelig, es ist
nichts hier, woran man sich noch halten k
u
nnte. Unsere Stiefel haben wir vor
der T
u
r gelassen, man hat uns Pantoffeln daf
u
r gegeben, und nun ist nichts
mehr da, was mir die Sicherheit und Frechheit des Soldaten zur
u
ckruft: kein
Gewehr, kein Koppel, kein Waffenrock, keine M
u
tze. Ich lasse mich fallen ins
Ungewisse, mag geschehen, was will - denn ich habe etwas Angst, trotz allem.
Die Schmale, Dunkle bewegt die Brauen, wenn sie nachdenkt; aber sie
sind still, wenn sie spricht. Manchmal auch wird der Laut nicht ganz zum
Wort und erstickt oder schwingt halbfertig
u
ber mich weg; ein Bogen, eine
Bahn, ein Komet. Was habe ich davon gewußt - was weiß ich davon
? - Die Worte dieser fremden Sprache, von der ich kaum etwas begreife, sie
schl
u
fern mich ein zu einer Stille, in der das Zimmer braun und halb
begl
u
nzt verschwimmt und nur das Antlitz
u
ber mir lebt und klar ist.
Wie vielf
u
ltig ist ein Gesicht, wenn es fremd war noch vor einer Stunde
und jetzt geneigt ist zu einer Z
u
rtlichkeit, die nicht aus ihm kommt,
sondern aus der Nacht, der Welt und dem Blut, die in ihm zusammenzustrahlen
scheinen. Die Dinge des Raumes werden davon anger
u
hrt und verwandelt, sie
werden besonders, und vor meiner hellen Haut habe ich beinahe Ehrfurcht,
wenn der Schein der Lampe daraufliegt und die k
u
hle braune Hand
dar
u
berstreicht.
Wie anders ist dies alles als die Dinge in den Mannschaftsbordells, zu
denen wir Erlaubnis haben und wo in langer Reihe angestanden wird. Ich
m
u
chte nicht an sie denken; aber sie gehen mir unwillk
u
rlich durch den Sinn,
und ich erschrecke, denn vielleicht kann man so etwas nie mehr loswerden.
Dann aber f
u
hle ich die Lippen der Schmalen, Dunklen, und dr
u
nge mich
ihnen entgegen, ich schließe die Augen und m
u
chte alles damit
ausl
u
schen, Krieg und Grauen und Gemeinheit, um jung und gl
u
cklich zu
erwachen; ich denke an das Bild des M
u
dchens auf dem Plakat und glaube einen
Augenblick, daß mein Leben davon abh
u
ngt, es zu gewinnen. - Und um so
tiefer presse ich mich in die Arme, die mich umfassen, vielleicht geschieht
ein Wunder.
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Irgendwie finden wir uns alle nachher wieder zusammen. Leer ist sehr
forsch. Wir verabschieden uns herzlich und schl
u
pfen in unsere Stiefel. Die
Nachtluft k
u
hlt unsere heißen K
u
rper. Groß ragen die Pappeln in
das Dunkel und rauschen. Der Mond steht am Himmel und im Wasser des Kanals.
Wir laufen nicht, wir gehen nebeneinander mit langen Schritten.
Leer sagt: "Das war ein Kommißbrot wert!"
Ich kann mich nicht entschließen zu sprechen, ich bin gar nicht
einmal froh.
Da h
u
ren wir Schritte und ducken uns hinter einen Busch.
Die Schritte kommen n
u
her, dicht an uns vorbei. Wir sehen einen nackten
Soldaten, in Stiefeln, genau wie wir, er hat ein Paket unter dem Arm und
sprengt im Galopp vorw
u
rts. Es ist Tjaden in großer Fahrt. Schon ist
er verschwunden. Wir lachen. Morgen wird er schimpfen. Unbemerkt gelangen
wir zu unseren Strohs
u
cken.
Ich werde zur Schreibstube gerufen. Der Kompanief
u
hrer gibt mir
Urlaubsschein und Fahrschein und w
u
nscht mir gute Reise. Ich sehe nach,
wieviel Urlaub ich habe. Siebzehn Tage - vierzehn sind Urlaub, drei
Reisetage. Es ist zuwenig, und ich frage, ob ich nicht f
u
nf Reisetage haben
kann. Bertinck zeigt auf meinen Schein. Da sehe ich erst, daß ich
nicht sofort zur Front zur
u
ckkomme. Ich habe mich nach Ablauf des Urlaubs
noch zum Kursus im Heidelager zu melden.
Die anderen beneiden mich. Kat gibt mir gute Ratschl
u
ge, wie ich
versuchen soll, Druckpunkt zu nehmen. "Wenn du gerissen bist, bleibst du da
h
u
ngen."
Es w
u
re mir eigentlich lieber gewesen, wenn ich erst in acht Tagen
h
u
tte fahren brauchen; denn so lange sind wir noch hier, und hier ist es ja
gut. -
Nat
u
rlich muß ich in der Kantine einen ausgeben. Wir sind alle
ein bißchen angetrunken. Ich werde tr
u
bselig; es sind sechs Wochen,
die ich fortbleiben werde, das ist nat
u
rlich ein m
u
chtiges Gl
u
ck, aber wie
wird es sein, wenn ich zur
u
ckkomme? Werde ich sie hier noch alle
wiedertreffen? Haie und Kemmerich sind schon nicht mehr da - wer wird der
n
u
chste sein ?
Wir trinken, und ich sehe einen nach dem andern an. Albert sitzt neben
mir und raucht, er ist munter, wir sind immer zusammen gewesen; - gegen
u
ber
hockt Kat mit den abfallenden Schultern, dem breiten Daumen und der ruhigen
Stimme, M
u
ller mit den vorstehenden Z
u
hnen und dem bellenden Lachen; -
Tjaden mit den Mauseaugen; - Leer, der sich einen Vollbart stehen l
u
ßt
und ausschaut wie vierzig.
u
ber unsern K
u
pfen schwebt dicker Qualm. Was w
u
re der Soldat ohne
Tabak! Die Kantine ist eine Zuflucht, Bier ist mehr als ein Getr
u
nk, es ist
ein Zeichen, daß man gefahrlos die Glieder dehnen und recken darf. Wir
tun es auch ordentlich, die Beine haben wir lang von uns gestreckt, und wir
spucken gem
u
tlich in die Gegend, daß es nur so eine Art hat. Wie einem
das alles vorkommt, wenn man morgen abreist!
Nachts sind wir noch einmal jenseits des Kanals. Ich habe beinahe
Furcht, der Schmalen, Dunklen zu sagen, daß ich fortgehe und
daß, wenn ich zur
u
ckkehre, wir sicher irgendwo weiter sind; daß
wir uns also nicht wiedersehen werden. Aber sie nickt nur und l
u
ßt
nicht allzuviel merken. Ich kann das erst gar nicht recht verstehen, dann
aber begreife ich. Leer hat schon recht: w
u
re ich an die Front gegangen,
dann h
u
tte es wieder geheißen: "pauvre garc.on"; aber ein Urlauber -
davon wollen sie nicht viel wissen, das ist nicht so interessant. Mag sie
zum Teufel gehen mit ihrem Gesumm und Gerede. Man glaubt an Wunder, und
nachher sind es Kommißbrote.
Am n
u
chsten Morgen, nachdem ich entlaust bin, marschiere ich zur
Feldbahn. Albert und Kat begleiten mich. Wir h
u
ren an der Haltestelle,
daß es wohl noch ein paar Stunden dauern wird bis zur Abfahrt. Die
beiden m
u
ssen zum Dienst zur
u
ck. Wir nehmen Abschied.
"Mach's gut, Kat; mach's gut, Albert."
Sie gehen und winken noch ein paarmal. Ihre Gestalten werden Meiner.
Mir ist jeder Schritt, jede Bewegung an ihnen vertraut, ich w
u
rde sie
weithin schon daran erkennen. Dann sind sie verschwunden.
Ich setze mich auf meinen Tornister und warte.
Pl
u
tzlich bin ich von rasender Ungeduld erf
u
llt, fortzukommen.
Ich liege auf manchem Bahnhof; ich stehe vor manchem Suppenkessel; ich
hocke auf mancher Holzplanke; dann aber wird die Landschaft draußen
beklemmend, unheimlich und bekannt. An den abendlichen Fenstern gleitet sie
vor
u
ber, mit D
u
rfern, in denen Strohd
u
cher wie M
u
tzen tief
u
ber gekalkte
Fachwerkh
u
user gezogen sind, mit Kornfeldern, die wie Perlmutter im schr
u
gen
Licht schimmern, mit Obstg
u
rten und Scheunen und alten Linden.
Die Namen der Stationen werden zu Begriffen, bei denen mein Herz
zittert. Der Zug stampft und stampft, ich stehe am Fenster und halte mich an
den Rahmenh
u
lzern fest. Diese Namen umgrenzen meine Jugend.
Flache Wiesen, Felder, H
u
fe; ein Gespann zieht einsam vor dem Himmel
u
ber den Weg, der parallel zum Horizont l
u
uft. Eine Schranke, vor der Bauern
warten, M
u
dchen, die winken, Kinder, die am Bahndamm spielen, Wege, die ins
Land f
u
hren, glatte Wege, ohne Artillerie.
Es ist Abend, und wenn der Zug nicht stampfte, m
u
ßte ich
schreien. Die Ebene entfaltet sich groß, in schwachem Blau beginnt in
der Ferne die Silhouette der Bergr
u
nder aufzusteigen. Ich erkenne die
charakteristische Linie des Dolbenberges, diesen gezackten Kamm, der j
u
h
abbricht, wo der Scheitel des Waldes aufh
u
rt. Dahinter muß die Stadt
kommen.
Aber nun fließt das goldrote Licht verschwimmend
u
ber die Welt,
der Zug rattert durch eine Kurve und noch eine - und unwirklich, verweht,
dunkel stehen die Pappeln darin, weit weg, hintereinander in langer Reihe,
gebildet aus Schatten, Licht und Sehnsucht.
Das Feld dreht sich mit ihnen langsam vorbei; der Zug umgeht sie, die
Zwischenr
u
ume verringern sich, sie werden ein Block, und einen Augenblick
sehe ich nur eine einzige; dann schieben sich die anderen wieder hinter der
vordersten heraus, und sie sind noch lange allein am Himmel, bis sie von den
ersten H
u
usern verdeckt werden.
Ein Bahn
u
bergang. Ich stehe am Fenster, ich kann mich nicht trennen.
Die andern bereiten ihre Sachen zum Aussteigen vor. Ich spreche den Namen
der Straße, die wir
u
berqueren, vor mich hin, Bremer Straße -
Bremer Straße - Radfahrer, Wagen, Menschen sind da unten; es ist eine
graue Straße und eine graue Unterf
u
hrung; - sie ergreift mich, als
w
u
re sie meine Mutter.
Dann h
u
lt der Zug, und der Bahnhof ist da mit L
u
rm, Rufen und
Schildern. Ich packe meinen Tornister auf und mache die Haken fest, ich
nehme mein Gewehr in die Hand und stolpere die Tritte hinunter.
Auf dem Perron sehe ich mich um; ich kenne niemand von den Leuten, die
da hasten. Eine Rote-Kreuz-Schwester bietet mir etwas zu trinken an. Ich
wende mich ab, sie l
u
chelt mich zu albern an, so durchdrungen von ihrer
Wichtigkeit: Seht nur, ich gebe einem Soldaten Kaffee. - Sie sagt zu mir
"Kamerad", das hat mir gerade gefehlt. Draußen vor dem Bahnhof aber
rauscht der Fluß neben der Straße, er zischt weiß aus den
Schleusen der M
u
hlenbr
u
cke hervor. Der viereckige alte Wartturm steht daran,
und vor ihm die große bunte Linde, und dahinter der Abend.
Hier haben wir gesessen, oft - wie lange ist das her -;
u
ber diese
Br
u
cke sind wir gegangen und haben den k
u
hlen, fauligen Geruch des gestauten
Wassers eingeatmet; wir haben uns
u
ber die ruhige Flut diesseits der
Schleuse gebeugt, in der gr
u
ne Schlinggew
u
chse und Algen an den
Br
u
ckenpfeilern hingen; - und wir haben uns jenseits der Schleuse an
heißen Tagen
u
ber den spritzenden Schaum gefreut und von unseren
Lehrern geschw
u
tzt.
Ich gehe
u
ber die Br
u
cke, ich schaue rechts und links; das Wasser ist
immer noch voll Algen, und es schießt immer noch in hellem Bogen
herab; - im Turmgeb
u
ude stehen die Pl
u
tterinnen wie damals mit bloßen
Armen vor der weißen W
u
sche, und die Hitze der B
u
geleisen str
u
mt aus
den offenen Fenstern. Hunde trotten durch die schmale Straße, vor den
Haust
u
ren stehen Menschen und sehen mir nach, wie ich schmutzig und bepackt
vor
u
bergehe.
In dieser Konditorei haben wir Eis gegessen und uns im
Zigarettenrauchen ge
u
bt. In dieser Straße, die an mir vor
u
bergleitet,
kenne ich jedes Haus, das Kolonialwarengesch
u
ft, die Drogerie, die B
u
ckerei.
Und dann stehe ich vor der braunen T
u
r mit der abgegriffenen Klinke, und die
Hand wird mir schwer.
Ich
u
ffne sie; die K
u
hle kommt mir wunderlich entgegen, sie macht meine
Augen unsicher.
Unter meinen Stiefeln knarrt die Treppe. Oben klappt eine T
u
r, jemand
blickt
u
ber das Gel
u
nder. Es ist die K
u
chent
u
r, die ge
u
ffnet wurde, sie
backen dort gerade Kartoffelpuffer, das Haus riecht danach, heute ist ja
auch Sonnabend, und es wird meine Schwester sein, die sich herunterbeugt.
Ich sch
u
me mich einen Augenblick und senke den Kopf, dann nehme ich den Helm
ab und sehe hinauf. Ja, es ist meine
u
lteste Schwester.
in
"Paul!" ruft sie. "Paul -!"
Ich nicke, mein Tornister st
u
ßt gegen das Gel
u
nder, mein Gewehr
ist so schwer.
Sie reißt eine T
u
r auf und ruft: "Mutter, Mutter, Paul ist da."
Ich kann nicht mehr weitergehen. Mutter, Mutter, Paul ist da.
Ich lehne mich an die Wand und umklammere meinen Helm und mein Gewehr.
Ich umklammere sie, so fest es geht, aber ich kann keinen Schritt mehr
machen, die Treppe verschwimmt vor meinen Augen, ich stoße mir den
Kolben auf die F
u
ße und presse zornig die Z
u
hne zusammen, aber ich
kann nicht gegen dieses eine Wort an, das meine Schwester gerufen hat,
nichts kann dagegen an, ich qu
u
le mich gewaltsam, zu lachen und zu sprechen,
aber ich bringe kein Wort hervor, und so stehe ich auf der Treppe,
ungl
u
cklich, hilflos, in einem furchtbaren Krampf, und will nicht, und die
Tr
u
nen laufen mir immer nur so
u
ber das Gesicht.
Meine Schwester kommt zur
u
ck und fragt: "Was hast du denn?"
Da raffe ich mich zusammen und stolpere zum Vorplatz hinauf. Mein
Gewehr lehne ich in eine Ecke, den Tornister stelle ich gegen die Wand, und
den Helm packe ich darauf. Auch das Koppel mit den Sachen daran muß
fort. Dann sage ich w
u
tend: "So gib doch endlich ein Taschentuch her!"
Sie gibt mir eins aus dem Schrank, und ich wische mir das Gesicht ab.
u
ber mir an der Wand h
u
ngt der Glaskasten mit bunten Schmetterlingen, die
ich fr
u
her gesammelt habe.
Nun h
u
re ich die Stimme meiner Mutter. Sie kommt aus dem Schlafzimmer.
"Ist sie nicht auf?" frage ich meine Schwester.
"Sie ist krank -", antwortet sie.
Ich gehe hinein zu ihr, gebe ihr die Hand und sage, so ruhig ich kann:
"Da bin ich, Mutter."
Sie liegt im Halbdunkel. Dann fragt sie angstvoll, und ich f
u
hle, wie
ihr Blick mich abtastet: "Bist du verwundet?"
"Nein, ich habe Urlaub."
Meine Mutter ist sehr blaß. Ich scheue mich, Licht zu machen. "Da
liege ich nun und weine", sagt sie, "anstatt mich zu freuen."
"Bist du krank, Mutter?" frage ich.
"Ich werde heute etwas aufstehen", sagt sie und wendet sich zu meiner
Schwester, die immer auf einen Sprung in die K
u
che muß, damit ihr das
Essen nicht anbrennt: "Mach auch das Glas mit den eingemachten Preiselbeeren
auf, - das ißt du doch gern?" fragt sie mich.
"Ja, Mutter, das habe ich lange nicht gehabt."
"Als ob wir es geahnt h
u
tten, daß du kommst", lacht mtine
Schwester, "gerade dein Lieblingsessen, Kartoffelpuffer, und jetzt sogar mit
Preiselbeeren."
"Es ist ja auch Sonnabend", antworte ich.
"Setz dich zu mir", sagt meine Mutter.
Sie sieht mich an. Ihre H
u
nde sind weiß und kr
u
nklich und schmal
gegen meine. Wir sprechen nur einige Worte, und ich bin ihr dankbar daf
u
r,
daß sie nichts fragt. Was soll ich auch sagen: Alles, was m
u
glich war,
ist ja geschehen. Ich bin heil herausgelangt und sitze neben ihr. Und in der
K
u
che steht meine Schwester und macht das Abendbrot und singt dazu.
"Mein lieber Junge", sagt meine Mutter leise.
Wir sind nie sehr z
u
rtlich in der Familie gewesen, das ist nicht
u
blich
bei armen Leuten, die viel arbeiten m
u
ssen und Sorgen haben. Sie k
u
nnen das
auch nicht so verstehen, sie beteuern nicht gern etwas
u
fter, was sie
ohnehin wissen. Wenn meine Mutter zu mir "lieber Junge" sagt, so ist das so
viel, als wenn eine andere wer weiß was anstellt. Ich weiß
bestimmt, daß das Glas mit Preiselbeeren das einzige ist seit Monaten
und daß sie es aufbewahrt hat f
u
r mich, ebenso wie die schon alt
schmeckenden Kekse, die sie mir jetzt gibt. Sie hat sicher bei einer
g
u
nstigen Gelegenheit einige erhalten und sie gleich zur
u
ckgelegt f
u
r mich.
Ich sitze an ihrem Bett, und durch das Fenster funkeln in Braun und
Gold die Kastanien des gegen
u
berliegenden Wirtsgartens. Ich atme langsam ein
und aus und sage mir: "Du bist zu Hause, du bist zu Hause." Aber eine
Befangenheit will nicht von mir weichen, ich kann mich noch nicht in alles
hineinfinden. Da ist meine Mutter, da ist meine Schwester, da mein
Schmetterlingskasten und da das
Mahagoniklavier - aber ich bin noch nicht ganz da. Es sind ein Schleier
und ein Schritt dazwischen.
Deshalb gehe ich jetzt, hole meinen Tornister ans Bett und packe aus,
was ich mitgebracht habe: einen ganzen Edamer K
u
se, den Kat mir besorgt hat,
zwei Kommißbrote, dreiviertel Pfund Butter, zwei B
u
chsen Leberwurst,
ein Pfund Schmalz und ein S
u
ckchen Reis.
"Das k
u
nnt ihr sicher gebrauchen -"
Sie nicken. "Hierist es wohl schlecht damit?" erkundige ich mich.
"Ja, es gibt nicht viel. Habt ihr denn draußen genug?"
Ich l
u
chele und zeige auf die mitgebrachten Sachen. "So viel ja nun
nicht immer, aber es geht doch einigermaßen."
Erna bringt die Lebensmittel fort. Meine Mutter nimmt pl
u
tzlich heftig
meine Hand und fragt stockend: "War es sehr schlimm draußen, Paul?"
Mutter, was soll ich dir darauf antworten! Du wirst es nicht verstehen
und nie begreifen. Du sollst es auch nie begreifen. War es schlimm, fragst
du. - Du, Mutter. - Ich sch
u
ttele den Kopf und sage: "Nein, Mutter, nicht so
sehr. Wir sind ja mit vielen zusammen, da ist es nicht so schlimm."
"Ja, aber k
u
rzlich war Heinrich Bredemeyer hier, der erz
u
hlte, es w
u
re
jetzt furchtbar draußen, mit dem Gas und all dem andern."
Es ist meine Mutter, die das sagt. Sie sagt: mit dem Gas und all dem
andern. Sie weiß nicht, was sie spricht, sie hat nur Angst um mich.
Soll ich ihr erz
u
hlen, daß wir einmal drei gegnerische Gr
u
ben fanden,
die erstarrt waren in ihrer Haltung, wie vom Schlag getroffen? Auf den
Brustwehren, in den Unterst
u
nden, wo sie gerade waren, standen und lagen die
Leute mit blauen Gesichtern, tot.
"Ach, Mutter, was so geredet wird", antworte ich, "der Bredemeyer
erz
u
hlt nur so etwas dahin. Du siehst ja, ich bin heil und dick -"
An der zitternden Sorge meiner Mutter finde ich meine Ruhe wieder.
Jetzt kann ich schon umhergehen und sprechen und Rede stehen, ohne Furcht,
mich pl
u
tzlich an die Wand lehnen zu m
u
ssen, weil die Welt weich wird wie
Gummi und die Adern m
u
rbe wie Zunder.
Meine Mutter will aufstehen, ich gehe solange in die K
u
che zu meiner
Schwester. "Was hat sie?" frage ich. Sie zuckt die Achseln: " Sie liegt
schon ein paar Monate, wir sollten es dir aber nicht schreiben. Es sind
mehrere
u
rzte bei ihr gewesen. Einer sagte, es w
u
re wohl wieder Krebs."
Ich gehe zum Bezirkskommando, um mich anzumelden. Langsam wandere ich
durch die Straßen. Hier und da spricht mich jemand an. Ich halte mich
nicht lange auf, denn ich will nicht so viel reden.
Als ich aus der Kaserne zur
u
ckkomme, ruft mich eine laute Stimme an.
Ich drehe mich um, ganz in Gedanken, und stehe einem Major gegen
u
ber. Er
f
u
hrt mich an: "K
u
nnen Sie nicht gr
u
ßen?"
"Entschuldigen Herr Major", sage ich verwirrt, "ich habe Sie nicht
gesehen."
Er wird noch lauter: "K
u
nnen Sie sich auch nicht vern
u
nftig
ausdr
u
cken?"
Ich m
u
chte ihm ins Gesicht schlagen, beherrsche mich aber, denn sonst
ist mein Urlaub hin, nehme die Knochen zusammen und sage: "Ich habe Herrn
Major nicht gesehen."
"Dann passen Sie gef
u
lligst auf!" schnauzt er. "Wie heißen Sie?"
Ich rapportiere.
Sein rotes, dickes Gesicht ist immernoch emp
u
rt. "Truppenteil?"
Ich melde vorschriftsm
u
ßig. Er hat immer noch nicht genug. "Wo
liegen Sie?"
Aber ich habe jetzt genug und sage: "Zwischen Langemark und
Bixschoote."
"Wieso?" fragt er etwas verbl
u
fft.
Ich erkl
u
re ihm, daß ich vor einer Stunde auf Urlaub gekommen
sei, und denke, daß er jetzt abtrudeln wird. Aber ich irre mich. Er
wird sogar noch wilder: "Das k
u
nnte Ihnen wohl so passen, hier Frontsitten
einzuf
u
hren, was? Das gibt's nicht! Hier herrscht Gott sei Dank Ordnung!" Er
kommandiert: "Zwanzig Schritt zur
u
ck, marsch, marsch!"
In mir sitzt die dumpfe Wut. Aber ich kann nichts gegen ihn machen, er
l
u
ßt mich sofort festnehmen, wenn er will. So spritze ich
zur
u
ck, gehe vor und zucke sechs Meter vor ihm zu einem zackigen
Gruß zusammen, den ich erst wegnehme, als ich sechs Meter hinter ihm
bin.
Er ruft mich wieder heran und gibt mir jetzt leutselig bekannt,
daß er noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen will. Ich zeige mich
stramm dankbar. "Wegtreten!" kommandiert er. Ich knalle die Wendung und
ziehe ab.
Der Abend ist mir dadurch verleidet. Ich mache, daß ich nach
Hause komme, und werfe die Uniform in die Ecke, das hatte ich sowieso vor.
Dann hole ich meinen Zivilanzug aus dem Schrank und ziehe ihn an.
Das ist mir ganz ungewohnt. Der Anzug sitzt ziemlich kurz und knapp,
ich bin beim Kommiß gewachsen. Kragen und Krawatte machen mir
Schwierigkeiten. Schließlich bindet mir meine Schwester den Knoten.
Wie leicht so ein Anzug ist, man hat das Gef
u
hl, als w
u
re man nur in
Unterhosen und Hemd.
Ich betrachte mich im Spiegel. Das ist ein sonderbarer Anblick. Ein
sonnenverbrannter, etwas ausgewachsener Konfirmand sieht mich da verwundert
an.
Meine Mutter ist froh, daß ich Zivilzeug trage; ich bin ihr
dadurch vertrauter. Doch mein Vater h
u
tte lieber, daß ich Uniform
anz
u
ge, er m
u
chte so mit mir zu seinen Bekannten gehen.
Aber ich weigere mich.
Es ist sch
u
n, still irgendwo zu sitzen, zum Beispiel in dem Wirtsgarten
gegen
u
ber den Kastanien, nahe der Kegelbahn. Die Bl
u
tter fallen auf den
Tisch und auf die Erde, wenige nur, die ersten. Ich habe ein Glas Bier vor
mir stehen, das Trinken hat man beim Milit
u
r gelernt. Das Glas ist halb
geleert, ich habe also noch einige gute, k
u
hle Schlucke vor mir, und
außerdem kann ich ein zweites und ein drittes bestellen, wenn ich
will. Es gibt keinen Appell und kein Trommelfeuer, die Kinder des Wirts
spielen auf der Kegelbahn, und der Hund legt mir seinen Kopf auf die Knie.
Der Himmel ist blau, zwischen dem Laub der Kastanien ragt der gr
u
ne Turm der
Margaretenkirche auf.
Das ist gut, und ich liebe es. Aber mit den Leuten kann ich nicht
fertig werden. Die einzige, die nicht fragt, ist meine Mutter. Doch schon
mit meinem Vater ist es anders. Er m
u
chte, daß ich etwas erz
u
hle von
draußen, er hat W
u
nsche, die ich r
u
hrend und dumm finde, zu ihm schon
habe ich kein rechtes Verh
u
ltnis mehr. Am liebsten m
u
chte er immerfort etwas
h
u
ren. Ich begreife, daß er nicht weiß, daß so etwas nicht
erz
u
hlt werden kann, und ich m
u
chte ihm auch gern den Gefallen tun; aber es
ist eine Gefahr f
u
r mich, wenn ich diese Dinge in Worte bringe, ich habe
Scheu, daß sie dann riesenhaft werden und sich nicht mehr bew
u
ltigen
lassen. Wo blieben wir, wenn uns alles ganz klar w
u
rde, was da draußen
vorgeht.
So beschr
u
nke ich mich darauf, ihm einige lustige Sachen zu erz
u
hlen.
Er aber fragt mich, ob ich auch einen Nahkampf mitgemacht h
u
tte. Ich sage
nein und stehe auf, um auszugehen.
Doch das bessert nichts. Nachdem ich mich auf der Straße ein
paarmal erschreckt habe, weil das Quietschen der Straßenbahnen sich
wie heranheulende Granaten anh
u
rt, klopft mir jemand auf die Schulter. Es
ist mein Deutschlehrer, der mich mit den
u
blichen Fragen
u
berf
u
llt. "Na, wie
steht es draußen. Furchtbar, furchtbar, nicht wahr? Ja, es ist
schrecklich, aber wir m
u
ssen eben durchhalten. Und schließlich,
draußen habt ihr doch wenigstens gute Verpflegung, wie ich geh
u
rt
habe, Sie sehen gut aus, Paul, kr
u
ftig. Hier ist das nat
u
rlich schlechter,
ganz nat
u
rlich, ist ja auch selbstverst
u
ndlich, das Beste immer f
u
r unsere
Soldaten!"
Er schleppt mich zu einem Stammtisch mit. Ich werde großartig
empfangen, ein Direktor gibt mir die Hand und sagt: " So, Sie kommen von der
Front? Wie ist denn der Geist dort? Vorz
u
glich, vorz
u
glich, was?"
Ich erkl
u
re, daß jeder gern nach Hause m
u
chte.
Er lacht dr
u
hnend: "Das glaube ich! Aber erst m
u
ßt ihr den
Franzmann verkloppen! Rauchen Sie? Hier, stecken Sie sich mal eine an. Ober,
bringen Sie unserm jungen Krieger auch ein Bier."
Leider habe ich die Zigarre genommen, deshalb muß ich bleiben.
Alle triefen nur so von Wohlwollen, dagegen ist nichts einzuwenden. Trotzdem
bin ich
u
rgerlich und qualme, so schnell ich kann.
Um wenigstens etwas zu tun, st
u
rze ich das Glas Bier in einem Zug
hinunter. Sofort wird mir ein zweites bestellt; die Leute wissen, was sie
einem Soldaten schuldig sind. Sie disputieren dar
u
ber, was wir annektieren
sollen. Der Direktor mit der eisernen Uhrkette will am meisten haben: ganz
Belgien, die Kohlengebiete Frankreichs und große St
u
cke von
Rußland. Er gibt genaue Gr
u
nde an, weshalb wir das haben m
u
ssen, und
ist unbeugsam, bis die andern schließlich nachgeben. Dann beginnt er
zu erl
u
utern, wo in Frankreich der Durchbruch einsetzen m
u
sse, und wendet
sich zwischendurch zu mir: "Nun macht mal ein bißchen vorw
u
rts da
draußen mit eurem ewigen Stellungskrieg. Schmeißt die Kerle
'raus, dann gibt es auch Frieden." -
Ich antworte, daß nach unserer Meinung ein Durchbruch unm
u
glich
sei. Die dr
u
ben h
u
tten zuviel Reserven. Außerdem w
u
re der Krieg doch
anders, als man sich das so denke.
Er wehrt
u
berlegen ab und beweist mir, daß ich davon nichts
verstehe. " Gewiß, der einzelne", sagt er, "aber es kommt doch auf das
Gesamte an. Und das k
u
nnen Sie nicht so beurteilen. Sie sehen nur Ihren
kleinen Abschnitt und haben deshalb keine
u
bersicht. Sie tun Ihre Pflicht,
Sie setzen Ihr Leben ein, das ist h
u
chster Ehren wert - jeder von euch
m
u
ßte das Eiserne Kreuz haben -, aber vor allem muß die
gegnerische Front in Flandern durchbrochen und dann von oben aufgerollt
werden."
Er schnauft und wischt sich den Bart. "V
u
llig aufgerollt muß sie
werden, von oben herunter. Und dann auf Paris."
Ich m
u
chte wissen, wie er sich das vorstellt, und gieße das
dritte Bier in mich hinein. Sofort l
u
ßt er ein neues bringen.
Aber ich breche auf. Er schiebt mir noch einige Zigarren in die Tasche
und entl
u
ßt mich mit einem freundschaftlichen Klaps. "Alles Gute!
Hoffentlich h
u
ren wir nun bald etwas Ordentliches von euch."
Ich habe mir den Urlaub anders vorgestellt. Vor einem Jahr war er auch
anders. Ich bin es wohl, der sich inzwischen ge
u
ndert hat. Zwischen heute
und damals liegt eine Kluft. Damals kannte ich den Krieg noch nicht, wir
hatten in ruhigeren Abschnitten gelegen. Heute merke ich, daß ich,
ohne es zu wissen, zerm
u
rbter geworden bin. Ich finde mich hier nicht mehr
zurecht, es ist eine fremde Welt. Die einen fragen, die andern fragen nicht,
und man sieht ihnen an, daß sie stolz darauf sind; oft sagen sie es
sogar noch mit dieser Miene des Verstehens, daß man dar
u
ber nicht
reden k
u
nne. Sie bilden sich etwas darauf ein.
Am liebsten bin ich allein, da st
u
rt mich keiner. Denn alle kommen
stets auf dasselbe zur
u
ck, wie schlecht es geht und wie gut es geht, der
eine findet es so, der andere so, - immer sind sie auch rasch bei den
Dingen, die ihr Dasein darstellen. Ich habe fr
u
her sicher genauso gelebt,
aber ich finde jetzt keinen Anschluß mehr daran.
Sie reden mir zuviel. Sie haben Sorgen, Ziele, W
u
nsche, die ich nicht
so auffassen kann wie sie. Manchmal sitze ich mit einem von ihnen in dem
kleinen Wirtsgarten und versuche, ihm klarzumachen, daß dies
eigentlich schon alles ist: so still zu sitzen. Sie verstehen das nat
u
rlich,
geben es zu, finden es auch, aber nur mit Worten, nur mit Worten, das ist es
ja - sie empfinden es, aber stets nur halb, ihr anderes Wesen ist bei
anderen Dingen, sie sind so verteilt, keiner empfindet es mit seinem ganzen
Leben; ich kann ja selbst auch nicht recht sagen, was ich meine.
Wenn ich sie so sehe, in ihren Zimmern, in ihren B
u
ros, in ihren
Berufen, dann zieht das mich unwiderstehlich an, ich m
u
chte auch darin sein
und den Krieg vergessen; aber es st
u
ßt mich auch gleich wieder ab, es
ist so eng, wie kann das ein Leben ausf
u
llen, man sollte es zerschlagen, wie
kann das alles so sein, w
u
hrend draußen jetzt die Splitter
u
ber die
Trichter sausen und die Leuchtkugeln hochgehen, die Verwundeten auf
Zeltbahnen zur
u
ckgeschleift werden und die Kameraden sich in die Gr
u
ben
dr
u
cken! -Es sind andere Menschen hier, Menschen, die ich nicht richtig
begreife, die ich beneide und verachte. Ich muß an Kat und Albert und
M
u
ller und Tjaden denken, was m
u
gen sie tun? Sie sitzen vielleicht in der
Kantine oder sie schwimmen - bald m
u
ssen sie wieder nach vorn.
In meinem Zimmer steht hinter dem Tisch ein braunes Ledersofa. Ich
setze mich hinein.
An den W
u
nden sind viele Bilder mit Reißzwecken festgemacht, die
ich fr
u
her aus Zeitschriften geschnitten habe. Postkarten und Zeichnungen
dazwischen, die mir gefallen haben. In der Ecke steht ein kleiner eiserner
Ofen. An der Wand gegen
u
ber das Regal mit meinen B
u
chern.
In diesem Zimmer habe ich gelebt, bevor ich Soldat wurde. Die B
u
cher
habe ich nach und nach gekauft von dem Geld, das ich mit Stundengeben
verdiente. Viele davon antiquarisch, alle Klassiker zum Beispiel, ein Band
kostete eine Mark und zwanzig Pfennig, in steifem, blauem Leinen. Ich habe
sie vollst
u
ndig gekauft, denn ich war gr
u
ndlich, bei ausgew
u
hlten Werken
traute ich den Herausgebern nicht, ob sie auch das Beste genommen hatten.
Deshalb kaufte ich mir " S
u
mtliche Werke". Gelesen habe ich sie mit
ehrlichem Eifer, aber die meisten sagten mir nicht recht zu. Um so mehr
hielt ich von den anderen B
u
chern, den moderneren, die nat
u
rlich auch viel
teurer waren. Einige davon habe ich nicht ganz ehrlich erworben, ich habe
sie ausgeliehen und nicht zur
u
ckgegeben, weil ich mich von ihnen nicht
trennen mochte.
Ein Fach des Regals ist mit Schulb
u
chern gef
u
llt. Sie sind wenig
geschont und stark zerlesen, Seiten sind herausgerissen, man weiß ja
wof
u
r. Und unten sind Hefte, Papier und Briefe hingepackt, Zeichnungen und
Versuche.
Ich will mich hineindenken in die Zeit damals. Sie ist ja noch im
Zimmer, ich f
u
hle es sofort, die W
u
nde haben sie bewahrt. Meine H
u
nde liegen
auf der Sofalehne; jetzt mache ich es mir bequem und ziehe auch die Beine
hoch, so sitze ich gem
u
tlich in der Ecke, in den Armen des Sofas. Das kleine
Fenster ist ge
u
ffnet, es zeigt das vertraute Bild der Straße mit dem
ragenden Kirchturm am Ende. Ein paar Blumen stehen auf dem Tisch.
Federhalter, Bleistifte, eine Muschel als Briefbeschwerer, das
Tintenfaß - hier ist nichts ver
u
ndert.
So wird es auch sein, wenn ich Gl
u
ck habe, wenn der Krieg aus ist und
ich wiederkomme f
u
r immer. Ich werde ebenso hier sitzen und mein Zimmer
ansehen und warten.
Ich bin aufgeregt; aber ich m
u
chte es nicht sein, denn das ist nicht
richtig. Ich will wieder diese stille Hingerissenheit, das Gef
u
hl dieses
heftigen, unbenennbaren Dranges versp
u
ren, wie fr
u
her, wenn ich vor meine
B
u
cher trat. Der Wind der W
u
nsche, der aus den bunten B
u
cherr
u
cken aufstieg,
soll mich wieder erfassen, er soll den schweren, toten Bleiblock, der
irgendwo in mir liegt, schmelzen und mir wieder die Ungeduld der Zukunft,
die beschwingte Freude an der Welt der Gedanken wecken; - er soll mir das
verlorene Bereitsein meiner Jugend zur
u
ckbringen.
Ich sitze und warte.
Mir f
u
llt ein, daß ich zu Kemmerichs Mutter gehen muß; -
Mittelstaedt k
u
nnte ich auch besuchen, er muß in der Kaserne sein. Ich
sehe aus dem Fenster: - hinter dem besonnten Straßenbild taucht
verwaschen und leicht ein H
u
gelzug auf, verwandelt sich zu einem hellen Tag
im Herbst, wo ich am Feuer sitze und mit Kat und Albert gebratene Kartoffeln
aus der Schale esse.
Doch daran will ich nicht denken, ich wische es fort. Das Zimmer soll
sprechen, es soll mich einfangen und tragen, ich will f
u
hlen, daß ich
hierhergeh
u
re, und horchen, damit ich weiß, wenn ich wieder an die
Front gehe: Der Krieg versinkt und ertrinkt, wenn die Welle der Heimkehr
kommt, er ist vor
u
ber, er zerfrißt uns nicht, er hat keine andere
Macht
u
ber uns als nur die
u
ußere!
Die B
u
cherr
u
cken stehen nebeneinander. Ich kenne sie noch und erinnere
mich, wie ich sie geordnet habe. Ich bitte sie mit meinen Augen: Sprecht zu
mir, - nehmt mich auf - nimm mich auf, du Leben von fr
u
her, - du sorgloses,
sch
u
nes - nimm mich wieder auf -
Ich warte, ich warte.
Bilder ziehen vor
u
ber, sie haken nicht fest, es sind nur Schatten und
Erinnerungen.
Nichts - nichts.
Meine Unruhe w
u
chst.
Ein f
u
rchterliches Gef
u
hl der Fremde steigt pl
u
tzlich in mir hoch. Ich
kann nicht zur
u
ckfinden, ich bin ausgeschlossen; so sehr ich auch bitte und
mich anstrenge, nichts bewegt sich, teilnahmslos und traurig sitze ich wie
ein Verurteilter da, und die Vergangenheit wendet sich ab. Gleichzeitig
sp
u
re ich Furcht, sie zu sehr zu beschw
u
ren, weil ich nicht weiß, was
dann alles geschehen k
u
nnte. Ich bin ein Soldat, daran muß ich mich
halten.
M
u
de stehe ich auf und schaue aus dem Fenster. Dann nehme ich eines der
B
u
cher und bl
u
ttere darin, um zu lesen. Aber ich stelle es weg und nehme ein
anderes. Es sind Stellen darin, die angestrichen sind. Ich suche, bl
u
ttere,
nehme neue B
u
cher. Schon liegt ein Pack neben mir. Andere kommen dazu,
hastiger - Bl
u
tter, Hefte, Briefe.
Stumm stehe ich davor. Wie vor einem Gericht.
Mutlos.
Worte, Worte, Worte - sie erreichen mich nicht.
Langsam stelle ich die B
u
cher wieder in die L
u
cken. Vorbei.
Still gehe ich aus dem Zimmer.
Noch gebe ich es nicht auf. Mein Zimmer betrete ich zwar nicht mehr,
aber ich tr
u
ste mich damit, daß einige Tage noch nicht ein Ende zu
sein brauchen. Ich habe nachher - sp
u
ter - Jahre daf
u
r Zeit. Vorl
u
ufig gehe
ich zu Mittelstaedt in die Kaserne, und wir sitzen in seiner Stube, da ist
eine Luft, die ich nicht liebe, an die ich aber gew
u
hnt bin.
Mittelstaedt hat eine Neuigkeit parat, die mich sofort elektrisiert. Er
erz
u
hlt mir, daß Kantorek eingezogen worden sei als Landsturmmann.
"Stell dir vor", sagt er und holt ein paar gute Zigarren heraus, "ich komme
aus dem Lazarett hierher und falle gleich
u
ber ihn. Er streckt mir seine
Pfote entgegen und quakt: ‚Sieh da, Mittelstaedt, wie geht es denn?' - Ich
sehe ihn groß an und antworte: ‚Landsturmmann Kantorek, Dienst ist
Dienst und Schnaps ist Schnaps, das sollten Sie selbst am besten wissen.
Nehmen Sie Haltung an, wenn Sie mit einem Vorgesetzten reden.' - Du h
u
ttest
sein Gesicht sehen m
u
ssen! Eine Kreuzung aus Essiggurke und Blindg
u
nger.
Z
u
gernd versuchte er noch einmal, sich anzubiedern. Da schnauzte ich etwas
sch
u
rfer. Nun f
u
hrte er seine st
u
rkste Batterie ins Gefecht und fragte
vertraulich: ‚Soll ich Ihnen vermitteln, daß Sie Notexamen machen?' Er
wollte mich erinnern, verstehst du. Da packte mich die Wut, und ich
erinnerte ihn auch. ‚Landsturmmann Kantorek, vor zwei Jahren haben Sie uns
zum Bezirkskommando gepredigt, darunter auch den Joseph Behm, der eigentlich
nicht wollte. Er fiel drei Monate bevor er eingezogen worden w
u
re. Ohne Sie
h
u
tte er solange gewartet. Und jetzt: Wegtreten. Wir sprechen uns noch.' -
Es war mir leicht, seiner Kompanie zugeteilt zu werden. Als erstes nahm ich
ihn zur Kammer und sorgte f
u
r eine h
u
bsche Ausr
u
stung. Du wirst ihn gleich
sehen."
Wir gehen auf den Hof. Die Kompanie ist angetreten. Mittelstaedt
l
u
ßt r
u
hren und besichtigt.
Da erblicke ich Kantorek und muß das Lachen verbeißen. Er
tr
u
gt eine Art Schoßrock aus verblichenem Blau. Auf dem R
u
cken und an
den
u
rmeln sind große dunkle Flicken eingesetzt. Der Rock muß
einem Riesen geh
u
rt haben. Um so k
u
rzer ist die abgewetzte schwarze Hose;
sie reicht bis zur halben Wade. Daf
u
r sind aber die Schuhe sehr ger
u
umig,
eisenharte, uralte Treter, mit hochgebogenen Spitzen, noch an den Seiten zu
schn
u
ren. Als Ausgleich ist die M
u
tze wieder zu klein, ein furchtbar
dreckiges, elendes Kr
u
tzchen. Der Gesamteindruck ist erbarmungsw
u
rdig.
Mittelstaedt bleibt stehen vor ihm: "Landsturmmann Kantorek, ist das
Knopfputz ? Sie scheinen es nie zu lernen. Ungen
u
gend, Kantorek, ungen
u
gend
-"
Ich br
u
lle innerlich vor Vergn
u
gen. Genauso hat Kantorek in der Schule
Mittelstaedt getadelt, mit demselben Tonfall "Ungen
u
gend, Mittelstaedt,
ungen
u
gend -"
Mittelstaedt mißbilligt weiter: "Sehen Sie sich mal Boettcher an,
der ist vorbildlich, von dem k
u
nnen Sie lernen."
Ich traue meinen Augen kaum. Boettcher ist ja auch da, unser
Schulportier. Und der ist vorbildlich! Kantorek schießt mir einen
Blick zu, als ob er mich fressen m
u
chte. Ich aber grinse ihm nur harmlos in
die Visage, so als ob ich ihn gar nicht weiter kenne.
Wie bl
u
dsinnig er aussieht mit seinem Kr
u
tzchen und seiner Uniform! Und
vor so was hat man fr
u
her eine Heidenangst gehabt, wenn es auf dem Katheder
thronte und einen mit dem Bleistift aufspießte bei den
unregelm
u
ßigen franz
u
sischen Verben, mit denen man nachher in
Frankreich doch nichts anfangen konnte. Es ist noch kaum zwei Jahre her; -
und jetzt steht hier der Landsturmmann Kantorek, j
u
h entzaubert, mit krummen
Knien und Armen wie Topfhenkel, mit schlechtem Knopfputz und l
u
cherlicher
Haltung, ein unm
u
glicher Soldat. Ich kann ihn mir nicht mehr zusammenreimen
mit dem drohenden Bilde auf dem Katheder, und ich m
u
chte wirklich gern mal
wissen, was ich machen werde, wenn dieser Jammerpelz mich alten Soldaten
jemals wieder fragen darf: "B
u
umer, nennen Sie das Imparfait von aller -"
Vorl
u
ufig l
u
ßt Mittelstaedt etwas Schw
u
rmen
u
ben. Kantorek wird
dabei wohlwollend von ihm zum Gruppenf
u
hrer bestimmt.
Damit hat es seine besondere Bewandtnis. Der Gruppenf
u
hrer muß
beim Schw
u
rmen n
u
mlich stets zwanzig Schritt vor seiner Gruppe sein; -
kommandiert man nun: Kehrt - marsch!, so macht die Schwarmlinie nur die
Wendung, der Gruppenf
u
hrer jedoch, der dadurch pl
u
tzlich zwanzig Schritt
hinter der Linie ist, muß im Galopp vorst
u
rzen, um wieder seine
zwanzig Schritt vor die Gruppe zu kommen. Das sind zusammen vierzig Schritt:
Marsch, marsch. Kaum ist er aber angelangt, so wird einfach wieder Kehrt -
marsch! befohlen, und er muß eiligst wieder vierzig Schritt nach der
anderen Seite rasen. Auf diese Weise macht die Gruppe nur gem
u
tlich immer
eine Wendung und ein paar Schritte, w
u
hrend der Gruppenf
u
hrer hin und her
saust wie ein Furz auf der Gardinenstange. Das Ganze ist eines der vielen
probaten Rezepte von Himmelstoß.
Kantorek kann von Mittelstaedt nichts anderes verlangen, denn er hat
ihm einmal eine Versetzung vermurkst, und Mittelstaedt w
u
re sch
u
n dumm,
diese gute Gelegenheit nicht auszunutzen, bevor er wieder ins Feld kommt.
Man stirbt doch vielleicht etwas leichter, wenn der Kommiß einem auch
einmal solch eine Chance geboten hat.
Einstweilen spritzt Kantorek hin und her wie ein aufgescheuchtes
Wildschwein. Nach einiger Zeit l
u
ßt Mittelstaedt aufh
u
ren, und nun
beginnt die so wichtige
u
bung des Kriechens. Auf Knien und Ellenbogen, die
Knarre vorschriftsm
u
ßig gefaßt, schiebt Kantorek seine
Prachtfigur durch den Sand, dicht an uns vorbei. Er schnauft kr
u
ftig, und
sein Schnaufen ist Musik.
Mittelstaedt ermuntert ihn, indem er den Landsturmmann Kantorek mit
Zitaten des Oberlehrers Kantorek tr
u
stet. "Landsturmmann Kantorek, wir haben
das Gl
u
ck, in einer großen Zeit zu leben, da m
u
ssen wir alle uns
zusammenreißen und das Bittere
u
berwinden." Kantorek spuckt ein
schmutziges St
u
ck Holz aus, das ihm zwischen die Z
u
hne gekommen ist, und
schwitzt. Mittelstaedt beugt sich nieder, beschw
u
rend eindringlich: "Und
u
ber Kleinigkeiten niemals das große Erlebnis vergessen, Landsturmmann
Kantorek!"
Mich wundert, daß Kantorek nicht mit einem Knall zerplatzt,
besonders, da jetzt die Turnstunde folgt, in der Mittelstaedt ihn
großartig kopiert, indem er ihm in den Hosenboden faßt beim
Klimmzug am Querbaum, damit er das Kinn stramm
u
ber die Stange bringen kann,
und dazu von weisen Reden nur so trieft. Genauso hat Kantorek es fr
u
her mit
ihm gemacht.
Danach wird der weitere Dienst verteilt. "Kantorek und Boettcher zum
Kommißbrotholen! Nehmen Sie den Handwagen mit."
Ein paar Minuten sp
u
ter geht das Paar mit dem Handwagen los. Kantorek
h
u
lt w
u
tend den Kopf gesenkt. Der Portier ist stolz, weil er leichten Dienst
hat.
Die Brotfabrik ist am andern Ende der Stadt. Beide m
u
ssen also hin und
zur
u
ck durch die ganze Stadt.
"Das machen sie schon ein paar Tage", grinst Mittelstaedt. "Es gibt
bereits Leute, die darauf warten, sie zu sehen."
"Großartig", sage ich, "aber hat er sich noch nicht beschwert?"
"Versucht! Unser Kommandeur hat furchtbar gelacht, als er die
Geschichte geh
u
rt hat. Er kann keine Schulmeister leiden. Außerdem
poussiere ich mit seiner Tochter."
"Er wird dir das Examen versauen."
"Darauf pfeife ich", meint Mittelstaedt gelassen. "Seine Beschwerde ist
außerdem zwecklos gewesen, weil ich beweisen konnte, daß er
meistens leichten Dienst hat."
"K
u
nntest du ihn nicht mal ganz groß schleifen?" frage ich.
"Dazu ist er mir zu d
u
mlich", antwortet Mittelstaedt erhaben und
großz
u
gig.
Was ist Urlaub? - Ein Schwanken, das alles nachher noch viel
schwerermacht. Schon jetzt mischt sich der Abschied hinein. Meine Mutter
sieht mich schweigend an; - sie z
u
hlt die Tage, ich weiß es; - jeden
Morgen ist sie traurig. Es ist schon wieder ein Tag weniger. Meinen
Tornister hat sie weggepackt, sie will durch ihn nicht erinnert werden.
Die Stunden laufen schnell, wenn man gr
u
belt. Ich raffe mich auf und
begleite meine Schwester. Sie geht zum Schlachthof, um einige Pfund Knochen
zu holen. Das ist eine große Verg
u
nstigung, und morgens schon stellen
sich die Leute hin, um darauf anzustehen. Manche werden ohnm
u
chtig.
Wir haben kein Gl
u
ck. Nachdem wir drei Stunden abwechselnd gewartet
haben, l
u
st sich die Reihe auf. Die Knochen sind zu Ende.
Es ist gut, daß ich meine Verpflegung erhalte. Davon bringe ich
meiner Mutter mit, und wir haben so alle etwas kr
u
ftigeres Essen.
Immer schwerer werden die Tage, die Augen meiner Mutter immer
trauriger. Noch vier Tage. Ich muß zu Kemmerichs Mutter gehen.
Man kann das nicht niederschreiben. Diese bebende, schluchzende Frau,
die mich sch
u
ttelt und mich anschreit: "Weshalb lebst du denn, wenn er tot
ist!", die mich mit Tr
u
nen
u
berstr
u
mt und ruft: "Weshalb seid ihr
u
berhaupt
da, Kinder, wie ihr -", die in einen Stuhl sinkt und weint: "Hast du ihn
gesehen? Hast du ihn noch gesehen? Wie starb er?"
Ich sage ihr, daß er einen Schuß ins Herz erhalten hat und
gleich tot war. Sie sieht mich an, sie zweifelt: "Du l
u
gst. Ich weiß
es besser. Ich habe gef
u
hlt, wie schwer er gestorben ist. Ich habe seine
Stimme geh
u
rt, seine Angst habe ich nachts gesp
u
rt, - sag die Wahrheit, ich
will es wissen, ich muß es wissen."
"Nein", sage ich, "ich war neben ihm. Er war sofort tot." Sie bittet
mich leise: "Sag es mir. Du mußt es. Ich weiß, du willst mich
damit tr
u
sten, aber siehst du nicht, daß du mich schlimmer qu
u
lst, als
wenn du die Wahrheit sagst? Ich kann die Ungewißheit nicht ertragen,
sag mir, wie es war, und wenn es noch so furchtbar ist. Es ist immer noch
besser, als was ich sonst denken muß."
Ich werde es nie sagen, eher kann sie aus mir Hackfleisch machen. Ich
bemitleide sie, aber sie kommt mir auch ein wenig dumm vor. Sie soll sich
doch zufrieden geben, Kemmerich bleibt tot, ob sie es weiß oder nicht.
Wenn man so viele Tote gesehen hat, kann man so viel Schmerz um einen
einzigen nicht mehr recht begreifen. So sage ich etwas ungeduldig: "Er war
sofort tot. Er hat es gar nicht gef
u
hlt. Sein Gesicht war ganz ruhig."
Sie schweigt. Dann fragt sie langsam: "Kannst du das beschw
u
ren?"
"Ja."
"Bei allem, was dir heilig ist?"
Ach Gott, was ist mir schon heilig; - so was wechselt ja schnell bei
uns.
"Ja, er war sofort tot."
"Willst du selbst nicht wiederkommen, wenn es nicht wahr ist?"
"Ich will nicht wiederkommen, wenn er nicht sofort tot war."
Ich w
u
rde noch wer weiß was auf mich nehmen. Aber sie scheint mir
zu glauben. Sie st
u
hnt und weint lange. Ich soll erz
u
hlen, wie es war, und
erfinde eine Geschichte, an die ich jetzt beinahe selbst glaube.
Als ich gehe, k
u
ßt sie mich und schenkt mir ein Bild von ihm. Er
lehnt darauf in seiner Rekrutenuniform an einem runden Tisch, dessen Beine
aus ungesch
u
lten Birken
u
sten bestehen. Dahinter ist ein Wald gemalt als
Kulisse. Auf dem Tisch steht ein Bierseidel.
Es ist der letzte Abend zu Hause. Alle sind schweigsam. Ich gehe fr
u
h
zu Bett, ich fasse die Kissen an, ich dr
u
cke sie an mich und lege den Kopf
hinein. Wer weiß, ob ich je wieder so in einem Federbett liegen werde!
Meine Mutter kommt sp
u
t noch in mein Zimmer. Sie glaubt, daß ich
schlafe, und ich stelle mich auch so. Zu sprechen, wach miteinander zu sein,
ist zu schwer.
Sie sitzt fast bis zum Morgen, obschon sie Schmerzen hat und sich
manchmal kr
u
mmt. Endlich kann ich es nicht mehr aushaken, ich tue, als
erwachte ich.
"Geh schlafen, Mutter, du erk
u
ltest dich hier."
Sie sagt: "Schlafen kann ich noch genug sp
u
ter."
Ich richte mich auf. "Es geht ja nicht sofort ins Feld, Mutter. Ich
muß doch erst vier Wochen ins Barackenlager. Von dort komme ich
vielleicht einen Sonntag noch her
u
ber."
Sie schweigt. Dann fragt sie leise: "F
u
rchtest du dich sehr?"
"Nein, Mutter."
"Ich wollte dir noch sagen: Nimm dich vor den Frauen in acht in
Frankreich. Sie sind schlecht dort."
Ach Mutter, Mutter! F
u
r dich bin ich ein Kind, - warum kann ich nicht
den Kopf in deinen Schoß legen und weinen? Warum muß ich immer
der St
u
rkere und der Gefaßtere sein, ich m
u
chte doch auch einmal
weinen und getr
u
stet werden, ich bin doch wirklich nicht viel mehr als ein
Kind, im Schrank h
u
ngen noch meine kurzen Knabenhosen, - es ist doch erst so
wenig Zeit her, warum ist es denn vorbei?
So ruhig ich kann, sage ich: "Wo wir liegen, da sind keine Frauen,
Mutter."
"Und sei recht vorsichtig dort im Felde, Paul."
Ach Mutter, Mutter! Warum nehme ich dich nicht in meine Arme, und wir
sterben. Was sind wir doch f
u
r arme Hunde!
"Ja, Mutter, das will ich sein."
"Ich werde jeden Tag f
u
r dich beten, Paul."
Ach Mutter, Mutter! Laß uns aufstehen und fortgehen, zur
u
ck durch
die Jahre, bis all dies Elend nicht mehr auf uns liegt, zur
u
ck zu dir und
mir allein, Mutter!
"Vielleicht kannst du einen Posten bekommen, der nicht so gef
u
hrlich
ist."
"Ja, Mutter, vielleicht komme ich in die K
u
che, das kann wohl
sein."
"Nimm ihn ja an, wenn die andern auch reden -"
"Darum k
u
mmere ich mich nicht, Mutter -"
Sie seufzt. Ihr Gesicht ist ein weißer Schein im Dunkel. "Nun
mußt du schlafen gehen, Mutter."
Sie antwortet nicht. Ich stehe auf und lege ihr meine Decke
u
ber die
Schultern. Sie st
u
tzt sich auf meinen Arm, sie hat Schmerzen. So bringe ich
sie hin
u
ber. Eine Weile bleibe ich noch bei ihr. "Du mußt nun auch
gesund werden, Mutter, bis ich wiederkomme."
"Jaja, mein Kind."
"Ihr d
u
rft mir nicht eure Sachen schicken, Mutter. Wir haben
draußen genug zu essen. Ihr k
u
nnt es hier besser brauchen."
Wie arm sie in ihrem Bette liegt, sie, die mich liebt, mehr als alles.
Als ich schon gehen will, sagt sie hastig: "Ich habe dir noch zwei
Unterhosen besorgt. Es ist gute Wolle. Sie werden warm halten. Du mußt
nicht vergessen, sie dir einzupacken."
Ach Mutter, ich weiß, was dich diese beiden Unterhosen gekostet
haben an Herumstehen und Laufen und Betteln! Ach Mutter, Mutter, wie kann
man es begreifen, daß ich weg muß von dir, wer hat denn anders
ein Recht auf mich als du. Noch sitze ich hier, und du liegst dort, wir
m
u
ssen uns so vieles sagen, aber wir werden es nie k
u
nnen.
"Gute Nacht, Mutter."
"Gute Nacht, mein Kind."
Das Zimmer ist dunkel. Der Atem meiner Mutter geht darin hin und her.
Dazwischen tickt die Uhr. Draußen vor den Fenstern weht es. Die
Kastanien rauschen.
Auf dem Vorplatz stolpere ich
u
ber meinen Tornister, der fertig gepackt
daliegt, weil ich morgen sehr fr
u
h fort muß.
Ich beiße in meine Kissen, ich krampfe die F
u
uste um die
Eisenst
u
be mei'ies Bettes. Ich h
u
tte nie hierherkommen d
u
rfen. Ich war
gleichg
u
ltig und oft hoffnungslos draußen; - ich werde es nie mehr so
sein k
u
nnen. Ich war ein Soldat, und nun bin ich nichts mehr als Schmerz um
mich, um meine Mutter, um alles, was so trostlos und ohne Ende ist. Ich
h
u
tte nie auf Urlaub fahren d
u
rfen.
Die Baracken im Heidelager kenne ich noch. Hier hat Himmelstoß
Tjaden erzogen. Sonst aber kenne ich kaum jemand hier; alles hat gewechselt,
wie immer. Nur einige der Leute habe ich fr
u
her fl
u
chtig gesehen.
Den Dienst mache ich mechanisch. Abends bin ich fast stets im
Soldatenheim, da liegen Zeitschriften aus, die ich aber nicht lese; es steht
jedoch ein Klavier da, auf dem ich gern spiele. Zwei M
u
dchen bedienen, eins
davon ist jung.
Das Lager ist von hohen Drahtz
u
unen umgeben. Wenn wir sp
u
t aus dem
Soldatenheim kommen, m
u
ssen wir Passierscheine haben. Wer sich mit dem
Posten versteht, kriecht nat
u
rlich auch so durch.
Zwischen Wacholderb
u
schen und Birkenw
u
ldern
u
ben wir jeden Tag
Kompanieexerzieren in der Heide. Es ist zu ertragen, wenn man nicht mehr
verlangt. Man rennt vorw
u
rts, wirft sich hin, und der Atem biegt die Stengel
und Bl
u
ten der Heide hin und her. Der Ware Sand ist, so dicht am Boden
gesehen, rein wie in einem Laboratorium, aus vielen kleinsten Kieseln
gebildet. Es ist seltsam verlockend, die Hand hineinzugraben.
Aber das sch
u
nste sind die W
u
lder mit ihren Birkenr
u
ndern. Sie wechseln
jeden Augenblick die Farbe. Jetzt leuchten die St
u
mme im hellsten
Weiß, und seidig und luftig schwebt zwischen ihnen das pastellhafte
Gr
u
n des Laubes; - im n
u
chsten Moment wechselt alles zu einem opalenen Blau,
das silbrig vom Rande her streicht und das Gr
u
n forttupft; - aber sogleich
vertieft es sich an einer Stelle fast zu Schwarz, wenn eine Wolke
u
ber die
Sonne geht. Und dieser Schatten l
u
uft wie ein Gespenst zwischen den nun
fahlen St
u
mmen entlang, weiter
u
ber die Heide zum Horizont, - inzwischen
stehen die Birken schon wie festliche Fahnen mit weißen Stangen vor
dem rotgoldenen Geloder ihres sich f
u
rbenden Laubes.
Ich verliere mich oft an dieses Spiel zartester Lichter und
durchsichtiger Schatten, so sehr, daß ich fast die Kommandos
u
berh
u
re;
- wenn man allein ist, beginnt man die Natur zu beobachten und zu lieben.
Und ich habe hier nicht viel Anschluß, w
u
nsche ihn auch nicht
u
ber das
normale Maß hinaus. Man ist zuwenig miteinander bekannt, um mehr zu
tun, als etwas zu quatschen und abends Siebzehn-und-vier zu spielen oder zu
mauscheln.
Neben unsern Baracken befindet sich das große Russenlager. Es ist
von uns zwar durch Drahtw
u
nde getrennt, trotzdem gelingt es den Gefangenen
doch, zu uns her
u
berzukommen. Sie geben sich sehr scheu und
u
ngstlich, dabei
haben die meisten Barte und sind groß; dadurch wirken sie wie
verpr
u
gelte Bernhardiner.
Sie schleichen um unsere Baracken und revidieren die Abfalltonnen. Man
muß sich vorstellen, was sie da finden. Die Kost ist bei uns schon
knapp und vor allem schlecht, es gibt Steckr
u
ben, in sechs Teile geschnitten
und in Wasser gekocht, Mohrr
u
benstr
u
nke, die noch schmutzig sind; fleckige
Kartoffeln sind große Leckerbissen, und das H
u
chste ist d
u
nne
Reissuppe, in der kleingeschnittene Rindfleischsehnen schwimmen sollen. Aber
sie sind so klein geschnitten, daß sie nicht mehr zu finden sind.
Trotzdem wird nat
u
rlich alles gegessen. Wenn wirklich einer mal so
reich ist, nicht leerfuttern zu brauchen, stehen zehn andere da, die es ihm
gern abnehmen. Nur die Reste, die der L
u
ffel nicht mehr erreicht, werden
ausgesp
u
lt und in die Abfalltonnen gesch
u
ttet. Dazu kommen dann manchmal
einige Steckr
u
benschalen, verschimmelte Brotrinden und allerlei Dreck.
Dieses d
u
nne, tr
u
be, schmutzige Wasser ist das Ziel der Gefangenen. Sie
sch
u
pfen es gierig aus den stinkenden Tonnen und tragen es unter ihren
Blusen fort.
Es ist sonderbar, diese unsere Feinde so nahe zu sehen. Sie haben
Gesichter, die nachdenklich machen, gute Bauerngesichter, breite Stirnen,
breite Nasen, breite Lippen, breite H
u
nde, wolliges Haar. Man m
u
ßte
sie zum Pfl
u
gen und M
u
hen und Apfelpfl
u
cken verwenden. Sie sehen noch
gutm
u
tiger aus als unsere Bauern in Friesland.
Es ist traurig, ihre Bewegungen, ihr Betteln um etwas Essen zu sehen.
Sie sind alle ziemlich schwach, denn sie erhalten gerade so viel, daß
sie nicht verhungern. Wir selbst bekommen ja l
u
ngst nicht satt zu essen. Sie
haben Ruhr, mit
u
ngstlichen Blicken zeigen manche verstohlen blutige
Hemdzipfel heraus. Ihre R
u
cken, ihre Nacken sind gekr
u
mmt, die Knie
geknickt, der Kopf blickt schief von unten herauf, wenn sie die Hand
ausstrecken und mit den wenigen Worten, die sie kennen, betteln, - betteln
mit diesen weichen, leisen B
u
ssen, die wie warme
u
fen und Heimatstuben sind.
Es gibt Leute, die ihnen einen Tritt geben, daß sie umfallen; -
aber das sind nur wenig. Die meisten tun ihnen nichts, sie gehen an ihnen
vorbei. Mitunter wenn sie sehr elend sind allerdings, ger
u
t man dar
u
ber in
Wut und versetzt ihnen dann einen Tritt. Wenn sie einen nur nicht so ansehen
wollten, - was f
u
r ein Jammer in zwei so kleinen Flecken sitzen kann, die
man mit dem Daumen schon zuhalten kann: in den Augen.
Abends kommen sie in die Baracken und handeln. Sie tauschen alles, was
sie haben, gegen Brot ein. Es gelingt ihnen manchmal, denn sie haben gute
Stiefel, unsere aber sind schlecht. Das Leder ihrer hohen Schaftstiefel ist
wunderbar weich, wie Juchten. Die Bauerns
u
hne bei uns, die von zu Hause
Fettigkeiten geschickt erhalten, k
u
nnen sie sich leisten. Der Preis f
u
r ein
Paar Stiefel ist ungef
u
hr zwei bis drei Kommißbrote oder ein
Kommißbrot und eine kleinere harte Mettwurst.
Aber fast alle Russen haben l
u
ngst ihre Sachen abgegeben, die sie
hatten. Sie tragen nur noch erb
u
rmliches Zeug und versuchen kleine
Schnitzereien und Gegenst
u
nde, die sie aus Granatsplittern und St
u
cken von
kupfernen F
u
hrungsringen gemacht haben, zu tauschen. Diese Sachen bringen
nat
u
rlich nicht viel ein, wenn sie auch allerhand M
u
he gemacht haben - sie
gehen f
u
r ein paar Scheiben Brot bereits weg. Unsere Bauern sind z
u
h und
schlau, wenn sie handeln. Sie halten dem Russen das St
u
ck Brot oder Wurst so
lange dicht unter die Nase, bis er vor Gier blaß wird und die Augen
verdreht, dann ist ihm alles egal. Sie aber verpacken ihre Beute mit all der
Umst
u
ndlichkeit, deren sie f
u
hig sind, holen ihr dickes Taschenmesser
heraus, schneiden langsam und bed
u
chtig f
u
r sich selber einen Ranken Brot
von ihrem Vorrat ab und dazu bei jedem Happen ein St
u
ck von der harten guten
Wurst und futtern, sich zur Belohnung. Es ist aufreizend, sie so vespern zu
sehen, man m
u
chte ihnen auf die dicken Sch
u
del trommeln. Sie geben selten
etwas ab. Man kennt sich ja auch zuwenig.
Ich bin
u
fter auf Wache bei den Russen. In der Dunkelheit sieht man
ihre Gestalten sich bewegen, wie kranke St
u
rche, wie große V
u
gel. Sie
kommen dicht an das Gitter heran und legen ihre Gesichter dagegen, die
Finger sind in die Maschen gekrallt. Oft stehen viele nebeneinander. So
atmen sie den Wind, der von der Heide und den W
u
ldern herkommt.
Selten sprechen sie, und dann nur wenige Worte. Sie sind menschlicher
und, ich m
u
chte fast glauben, br
u
derlicher zueinander als wir hier. Aber das
ist vielleicht nur deshalb, weil sie sich ungl
u
cklicher f
u
hlen als wir.
Dabei ist f
u
r sie doch der Krieg zu Ende. Doch auf die Ruhr zu warten, ist
ja auch kein Leben.
Die Landsturmleute, die sie bewachen, erz
u
hlen, daß sie anfangs
lebhafter waren. Sie hatten, wie das immer ist, Verh
u
ltnisse untereinander,
und es soll oft mit F
u
usten und Messern dabei zugegangen sein. Jetzt sind
sie schon ganz stumpf und gleichg
u
ltig, die meisten onanieren nicht einmal
mehr, so schwach sind sie, obschon es doch damit sonst oft so schlimm ist,
daß sie es sogar barackenweise tun.
Sie stehen am Gitter; manchmal schwankt einer fort, dann ist bald ein
anderer an seiner Stelle in der Reihe. Die meisten sind still; nur einzelne
betteln um das Mundst
u
ck einer ausgerauchten Zigarette.
Ich sehe ihre dunklen Gestalten. Ihre Barte wehen im Winde. Ich
weiß nichts von ihnen, als daß sie Gefangene sind, und gerade
das ersch
u
ttert mich. Ihr Leben ist namenlos und ohne Schuld; - w
u
ßte
ich mehr von ihnen, wie sie heißen, wie sie leben, was sie erwarten,
was sie bedr
u
ckt, so h
u
tte meine Ersch
u
tterung ein Ziel und k
u
nnte zu
Mitleid werden. Jetzt aber empfinde ich hinter ihnen nur den Schmerz der
Kreatur, die furchtbare Schwermut des Lebens und die Erbarmungslosigkeit der
Menschen.
Ein Befehl hat diese stillen Gestalten zu unsern Feinden gemacht; ein
Befehl k
u
nnte sie in unsere Freunde verwandeln. An irgendeinem Tisch wird
ein Schriftst
u
ck von einigen Leuten unterzeichnet, die keiner von uns kennt,
und jahrelang ist unser h
u
chstes Ziel das, worauf sonst die Verachtung der
Welt und ihre h
u
chste Strafe ruht. Wer kann da noch unterscheiden, wenn er
diese stillen Leute hier sieht mit den kindlichen Gesichtern und den
Apostelb
u
rten! Jeder Unteroffizier ist dem Rekruten, jeder Oberlehrer dem
Sch
u
ler ein schlimmerer Feind als sie uns. Und dennoch w
u
rden wir wieder auf
sie schießen und sie auf uns, wenn sie frei w
u
ren.
Ich erschrecke; hier darf ich nicht weiterdenken. Dieser Weg geht in
den Abgrund. Es ist noch nicht die Zeit dazu; aber ich will den Gedanken
nicht verlieren, ich will ihn bewahren, ihn fortschließen, bis der
Krieg zu Ende ist. Mein Herz klopft: ist hier das Ziel, das Große, das
Einmalige, an das ich im Graben gedacht habe, das ich suchte als
Daseinsm
u
glichkeit nach dieser Katastrophe aller Menschlichkeit, ist es eine
Aufgabe f
u
r das Leben nachher, w
u
rdig der Jahre des Grauens?
Ich nehme meine Zigaretten heraus, breche jede in zwei Teile und gebe
sie den Russen. Sie verneigen sich und z
u
nden sie an. Nun glimmen in einigen
Gesichtern rote Punkte. Sie tr
u
sten mich; es sieht aus, als w
u
ren es kleine
Fensterchen in dunklen Dorfh
u
usern, die verraten, daß dahinter Zimmer
voll Zuflucht sind.
Die Tage gehen hin. An einem nebeligen Morgen wird wieder ein Russe
begraben; es sterben ja jetzt fast t
u
glich welche. Ich bin gerade aufWache,
als er beerdigt wird. Die Gefangenen singen einen Choral, sie singen
vielstimmig, und es klingt, als w
u
ren es kaum noch Stimmen, als w
u
re es eine
Orgel, die fern in der Heide steht.
Die Beerdigung geht schnell.
Abends stehen sie wieder am Gitter, und der Wind kommt von den
Birkenw
u
ldern zu ihnen. Die Sterne sind kalt. Ich kenne jetzt einige von
ihnen, die ziemlich gut Deutsch sprechen. Ein Musiker ist dabei, er erz
u
hlt,
daß er Geiger in Berlin gewesen sei. Als er h
u
rt, daß ich etwas
Klavier spielen kann, holt er seine Geige und spielt.
Die andern setzen sich und lehnen die R
u
cken an das Gitter. Er steht
und spielt, oft hat er den verlorenen Ausdruck, den Geiger haben, wenn sie
die Augen schließen, dann wieder bewegt er das Instrument im Rhythmus
und l
u
chelt mich an.
Er spielt wohl Volkslieder; denn die anderen summen mit. Es sind dunkle
H
u
gel, die tief unterirdisch summen. Die Geigenstimme steht wie ein
schlankes M
u
dchen dar
u
ber und ist hell und allein. Die Stimmen h
u
ren auf,
und die Geige bleibt - sie ist d
u
nn in der Nacht, als friere sie; man
muß dicht danebenstehen, es w
u
re in einem Raum wohl besser; - hier
draußen wird man traurig, wenn sie so allein umherirrt.
Ich bekomme keinen Urlaub
u
ber Sonntag, weil ich ja erst gr
u
ßeren
Urlaub gehabt habe. Am letzten Sonntag vor der Abfahrt sind deshalb mein
Vater und meine
u
lteste Schwester zu Besuch bei mir. Wir sitzen den ganzen
Tag im Soldatenheim. Wo sollen wir anders hin, in die Baracke wollen wir
nicht gehen. Mittags machen wir einen Spaziergang in die Heide.
Die Stunden qu
u
len sich hm; wir wissen nicht, wor
u
ber wir reden sollen.
So sprechen wir
u
ber die Krankheit meiner Mutter. Es ist nun bestimmt Krebs,
sie liegt schon im Krankenhaus und wird demn
u
chst operiert. Die
u
rzte
hoffen, daß sie gesund wird, aber wir haben noch nie geh
u
rt, daß
Krebs geheilt worden ist.
"Wo liegt sie denn?" frage ich.
"Im Luisenhospital", sagt mein Vater.
"In welcher Klasse?"
"Dritter. Wir m
u
ssen abwarten, was die Operation kostet. Sie wollte
selbst dritter liegen. Sie sagte, dann h
u
tte sie etwas Unterhaltung. Es ist
auch billiger."
"Dann liegt sie doch mit so vielen zusammen. Wenn sie nur nachts
schlafen kann."
Mein Vater nickt. Sein Gesicht ist abgespannt und voll Furchen. Meine
Mutter ist viel krank gewesen; sie ist zwar nur ins Krankenhaus gegangen,
wenn sie gezwungen wurde, trotzdem hat es viel Geld f
u
r uns gekostet, und
das Leben meines Vaters ist eigentlich
dar
u
ber hingegangen. "Wenn man bloß w
u
ßte, wieviel die
Operation kostet", sagt er.
"Habt ihr nicht gefragt?"
"Nicht direkt; das kann man nicht - wenn der Arzt dann unfreundlich
wird, das geht doch nicht, weil er Mutter doch operieren soll."
Ja, denke ich bitter, so sind wir, so sind sie, die armen Leute. Sie
wagen nicht nach dem Preise zu fragen und sorgen sich eher furchtbar
dar
u
ber; aber die andern, die es nicht n
u
tig haben, die finden es
selbstverst
u
ndlich, vorher den Preis festzulegen. Bei ihnen wird der Arzt
auch nicht unfreundlich sein.
"Die Verb
u
nde hinterher sind auch so teuer", sagt mein Vater.
"Zahlt denn die Krankenkasse nichts dazu?" frage ich.
"Mutter ist schon zu lange krank."
"Habt ihr denn etwas Geld?"
Er sch
u
ttelt den Kopf. "Nein. Aber ich kann jetzt wieder
u
berstunden
machen."
Ich weiß: er wird bis zw
u
lf Uhr nachts an seinem Tisch stehen und
falzen und kleben und schneiden. Um acht Uhr abends wird er etwas essen von
diesem kraftlosen Zeug, das sie auf Karte beziehen. Hinterher wird er ein
Pulver gegen seine Kopfschmerzen einnehmen und weiterarbeiten.
Um ihn etwas aufzuheitern, erz
u
hle ich ihm einige Geschichten, die mir
gerade einfallen, Soldatenwitze und so etwas, von Generalen und Feldwebeln,
die irgendwann mal 'reingelegt wurden.
Nachher bringe ich beide zur Bahnstation. Sie geben mir ein Glas
Marmelade und ein Paket Kartoffelpuffer, die meine Mutter noch f
u
r mich
gebacken hat.
Dann fahren sie ab, und ich gehe zur
u
ck.
Abends streiche ich mir von der Marmelade auf die Pufferund esse davon.
Es will mir nicht schmecken. So gehe ich hinaus, um den Russen die Puffer zu
geben. Dann f
u
llt mir ein, daß meine Mutter sie selbst gebacken hat
und daß sie vielleicht Schmerzen gehabt hat, w
u
hrend sie am
heißen Herd stand. Ich lege das Paket zur
u
ck in meinen Tornister und
nehme nur zwei St
u
ck davon mit zu den Russen.
Wir fahren einige Tage. Die ersten Flieger erscheinen am Himmel. Wir
rollen an Transportz
u
gen vor
u
ber. Gesch
u
tze, Gesch
u
tze. Die Feldbahn
u
bernimmt uns. Ich suche mein Regiment. Niemand weiß, wo es gerade
liegt. Irgendwo
u
bernachte ich, irgendwo empfange ich morgens Proviant und
einige vage Instruktionen. So mache ich mich mit meinem Tornister und meinem
Gewehr wieder auf den Weg. Als ich ankomme, ist keiner von uns mehr in dem
zerschossenen Ort. Ich h
u
re, daß wir zu einer fliegenden Division
geworden sind, die
u
berall eingesetzt wird, wo es brenzlig ist. Das stimmt
mich nicht heiter. Man erz
u
hlt mir von großen Verlusten, die wir
gehabt haben sollen. Ich forsche nach Kat und Albert. Es weiß niemand
etwas von ihnen.
Ich suche weiter und irre umher, das ist ein wunderliches Gef
u
hl. Noch
eine Nacht und eine zweite kampiere ich wie ein Indianer. Dann habe ich
bestimmte Nachricht und kann mich nachmittags auf der Schreibstube melden.
Der Feldwebel beh
u
lt mich da. Die Kompanie kommt in zwei Tagen zur
u
ck,
es hat keinen Zweck mehr, mich hinauszuschicken. "Wie war's im Urlaub?"
fragt er. "Sch
u
n, was?"
"Teils, teils", sage ich.
"Jaja", seufzt er, "wenn man nicht wieder weg m
u
ßte. Die zweite
H
u
lfte wird dadurch immer schon verpfuscht."
Ich lungere umher, bis die Kompanie morgens einr
u
ckt, grau, schmutzig,
verdrossen und tr
u
be. Da springe ich auf und dr
u
nge mich zwischen sie, meine
Augen suchen, dort ist Tjaden, da schnaubt M
u
ller, und da sind auch Kat und
Kropp. Wir machen uns unsere Strohs
u
cke nebeneinander zurecht. Ich f
u
hle
mich schuldbewußt, wenn ich sie ansehe, und habe doch keinen Grund
dazu. Bevor wir schlafen, hole ich den Rest der Kartoffelpuffer und der
Marmelade heraus, damit sie auch etwas haben.
Die beiden
u
ußeren Puffer sind angeschimmelt, man kann sie aber
noch essen. Ich nehme sie f
u
r mich und gebe die frischeren Kat und Kropp.
Kat kaut und fragt: "Die sind wohl von Muttern?"
Ich nicke.
"Gut", sagt er, "das schmeckt man heraus."
Fast k
u
nnte ich weinen. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Doch es wird
schon wieder besser werden, hier mit Kat und Alben und den
u
brigen. Hier
geh
u
re ich hin.
"Du hast Gl
u
ck gehabt", fl
u
stert Kropp mir noch beim Einschlafen zu,
"es heißt, wir kommen nach Rußland." Nach Rußland. Da ist
ja kein Krieg mehr.
In der Ferne donnert die Front. Die W
u
nde der Baracken klirren.
Es wird m
u
chtig geputzt. Ein Appell jagt den andern. Von allen Seiten
werden wir revidiert. Was zerrissen ist, wird umgetauscht gegen gute Sachen.
Ich erwische dabei einen tadellosen neuen Rock, Kat nat
u
rlich sogar eine
volle Montur. Das Ger
u
cht taucht auf, es g
u
be Frieden, doch die andere
Ansicht ist wahrscheinlicher: daß wir nach Rußland verladen
werden. Aber wozu brauchen wir in Rußland bessere Sachen? Endlich
sickert es durch: der Kaiser kommt zur Besichtigung. Deshalb die vielen
Musterungen.
Acht Tage lang k
u
nnte man glauben, in einer Rekrutenkaserne zu sitzen,
so wird gearbeitet und exerziert. Alles ist verdrossen und nerv
u
s, denn
u
berm
u
ßiges Putzen ist nichts f
u
r uns und Parademarsch noch weniger.
Gerade solche Sachen ver
u
rgern den Soldaten mehr als der Sch
u
tzengraben.
Endlich ist der Augenblick da. Wir stehen stramm, und der Kaiser erscheint.
Wir sind neugierig, wie er aussehen mag. Er schreitet die Front entlang, und
ich bin eigentlich etwas entt
u
uscht: nach den Bildern hatte ich ihn mir
gr
u
ßer und m
u
chtiger vorgestellt, vor allen Dingen mit einer
donnernderen Stimme.
Er verteilt Eiserne Kreuze und spricht diesen und jenen an. Dann ziehen
wir ab.
Nachher unterhalten wir uns. Tjaden sagt staunend: "Das ist nun der
Alleroberste, den es gibt. Davor muß darin doch jeder strammstehen,
jeder
u
berhaupt!" Er
u
berlegt: "Davor muß doch auch Hindenburg
strammstehen, was?"
"Jawoll", best
u
tigt Kat.
Tjaden ist noch nicht fertig. Er denkt eine Zeitlang nach und fragt:
"Muß ein K
u
nig vor einem Kaiser auch strammstehen?"
Keiner weiß das genau, aber wir glauben es nicht. Die sind beide
schon so hoch, daß es da sicher kein richtiges Strammstehen mehr gibt.
"Was du dir f
u
r einen Quatsch ausbr
u
test", sagt Kat. "Die Hauptsache
ist, daß du selber strammstehst."
Aber Tjaden ist v
u
llig fasziniert. Seine sonst sehr trockene Phantasie
arbeitet sich Blasen.
"Sieh mal", verk
u
ndet er, "ich kann einfach nicht begreifen, daß
ein Kaiser auch genauso zur Latrine muß wie ich."
"Darauf kannst du Gift nehmen", lacht Kropp.
"Verr
u
ckt und drei sind sieben", erg
u
nzt Kat, "du hast L
u
use im
Sch
u
del, Tjaden, geh du nur selbst rasch los zur Latrine, damit du einen
klaren Kopp kriegst und nicht wie ein Wickelkind redest."
Tjaden verschwindet.
"Eins m
u
chte ich aber doch noch wissen", sagt Albert, "ob es Krieg
gegeben h
u
tte, wenn der Kaiser nein gesagt h
u
tte."
"Das glaube ich sicher", werfe ich ein, - "er soll ja sowieso erst gar
nicht gewollt haben."
"Na, wenn er allein nicht, dann vielleicht doch, wenn so zwanzig,
dreißig Leute in der Welt nein gesagt h
u
tten."
"Das wohl", gebe ich zu, "aber die haben ja gerade gewollt."
"Es ist komisch, wenn man sich das
u
berlegt", f
u
hrt Kropp fort, "wir
sind doch hier, um unser Vaterland zu verteidigen. Aber die Franzosen sind
doch auch da, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wer hat nun recht?"
"Vielleicht beide", sage ich, ohne es zu glauben.
"Ja, nun", meint Albert, und ich sehe ihm an, daß er mich in die
Enge treiben will, "aber unsere Professoren und Past
u
re und Zeitungen sagen,
nur wir h
u
tten recht, und das wird ja hoffentlich auch so sein; - aber die
franz
u
sischen Professoren und Past
u
re und Zeitungen behaupten, nur sie
h
u
tten recht, wie steht es denn damit?"
"Das weiß ich nicht", sage ich, "auf jeden Fall ist Krieg, und
jeden Monat kommen mehr L
u
nder dazu."
Tjaden erscheint wieder. Er ist noch immer angeregt und greift sofort
wieder in das Gespr
u
ch ein, indem er sich erkundigt, wie eigentlich ein
Krieg entstehe.
"Meistens so, daß ein Land ein anderes schwer beleidigt", gibt
Albert mit einer gewissen
u
berlegenheit zur Antwort.
Doch Tjaden stellt sich dickfellig. "Ein Land? Das verstehe ich nicht.
Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen.
Oder ein Fluß oder ein Wald oder ein Weizenfeld."
"Bist du so d
u
mlich oder tust du nur so?" knurrt Kropp. "So meine ich
das doch nicht. Ein Volk beleidigt das andere -"
"Dann habe ich hier nichts zu suchen", erwidert Tjaden, "ich f
u
hle mich
nicht beleidigt."
"Dir soll man nun was erkl
u
ren", sagt Albert
u
rgerlich, "auf dich
Dorfdeubel kommt es doch dabei nicht an."
"Dann kann ich ja erst recht nach Hause gehen", beharrt Tjaden, und
alles lacht.
"Ach, Mensch, es ist doch das Volk als Gesamtheit, also der Staat -",
ruft M
u
ller.
"Staat, Staat" - Tjaden schnippt schlau mit den Fingern -,
"Feldgendarmen, Polizei, Steuer, das ist euer Staat. Wenn du damit zu
tun hast, danke sch
u
n."
"Das stimmt", sagt Kat, "da hast du zum ersten Male etwas Richtiges
gesagt, Tjaden, Staat und Heimat, da ist wahrhaftig ein Unterschied."
"Aber sie geh
u
ren doch zusammen",
u
berlegt Kropp, "eine Heimat ohne
Staat gibt es nicht."
"Richtig, aber bedenk doch mal, daß wir fast alle einfache Leute
sind. Und in Frankreich sind die meisten Menschen doch auch Arbeiter,
Handwerker oder kleine Beamte. Weshalb soll nun wohl ein franz
u
sischer
Schlosser oder Schuhmacher uns angreifen wollen? Nein, das sind nur die
Regierungen. Ich habe nie einen Franzosen gesehen, bevor ich hierherkam, und
den meisten Franzosen wird es
u
hnlich mit uns gehen. Die sind ebensowenig
gefragt wie
wir."
"Weshalb ist dann
u
berhaupt Krieg?" fragt Tjaden.
Kat zuckt die Achseln. "Es muß Leute geben, denen der Krieg
n
u
tzt."
"Na, ich geh
u
re nicht dazu", grinst Tjaden.
"Du nicht, und keiner hier."
"Wer denn nur?" beharrte Tjaden. "Dem Kaiser n
u
tzt er doch auch nicht.
Der hat doch alles, was er braucht."
"Das sag nicht", entgegnet Kat, "einen Krieg hat er bis jetzt noch
nicht gehabt. Und jeder gr
u
ßere Kaiser braucht mindestens einen Krieg,
sonst wird er nicht ber
u
hmt. Sieh mal in deinen Schulb
u
chern nach."
"Gener
u
le werden auch ber
u
hmt durch den Krieg", sagt Detering.
"Noch ber
u
hmter als Kaiser", best
u
tigt Kat.
"Sicher stecken andere Leute, die am Krieg verdienen wollen, dahinter",
brummt Detering.
"Ich glaube, es ist mehr eine Art Fieber", sagt Albert. "Keiner will es
eigentlich, und mit einem Male ist es da. Wir haben den Krieg nicht gewollt,
die andern behaupten dasselbe - und trotzdem ist die halbe Welt feste
dabei."
"Dr
u
ben wird aber mehr gelogen als bei uns", erwidere ich, "denkt mal
an die Flugbl
u
tter der Gefangenen, in denen stand, daß wir belgische
Kinder fr
u
ßen. Die Kerle, die so was schreiben, sollten sie aufh
u
ngen.
Das sind die wahren Schuldigen."
M
u
ller steht auf. "Besser auf jeden Fall, der Krieg ist hier als in
Deutschland. Seht euch mal die Trichterfelder an!"
"Das stimmt", pflichtet selbst Tjaden bei, "abernoch besser ist gar
kein Krieg."
Er geht stolz davon, denn er hat es uns Einj
u
hrigen nun mal gegeben.
Und seine Meinung ist tats
u
chlich typisch hier, man begegnet ihr immer
wieder und kann auch nichts Rechtes darauf entgegnen, weil mit ihr
gleichzeitig das Verst
u
ndnis f
u
r andere Zusammenh
u
nge aufh
u
rt. Das
Nationalgef
u
hl des Muskoten besteht darin, daß er hier ist. Aber damit
ist es auch zu Ende, alles andere beurteilt er praktisch und aus seiner
Einstellung heraus.
Albert legt sich
u
rgerlich ins Gras. "Besser ist,
u
ber den ganzen Kram
nicht zu reden."
"Wird ja auch nicht anders dadurch", best
u
tigt Kat.
Zum
u
berfluß m
u
ssen wir die neu empfangenen Sachen fast alle
wieder abgeben und erhalten unsere alten Brocken wieder. Die guten waren nur
zur Parade da.
Statt nach Rußland gehen wir wieder an die Front. Unterwegs
kommen wir durch einen kl
u
glichen Wald mit zerrissenen St
u
mmen und
zerpfl
u
gtem Boden. An einigen Stellen sind furchtbare L
u
cher. "Donnerwetter,
da hat es aber eingehauen", sage ich zu Kat.
"Minenwerfer", antwortet er und zeigt dann nach oben. In den
u
sten
h
u
ngen Tote. Ein nackter Soldat hockt in einer Stammgabelung, er hat seinen
Helm noch auf dem Kopf, sonst ist er unbekleidet. Nur eine H
u
lfte sitzt von
ihm dort oben, ein Oberk
u
rper, dem die Beine fehlen.
"Was ist da los gewesen?" frage ich.
"Den haben sie aus dem Anzug gestoßen", knurrt Tjaden.
Kat sagt: "Es ist komisch, wir haben das nun schon ein paarmal gesehen.
Wenn so eine Mine einwichst, wird man tats
u
chlich richtig aus dem Anzug
gestoßen. Das macht der Luftdruck."
Ich suche weiter. Es ist wirklich so. Dort h
u
ngen Uniformfetzen allein,
anderswo klebt blutiger Brei, der einmal menschliche Glieder war. Ein K
u
rper
liegt da, der nur an einem Bein noch ein St
u
ck Unterhose und um den Hals den
Kragen des Waffenrockes hat. Sonst ist er nackt, der Anzug h
u
ngt im Baum
herum. Beide Arme fehlen, als w
u
ren sie herausgedreht. Einen davon entdecke
ich zwanzig Schritt weiter im Geb
u
sch.
Der Tote liegt auf dem Gesicht. Da, wo die Armwunden sind, ist die Erde
schwarz von Blut. Unter den F
u
ßen ist das Laub zerkratzt, als h
u
tte
der Mann noch gestrampelt.
"Kein Spaß, Kat", sage ich.
"Ein Granatsplitter im Bauch auch nicht", antwortet er achselzuckend.
"Nur nicht weich werden", meint Tjaden.
Das Ganze kann nicht lange her sein, das Blut ist noch frisch. Da alle
Leute, die wir sehen, tot sind, lassen wir uns nicht aufhalten, sondern
melden die Sache bei der n
u
chsten Sanit
u
tsstation. Schließlich ist es
ja auch nicht unsere Angelegenheit, diesen Tragbahrenhengsten die Arbeit
abzunehmen.
Es soll eine Patrouille ausgeschickt werden, um festzustellen, wie weit
die feindliche Stellung noch besetzt ist. Ich habe wegen meines Urlaubs
irgendein sonderbares Gef
u
hl den andern gegen
u
ber und melde mich deshalb
mit. Wir verabreden den Plan, schleichen durch den Draht und trennen uns
dann, um einzeln vorzukriechen. Nach einer Weile finde ich einen flachen
Trichter, in den ich mich hineingleiten lasse. Von hier luge ich aus.
Das Gel
u
nde hat mittleres Maschinengewehrfeuer. Es wird von allen
Seiten bestrichen, nicht sehr stark, aber immerhin gen
u
gend, um die Knochen
nicht allzu hoch zu nehmen.
Ein Leuchtschirm entfaltet sich. Das Terrain liegt erstarrt im fahlen
Lichte da. Um so schw
u
rzer schl
u
gt hinterher die Dunkelheit wieder dar
u
ber
zusammen. Im Graben haben sie vorhin erz
u
hlt, es w
u
ren Schwarze vor uns. Das
ist unangenehm, man kann sie schlecht sehen, außerdem sind sie als
Patrouillen sehr geschickt. Sonderbarerweise sind sie oft ebenso
unvern
u
nftig; - sowohl Kat als auch Kropp haben einmal auf Patrouille eine
schwarze Gegenpatrouille erschossen, weil die Leute in ihrer Gier nach
Zigaretten unterwegs rauchten. Kat und Albert brauchten nur die glimmenden
Zigarettenk
u
pfe als Ziel zu visieren.
Neben mir zischt eine kleine Granate ein. Ich habe sie nicht kommen
geh
u
rt und erschrecke heftig. Im gleichen Augenblick faßt mich eine
sinnlose Angst. Ich bin hier allein und fast hilflos im Dunkeln - vielleicht
beobachten mich l
u
ngst aus einem Trichter hervor zwei andere Augen, und eine
Handgranate liegt wurffertig bereit, mich zu zerreißen. Ich versuche
mich aufzuraffen. Es ist nicht meine erste Patrouille und auch keine
besonders gef
u
hrliche. Aber es ist meine erste nach dem Urlaub, und
außerdem ist das Gel
u
nde mir noch ziemlich fremd.
Ich mache mir klar, daß meine Aufregung Unsinn ist, daß im
Dunkel wahrscheinlich gar nichts lauert, weil sonst nicht so flach
geschossen w
u
rde.
Es ist vergeblich. In wirrem Durcheinander summen mir die Gedanken im
Sch
u
del - ich h
u
re die warnende Stimme meiner Mutter, ich sehe die Russen
mit den wehenden Barten am Gitter lehnen, ich habe die helle, wunderbare
Vorstellung einer Kantine mit Sesseln, eines Kinos in Valenciennes, ich sehe
qu
u
lend, scheußlich in meiner Einbildung eine graue gef
u
hllose
Gewehrm
u
ndung, die lauernd lautlos mitgeht, wie ich auch den Kopf zu wenden
versuche: mir bricht der Schweiß aus allen Poren.
Immer noch liege ich in meiner Mulde. Ich sehe auf die Uhr; es sind
erst wenige Minuten vergangen. Meine Stirn ist naß, meine Augenh
u
hlen
sind feucht, die H
u
nde zittern, und ich keuche leise. Es ist nichts anderes
als ein furchtbarer Angstanfall, eine einfach gemeine Hundeangst davor, den
Kopf herauszustrecken und weiterzukriechen.
Wie ein Brei zerquillt meine Anspannung zu dem Wunsch, liegenbleiben zu
k
u
nnen. Meine Glieder kleben am Boden, ich mache einen vergeblichen Versuch
- sie wollen sich nicht l
u
sen. Ich presse mich an die Erde, ich kann nicht
vorw
u
rts, ich fasse den Entschluß, liegenzubleiben.
Aber sofort
u
bersp
u
lt mich die Welle erneut, eine Welle aus Scham, Reue
und doch auch Geborgenheit. Ich erhebe mich ein wenig, um Ausschau zu
halten. Meine Augen brennen, so starre ich in das Dunkel. Eine Leuchtkugel
geht hoch; - ich ducke mich wieder.
Ich k
u
mpfe einen sinnlosen, wirren Kampf, ich will aus der Mulde heraus
und rutsche doch wieder hinein, ich sage, "du mußt, es sind deine
Kameraden, es ist ja nicht irgendein dummer Befehl", - und gleich darauf:
"Was geht es mich an, ich habe nur ein Leben zu verlieren -"
Das macht alles dieser Urlaub, entschuldige ich mich erbittert. Aber
ich glaube es selbst nicht, mir wird entsetzlich flau, ich erhebe mich
langsam und stemme die Arme vor, ziehe den R
u
cken nach und liege jetzt halb
auf dem Rande des Trichters.
Da vernehme ich Ger
u
usche und zucke zur
u
ck. Man h
u
rt trotz des
Artilleriel
u
rms verd
u
chtige Ger
u
usche. Ich lausche - das Ger
u
usch ist hinter
mir. Es sind Leute von uns, die durch den Graben gehen. Nun h
u
re ich auch
ged
u
mpfte Stimmen. Es k
u
nnte dem Tone nach Kat sein, der da spricht.
Eine ungemeine W
u
rme durchflutet mich mit einemmal. Diese Stimmen,
diese wenigen, leisen Worte, diese Schritte im Graben hinter mir
reißen mich mit einem Ruck aus der f
u
rchterlichen Vereinsamung der
Todesangst, der ich beinahe verfallen w
u
re. Sie sind mehr als mein Leben,
diese Stimmen, sie sind mehr als M
u
tterlichkeit und Angst, sie sind das
St
u
rkste und Sch
u
tzendste, was es
u
berhaupt gibt: es sind die Stimmen meiner
Kameraden.
Ich bin nicht mehr ein zitterndes St
u
ck Dasein allein im Dunkel - ich
geh
u
re zu ihnen und sie zu mir, wir haben alle die gleiche Angst und das
gleiche Leben, wir sind verbunden auf eine einfache und schwere Art. Ich
m
u
chte mein Gesicht in sie hineindr
u
cken, in die Stimmen, diese paar Worte,
die mich gerettet haben und die mir beistehen werden.
Vorsichtig gleite ich
u
ber den Rand und schl
u
ngele mich vorw
u
rts. Auf
allen vieren schlurfe ich weiter; es geht gut, ich peile die Richtung an,
schaue mich um und merke mir das Bild des Gesch
u
tzfeuers, um zur
u
ckzufinden.
Dann suche ich Anschluß an die andern zu bekommen.
Immer noch habe ich Angst, aber es ist eine vern
u
nftige Angst, eine
außerordentlich gesteigerte Vorsicht. Die Nacht ist windig, und
Schatten gehen hin und her beim Aufflackern des M
u
ndungsfeuers. Man sieht
dadurch zu wenig und zu viel. Oft erstarre ich, aber es ist immer nichts. So
komme ich ziemlich weit vor und kehre dann im Bogen wieder um. Den
Anschluß habe ich nicht gefunden. Jeder Meter n
u
her zu unserm Graben
erf
u
llt mich mit Zuversicht - allerdings auch mit gr
u
ßerer Hast. Es
w
u
re nicht sch
u
n, jetzt noch eins verpaßt zu kriegen.
Da durchf
u
hrt mich ein neuer Schreck. Ich kann die Richtung nicht mehr
genau wiedererkennen. Still hocke ich mich in einen Trichter und versuche
mich zu orientieren. Es ist mehr als einmal vorgekommen, daß jemand
vergn
u
gt in einen Graben sprang und dann erst entdeckte, daß es der
falsche war.
Nach einiger Zeit horche ich wieder. Immer noch bin ich nicht richtig.
Das Trichtergewirr erscheint mir jetzt so un
u
bersichtlich, daß ich vor
Aufregung
u
berhaupt nicht mehr weiß, wohin ich mich wenden soll.
Vielleicht krieche ich parallel zu den Gr
u
ben, das kann ja endlos dauern.
Deshalb schlage ich wieder einen Haken.
Diese verfluchten Leuchtschirme! Sie scheinen eine Stunde zu brennen,
man kann keine Bewegung machen, ohne daß es gleich um einen herum
pfeift.
Doch es hilft nichts, ich muß heraus. Stockend arbeite ich mich
weiter, ich krebse
u
ber den Boden weg und reiße mir die H
u
nde wund an
den zackigen Splittern, die scharf wie Rasiermesser sind. Manchmal habe ich
den Eindruck, als wenn der Himmel etwas heller w
u
rde am Horizont, doch das
kann auch Einbildung sein. Allm
u
hlich aber merke ich, daß ich um mein
Leben krieche.
Eine Granate knallt. Gleich darauf zwei andere. Und schon geht es los.
Ein Feuer
u
berfall. Maschinengewehre knattern. Jetzt gibt es vorl
u
ufig nichts
anderes, als liegenzubleiben. Es scheint ein Angriff zu werden.
u
berall
steigen Leuchtraketen. Ununterbrochen.
Ich liege gekr
u
mmt in einem großen Trichter, die Beine im Wasser
bis zum Bauch. Wenn der Angriff einsetzt, werde ich mich ins Wasser fallen
lassen, so weit es geht, ohne zu ersticken, das Gesicht im Dreck. Ich
muß den toten Mann markieren.
Pl
u
tzlich h
u
re ich, wie das Feuer zur
u
ckspringt. Sofort rutsche ich
nach unten ins Grundwasser, den Helm ganz im Genick, den Mund nur so weit
hoch, daß ich knapp Luft habe.
Dann werde ich bewegungslos; - denn irgendwo klirrt etwas, es tappt und
trappst n
u
her, - in mir ziehen sich alle Nerven eisig zusammen. Es klirrt
u
ber mich hinweg, der erste Trupp ist vorbei. Ich habe nur den einen
zersprengenden Gedanken gehabt: Was tust du, wenn jemand in deinen Trichter
springt? - Jetzt zerre ich rasch den kleinen Dolch heraus, fasse ihn fest
und verberge ihn mit der Hand wieder im Schlamm. Ich werde sofort
losstechen, wenn jemand hereinspringt, h
u
mmert es in meiner Stirn, sofort
die Kehle durchstoßen, damit er nicht schreien kann, es geht nicht
anders, er wird ebenso erschrocken sein wie ich, und schon vor Angst werden
wir
u
bereinander herfallen, da muß ich der erste sein.
Nun schießen unsere Batterien. In meiner N
u
he schl
u
gt es ein. Das
macht mich irrsinnig wild, es fehlt mir noch, daß mich die eigenen
Geschosse treffen; ich fluche und knirsche in den Dreck hinein; es ist ein
w
u
tender Ausbruch, zuletzt kann ich nur noch st
u
hnen und bitten.
Das Gekrach der Granaten trifft mein Ohr. Wenn unsere Leute einen
Gegenstoß machen, bin ich befreit. Ich presse den Kopf an die Erde und
h
u
re das dumpfe Donnern wie ferne Bergwerksexplosionen - und hebe ihn
wieder, um auf die Ger
u
usche oben zu lauschen.
Die Maschinengewehre knarren. Ich weiß, daß unsere
Drahtverhaue fest und fast unbesch
u
digt sind; - ein Teil davon ist mit
Starkstrom geladen. Das Gewehrfeuer schwillt an. Sie kommen nicht durch, sie
m
u
ssen zur
u
ck. Ich sinke wieder zusammen, gespannt bis zum
u
ußersten.
Das Klappern und Schleichen, das Klirren wird h
u
rbar. Ein einzelner Schrei
gellend dazwischen. Sie werden beschossen, der Angriff ist abgeschlagen.
Es ist noch etwas heller geworden. An mir vor
u
ber hasten Schritte. Die
ersten. Vorbei. Wieder andere. Das Knarren der Maschinengewehre wird eine
ununterbrochene Kette. Gerade will ich mich etwas umdrehen, da poltert es,
und schwer und klatschend f
u
llt ein K
u
rper zu mir in den Trichter, rutscht
ab, liegt auf mir -
Ich denke nichts, ich fasse keinen Entschluß - ich stoße
rasend zu und f
u
hle nur, wie der K
u
rper zuckt und dann weich wird und
zusammensackt. Meine Hand ist klebrig und naß, als ich zu mir komme.
Der andere r
u
chelt. Es scheint mir, als ob er br
u
llt, jeder Atemzug ist
wie ein Schrei, ein Donnern - aber es sind nur meine Adern, die so klopfen.
Ich m
u
chte ihm den Mund zuhalten, Erde hineinstopfen, noch einmal zustechen,
er soll still sein, er verr
u
t mich; doch ich bin schon so weit zu mir
gekommen und auch so schwach pl
u
tzlich, daß ich nicht mehr die Hand
gegen ihn heben kann.
So krieche ich in die entfernteste Ecke und bleibe dort, die Augen
starr auf ihn gerichtet, das Messer umklammert, bereit, wenn er sich r
u
hrt,
wieder auf ihn loszugehen - aber er wird nichts mehr tun, das h
u
re ich schon
an seinem R
u
cheln.
Undeutlich kann ich ihn sehen. Nur der eine Wunsch ist in mir,
wegzukommen. Wenn es nicht bald ist, wird es zu hell; schon jetzt ist es
schwer. Doch als ich versuche, den Kopf hochzunehmen, sehe ich bereits die
Unm
u
glichkeit ein. Das Maschinengewehrfeuer ist derartig gedeckt, daß
ich durchl
u
chert werde, ehe ich einen Sprung tue.
Ich probiere es noch einmal mit meinem Helm, den ich etwas emporschiebe
und anhebe, um die H
u
he der Geschosse festzustellen. Einen Augenblick sp
u
ter
wird er mir durch eine Kugel aus der Hand geschlagen. Das Feuer streicht
also ganz niedrig
u
ber das Terrain. Ich bin nicht weit genug von der
feindlichen Stellung entfernt, um nicht von den Scharfsch
u
tzen gleich
erwischt zu werden, wenn ich versuche, auszureißen.
Das Licht nimmt zu. Ich warte brennend auf einen Angriff von uns. Meine
H
u
nde sind weiß an den Kn
u
cheln, so presse ich sie zusammen, so flehe
ich, das Feuer m
u
ge aufh
u
ren und meine Kameraden m
u
chten kommen.
Minute um Minute versickert. Ich wage keinen Blick mehr zu der dunklen
Gestalt im Trichter. Angestrengt sehe ich vorbei und warte, warte. Die
Geschosse zischen, sie sind ein st
u
hlernes Netz, es h
u
rt nicht auf, es h
u
rt
nicht auf.
Da erblicke ich meine blutige Hand und f
u
hle j
u
he
u
belkeit. Ich nehme
Erde und reibe damit
u
ber die Haut, jetzt ist die Hand wenigstens schmutzig,
und man sieht das Blut nicht mehr.
Das Feuer l
u
ßt nicht nach. Von beiden Seiten ist es jetzt gleich
stark. Man hat mich bei uns wahrscheinlich l
u
ngst verlorengegeben.
Es ist heller, grauer, fr
u
her Tag. Das R
u
cheln t
u
nt fort. Ich hake mir
die Ohren zu, nehme aber die Finger bald wieder heraus, weil ich sonst auch
das andere nicht h
u
ren kann. Die Gestalt gegen
u
ber bewegt sich. Ich schrecke
zusammen und sehe unwillk
u
rlich hin. Jetzt bleiben meine Augen wie
festgeklebt h
u
ngen. Ein Mann mit einem kleinen Schnurrbart liegt da, der
Kopf ist zur Seite gefallen, ein Arm ist halb gebeugt, der Kopf dr
u
ckt
kraftlos darauf. Die andere Hand liegt auf der Brust, sie ist blutig.
Er ist tot, sage ich mir, er muß tot sein, er f
u
hlt nichts mehr -
was da r
u
chelt, ist nur noch der K
u
rper. Doch der Kopf versucht sich zu
heben, das St
u
hnen wird einen Moment st
u
rker, dann sinkt die Stirn wieder
auf den Arm zur
u
ck. Der Mann ist nicht tot, er stirbt, aber er ist nicht
tot. Ich schiebe mich heran, halte inne, st
u
tze mich auf die H
u
nde, rutsche
wieder etwas weiter, warte - weiter, einen gr
u
ßlichen Weg von drei
Metern, einen langen, furchtbaren Weg. Endlich bin ich neben ihm.
Da schl
u
gt er die Augen auf. Er muß mich noch geh
u
rt haben und
sieht mich mit einem Ausdruck furchtbaren Entsetzens an. Der K
u
rper liegt
still, aber in den Augen ist eine so ungeheure Flucht, daß ich einen
Moment glaube, sie w
u
rden die Kraft haben, den K
u
rper mit sich zu
reißen. Hunderte von Kilometern weit weg mit einem einzigen Ruck. Der
K
u
rper ist still, v
u
llig ruhig, ohne Laut jetzt, das R
u
cheln ist verstummt,
aber die Augen schreien, br
u
llen, in ihnen ist alles Leben versammelt zu
einer unfaßbaren Anstrengung, zu entfliehen, zu einem schrecklichen
Grausen vor dem Tode, vor mir.
Ich knicke in den Gelenken ein und falle auf die Ellbogen. "Nein,
nein", fl
u
stere ich.
Die Augen folgen mir. Ich bin unf
u
hig, eine Bewegung zu machen, solange
sie da sind.
Da f
u
llt seine Hand langsam von der Brust, nur ein geringes St
u
ck, sie
sinkt um wenige Zentimeter, doch diese Bewegung l
u
st die Gewalt der Augen
auf. Ich beuge mich vor, sch
u
ttele den Kopf und fl
u
stere: "Nein, nein,
nein", ich hebe eine Hand, ich muß ihm zeigen, daß ich ihm
helfen will, und streiche
u
ber seine Stirn.
Die Augen sind zur
u
ckgezuckt, als die Hand kam, jetzt verlieren sie
ihre Starre, die Wimpern sinken tiefer, die Spannung l
u
ßt nach. Ich
u
ffne ihm den Kragen und schiebe den Kopf bequemer zurecht.
Der Mund steht halb offen, erbem
u
ht sich, Worte zu formen. Die Lippen
sind trocken. Meine Feldflasche ist nicht da, ich habe sie nicht
mitgenommen. Aber es ist Wasser in dem Schlamm unten im Trichter. Ich
klettere hinab, ziehe mein Taschentuch heraus, breite es aus, dr
u
cke es
hinunter und sch
u
pfe mit der hohlen Hand das gelbe Wasser, das
hindurchquillt.
Er schluckt es. Ich hole neues. Dann kn
u
pfe ich seinen Rock auf, um ihn
zu verbinden, wenn es geht. Ich muß es auf jeden Fall tun, damit die
dr
u
ben, wenn ich gefangen werden sollte, sehen, daß ich ihm helfen
wollte, und mich nicht erschießen. Er versucht sich zu wehren, doch
die Hand ist zu schlaff dazu. Das Hemd ist verklebt und l
u
ßt sich
nicht beiseite schieben, es ist hinten gekn
u
pft. So bleibt nichts
u
brig, als
es aufzuschneiden.
Ich suche das Messer und finde es wieder. Aber als ich anfange, das
Hemd zu zerschneiden,
u
ffnen sich die Augen noch einmal, und wieder ist das
Schreien darin und der wahnsinnige Ausdruck, so daß ich sie zuhalten,
zudr
u
cken muß und fl
u
stern: "Ich will dir ja helfen, Kamerad,
camarade, camarade, camarade -", eindringlich das Wort, damit er es
versteht.
Drei Stiche sind es. Meine Verbandsp
u
ckchen bedecken sie, das Blut
l
u
uft darunter weg, ich dr
u
cke sie fester auf, da st
u
hnt er.
Es ist alles, was ich tun kann. Wir m
u
ssen jetzt warten, warten.
Diese Stunden. - Das R
u
cheln setzt wieder ein - wie langsam stirbt doch
ein Mensch! Denn das weiß ich: er ist nicht zu retten. Ich habe zwar
versucht, es mir auszureden, aber mittags ist dieser Vorwand vor seinem
St
u
hnen zerschmolzen, zerschossen. Wenn ich nur meinen Revolver nicht beim
Kriechen verloren h
u
tte, ich w
u
rde ihn erschießen. Erstechen kann ich
ihn nicht.
Mittags d
u
mmere ich an der Grenze des Denkens dahin. Hunger zerw
u
hlt
mich, ich muß fast weinen dar
u
ber, essen zu wollen, aber ich kann
nicht dagegen ank
u
mpfen. Mehrere Male hole ich dem Sterbenden Wasser und
trinke auch selbst davon.
Es ist der erste Mensch, den ich mit meinen H
u
nden get
u
tet habe, den
ich genau sehen kann, dessen Sterben mein Werk ist. Kat und Kropp und M
u
ller
haben auch schon gesehen, wenn sie jemand getroffen haben, vielen geht es
so, im Nahkampf ja oft -
Aber jeder Atemzug legt mein Herz bloß. Dieser Sterbende hat die
Stunden f
u
r sich, er hat ein unsichtbares Messer, mit dem er mich ersticht:
die Zeit und meine Gedanken.
Ich w
u
rde viel darum geben, wenn er am Leben bliebe. Es ist schwer,
dazuliegen und ihn sehen und h
u
ren zu m
u
ssen.
Nachmittags um drei Uhr ist er tot.
Ich atme auf. Doch nur f
u
r kurze Zeit. Das Schweigen erscheint mir bald
noch schwerer zu ertragen als das St
u
hnen. Ich wollte, das R
u
cheln w
u
re
wieder da, stoßweise, heiser, einmal pfeifend leise und dann wieder
heiser und laut.
Es ist sinnlos, was ich tue. Aber ich muß Besch
u
ftigung haben. So
lege ich den Toten noch einmal zurecht, damit er bequemer liegt, obschon er
nichts mehr f
u
hlt. Ich schließe ihm die Augen. Sie sind braun, das
Haar ist schwarz, an den Seiten etwas lockig.
Der Mund ist voll und weich unter dem Schnurrbart, die Nase ist ein
wenig gebogen, die Haut br
u
unlich, sie sieht jetzt nicht mehr so fahl aus
wie vorhin, als er noch lebte. Einen Augenblick scheint das Gesicht sogar
beinahe gesund zu sein - dann verf
u
llt es rasch zu einem der fremden
Totenantlitze, die ich oft gesehen habe und die sich alle gleichen.
Seine Frau denkt sicher jetzt an ihn; sie weiß nicht, was
geschehen ist. Er sieht aus, als wenn er ihr oft geschrieben h
u
tte; - sie
wird auch noch Post von ihm bekommen - morgen, in einer Woche -, vielleicht
einen verirrten Brief noch in einem Monat. Sie wird ihn lesen, und er wird
darin zu ihr sprechen.
Mein Zustand wird immer schlimmer, ich kann meine Gedanken nicht mehr
halten. Wie mag die Frau aussehen? Wie die Dunkle,
Schmale jenseits des Kanals? Geh
u
rt sie mir nicht? Vielleicht geh
u
rt
sie mir jetzt hierdurch! S
u
ße Kantorek doch hier neben mir! Wenn meine
Mutter mich so s
u
he -. Der Tote h
u
tte sicher noch dreißig Jahre leben
k
u
nnen, wenn ich mir den R
u
ckweg sch
u
rfer eingepr
u
gt h
u
tte. Wenn er zwei
Meter weiter nach links gelaufen w
u
re, l
u
ge er jetzt dr
u
ben im Graben und
schriebe einen neuen Brief an seine Frau.
Doch so komme ich nicht weiter; denn das ist das Schicksal von uns
allen; h
u
tte Kemmerich sein Bein zehn Zentimeter weiter rechts gehalten,
h
u
tte Haie sich f
u
nf Zentimeter weiter vorgebeugt -
Das Schweigen dehnt sich. Ich spreche und muß sprechen. So rede
ich ihn an und sage es ihm. "Kamerad, ich wollte dich nicht t
u
ten. Spr
u
ngst
du noch einmal hier hinein, ich t
u
te es nicht, wenn auch du vern
u
nftig
w
u
rest. Aber du warst mir vorher nur ein Gedanke, eine Kombination, die in
meinem Gehirn lebte und einen Entschluß hervorrief - diese Kombination
habe ich erstochen. Jetzt sehe ich erst, daß du ein Mensch bist wie
ich. Ich habe gedacht an deine Handgranaten, an dein Bajonett und deine
Waffen - jetzt sehe ich deine Frau und dein Gesicht und das Gemeinsame.
Vergib mir, Kamerad! Wir sehen es immer zu sp
u
t. Warum sagt man uns nicht
immer wieder, daß ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, daß eure
M
u
tter sich ebenso
u
ngstigen wie unsere und daß wir die gleiche Furcht
vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz -.
Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein. Wenn wir diese Waffen
und diese Uniform fortwerfen, k
u
nntest du ebenso mein Bruder sein wie Kat
und Albert. Nimm zwanzig Jahre von mir, Kamerad, und stehe auf - nimm mehr,
denn ich weiß nicht, was ich damit beginnen soll."
Es ist still, die Front ist ruhig bis auf das Gewehrgeknatter. Die
Kugeln liegen dicht, es wird nicht planlos geschossen, sondern auf allen
Seiten scharf gezielt. Ich kann nicht hinaus.
"Ich will deiner Frau schreiben", sage ich hastig zu dem Toten, "ich
will ihr schreiben, sie soll es durch mich erfahren, ich will ihr alles
sagen, was ich dir sage, sie soll nicht leiden, ich will ihr helfen und
deinen Eltern auch und deinem Kinde -"
Seine Uniform steht noch halb offen. Die Brieftasche ist leicht zu
finden. Aber ich z
u
gere, sie zu
u
ffnen. In ihr ist das Buch mit seinem
Namen. Solange ich seinen Namen nicht weiß, kann ich ihn vielleicht
noch vergessen, die Zeit wird es tilgen, dieses Bild. Sein Name aber ist ein
Nagel, der in mir eingeschlagen wird und nie mehr herauszubringen ist. Er
hat die Kraft, alles immer wieder zur
u
ckzurufen, er wird stets wiederkommen
und vor mich hintreten k
u
nnen.
Ohne Entschluß halte ich die Brieftasche in der Hand. Sie
entf
u
llt mir und
u
ffnet sich. Einige Bilder und Briefe fallen heraus. Ich
sammle sie auf und will sie wieder hineinpacken, aber der Druck, unter dem
ich stehe, die ganze Ungewisse Lage, der Hunger, die Gefahr, diese Stunden
mit dem Toten haben mich verzweifelt gemacht, ich will die Aufl
u
sung
beschleunigen und die Qu
u
lerei verst
u
rken und enden, wie man eine
unertr
u
glich schmerzende Hand gegen einen Baum schmettert, ganz gleich, was
wird.
Es sind Bilder einer Frau und eines kleinen M
u
dchens, schmale
Amateurfotografien vor einer Efeuwand. Neben ihnen stecken Briefe. Ich nehme
sie heraus und versuche sie zu lesen. Das meiste verstehe ich nicht, es ist
schlecht zu entziffern, und ich kann nur wenig Franz
u
sisch. Aber jedes Wort,
das ich
u
bersetze, dringt mir wie ein Schuß in die Brust - wie ein
Stich in die Brust -
Mein Kopf ist v
u
llig
u
berreizt. Aber so viel begreife ich noch,
daß ich diesen Leuten nie schreiben darf, wie ich es dachte vorhin.
Unm
u
glich. Ich sehe die Bilder noch einmal an; es sind keine reichen Leute.
Ich k
u
nnte ihnen ohne Namen Geld schicken, wenn ich sp
u
ter etwas verdiene.
Daran klammere ich mich, das ist ein kleiner Halt wenigstens. Dieser Tote
ist mit meinem Leben verbunden, deshalb muß ich alles tun und
versprechen, um mich zu retten; ich gelobe blindlings, daß ich nur f
u
r
ihn dasein will und seine Familie, - mit nassen Lippen rede ich auf ihn ein,
und ganz tief in mir sitzt dabei die Hoffnung, daß ich mich dadurch
freikaufe und vielleicht hier doch noch herauskomme, eine kleine Hinterlist,
daß man nachher immer noch erst einmal sehen k
u
nne. Und deshalb
schlage ich das Buch auf und lese langsam: Gerard Duval, Typograph.
Ich schreibe die Adresse mit dem Bleistift des Toten auf einen
Briefumschlag und schiebe dann pl
u
tzlich rasch alles in seinen Rock zur
u
ck.
Ich habe den Buchdrucker Gerard Duval get
u
tet. Ich muß
Buchdrucker werden, denke ich ganz verwirrt, Buchdrucker werden, Buchdrucker
-
Nachmittags bin ich ruhiger. Meine Furcht war unbegr
u
ndet. Der Name
verwirrt mich nicht mehr. Der Anfall vergeht. "Kamerad", sage ich zu dem
Toten hin
u
ber, aber ich sage es gefaßt. "Heute du, morgen ich. Aber
wenn ich davonkomme, Kamerad, will ich k
u
mpfen gegen dieses, das uns beide
zerschlug: dir das Leben - und mir -? Auch das Leben. Ich verspreche es dir,
Kamerad. Es darf nie wieder geschehen."
Die Sonne steht schr
u
g. Ich bin dumpf vor Ersch
u
pfung und Hunger. Das
Gestern ist mir wie ein Nebel, ich hoffe nicht, hier noch hinauszugelangen.
So d
u
se ich dahin und begreife nicht einmal, daß es Abend wird. Die
D
u
mmerung kommt. Es scheint mir rasch jetzt. Noch eine Stunde. W
u
re es
Sommer, noch drei Stunden. Noch eine Stunde.
Nun beginne ich pl
u
tzlich zu zittern, daß etwas dazwischenk
u
me.
Ich denke nicht mehr an den Toten, er ist mir jetzt v
u
llig gleichg
u
ltig. Mit
einem Schlage springt die Lebensgier auf, und alles, was ich mir vorgenommen
habe, versinkt davor. Nur um jetzt nicht noch Ungl
u
ck zu haben, plappere ich
mechanisch: "Ich werde alles halten, was ich dir versprochen habe -", aber
ich weiß schon jetzt, daß ich es nicht tun werde.
Pl
u
tzlich f
u
llt mir ein, daß meine eigenen Kameraden auf mich
schießen k
u
nnen, wenn ich ankrieche; sie wissen es ja nicht. Ich werde
rufen, so fr
u
h es geht, damit sie mich verstehen. So lange will ich vor dem
Graben liegenbleiben, bis sie mir antworten.
Der erste Stern. Die Front bleibt ruhig. Ich atme auf und spreche vor
Aufregung mit mir selbst: "Jetzt keine Dummheit, Paul - Ruhe, Ruhe, Paul -,
dann bist du gerettet, Paul." Es wirkt, wenn ich meinen Vornamen sage, das
ist, als t
u
te es ein anderer, und hat so mehr Gewalt.
Die Dunkelheit w
u
chst. Meine Aufregung legt sich, ich warte aus
Vorsicht, bis die ersten Raketen steigen. Dann krieche ich aus dem Trichter.
Den Toten habe ich vergessen. Vor mir liegt die beginnende Nacht und das
bleich beleuchtete Feld. Ich fasse ein Loch ins Auge; im Moment, wo das
Licht erlischt, schnelle ich hin
u
ber, taste weiter, erwische das n
u
chste,
ducke mich, husche weiter.
Ich komme n
u
her. Da sehe ich bei einer Rakete, wie im Draht sich etwas
eben noch bewegt, ehe es erstarrt, und liege still. Beim n
u
chstenmal sehe
ich es wieder, es sind bestimmt Kameraden aus unserm Graben. Aber ich bin
vorsichtig, bis ich unsere Helme erkenne. Dann rufe ich.
Gleich darauf erschallt als Antwort mein Name: "Paul - Paul -"
Ich rufe wieder. Es sind Kat und Albert, die mit einer Zeltbahn
losgegangen sind, um mich zu suchen.
"Bist du verwundet?"
"Nein, nein -"
Wir rutschen in den Graben. Ich verlange Essen und schlinge es
hinunter. M
u
ller gibt mir eine Zigarette. Ich sage mit wenigen Worten, was
geschehen ist. Es ist ja nichts Neues; so was ist schon oft passiert. Nur
der Nachtangriff ist das Besondere bei der Sache. Aber Kat hat in
Rußland schon einmal zwei Tage hinter der russischen Front gelegen,
ehe er sich durchschlagen konnte.
Von dem toten Buchdrucker sage ich nichts.
Erst am n
u
chsten Morgen halte ich es nicht mehr aus. Ich muß es
Kat und Albert erz
u
hlen. Sie beruhigen mich beide.
"Du kannst gar nichts daran machen. Was wolltest du anders tun. Dazu
bist du doch hier!"
Ich h
u
re ihnen geborgen zu, getr
u
stet durch ihre N
u
he. Was habe ich nur
f
u
r einen Unsinn zusammengefaselt da in dem Trichter.
"Sieh mal dahin", zeigt Kat.
An den Brustwehren stehen einige Scharfsch
u
tzen. Sie haben Gewehre mit
Zielfernrohren aufliegen und lauern den Abschnitt dr
u
ben ab. Hin und wieder
knallt ein Schuß. Jetzt h
u
ren wir Ausrufe. "Das hat gesessen?" - "Hast
du gesehen, wie er hochsprang?" Sergeant Oellrich wendet sich stolz um und
notiert seinen Punkt. Er f
u
hrt in der Schußliste von heute mit
drei'einwandfrei festgestellten Treffern.
"Was sagst du dazu?" fragt Kat.
Ich nicke.
"Wenn er so weitermacht, hat er heute abend ein buntes V
u
gelchen mehr
im Knopfloch", meint Kropp.
"Oder er wird bald Vizefeldwebel", erg
u
nzt Kat.
Wir sehen uns an. "Ich w
u
rde es nicht machen", sage ich.
"Immerhin", sagt Kat, "es ist ganz gut, daß du es jetzt gerade
siehst."
Sergeant Oellrich tritt wieder an die Brustwehr. Die M
u
ndung seines
Gewehrs geht hin und her.
"Da brauchst du
u
ber deine Sache kein Wort mehr zu verlieren", nickt
Albert.
Ich begreife mich jetzt auch selbst nicht mehr.
"Es war nur, weil ich so lange mit ihm zusammen liegen.mußte",
sage ich. Krieg ist Krieg schließlich.
Oellrichs Gewehr knallt kurz und trocken.
Wir haben einen guten Posten erwischt. Mit acht Mann m
u
ssen wir ein
Dorf bewachen, das ger
u
umt worden ist, weil es zu stark beschossen wird.
Haupts
u
chlich sollen wir auf das Proviantamt achten, das noch nicht
leer ist. Verpflegung m
u
ssen wir uns aus den Best
u
nden selbst besorgen.
Daf
u
r sind wir die richtigen Leute - Kat, Albert, M
u
ller, Tjaden, Leer,
Detering, unsere ganze Gruppe ist da. Allerdings, Haie ist tot. Aber das ist
noch ein m
u
chtiges Gl
u
ck, denn alle anderen Gruppen haben mehr Verluste als
unsere gehabt.
Als Unterstand w
u
hlen wir einen betonierten Keller, zu dem von
außen eine Treppe hinunterf
u
hrt. Der Eingang ist noch durch eine
besondere Betonmauer gesch
u
tzt.
Jetzt entfalten wir eine große T
u
tigkeit. Es ist wieder eine
Gelegenheit, nicht nur die Beine, sondern auch die Seele zu strecken. Und
solche Gelegenheiten nehmen wir wahr; denn unsere Lage ist zu verzweifelt,
um lange sentimental sein zu k
u
nnen. Das ist nur m
u
glich, solange es noch
nicht ganz schlimm ist. Uns jedoch bleibt nichts anderes, als sachlich zu
sein. So sachlich, daß mir manchmal graut, wenn einen Augenblick ein
Gedanke aus der fr
u
heren Zeit, vor dem Kriege, sich in meinen Kopf verirrt.
Er bleibt auch nicht lange.
Wir m
u
ssen unsere Lage so leicht nehmen wie m
u
glich. Deshalb n
u
tzen wir
jede Gelegenheit dazu, und unmittelbar, hart, ohne
u
bergang steht neben dem
Grauen der Bl
u
dsinn. Wir k
u
nnen gar nicht anders, wir st
u
rzen uns hinein.
Auch jetzt geht es mit Feuereifer daran, ein Idyll zu schaffen, ein Idyll
des Fressens und Schlafens nat
u
rlich. Die Bude wird zun
u
chst einmal mit
Matratzen belegt, die wir aus den H
u
usern heranschleppen. Ein
Soldatenhintern sitzt gern auch mal weich. Nur in der Mitte des Raumes
bleibt der Boden frei. Dann besorgen wir uns Decken und Federbetten,
prachtvolle weiche Dinger. Von allem ist im Dorf ja gen
u
gend vorhanden.
Albert und ich finden ein zerlegbares Mahagonibett mit einem Himmel aus
blauer Seide und Spitzen
u
berwurf. Wir schwitzen wie die Affen beim
Transport, aber so was kann man sich doch nicht entgehen lassen, zumal es in
ein paar Tagen doch sicher zerschossen wird.
Kat und ich machen einen kleinen Patrouillengang durch die H
u
user. Nach
kurzer Zeit haben wir ein Dutzend Eier und zwei Pfund ziemlich frische
Butter gefaßt. Pl
u
tzlich kracht es in einem Salon, und ein eiserner
Ofen saust durch die Wand, an uns vorbei, einen Meter neben uns wieder durch
die Wand. Zwei L
u
cher. Er kommt aus dem Hause gegen
u
ber, in das eine Granate
gehauen ist. "Schwein gehabt", grinst Kat, und wir suchen weiter. Mit einem
Male spitzen wir die Ohren und machen lange Beine. Gleich darauf stehen wir
wie verzaubert: In einem kleinen Stall tummeln sich zwei lebende Ferkel. Wir
reiben uns die Augen und sehen vorsichtig wieder hin: sie sind tats
u
chlich
noch immer da. Wir fassen sie an - kein Zweifel, es sind zwei wirkliche
junge Schweine.
Das gibt ein herrliches Essen. Etwa f
u
nfzig Schritt von unserm
Unterstand entfernt steht ein kleines Haus, das als Offiziersquartier
gedient hat In der K
u
che befindet sich ein riesiger Herd mit zwei
Feuerrosten, Pfannen, T
u
pfen und Kesseln. Alles ist da, sogar eine Unmenge
kleingehacktes Holz steckt in einem Schuppen - das wahre Schlaraffenhaus.
Zwei Mann sind seit dem Morgen auf den Feldern und suchen Kartoffeln,
Mohrr
u
ben und junge Erbsen. Wir sind n
u
mlich
u
ppig und pfeifen auf die
Konserven des Proviantamts, wir wollen frische Sachen haben. In der
Speisekammer liegen schon zwei K
u
pfe Blumenkohl. Die Ferkel sind
geschlachtet. Kat hat das erledigt. Zu dem Braten wollen wir Kartoffelpuffer
machen. Aber wir finden keine Reiben f
u
r die Kartoffeln. Doch auch da ist
bald abgeholfen. In Blechdeckel schlagen wir mit N
u
geln eine Menge L
u
cher,
und schon sind es Reiben. Drei Mann ziehen dicke Handschuhe an, um die
Finger beim Reiben zu schonen, zwei andere sch
u
len Kartoffeln, und es geht
rasch vorw
u
rts.
Kat betreut die Ferkel, die Mohrr
u
ben, die Erbsen und den Blumenkohl.
Zu dem Blumenkohl mischt er sogar eine weiße Soße zurecht. Ich
backe Puffer, immer vier zu gleicher Zeit. Nach zehn Minuten habe ich es
heraus, die Pfanne so zu schwenken, daß die auf der einen Seite
fertigen Puffer hochfliegen, sich in der Luft drehen und wieder aufgefangen
werden. Die Ferkel werden unzerschnitten gebraten. Alles steht um sie herum
wie um einen Altar.
Inzwischen ist Besuch gekommen, zwei Funker, die freigebig zum Essen
eingeladen werden. Sie sitzen im Wohnzimmer, wo ein Klavier steht. Einer
spielt, der andere singt: "An der Weser". Er singt es gef
u
hlvoll, aber
ziemlich s
u
chsisch. Trotzdem ergreift es uns, w
u
hrend wir so am Herd all die
sch
u
nen Sachen vorbereiten.
Allm
u
hlich merken wir, daß wir Kattun kriegen. Die Fesselballons
haben den Rauch aus unserm Schornstein spitz bekommen, und wir werden mit
Feuer belegt. Es sind die verfluchten kleinen Spritzbiester, die so ein
kleines Loch machen und so weit und niedrig streuen. Immer n
u
her pfeift es
um uns herum, aber wir k
u
nnen doch das Essen nicht im Stich lassen. Die
Bande schießt sich ein. Ein paar Splitter sausen oben durchs
K
u
chenfenster. Wir sind bald mit dem Braten fertig. Doch das Pufferbacken
wird jetzt schwieriger. Die Einschl
u
ge kommen so dicht, daß oft und
u
fter die Splitter gegen die Hauswand klatschen und durch die Fenster fegen.
Jedesmal, wenn ich ein Ding heranpfeifen h
u
re, gehe ich mit der Pfanne und
den Puffern in die Knie und ducke mich hinter die Fenstermauer. Sofort
danach bin ich wieder hoch und backe weiter.
Die Sachsen h
u
ren auf zu spielen, ein Splitter ist ins Klavier
geflogen. Auch wir sind jetzt allm
u
hlich fertig und organisieren den
R
u
ckzug. Nach dem n
u
chsten Einschlag laufen zwei Mann mit den Gem
u
set
u
pfen
los, die f
u
nfzig Meter bis zum Unterstand. Wir sehen sie verschwinden.
Der n
u
chste Schuß. Alles duckt sich, und dann traben zwei Mann
mit je einer großen Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab und erreichen
vor dem folgenden Einschlag den Unterstand.
Jetzt schnappen sich Kat und Kropp das Glanzst
u
ck: die große
Pfanne mit den braungebratenen Ferkeln. Ein Heulen, eine Kniebeuge, und
schon rasen sie
u
ber die f
u
nfzig Meter freies Feld.
Ich backe meine letzten vier Puffer noch fertig; zweimal muß ich
dabei auf den Boden - aber es sind schließlich vier Puffer mehr, und
es ist mein Lieblingsessen.
Dann ergreife ich die Platte mit dem hohen Stapel und presse mich
hinter die Haust
u
r. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden
H
u
nden die Platte an die Brust gedr
u
ckt. Fast bin ich angelangt, da pfeift
es anschwellend, ich t
u
rme wie ein Hirsch, fege um die Betonwand, Spritzer
klatschen gegen die Mauer, ich falle die Kellertreppe hinunter, meine
Ellenbogen sind zerschlagen, aber ich habe keinen einzigen Puffer verloren
und die Platte nicht umgekippt.
Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis sechs. Bis halb
sieben trinken wir Kaffee - Offizierskaffee aus dem Proviantamt - und
rauchen Offizierszigarren und Zigaretten - ebenfalls aus dem Proviantamt.
Punkt halb sieben fangen wir mit dem Abendessen an. Um zehn Uhr werfen wir
die Gerippe der Ferkel vor die T
u
r. Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls
aus dem gesegneten Proviantamt und wieder lange, dicke Zigarren mit
Bauchbinden. Tjaden behauptet, daß nur eines fehle: M
u
dchen aus einem
Offizierspuff.
Sp
u
tabends h
u
ren wir Miauen. Eine kleine graue Katze sitzt am Eingang.
Wir locken sie heran und f
u
ttern sie. Dar
u
ber kommt auch uns wieder der
Appetit. Kauend legen wir uns schlafen.
Doch die Nacht ist b
u
se. Wir haben zu fett gegessen. Frisches
Spanferkel wirkt angreifend auf die D
u
rme. Es ist ein ewiges Kommen und
Gehen im Unterstand. Zwei, drei Mann sitzen immer mit heruntergezogenen
Hosen draußen herum und fluchen. Ich selbst bin neunmal unterwegs.
Gegen vier Uhr nachts erreichen wir einen Rekord: alle elf Mann, Wache und
Besuch, sitzen draußen.
Brennende H
u
user stehen wie Fackeln in der Nacht. Granaten poltern
heran und hauen ein. Munitionskolonnen rasen
u
ber die Straße. An der
einen Seite ist das Proviantamt aufgerissen. Wie ein Schw
u
rm Bienen dr
u
ngen
sich dort trotz aller Splitter die Kolonnenfahrer und klauen Brot. Wir
lassen sie ruhig gew
u
hren. Wenn wir was sagen w
u
rden, g
u
be es h
u
chstens eine
Tracht Pr
u
gel f
u
r uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erkl
u
ren, daß
wir die Wache sind, und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven
an, die wir gegen Sachen tauschen, die uns fehlen.
Was macht es schon - in kurzer Zeit ist ohnehin alles zerschossen. F
u
r
uns selbst holen wir Schokolade aus dem Depot und essen sie tafelweise. Kat
sagt, sie sei gut f
u
r einen allzu eiligen Bauch. -
Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen, Trinken und Bummeln. Niemand
st
u
rt uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir f
u
hren
ein gl
u
ckliches Leben. Solange nur noch ein Teil des Proviantamtes steht,
ist uns alles egal, und wir w
u
nschen bloß, hier das Ende des Krieges
zu erleben.
Tjaden ist derartig fein geworden, daß er die Zigarren nur halb
aufraucht. Er erkl
u
rt hochn
u
sig, er sei es so gewohnt. Auch Kat ist sehr
aufgemuntert. Sein erster Ruf morgens ist: "Emil, bringen Sie Kaviar und
Kaffee." Es ist
u
berhaupt erstaunlich vornehm bei uns, jeder h
u
lt den andern
f
u
r seinen Burschen, siezt ihn und gibt ihm Auftr
u
ge. "Kropp, es juckt mich
unter dem Fuß, fangen Sie doch mal die Laus weg", damit streckt ihm
Leer sein Bein hin wie eine Schauspielerin, und Albert schleift ihn daran
die Treppen hinauf. "Tjaden!" - "Was ?" - " Stehen Sie bequem, Tjaden,
u
brigens heißt es nicht: Was, sondern: Zu Befehl - also: Tjaden!"
Tjaden begibt sich wieder auf ein Gastspiel zu G
u
tz von Berlichingen, der
ihm nur so im Handgelenk sitzt.
Nach weiteren acht Tagen erhalten wir Befehl, abzur
u
cken. Die
Herrlichkeit ist aus. Zwei große Lastautos nehmen uns auf. Sie sind
hoch bepackt mit Brettern. Aber noch oben darauf bauen Albert und ich unser
Himmelbett mit dem blauseidenen
u
berwurf auf, mit Matratzen und zwei
Spitzenoberbetten. Hinten drin am Kopfende liegt f
u
r jeden ein Sack mit
besten Lebensmitteln. Wir f
u
hlen manchmal dar
u
ber hin, und die harten
Mettw
u
rste, die Leberwurstb
u
chsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen
unsere Herzen jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich.
Kropp und ich haben aber außerdem noch zwei rote Samtfauteuils
gerettet. Sie stehen im Bett, und wir r
u
keln uns darauf wie in einer
Theaterloge.
u
ber uns bauscht sich die Seide des
u
berwurfs als Baldachin.
Jeder hat eine lange Zigarre im Mund. So schauen wir hoch von oben in die
Gegend.
Zwischen uns steht ein Papageienk
u
fig, den wir f
u
r die Katze gefunden
haben. Sie wird mitgenommen und liegt drinnen vor ihrem Fleischnapf und
schnurrt.
Langsam rollen die Wagen
u
ber die Straße. Wir singen. Hinter uns
spritzen die Granaten Font
u
nen aus dem nun ganz verlassenen Dorf.
Einige Tage sp
u
ter r
u
cken wir aus, um eine Ortschaft aufzur
u
umen.
Unterwegs begegnen uns die fliehenden Bewohner, die ausgewiesen sind. Sie
schleppen ihre Habseligkeiten in Karren, in Kinderwagen und auf dem R
u
cken
mit sich. Ihre Gestalten sind gebeugt, ihre Gesichter voll Kummer,
Verzweiflung, Hast und Ergebenheit. Die Kinder h
u
ngen an den H
u
nden der
M
u
tter, manchmal f
u
hrt auch ein
u
lteres M
u
dchen die Kleinen, die vorw
u
rts
taumeln und immer wieder zur
u
cksehen. Einige tragen armselige Puppen mit
sich. Alle schweigen, als sie an uns vor
u
bergehen.
Noch sind wir in Marschkolonne, die Franzosen werden ja nicht ein Dorf
beschießen, in dem Landsleute sind. Aber wenige Minuten sp
u
ter heult
die Luft, die Erde bebt, Schreie ert
u
nen - eine Granate hat den hintersten
Zug zerschmettert. Wir spritzen auseinander und werfen uns hin, aber im
selben Moment f
u
hle ich, wie mir die Spannung entgleitet, die mich sonst
immer bei Feuer unbewußt das Richtige tun l
u
ßt, der Gedanke "Du
bist verloren" zuckt auf mit einer w
u
rgenden, schrecklichen Angst - und im
n
u
chsten Augenblick fegt ein Schlag wie von einer Peitsche
u
ber mein linkes
Bein. Ich h
u
re Albert schreien, er ist neben mir.
"Los, auf, Albert!" br
u
lle ich, denn wir liegen ungesch
u
tzt auf freiem
Felde.
Er taumelt hoch und l
u
uft. Ich bleibe neben ihm. Wir m
u
ssen
u
ber eine
Hecke; sie ist h
u
her als wir. Kropp faßt in die Zweige, ich packe sein
Bein, er schreit auf, ich gebe ihm Schwung, er fliegt hin
u
ber. Mit einem
Satz bin ich hinter ihm her und falle in einen Teich, der hinter der Hecke
liegt.
Wir haben das Gesicht voll Wasserlinsen und Schlamm, aber die Deckung
ist gut. Deshalb waten wir hinein bis zum Halse. Wenn es heult, gehen wir
mit dem Kopf unter Wasser.
Nachdem wir das ein dutzendmal gemacht haben, wird es mir
u
ber. Auch
Albert st
u
hnt: "Laß uns weg, ich falle sonst um und ersaufe."
"Wo hast du was gekriegt?" frage ich.
"Am Knie, glaube ich."
"Kannst du laufen?"
"Ich denke -"
"Dann los."
Wir gewinnen den Chausseegraben und rennen ihn geb
u
ckt entlang. Das
Feuer folgt uns. Die Straße hat die Richtung auf das Munitionsdepot.
Wenn das hochgeht, findet nie jemand von uns einen Knopf wieder. Wir andern
deshalb unsern Plan und laufen im Winkel querfeldein.
Albert wird langsamer. "Lauf zu, ich komme nach", sagt er und wirft
sich hin.
Ich reiße ihn am Arm auf und sch
u
ttele ihn. "Hoch, Albert, wenn
du dich erst hinlegst, kannst du nie mehr weiter. Los, ich st
u
tze dich."
Endlich erreichen wir einen kleinen Unterstand. Kropp schmeißt
sich hin, und ich verbinde ihn. Der Schuß sitzt kurz
u
ber dem Knie.
Dann sehe ich mich selbst an. Die Hose ist blutig, ebenso der Arm. Albert
bindet mir seine P
u
ckchen um die L
u
cher. Er kann sein Bein schon nicht mehr
bewegen, und wir wundern uns beide, wie wir es
u
berhaupt bis hierher
geschafft haben. Das hat nur die Angst gemacht; wir w
u
rden fortgelaufen
sein, selbst wenn uns die F
u
ße weggeschossen w
u
ren - dann eben auf
St
u
mpfen.
Ich kann noch etwas kriechen und rufe einen vor
u
berfahrenden
Leiterwagen an, der uns mitnimmt. Er ist voller Verwundeter. Ein
Sanit
u
tsgefreiter ist dabei, der uns eine Tetanusspritze in die Brust jagt -
Im Feldlazarett richten wir es so ein, daß wir nebeneinander zu
liegen kommen. Es gibt eine d
u
nne Suppe, die wir gierig und ver
u
chtlich
ausl
u
ffeln, weil wir zwar bessere Zeiten gew
u
hnt sind, aber doch Hunger
haben.
"Nun geht's in die Heimat, Albert", sage ich.
"Hoffentlich", antwortet er. "Wenn ich bloß w
u
ßte, was ich
habe."
Die Schmerzen werden st
u
rker. Wie Feuer brennen die Verb
u
nde. Wir
trinken und trinken, einen Becher Wasser nach dem andern.
"Wieviel
u
ber dem Knie ist mein Schuß?" fragt Kropp.
"Mindestens zehn Zentimeter, Albert", antworte ich. In Wirklichkeit
sind es vielleicht drei.
"Das habe ich mir vorgenommen", sagt er nach einer Weile, "wenn sie mir
einen Knochen abnehmen, mache ich Schluß. Ich will nicht als Kr
u
ppel
durch die Welt laufen."
So liegen wir mit unsern Gedanken und warten.
Abends werden wir zur Schlachtbank geholt. Ich erschrecke und
u
berlege
rasch, was ich tun soll; denn es ist bekannt, daß die
u
rzte in den
Feldlazaretten leicht amputieren. Bei dem großen Andrang ist das
einfacher als komplizierte Flickereien. Kemmerich f
u
llt mir ein. Auf keinen
Fall werde ich mich chloroformieren lassen, selbst wenn ich ein paar Leuten
den Sch
u
del einschlagen muß.
Es geht gut. Der Arzt stochert in der Wunde herum, daß mir
schwarz vor Augen wird. "Stellen Sie sich nicht so an", schimpft er und
s
u
belt weiter. Die Instrumente blitzen in dem hellen Licht wie b
u
sartige
Tiere. Die Schmerzen sind unertr
u
glich. Zwei Krankenw
u
rter halten meine Arme
fest, aber ich kriege einen los und will ihn gerade dem Arzt in die Brille
knallen, als er es merkt und wegspringt. "Chloroformiert den Kerl!" schreit
er w
u
tend.
Da werde ich ruhig. "Entschuldigen Herr Doktor, ich werde stillhalten,
aber chloroformieren Sie mich nicht."
"Na ja", kakelt er und nimmt seine Instrumente wiedervor. Er ist ein
blonder Bursche, h
u
chstens dreißig Jahre alt, mit Schmissen und einer
widerlichen goldenen Brille. Ich merke daß er mich jetzt schikaniert,
er w
u
hlt nur so in der Wunde und schielt ab und zu
u
ber seine Gl
u
ser zu mir
hin. Meine H
u
nde quetschen sich um die Griffe, eher verrecke ich, als
daß er einen Mucks von mir h
u
rt.
Er hat einen Splitter herausgeangelt und wirft ihn mir zu. Scheinbar
ist er befriedigt von meinem Verhalten, denn er schient mich jetzt
sorgf
u
ltig und sagt: "Morgen geht's ab nach Hause." Dann werde ich
eingegipst. Als ich wieder mit Kropp zusammen bin, erz
u
hle ich ihm,
daß also wahrscheinlich morgen schon ein Lazarettzug eintreffen wird.
"Wir m
u
ssen mit dem Sanit
u
tsfeldwebel sprechen, damit wir beieinander
bleiben, Albert."
Es gelingt mir, dem Feldwebel mit ein paar passenden Worten zwei meiner
Zigarren mit Bauchbinden zu
u
berreichen. Er schnuppert daran und fragt:
"Hast du noch mehr davon?"
"Noch eine gute Handvoll", sage ich, "und mein Kamerad", ich zeige auf
Kropp, "ebenfalls. Die m
u
chten wir Ihnen gern morgen zusammen aus dem
Fenster des Lazarettzuges
u
berreichen."
Er kapiert nat
u
rlich, schnuppert noch einmal und sagt: "Gemacht."
Wir k
u
nnen keine Minute nachts schlafen. In unserm Saal sterben sieben
Leute. Einer singt eine Stunde lang in einem hohen Quetschtenor Chor
u
le, ehe
er zu r
u
cheln beginnt. Ein anderer ist vorher aus dem Bett ans Fenster
gekrochen. Er liegt davor, als h
u
tte er zum letztenmal hinaussehen wollen.
Unsere Bahren stehen auf dem Bahnhof. Wir warten auf den Zug. Es
regnet, und der Bahnhof hat kein Dach. Die Decken sind d
u
nn. Wir warten
schon zwei Stunden.
Der Feldwebel betreut uns wie eine Mutter. Obschon mir sehr schlecht
ist, verliere ich unsern Plan nicht aus den Gedanken. So nebenbei lasse ich
die P
u
ckchen sehen und gebe eine Zigarre als Vorschuß ab. Daf
u
r deckt
der Feldwebel uns eine Zeltbahn
u
ber.
"Mensch, Albert", erinnere ich mich, "unser Himmelbett und die Katze -"
"Und die Klubsessel", f
u
gt er hinzu.
Ja, die Klubsessel aus rotem Pl
u
sch. Wir hatten wie F
u
rsten abends
darauf gesessen und uns vorgenommen, sie sp
u
ter stundenweise abzuvermieten.
Pro Stunde eine Zigarette. Es w
u
re ein sorgenloses Leben und ein Gesch
u
ft
geworden.
"Albert", f
u
llt mir ein, "und unsere Freßs
u
cke."
Wir werden schwerm
u
tig. Die Sachen h
u
tten wir gebrauchen k
u
nnen. Wenn
der Zug einen Tag sp
u
ter f
u
hre, h
u
tte Kat uns sicher gefunden und uns den
Kram gebracht.
Ein verfluchtes Schicksal. Wir haben Mehlsuppe im Magen, d
u
nnes
Lazarettfutter, und in unseren S
u
cken ist Schweinebraten als Konserve. Aber
wir sind so schwach, daß wir uns nicht weiter dar
u
ber aufregen k
u
nnen.
Die Bahren sind klatschnaß, als der Zug morgens einl
u
uft. Der
Feldwebel sorgt daf
u
r, daß wir in denselben Wagen kommen. Eine Menge
Rote-Kreuz-Schwestern sind da. Kropp wird nach unten gepackt. Ich werde
angehoben und soll in das Bett
u
ber ihm.
"Um Gottes willen", entf
u
hrt es mir pl
u
tzlich.
"Was ist denn?" fragt die Schwester.
Ich werfe noch einen Blick auf das Bett. Es ist mit schneeweißem
Leinen bezogen, unvorstellbar sauberem Leinen, das sogar noch die
Pl
u
ttkniffe hat. Mein Hemd dagegen ist sechs Wochen lang nicht gewaschen
worden und sehr dreckig.
"K
u
nnen Sie nicht allein hineinkriechen?" fragt die Schwester besorgt.
"Das schon", sagte ich schwitzend, "aber tun Sie doch erst das Bettzeug
weg."
"Warum denn?"
Ich komme mir wie ein Schwein vor. Da soll ich mich hineinlegen? - "Es
wird ja -" Ich z
u
gere.
"Ein bißchen schmutzig?" fragt sie ermunternd. "Das schadet
nichts, dann waschen wir es eben nachher wieder."
"Nee, das nicht -", sage ich aufgeregt. Diesem Ansturm der Kultur bin
ich nicht gewachsen.
"Daf
u
r, daß Sie draußen im Graben gelegen haben, werden wir
wohl noch ein Bettlaken waschen k
u
nnen", f
u
hrt sie fort.
Ich sehe sie an, sie sieht knusprig und jung aus, blank gewaschen und
fein, wie alles hier, man begreift nicht, daß es nicht nur f
u
r
Offiziere ist, und f
u
hlt sich unheimlich und sogar irgendwie bedroht.
Das Weib ist trotzdem ein Folterknecht, es zwingt mich, alles zu sagen.
"Es ist nur -", ich halte ein, sie muß doch verstehen, was ich meine.
"Was denn noch?"
"Wegen der L
u
use", br
u
lle ich schließlich heraus.
Sie lacht. "Die m
u
ssen auch mal gute Tage haben."
Nun kann es mir ja gleich sein. Ich krabbele ins Bett und decke mich
zu.
Eine Hand fingert
u
ber die Decke. Der Feldwebel. Er zieht mit den
Zigarren ab.
Nach einer Stunde merken wir, daß wir fahren.
Nachts erwache ich. Auch Kropp r
u
hrt sich. Der Zug rollt leise
u
ber die
Schienen. Es ist alles noch unbegreiflich: ein Bett, ein Zug, nach Hause.
Ich fl
u
stere: "Albert!"
"Ja -"
"Weißt du, wo hier die Latrine ist?"
"Ich glaube, dr
u
ben rechts die T
u
r."
"Ich werde mal sehen." Es ist dunkel, ich taste nach dem Bettrand und
will vorsichtig hinuntergleiten. Aber mein Fuß findet keinen Halt, ich
gerate ins Rutschen, das Gipsbein ist keine Hilfe, und mit einem Krach liege
ich auf dem Boden.
"Verflucht", sage ich.
"Hast du dich gestoßen?" fragt Kropp.
"Das k
u
nntest du doch wohl geh
u
rt haben", knurre ich, "mein Sch
u
del -"
Hinten im Wagen
u
ffnet sich die T
u
r. Die Schwester kommt mit Licht und
sieht mich.
"Er ist aus dem Bett gefallen"
Sie f
u
hlt mir den Puls und faßt meine Stirn an. "Sie haben aber
kein Fieber."
"Nein -", gebe ich zu.
"Haben Sie denn getr
u
umt?" fragt sie.
"So ungef
u
hr", weiche ich aus. Jetzt geht die Fragerei wieder los. Sie
sieht mich mit ihren blanken Augen an, sauber und wunderbar ist sie, um so
weniger kann ich ihr sagen, was ich will.
Ich werde wieder nach oben gehoben. Das kann ja gut werden. Wenn sie
fort ist, muß ich sofort wieder versuchen, hinunterzusteigen. W
u
re sie
eine alte Frau, so ginge es eher, ihr Bescheid zu sagen, aber sie ist ja
ganz jung, h
u
chstens f
u
nfundzwanzig Jahre, es ist nichts zu machen, ich kann
es ihr nicht sagen.
Da kommt Albert mir zu Hilfe, er geniert sich nicht, er ist es ja auch
schließlich nicht, den die Sache angeht. Er ruft die Schwester an. Sie
dreht sich um. "Schwester, er wollte -", aber auch Albert weiß nicht
mehr, wie er sich tadellos und anst
u
ndig ausdr
u
cken soll. Unter uns
draußen ist das mit einem einzigen Wort gesagt, aber hier, einer
solchen Dame gegen
u
ber - Mit einem Male jedoch f
u
llt ihm die Schulzeit ein,
und er vollendet fließend: "Er m
u
chte mal hinaus, Schwester."
"Ach so", sagt die Schwester. "Dazu braucht er doch nicht mit seinem
Gipsverband aus dem Bett zu klettern. Was wollen Sie denn haben?" wendet sie
sich an mich.
Ich bin t
u
dlich erschrocken
u
ber diese neue Wendung, denn ich habe
keine Ahnung, wie man die Dinge fachm
u
nnisch benennt. Die Schwester kommt
mir zu Hilfe. "Klein oder groß?" Diese Blamage! Ich schwitze wie ein
Affe und sage verlegen: "Na, also nur klein -"
Immerhin, wenigstens noch etwas Gl
u
ck.
Ich erhalte eine Flasche. Nach einigen Stunden bin ich nicht mehr der
einzige, und morgens haben wir uns gew
u
hnt und verlangen ohne Besch
u
mung,
was wir brauchen.
Der Zug f
u
hrt langsam. Manchmal h
u
lt er, und die Toten werden
ausgeladen. Er h
u
lt oft.
Albert hat Fieber. Mir geht es leidlich, ich habe Schmerzen, aber
schlimmer ist es, daß wahrscheinlich unter dem Gipsverband noch L
u
use
sitzen. Es juckt f
u
rchterlich, und ich kann mich nicht kratzen.
Wir schlummern durch die Tage. Die Landschaft geht still durch die
Fenster. In der dritten Nacht sind wir in Herbesthal. Ich h
u
re von der
Schwester, daß Albert an der n
u
chsten Station ausgeladen werden soll,
wegen seines Fiebers. "Wie weit f
u
hrt der Zug?" frage ich.
"Bis K
u
ln."
"Albert, wirbleiben zusammen", sage ich, "paß auf." Beim n
u
chsten
Rundgang der Schwester halte ich die Luft an und presse den Atem in den
Kopf. Er schwillt und wird rot. Sie bleibt stehen. "Haben Sie Schmerzen?"
"Ja", st
u
hne ich, "mit einem Male."
Sie gibt mir ein Thermometer und geht weiter. Ich m
u
ßte nicht bei
Kat in der Lehre gewesen sein, um nicht Bescheid zu wissen. Diese
Soldatenthermometer sind nicht f
u
r erfahrenes Milit
u
r berechnet. Es handelt
sich nur darum, das Quecksilber hochzutreiben, dann bleibt es in der d
u
nnen
R
u
hre stehen und sinkt nicht wieder.
Ich stecke das Thermometer unter den Arm, schr
u
g nach unten, und knipse
mit dem Zeigefinger st
u
ndig dagegen. Darauf sch
u
ttele ich es nach oben.
Damit erreiche ich 37,9 Grad. Das gen
u
gt aber nicht. Ein Streichholz
vorsichtig nahe darangehalten ergibt 38,7 Grad.
Als die Schwester zur
u
ckkommt, puste ich mich auf, atme leicht
stoßweise, glotze sie mit etwas stieren Augen an, bewege mich unruhig
und fl
u
stere: "Ich kann es nicht mehr aushalten -"
Sie notiert mich auf einem Zettel. Ich weiß genau, daß ohne
Not mein Gipsverband nicht ge
u
ffnet wird.
Albert und ich werden zusammen ausgeladen.
Wir liegen in einem katholischen Hospital, im gleichen Zimmer. Das ist
ein großes Gl
u
ck, denn die katholischen Krankenh
u
user sind bekannt f
u
r
gute Behandlung und gutes Essen. Das Lazarett ist voll belegt worden aus
unserm Zug, es sind viele schwere F
u
lle dabei. Wir kommen heute noch nicht
zur Untersuchung, da zu wenig Arzte da sind. Auf dem Korridor fahren
unabl
u
ssig die flachen Wagen mit den Gummir
u
dern vorbei, und immer liegt
jemand lang darauf. Eine verfluchte Lage - so langgestreckt - nur gut, wenn
man schl
u
ft.
Die Nacht ist sehr unruhig. Keiner kann schlafen. Gegen Morgen duseln
wir etwas ein. Ich erwache, als es hell wird. Die T
u
r steht offen, und vom
Korridor h
u
re ich Stimmen. Auch die andern wachen auf. Einer, der schon ein
paar Tage da ist, erkl
u
rt uns die Sache: "Hier oben wird jeden Morgen auf
dem Korridor gebetet von den Schwestern. Sie nennen das Morgenandacht. Damit
ihr euren Teil abkriegt, machen sie die T
u
ren auf."
Das ist sicher gut gemeint, aber uns tun die Knochen und die Sch
u
del
weh.
"So ein Unsinn", sage ich, "wenn man gerade eingeschlafen ist."
"Hier oben liegen die leichteren F
u
lle, da machen sie es so", antwortet
er.
Alben st
u
hnt. Ich werde w
u
tend und rufe: "Ruhe da draußen."
Nach einer Minute erscheint eine Schwester. Sie sieht in ihrer
weiß und schwarzen Tracht aus wie ein h
u
bscher Kaffeew
u
rmer. "Machen
Sie doch die T
u
r zu, Schwester", sagt jemand.
"Es wird gebetet, deshalb ist die T
u
r offen", erwidert sie.
"Wir m
u
chten aber noch schlafen -"
"Beten ist besser als schlafen." Sie steht da und l
u
chelt unschuldig.
"Es ist auch schon sieben Uhr."
Albert st
u
hnt wieder. "T
u
r zu!" schnauze ich.
Sie ist ganz verdutzt, so etwas kann sie scheinbar nicht begreifen. "Es
wird doch auf f
u
r Sie mitgebetet."
"Einerlei! T
u
r zu!"
Sie verschwindet und l
u
ßt die T
u
r offen. Die Litanei ert
u
nt
wieder. Ich bin wild und sage: "Ich z
u
hle jetzt bis drei. Wenn es bis dahin
nicht aufh
u
rt, fliegt was."
"Von mir auch", erkl
u
rt ein anderer.
Ich z
u
hle bis f
u
nf. Dann nehme ich eine Flasche, ziele und werfe sie
durch die T
u
r auf den Korridor. Sie zerspringt in tausend Splitter. Das
Beten h
u
rt auf. Ein Schw
u
rm Schwestern erscheint und schimpft maßvoll.
"T
u
r zu!" schreien wir.
Sie verziehen sich. Die Kleine von vorhin ist die letzte. "Heiden",
zwitschert sie, macht aber doch die T
u
r zu. Wir haben gesiegt.
Mittags kommt der Lazarettinspektor und ranzt uns an. Er verspricht uns
Festung und noch mehr. Nun ist ein Lazarettinspektor, genau wie ein
Proviantamtsinspektor, zwar jemand, der einen langen Degen und Achselst
u
cke
tr
u
gt, aber eigentlich ein Beamter, und er wird darum nicht einmal von einem
Rekruten f
u
r voll genommen. Wir lassen ihn deshalb reden. Was kann uns schon
passieren -
"Wer hat die Flasche geworfen?" fragt er.
Bevor ich
u
berlegen kann, ob ich mich melden soll, sagt jemand: "Ich!"
Ein Mann mit struppigem Bart richtet sich auf. Alles ist gespannt,
weshalb er sich meldet.
"Sie?"
"Jawohl. Ich war erregt dar
u
ber, daß wir unn
u
tig geweckt wurden,
und verlor die Besinnung, so daß ich nicht wußte, was ich tat."
Er redet wie ein Buch.
"Wie heißen Sie?"
"Ersatz-Reservist Josef Hamacher."
Der Inspektor geht ab. Alle sind neugierig. "Weshalb hast du dich denn
bloß gemeldet? Du warst es ja gar nicht!"
Er grinst. "Das macht nichts. Ich habe einen Jagdschein."
Das versteht nat
u
rlich jeder. Wer einen Jagdschein hat, kann machen,
was er will.
"Ja", erz
u
hlt er, "ich habe einen Kopfschuß gehabt, und daraufist
mir ein Attest ausgestellt worden, daß ich zeitweise
unzurechnungsf
u
hig bin. Seitdem bin ich fein heraus. Man darf mich nicht
reizen. Mir passiert also nichts. Der unten wird sich sch
u
n
u
rgern. Und
gemeldet habe ich mich, weil mir das Werfen Spaß gemacht hat. Wenn sie
morgen wieder die T
u
r aufmachen, schmeißen wir wieder."
Wir sind heilfroh. Mit Josef Hamacher in der Mitte jetzt alles
riskieren.
Dann kommen die lautlosen, flachen Wagen, um uns zu holen. Die Verb
u
nde
sind verklebt. Wir br
u
llen wie Stiere.
Es liegen acht Mann auf unserer Stube. Die schwerste Verletzung hat
Peter, ein schwarzer Krauskopf - einen komplizierten Lungenschuß.
Franz W
u
chter neben ihm hat einen zerschossenen Arm, der anfangs nicht
schlimm aussieht. Aber in der dritten Nacht ruft er uns an, wir sollten
klingeln, er glaube, er blute durch.
Ich klingele kr
u
ftig. Die Nachtschwester kommt nicht. Wir haben sie
abends ziemlich stark in Anspruch genommen, weil wir alle neue Verb
u
nde und
deshalb Schmerzen hatten. Der eine wollte das Bein so gelegt haben, der
andere so, der dritte verlangte Wasser, dem vierten sollte sie das
Kopfkissen aufsch
u
tteln; - die dicke Alte hatte b
u
se gebrummt zuletzt und
die T
u
ren geschlagen. Jetzt vermutet sie wohl wieder so etwas, denn sie
kommt nicht.
Wir warten. Dann sagt Franz: "Klingle noch mal."
Ich tue es. Sie l
u
ßt sich immer noch nicht sehen. Auf unserem
Fl
u
gel ist nachts nur eine einzige Stationsschwester, vielleicht hat sie
gerade in andern Zimmern zu tun. "Bist du sicher, Franz, daß du
blutest?" frage ich. "Sonst kriegen wir wieder was auf den Kopf."
"Es ist naß. Kann keiner Licht machen?"
Auch das geht nicht. Der Schalter ist an der T
u
r, und niemand kann
aufstehen. Ich halte den Daumen auf der Klingel, bis er gef
u
hllos wird.
Vielleicht ist die Schwester eingenickt. Sie haben ja sehr viel Arbeit und
sind alle
u
beranstrengt, schon tags
u
ber. Dazu das st
u
ndige Beten.
"Sollen wir Flaschen schmeißen?" fragt Josef Hamacher mit dem
Jagdschein.
"Das h
u
rt sie noch weniger als das Klingeln."
Endlich geht die T
u
r auf. Muffelig erscheint die Alte. Als sie die
Geschichte bei Franz bemerkt, wird sie eilig und ruft: "Weshalb hat denn
keiner Bescheid gesagt?"
"Wir haben ja geklingelt. Laufen kann hier keiner."
Er hat stark geblutet und wird verbunden. Morgens sehen wir sein
Gesicht, es ist spitzer und gelber geworden, dabei war es am
Abend noch fast gesund im Aussehen. Jetzt kommt
u
fter eine Schwester.
Manchmal sind es auch Hilfsschwestern vom Roten Kreuz. Sie sind
gutm
u
tig, aber mitunter etwas ungeschickt. Beim Umbetten tun sie einem oft
weh und sind dann so erschrocken, daß sie einem noch mehr weh tun.
Die Nonnen sind zuverl
u
ssiger. Sie wissen, wie sie anfassen m
u
ssen,
aber wir m
u
chten gern, daß sie etwas lustiger w
u
ren. Einige allerdings
haben Humor, sie sind großartig. Wer w
u
rde Schwester Libertine nicht
jeden Gefallen tun, dieser wunderbaren Schwester, die im ganzen Fl
u
gel
Stimmung verbreitet, wenn sie nur von weitem zu sehen ist? Und solcher sind
noch mehrere da. Wir w
u
rden f
u
r sie durchs Feuer gehen. Man kann sich
wirklich nicht beklagen, man wird direkt wie ein Zivilist hier behandelt von
den Nonnen. Wenn man dagegen an die Garnisonlazarette denkt, in denen man
mit angelegter Hand im Bett liegen muß, kann einem die Angst kommen.
Franz W
u
chter kommt nicht wieder zu Kr
u
ften. Eines Tages wird er
abgeholt und bleibt fort. Josef Hamacher weiß Bescheid: "Den sehen wir
nicht wieder. Sie haben ihn ins Totenzimmer gebracht."
"Was f
u
r ein Totenzimmer?" fragt Kropp.
"Na, ins Sterbezimmer -"
"Was ist denn das?"
"Das kleine Zimmer an der Ecke des Fl
u
gels. Wer kurz vor dem Abkratzen
ist, wird dahin gebracht. Es sind zwei Betten darin.
u
berall heißt es
nur das Sterbezimmer."
"Aber warum machen sie das?"
"Sie haben dann nicht so viel Arbeit nachher. Es ist auch bequemer,
weil es gleich am Aufzug zur Totenhalle liegt. Vielleicht tun sie es auch,
damit keiner in den S
u
len stirbt, wegen der andern. Sie k
u
nnen ja auch
besser bei ihm wachen, wenn er allein liegt."
"Aber er selber?"
Josef zuckt die Achseln. "Gew
u
hnlich merkt er ja nicht mehr viel
davon."
"Weiß es denn jeder?"
"Wer l
u
nger hier ist, weiß es nat
u
rlich."
Nachmittags wird das Bett von Franz W
u
chter neu belegt. Nach ein paar
Tagen holen sie auch den neuen wieder ab. Josef macht eine bezeichnende
Handbewegung. Wir sehen noch manchen kommen und gehen.
Manchmal sitzen Angeh
u
rige an den Betten und weinen oder sprechen leise
und verlegen. Eine alte Frau will gar nicht fort, aber sie kann die Nacht
u
ber ja nicht dableiben. Am andern Morgen kommt sie schon ganz fr
u
h, aber
doch nicht fr
u
h genug; denn als sie an das Bett geht, liegt schon jemand
anders drin. Sie muß zur Totenhalle. Die
u
pfel, die sie noch bei sich
hat, gibt sie uns.
Auch dem kleinen Peter geht es schlechter. Seine Fiebertafel sieht b
u
se
aus, und eines Tages steht neben seinem Bett der flache Wagen. "Wohin?"
fragt er.
"Zum Verbandssaal."
Er wird hinauf gehoben. Aber die Schwester macht den Fehler, seinen
Waffenrock vom Haken zu nehmen und ihn ebenfalls auf den Wagen zu legen,
damit sie nicht zweimal zu gehen braucht. Peter weiß sofort Bescheid
und will sich vom Wagen rollen. "Ich bleibe hier!"
Sie dr
u
cken ihn nieder. Er schreit leise mit seiner zerschossenen
Lunge: "Ich will nicht ins Sterbezimmer."
"Wir gehen ja zum Verbandssaal."
"Wozu braucht ihr dann meinen Waffenrock?" Er kann nicht mehr sprechen.
Heiser, aufgeregt, fl
u
stert er: "Hierbleiben!"
Sie antworten nicht und fahren ihn hinaus. Vor der T
u
r versucht er sich
aufzurichten. Sein schwarzer Krauskopf bebt, die Augen sind voll Tr
u
nen.
"Ich komme wieder! Ich komme wieder!" ruft er.
Die T
u
r schließt sich. Wir sind alle erregt; aber wir schweigen.
Endlich sagt Josef: "Hat schon mancher gesagt. Wenn man erst drin ist, h
u
lt
man doch nicht durch."
Ich werde operiert und kotze zwei Tage lang. Meine Knochen wollen nicht
zusammenwachsen, sagt der Schreiber des Arztes. Bei einem andern sind sie
falsch angewachsen; dem werden sie wieder gebrochen. Es ist schon ein Elend.
Unter unserm Zuwachs sind zwei junge Soldaten mit Plattf
u
ßen. Bei
der Visite entdeckt der Chefarzt sie und bleibt freudig stehen. "Das werden
wir wegkriegen", erz
u
hlt er, "da machen wir eine kleine Operation, und schon
haben Sie gesunde F
u
ße. Schreiben Sie auf, Schwester."
Als er fort ist, warnt Josef, der alles weiß: "Laßt euch ja
nicht operieren ! Das ist n
u
mlich ein wissenschaftlicher Fimmel vom Alten.
Er ist ganz wild auf jeden, den er daf
u
r zu fassen bekommt. Er operiert euch
die Plattf
u
ße, und ihr habt nachher tats
u
chlich auch keine mehr; daf
u
r
habt ihr Klumpf
u
ße und m
u
ßt euer Leben lang an St
u
cken laufen."
"Was soll man denn da machen?" fragt der eine.
"Nein sagen! Ihr seid hier, um eure Sch
u
sse zu kurieren, nicht eure
Plattf
u
ße! Habt ihr im Felde keine gehabt ? Na, da seht ihr! Jetzt
k
u
nnt ihr noch laufen, aber wenn der Alte euch erst unter dem Messer gehabt
hat, seid ihr Kr
u
ppel. Er braucht Versuchskarnickel, f
u
r ihn ist der Krieg
eine großartige Zeit deshalb, wie f
u
r alle
u
rzte. Seht euch unten mal
die Station an; da kriechen ein Dutzend Leute herum, die er operiert hat.
Manche sind seit vierzehn und f
u
nfzehn hier, jahrelang. Kein einziger kann
besser laufen als vorher; fast alle aber schlechter, die meisten nur mit
Gipsbeinen. Alle halbe Jahre erwischt er sie wieder und bricht ihnen die
Knochen aufs neue, und jedesmal soll dann der Erfolg kommen. Nehmt euch in
acht, er darf es nicht, wenn ihr nein sagt."
"Ach, Mensch!" sagt der eine von den beiden m
u
de. "Besser die
F
u
ße als der Sch
u
del. Weißt du, was du kriegst, wenn du wieder
draußen bist? Sollen sie mit mir machen, was sie wollen, wenn ich
bloß wieder nach Hause komme. Besser ein Klumpfuß als tot."
Der andere, ein junger Mensch wie wir, will nicht. Am andern Morgen
l
u
ßt der Alte beide herunterholen und redet und schnauzt so lange auf
sie ein, bis sie doch einwilligen. Was sollen sie anders tun. - Sie sind ja
nur Muskoten, und er ist ein hohes Tier. Vergipst und chloroformiert werden
sie wiedergebracht.
Albert geht es schlecht. Er wird geholt und amputiert. Das ganze Bein
bis obenhin wird abgenommen. Nun spricht er fast gar nicht mehr. Einmal sagt
er, er wolle sich erschießen, wenn er erst wieder an seinen Revolver
herank
u
me.
Ein neuer Transport trifft ein. Unsere Stube erh
u
lt zwei Blinde. Einer
davon ist ein ganz junger Musiker. Die Schwestern haben nie ein Messer bei
sich, wenn sie ihm Essen geben; er hat einer schon einmal eins entrissen.
Trotz dieser Vorsicht passiert etwas. Abends beim F
u
ttern wird die Schwester
von seinem Bett abgerufen und stellt den Teller mit der Gabel so lange auf
seinen Tisch. Er tastet nach der Gabel, faßt sie und st
u
ßt sie
mit aller Kraft gegen sein Herz, dann ergreift er einen Schuh und schl
u
gt
auf den Stiel, so fest er kann. Wir rufen um Hilfe, und drei Mann sind
n
u
tig, ihm die Gabel wegzunehmen. Die stumpfen Zinken waren schon tief
eingedrungen. Er schimpft die ganze Nacht auf uns, so daß niemand
Schlaf findet. Morgens hat er einen Schreikrampf.
Wieder werden Betten frei. Tage um Tage gehen hin in Schmerzen und
Angst, St
u
hnen und R
u
cheln. Auch das Vorhandensein der Totenzimmer nutzt
nichts mehr, es sind zu wenig, die Leute sterben nachts auch auf unserer
Stube. Es geht eben schneller als die
u
berlegung der Schwestern.
Aber eines Tages fliegt die T
u
r auf, der flache Wagen rollt herein, und
blaß, schmal, aufrecht, triumphierend, mit gestr
u
ubtem, schwarzem
Krauskopf sitzt Peter auf der Bahre. Schwester Libertine schiebt ihn mit
strahlender Miene an sein altes Bett. Er ist zur
u
ck aus dem Sterbezimmer.
Wir haben ihn l
u
ngst f
u
r tot gehalten.
Er sieht sich um: "Was sagt ihr nun?"
Und selbst Josef muß zugeben, daß er so was zum ersten Male
erlebt.
Allm
u
hlich d
u
rfen einige von uns aufstehen. Auch ich bekomme Kr
u
cken
zum Herumhumpeln. Doch ich mache wenig Gebrauch davon; ich kann Alberts
Blick nicht ertragen, wenn ich durchs Zimmer gehe. Er sieht mir immer mit so
sonderbaren Augen nach. Deshalb entschl
u
pfe ich manchmal auf den Korridor -
dort kann ich mich freier bewegen.
Im Stockwerk tiefer liegen Bauch- und R
u
ckenmarksch
u
sse, Kopfsch
u
sse
und beiderseitig Amputierte. Rechts im Fl
u
gel Kiefersch
u
sse, Gaskranke,
Nasen-, Ohren- und Halssch
u
sse. Links im Fl
u
gel Blinde und Lungensch
u
sse,
Beckensch
u
sse, Gelenksch
u
sse, Nierensch
u
sse, Hodensch
u
sse, Magensch
u
sse. Man
sieht hier erst, wo ein Mensch
u
bel getroffen werden kann.
Zwei Leute sterben an Wundstarrkrampf. Die Haut wird fahl, die Glieder
erstarren, zuletzt leben - lange - nur noch die Augen. - Bei manchen
Verletzten h
u
ngt das zerschossene Glied an einem Galgen frei in der Luft;
unter die Wunde wird ein Becken gestellt, in das der Eiter tropft. Alle zwei
oder drei Stunden wird das Gef
u
ß geleert. Andere Leute liegen im
Streckverband, mit schweren, herabziehenden Gewichten am Bett. Ich sehe
Darmwunden, die st
u
ndig voll Kot sind. Der Schreiber des Arztes zeigt mir
R
u
ntgenaufnahmen von v
u
llig zerschmetterten H
u
ftknochen, Knien und
Schultern.
Man kann nicht begreifen, daß
u
ber so zerrissenen Leibern noch
Menschengesichter sind, in denen das Leben seinen allt
u
glichen Fortgang
nimmt. Und dabei ist dies nur ein einziges Lazarett, nur eine einzige
Station - es gibt Hunderttausende in Deutschland, Hunderttausende in
Frankreich, Hunderttausende in Rußland. Wie sinnlos ist alles, was je
geschrieben, getan, gedacht wurde, wenn so etwas m
u
glich ist! Es muß
alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht
einmal verhindern konnte, daß diese Str
u
me von Blut vergossen wurden,
daß diese Kerker der Qualen zu Hunderttausenden existieren. Erst das
Lazarett zeigt, was der Krieg ist.
Ich bin jung, ich bin zwanzig Jahre alt; aber ich kenne vom Leben
nichts anderes als die Verzweiflung, den Tod, die Angst und die Verkettung
sinnlosester Oberfl
u
chlichkeit mit einem Abgrund des Leidens. Ich sehe,
daß V
u
lker gegeneinandergetrieben werden und sich schweigend,
unwissend, t
u
richt, gehorsam, unschuldig t
u
ten. Ich sehe, daß die
kl
u
gsten Gehirne der Welt Waffen und Worte erfinden, um das alles noch
raffinierter und l
u
nger dauernd zu machen. Und mit mir sehen das alle
Menschen meines Alters hier und dr
u
ben, in der ganzen Welt, mit mir erlebt
das meine Generation. Was werden unsere V
u
ter tun, wenn wir einmal aufstehen
und vor sie hintreten und Rechenschaft fordern? Was erwarten sie von uns,
wenn eine Zeit kommt, wo kein Krieg ist? Jahre hindurch war unsere
Besch
u
ftigung T
u
ten - es war unser erster Beruf im Dasein. Unser Wissen vom
Leben beschr
u
nkt sich auf den Tod. Was soll danach noch geschehen? Und was
soll aus uns werden?
Der
u
lteste auf unserer Stube ist Lewandowski. Er ist vierzig Jahre alt
und liegt bereits zehn Monate im Hospital an einem schweren
Bauchschuß. Erst in den letzten Wochen ist er so weit gekommen,
daß er gekr
u
mmt etwas hinken kann.
Seit einigen Tagen ist er in großer Aufregung. Seine Frau hat ihm
aus dem kleinen Nest in Polen, wo sie wohnt, geschrieben, daß sie so
viel Geld zusammen hat, um die Fahrt zu bezahlen und ihn besuchen zu k
u
nnen.
Sie ist unterwegs und kann jeden Tag eintreffen. Lewandowski schmeckt
das Essen nicht mehr, sogar Rotkohl mit Bratwurst verschenkt er, nachdem er
ein paar Happen genommen hat. St
u
ndig l
u
uft er mit dem Brief durchs Zimmer,
jeder hat ihn schon ein dutzendmal gelesen, die Poststempel sind wer
weiß wie oft schon gepr
u
ft, die Schrift ist vor Fettflecken und
Fingerspuren kaum noch zu erkennen, und was kommen muß, kommt:
Lewandowski kriegt Fieber und muß wieder ins Bett.
Er hat seine Frau seit zwei Jahren nicht gesehen. Sie hat inzwischen
ein Kind geboren, das bringt sie mit. Aber etwas ganz anderes besch
u
ftigt
Lewandowski. Er hatte gehofft, die Erlaubnis zum Ausgehen zu erhalten, wenn
seine Alte kommt, denn es ist doch klar: Sehen ist ganz sch
u
n, aber wenn man
seine Frau nach so langer Zeit wiederhat, will man, wenn es eben geht, doch
noch was anderes.
Lewandowski hat das alles stundenlang mit uns besprochen, denn beim
Kommiß gibt es darin keine Geheimnisse. Es findet auch keiner etwas
dabei. Diejenigen von uns, die schon ausgehen k
u
nnen, haben ihm ein paar
tadellose Ecken in der Stadt gesagt, Anlagen und Parks, wo er ungest
u
rt
gewesen w
u
re, einer wußte sogar ein kleines Zimmer.
Doch was n
u
tzt das alles. Lewandowski liegt im Bett und hat seine
Sorgen. Das ganze Leben macht ihm keinen Spaß mehr, wenn er diese
Sache verpassen muß. Wir tr
u
sten ihn und versprechen ihm, daß
wir den Kram schon irgendwie schmeißen werden.
Am andern Nachmittag erscheint seine Frau, ein kleines, verhutzeltes
Ding mit
u
ngstlichen und eiligen Vogelaugen, in einer Art von schwarzer
Mantille mit Krausen und B
u
ndern, weiß der Himmel, wo sie das St
u
ck
mal geerbt hat.
Sie murmelt leise etwas und bleibt scheu an der T
u
r stehen. Es
erschreckt sie, daß wir sechs Mann hoch sind.
"Na, Marja", sagt Lewandowski und schluckt gef
u
hrlich mit seinem
Adamsapfel, "kannst ruhig 'reinkommen, die tun dir hier nichts."
Sie geht herum und gibt jedem von uns die Hand. Dann zeigt sie das Kind
vor, das inzwischen in die Windeln gemacht hat. Sie hat eine große,
mit Perlen bestickte Tasche bei sich, aus der sie ein reines Tuch nimmt, um
das Kind flink neu zu wickeln. Damit ist sie
u
ber die erste Verlegenheit
hinweg, und die beiden fangen an zu reden.
Lewandowski ist sehr kribblig, er schielt immer wieder
u
ußerst
ungl
u
cklich mit seinen runden Glotzaugen zu uns her
u
ber.
Die Zeit ist g
u
nstig, die Arztvisite ist vorbei, es k
u
nnte h
u
chstens
noch eine Schwester ins Zimmer schauen. Einer geht deshalb noch einmal
hinaus - spekulieren. Er kommt zur
u
ck und nickt. "Kein Aas zu sehen. Nun
sag's ihr schon, Johann, und mach zu."
Die beiden unterhalten sich in ihrer Sprache. Die Frau guckt etwas rot
und verlegen auf. Wir grinsen gutm
u
tig und machen wegwerfende
Handbewegungen, was schon dabei sei! Der Teufel soll alle Vorurteile holen,
die sind f
u
r andere Zeiten gemacht, hier liegt der Tischler Johann
Lewandowski, ein zum Kr
u
ppel geschossener Soldat, und da ist seine Frau, wer
weiß, wann er sie wiedersieht, er will sie haben, und er soll sie
haben, fertig.
Zwei Mann stellen sich vor die T
u
r, um die Schwestern abzufangen und zu
besch
u
ftigen, wenn sie zuf
u
llig vorbeikommen sollten. Sie wollen ungef
u
hr
eine Viertelstunde aufpassen.
Lewandowski kann nur auf der Seite liegen, einer packt ihm deshalb noch
ein paar Kissen in den R
u
cken, Albert kriegt das Kind zu halten, dann drehen
wir uns ein bißchen um, die schwarze Mantille verschwindet unter der
Bettdecke, und wir kloppen laut und mit allerhand Redensarten Skat.
Es geht alles gut. Ich habe einen w
u
sten Kreuz-Solo mit vieren in den
Fingern, der ungef
u
hr noch rumgeht. Dar
u
ber vergessen wir beinahe
Lewandowski. Nach einiger Zeit beginnt das Kind zu pl
u
rren, obschon Albert
es verzweifelt hin und her schwenkt. Es knistert und rauscht dann ein
bißchen, und als wir so beil
u
ufig aufblicken, sehen wir, daß das
Kind schon die Flasche im Mund hat und wieder bei der Mutter ist. Die Sache
hat geklappt.
Wir f
u
hlen uns jetzt als eine große Familie, die Frau ist
ordentlich munter geworden, und Lewandowski liegt schwitzend und strahlend
da.
Er packt die gestickte Tasche aus, es kommen da ein paar gute W
u
rste
zum Vorschein, Lewandowski nimmt das Messer wie einen Blumenstrauß und
s
u
belt das Fleisch in St
u
cke. Mit großer Handbewegung weist er auf uns
- und die kleine, verhutzelte Frau geht von einem zum andern und lacht uns
an und verteilt die Wurst, sie sieht jetzt direkt h
u
bsch aus dabei. Wir
sagen Mutter zu ihr, und sie freut sich und klopft uns die Kopfkissen auf.
Nach einigen Wochen muß ich jeden Morgen ins Zanderinstitut. Dort
wird mein Bein festgeschnallt und bewegt. Der Arm ist l
u
ngst geheilt.
Es laufen neue Transporte aus dem Felde ein. Die Verb
u
nde sind nicht
mehr aus Stoff, sie bestehen nur noch aus weißem Krepp-Papier.
Verbandstoff ist zu knapp geworden draußen.
Alberts Stumpf heilt gut. Die Wunde ist fast geschlossen. In einigen
Wochen soll er fort in eine Prothesenstation. Er spricht noch immer wenig
und ist viel ernster als fr
u
her. Oft bricht er mitten im Gespr
u
ch ab und
starrt vor sich hin. Wenn er nicht mit uns andern zusammen w
u
re, h
u
tte er
l
u
ngst Schluß gemacht. Jetzt aber ist er
u
ber das Schlimmste
hinausgelangt. Er sieht schon manchmal beim Skat zu.
Ich bekomme Erholungsurlaub.
Meine Mutter will mich nicht mehr fortlassen. Sie ist so schwach. Es
ist alles noch schlimmer als das letztemal.
Danach werde ich vom Regiment angefordert und fahre wieder ins Feld.
Der Abschied von meinem Freunde Albert Kropp ist schwer. Aber man lernt
das beim Kommiß mit der Zeit.
Wir z
u
hlen die Wochen nicht mehr. Es war Winter, als ich ankam, und bei
den Einschl
u
gen der Granaten wurden die gefrorenen Erdklumpen fast ebenso
gef
u
hrlich wie die Splitter. Jetzt sind die B
u
ume wieder gr
u
n. Unser Leben
wechselt zwischen Front und Baracken. Wir sind es teilweise schon gewohnt,
der Krieg ist eine Todesursache wie Krebs und Tuberkulose, wie Grippe und
Ruhr. Die Todesf
u
lle sind nur viel h
u
ufiger, verschiedenartiger und
grausamer.
Unsere Gedanken sind Lehm, sie werden geknetet vom Wechsel der Tage -
sie sind gut, wenn wir Ruhe haben, und tot, wenn wir im Feuer liegen.
Trichterfelder draußen und drinnen.
Alle sind so, nicht wir hier allein - was fr
u
her war, gilt nicht, und
man weiß es auch wirklich nicht mehr. Die Unterschiede, die Bildung
und Erziehung schufen, sind fast verwischt und kaum noch zu erkennen. Sie
geben manchmal Vorteile im Ausnutzen einer Situation; aber sie bringen auch
Nachteile mit sich, indem sie Hemmungen wachrufen, die erst
u
berwunden
werden m
u
ssen. Es ist, als ob wir fr
u
her einmal Geldst
u
cke verschiedener
L
u
nder gewesen w
u
ren; man hat sie eingeschmolzen, und alle haben jetzt
denselben Pr
u
gestempel. Will man Unterschiede erkennen, dann muß man
schon genau das Material pr
u
fen. Wir sind Soldaten und erst sp
u
ter auf eine
sonderbare und versch
u
mte Weise noch Einzelmenschen.
Es ist eine große Br
u
derschaft, die ein Schimmer von dem
Kameradentum der Volkslieder, dem Solidarit
u
tsgef
u
hl von Str
u
flingen und dem
verzweifelten Einanderbeistehen von zum Tode Verurteilten seltsam vereinigt
zu einer Stufe von Leben, das mitten in der Gefahr, aus der Anspannung und
Verlassenheit des Todes sich abhebt und zu einem fl
u
chtigen Mitnehmen der
gewonnenen Stunden wird, auf g
u
nzlich unpathetische Weise. Es ist heroisch
und banal, wenn man es werten wollte - doch wer will das?
Es ist darin enthalten, wenn Tjaden bei einem gemeldeten feindlichen
Angriff in rasender Hast seine Erbsensuppe mit Speck ausl
u
ffelt, weil er ja
nicht weiß, ob er in einer Smnde noch lebt. Wir haben lange dar
u
ber
diskutiert, ob es richtig sei oder nicht. Kat verwirft es, weil er sagt, man
m
u
sse mit einem Bauchschuß rechnen, der bei vollem Magen gef
u
hrlicher
sei als bei leerem.
Solche Dinge sind Probleme f
u
r uns, sie sind uns ernst, und es kann
auch nicht anders sein. Das Leben hier an der Grenze des Todes hat eine
ungeheuer einfache Linie, es beschr
u
nkt sich auf das Notwendigste, alles
andere liegt in dumpfem Schlaf; - das ist unsere Primitivit
u
t und unsere
Rettung. W
u
ren wir differenzierter, wir w
u
ren l
u
ngst irrsinnig, desertiert
oder gefallen. Es ist wie eine Expedition im hohen Eise; - jede
Lebens
u
ußerung darf nur der Daseinserhaltung dienen und ist
zwangsl
u
ufig darauf eingestellt. Alles andere ist verbannt, weil es unn
u
tig
Kraft verzehren w
u
rde. Das ist die einzige Art, uns zu retten, und oft sitze
ich vor mir selber wie vor einem Fremden, wenn der r
u
tselhafte Widerschein
des Fr
u
her in stillen Stunden wie ein matter Spiegel die Umrisse meines
jetzigen Daseins außer mich stellt, und ich wundere mich dann dar
u
ber,
wie das unnennbare Aktive, das sich Leben nennt, sich angepaßt hat
selbst an diese Form. Alle anderen
u
ußerungen liegen im Winterschlaf,
das Leben ist nur auf einer st
u
ndigen Lauer gegen die Bedrohung des Todes, -
es hat uns zu denkenden Tieren gemacht, um uns die Waffe des Instinktes zu
geben, - es hat uns mit Stumpfheit durchsetzt, damit wir nicht zerbrechen
vor dem Grauen, das uns bei klarem, bewußtem Denken
u
berfallen w
u
rde,
- es hat in uns den Kameradschaftssinn geweckt, damit wir dem Abgrund der
Verlassenheit entgehen, - es hat uns die Gleichg
u
ltigkeit von Wilden
verliehen, damit wir trotz allem jeden Moment des Positiven empfinden und
als Reserve aufspeichern gegen den Ansturm des Nichts. So leben wir ein
geschlossenes, hartes Dasein
u
ußerster Oberfl
u
che, und nur manchmal
wirft ein Ereignis Funken. Dann aber schl
u
gt
u
berraschend eine Flamme
schwerer und furchtbarer Sehnsucht durch.
Das sind die gef
u
hrlichen Augenblicke, die uns zeigen, daß die
Anpassung doch nur k
u
nstlich ist, daß sie nicht einfach Ruhe ist,
sondern sch
u
rfste Anspannung zur Ruhe. Wir unterscheiden uns
u
ußerlich
in der Lebensform kaum von Buschnegern; aber w
u
hrend diese stets so sein
k
u
nnen, weil sie eben so sind und sich durch Anspannung ihrer Geisteskr
u
fte
h
u
chstens fortentwickeln, ist es bei uns umgekehrt: unsere inneren Kr
u
fte
sind nicht auf Weiter-, sondern auf Zur
u
ckentwicklung angespannt. Jene sind
entspannt und selbstverst
u
ndlich so, wir sind es
u
ußerst angespannt
und k
u
nstlich. Und mit Schrecken empfindet man nachts, aus einem Traum
aufwachend,
u
berw
u
ltigt und preisgegeben derBezauberung heranflutender
Gesichte, wie d
u
nn der Hak und die Grenze ist, die uns von der Dunkelheit
trennt - wir sind kleine Flammen, notd
u
rftig gesch
u
tzt durch schwache W
u
nde
vor dem Sturm der Aufl
u
sung und der Sinnlosigkeit, in dem wir flackern und
manchmal fast ertrinken. Dann wird das ged
u
mpfte Brausen der Schlacht zu
einem Ring, der uns einschließt, wir kriechen in uns zusammen und
starren mit großen Augen in die Nacht. Tr
u
stlich f
u
hlen wir nun den
Schlafatem der Kameraden, und so warten wir auf den Morgen.
Jeder Tag und jede Stunde, jede Granate und jeder Tote wetzen an diesem
d
u
nnen Halt, und die Jahre verschleißen ihn rasch. Ich sehe, wie er
allm
u
hlich schon um mich herum niederbricht. Da ist die dumme Geschichte mit
Detering.
Er war einer von denen, die sich sehr f
u
r sich hielten. Sein Ungl
u
ck
war, daß er in einem Garten einen Kirschbaum sah. Wir kamen gerade von
der Front, und dieser Kirschbaum stand in der N
u
he des neuen Quartiers an
einer Wegbiegung
u
berraschend in der Morgend
u
mmerung vor uns. Er hatte keine
Bl
u
tter, aber er war ein einziger weißer Bl
u
tenbusch.
Abends war Detering nicht zu sehen. Er kam schließlich an und
hatte ein paar Zweige mit Kirschbl
u
ten in der Hand. Wir machten uns lustig
und fragten, ob er auf Brautschau wolle. Er gab keine Antwort, sondern legte
sich auf sein Bett. Nachts h
u
rte ich ihn rumoren, er schien zu packen. Ich
witterte Unheil und ging zu ihm. Er tat, als w
u
re nichts, und ich sagte ihm:
"Mach keinen Unsinn, Detering."
"Ach wo - ich kann nur nicht schlafen.
"Weshalb hast du denn die Kirschzweige geholt?"
"Ich werde doch wohl noch Kirschzweige holen d
u
rfen", antwortet er
verstockt - und nach einer Weile: "Zu Hause habe ich einen großen
Obstgarten mit Kirschen. Wenn die bl
u
hen, sieht das vom Heuboden aus wie ein
einziges Bettlaken, so weiß. Es ist jetzt die Zeit."
"Vielleicht gibt's bald Urlaub. Es kann auch sein, daß du, als
Landwirt, abkommandiert wirst."
Er nickt, aber er ist abwesend. Wenn diese Bauern aufger
u
hrt sind,
haben sie einen sonderbaren Ausdruck, eine Mischung von Kuh und
sehns
u
chtigem Gott, halb bl
u
de und halb hinreißend. Um ihn von seinen
Gedanken abzubringen, verlange ich ein St
u
ck Brot von ihm. Er gibt es mir
ohne Einschr
u
nkung. Das ist verd
u
chtig, denn er ist sonst knauserig. Deshalb
bleibe ich wach. Es passiert nichts, er ist morgens wie sonst.
Wahrscheinlich hat er gemerkt, daß ich ihn beobachtet habe. - Am
u
bern
u
chsten Morgen ist er trotzdem fort. Ich sehe es, sage jedoch nichts,
um ihm Zeit zu lassen, vielleicht kommt er durch. Nach Holland haben es
schon verschiedene Leute geschafft.
Beim Appell aber f
u
llt sein Fehlen auf. Nach einer Woche h
u
ren wir,
daß er gefaßt ist von den Feldgendarmen, diesen verachteten
Kommißpolizisten. Er hatte die Richtung nach Deutschland genommen -
das war nat
u
rlich aussichtslos -, und ebenso nat
u
rlich hatte er alles sehr
dumm angefangen. Jeder h
u
tte daraus wissen k
u
nnen, daß die Flucht nur
Heimweh und momentane Verwirrung war. Doch was begreifen Kriegsgerichtsr
u
te
hundert Kilometer hinter der Linie davon? - Wir haben nichts mehr von
Detering vernommen.
Aber auch auf andere Weise bricht es manchmal heraus, dieses
Gef
u
hrliche, Gestaute - wie aus
u
berhitzten Dampfkesseln. Da ist auch noch
das Ende zu berichten, das Berger fand.
Schon lange sind unsere Gr
u
ben zerschossen, und wir haben die
elastische Front, so daß wir eigentlich keinen richtigen
Stellungskrieg mehr f
u
hren. Wenn Angriff und Gegenangriff hin und her
gegangen sind, bleibt eine zerrissene Linie und ein erbitterter Kampf von
Trichter zu Trichter. Die vordere Linie ist durchbrochen, und
u
berall haben
sich Gruppen festgesetzt, Trichternester, von denen aus gek
u
mpft wird.
Wir sind in einem Trichter, seitlich sitzen Engl
u
nder, sie rollen die
Flanke auf und gelangen hinter uns. Wir sind umzingelt. Es ist schwierig,
sich zu ergeben, Nebel und Rauch schwanken
u
ber uns hin, niemand w
u
rde
erkennen, daß wir kapitulieren wollen, vielleicht wollen wir es auch
gar nicht, das weiß man selbst nicht in solchen Momenten. Wir h
u
ren
die Explosionen der Handgranaten herankommen. Unser Maschinengewehr
bestreicht den vorderen Halbkreis. Das K
u
hlwasser verdampft, wir reichen die
K
u
sten eilig herum, jeder pißt hinein, so haben wir wieder Wasser und
k
u
nnen weiterfeuern. Aber hinter uns kracht es immer n
u
her. In einigen
Minuten sind wir verloren.
Da rast ein zweites Maschinengewehr auf k
u
rzeste Entfernung los. Es
steckt im Trichter neben uns, Berger hat es geholt, und nun setzt ein
Gegenangriff von hinten ein, wir kommen frei und finden Verbindung nach
r
u
ckw
u
rts.
Als wir nachher in einigermaßen guter Deckung sind, erz
u
hlt einer
von den Essenholern, daß ein paar hundert Schritte entfernt ein
verwundeter Meldehund liege.
"Wo?" fragt Berger.
Der andere beschreibt es ihm. Berger geht los, um das Tier zu holen
oder es zu erschießen. Noch vor einem halben Jahr h
u
tte er sich nicht
darum gek
u
mmert, sondern w
u
re vern
u
nftig gewesen. Wir versuchen, ihn
zur
u
ckzuhalten. Doch als er ernsthaft geht, k
u
nnen wir nur sagen:
"Verr
u
ckt!" und ihn laufenlassen. Denn diese Anf
u
lle von Frontkoller werden
gef
u
hrlich, wenn man den Mann nicht gleich zu Boden werfen und festhalten
kann. Und Berger ist ein Meter achtzig groß, der kr
u
ftigste Mann der
Kompanie.
Er ist tats
u
chlich verr
u
ckt, denn er muß durch die Feuerwand; -
aber es ist dieser Blitz, der irgendwo
u
ber uns allen lauert, der in ihn
eingeschlagen ist und ihn besessen macht. Bei andern ist es so, daß
sie zu toben anfangen, daß sie wegrennen, ja einer war da, der sich
mit H
u
nden und F
u
ßen und Mund immerfort in die Erde einzugraben
versuchte.
Es wird nat
u
rlich auch viel simuliert mit solchen Sachen, aber das
Simulieren ist ja eigentlich auch schon ein Zeichen. Berger, der den Hund
erledigen will, wird mit einem Beckenschuß weggeholt, und einer der
Leute, die es tun, kriegt sogar dabei noch eine Gewehrkugel in die Wade.
M
u
ller ist tot. Man hat ihm aus n
u
chster N
u
he eine Leuchtkugel in den
Magen geschossen. Er lebte noch eine halbe Stunde bei vollem Verstande und
furchtbaren Schmerzen. Bevor er starb,
u
bergab er mir seine Brieftasche und
vermachte mir seine Stiefel - dieselben, die er damals von Kemmerich geerbt
hat. Ich trage sie, denn sie passen mir gut. Nach mir wird Tjaden sie
bekommen, ich habe sie ihm versprochen.
Wir haben M
u
ller zwar begraben k
u
nnen, aber lange wird er wohl nicht
ungest
u
rt bleiben. Unsere Linien werden zur
u
ckgenommen. Es gibt dr
u
ben zu
viele frische englische und amerikanische Regimenter. Es gibt zuviel Corned
beef und weißes Weizenmehl. Und zuviel neue Gesch
u
tze. Zuviel
Flugzeuge.
Wir aber sind mager und ausgehungert. Unser Essen ist so schlecht und
mit so viel Ersatzmitteln gestreckt, daß wir krank davon werden. Die
Fabrikbesitzer in Deutschland sind reiche Leute geworden - uns zerschrinnt
die Ruhr die D
u
rme. Die Latrinenstangen sind stets dicht gehockt voll; - man
sollte den Leuten zu Hause diese grauen, gelben, elenden, ergebenen
Gesichter hier zeigen, diese verkr
u
mmten Gestalten, denen die Kolik das Blut
aus dem Leibe quetscht und die h
u
chstens mit verzerrten, noch
schmerzbebenden Lippen sich angrinsen: "Es hat gar keinen Zweck, die Hose
wieder hochzuziehen -"
Unsere Artillerie ist ausgeschossen - sie hat zuwenig Munition -, und
die Rohre sind so ausgeleiert, daß sie unsicher schießen und bis
zu uns her
u
berstreuen. Wir haben zuwenig Pferde. Unsere frischen Truppen
sind blutarme, erholungsbed
u
rftige Knaben, die keinen Tornister tragen
k
u
nnen, aber zu sterben wissen. Zu Tausenden. Sie verstehen nichts vom
Kriege, sie gehen nur vor und lassen sich abschießen. Ein einziger
Flieger knallte aus Spaß zwei Kompanien von ihnen weg, ehe sie etwas
von Deckung wußten, als sie frisch aus dem Zuge kamen.
"Deutschland muß bald leer sein", sagt Kat.
Wir sind ohne Hoffnung, daß einmal ein Ende sein k
u
nnte. Wir
denken
u
berhaupt nicht so weit. Man kann einen Schuß bekommen und tot
sein; man kann verletzt werden, dann ist das Lazarett die n
u
chste Station.
Ist man nicht amputiert, dann f
u
llt man
u
ber kurz oder lang einem dieser
Stabs
u
rzte in die H
u
nde, die das Kriegsverdienstkreuz im Knopfloch, einem
sagen: "Wie, das bißchen verk
u
rzte Bein? An der Front brauchen Sie
nicht zu laufen, wenn Sie Mut haben. Der Mann ist k.v. Wegtreten!"
Kat erz
u
hlt eine der Geschichten, die die ganze Front von den Vogesen
bis Flandern entlanglaufen, - von dem Stabsarzt, der Namen vorliest auf der
Musterung und, wenn der Mann vortritt, ohne aufzusehen, sagt: "K.v.
Wirbrauchen Soldaten draußen." Ein Mann mit Holzbein tritt vor, der
Stabsarzt sagt wieder: k.v. - "Und da", Kat hebt die Stimme, "sagt der Mann
zu ihm: >Ein Holzbein habe ich schon; aber wenn ich jetzt hinausgehe und
wenn man mir den Kopf abschießt, dann lasse ich mir einen Holzkopf
machen und werde Stabsarzt!<" - Wir sind alle tief befriedigt
u
ber diese
Antwort.
Es mag gute
u
rzte geben, und viele sind es; doch einmal f
u
llt bei den
hundert Untersuchungen jeder Soldat einem dieser zahlreichen Heldengreifer
in die Finger, die sich bem
u
hen, auf ihrer Liste m
u
glichst viele a.v. und
g.v. in k.v. zu verwandeln.
Es gibt manche solcher Geschichten, sie sind meistens noch viel
bitterer. Aber sie haben trotzdem nichts mit Meuterei und Miesmachen zu tun;
sie sind ehrlich und nennen die Dinge beim Namen; denn es besteht sehr viel
Betrug, Ungerechtigkeit und Gemeinheit beim Kommiß. Ist es nicht viel,
daß trotzdem Regiment auf Regiment in den immer aussichtsloser
werdenden Kampf geht und daß Angriff auf Angriff erfolgt bei
zur
u
ckweichender, zerbr
u
ckelnder Linie?
Die Tanks sind vom Gesp
u
tt zu einer schweren Waffe geworden. Sie
kommen, gepanzert, in langer Reihe gerollt und verk
u
rpern uns mehr als
anderes das Grauen des Krieges.
Die Gesch
u
tze, die uns das Trommelfeuer her
u
berschicken, ] sehen wir
nicht, die angreifenden Linien der Gegner sind Menschen wie wir - aber diese
Tanks sind Maschinen, ihre Kettenb
u
nder laufen endlos wie der Krieg, sie
sind die Vernichtung, wenn sie f
u
hllos in Trichter hineinrollen und wieder
hochklettern, unaufhaltsam, eine Flotte br
u
llender, rauchspeiender Panzer,
unverwundbare, Tote und Verwundete zerquetschende Stahltiere - Wir
schrumpfen zusammen vor ihnen in unserer d
u
nnen Haut, vor ihrer kolossalen
Wucht werden unsere Arme zu Strohhalmen und unsere Handgranaten zu
Streichh
u
lzern.
Granaten, Gasschwaden und Tankflottillen - Zerstampfen, Zerfressen,
Tod.
Ruhr, Grippe, Typhus -W
u
rgen, Verbrennen,Tod. Graben, Lazarett,
Massengrab - mehr M
u
glichkeiten gibt es nicht.
Bei einem Angriff f
u
llt unser Kompanief
u
hrer Bertinck. Er war einer
dieser prachtvollen Frontoffiziere, die in jeder brenzligen Situation vorne
sind. Seit zwei Jahren war er bei uns, ohne daß er verwundet wurde, da
mußte ja endlich etwas passieren. Wir sitzen in einem Loch und sind
eingekreist. Mit den Pulverschwaden weht der Gestank von
u
l oder Petroleum
her
u
ber. Zwei Mann mit einem Flammenwerfer werden entdeckt, einer tr
u
gt auf
dem R
u
cken den Kasten, der andere hat in den H
u
nden den Schlauch, aus dem
das Feuer spritzt. Wenn sie so nahe herankommen, daß sie uns
erreichen, sind wir erledigt, denn zur
u
ck k
u
nnen wir gerade jetzt nicht. Wir
nehmen sie unter Feuer. Doch sie arbeiten sich n
u
her heran, und es wird
schlimm. Bertinck liegt mit uns im Loch. Als er merkt, daß wir nicht
treffen, weil wir bei dem scharfen Feuer zu sehr auf Deckung bedacht sein
m
u
ssen, nimmt er ein Gewehr, kriecht aus dem Loch und zielt, liegend
aufgest
u
tzt. Er schießt - im selben Moment schl
u
gt eine Kugel bei ihm
klatschend auf, er ist getroffen. Doch er bleibt liegen und zielt weiter -
einmal setzt er ab und legt dann aufs neue an; endlich kracht der
Schuß. Bertinck l
u
ßt das Gewehr fallen, sagt: "Gut", und rutscht
zur
u
ck. Der hinterste der beiden Flammenwerfer ist verletzt, er f
u
llt, der
Schlauch rutscht dem andern weg, das Feuer spritzt nach allen Seiten, und
der Mann brennt.
Bertinck hat einen Brustschuß. Nach einer Weile schmettert ihm
ein Splitter das Kinn weg. Der gleiche Splitter hat noch die Kraft, Leer die
H
u
fte aufzureißen. Leer st
u
hnt und stemmt sich auf die Arme, er
verblutet rasch, niemand kann ihm helfen. Wie ein leerlaufender Schlauch
sackt er nach ein paar Minuten zusammen. Was n
u
tzt es ihm nun, daß er
in der Schule ein so guter Mathematiker war.
Die Monate r
u
cken weiter. Dieser Sommer 1918 ist der blutigste und der
schwerste. Die Tage stehen wie Engel in Gold und Blau unfaßbar
u
ber
dem Ring der Vernichtung. Jeder hier weiß, daß wir den Krieg
verlieren. Es wird nicht viel dar
u
ber gesprochen, wir gehen zur
u
ck, wir
werden nicht wieder angreifen k
u
nnen nach dieser großen Offensive, wir
haben keine Leute und keine Munition mehr.
Doch der Feldzug geht weiter - das Sterben geht weiter - Sommer 1918 -
Nie ist uns das Leben in seiner kargen Gestalt so begehrenswert erschienen
wie jetzt; - der rote Klatschmohn auf den Wiesen unserer Quartiere, die
glatten K
u
fer an den Grashalmen, die warmen Abende in den halb-dunklen,
k
u
hlen Zimmern, die schwarzen, geheimnisvollen B
u
ume der D
u
mmerung, die
Sterne und das Fließen des Wassers, die Tr
u
ume und der lange Schlaf -
o Leben, Leben, Leben!
Sommer 1918 - Nie ist schweigend mehr ertragen worden als in dem
Augenblick des Aufbruchs zur Front. Die wilden und aufpeitschenden Ger
u
chte
von Waffenstillstand und Frieden sind aufgetaucht, sie verwirren die Herzen
und machen den Auf bruch schwerer als jemals!
Sommer 1918 - Nie ist das Leben vorne bitterer und grauenvoller als in
den Stunden des Feuers, wenn die bleichen Gesichter im Schmutz liegen und
die H
u
nde verkrampft sind zu einem einzigen: Nicht! Nicht! Nicht jetzt noch!
Nicht jetzt noch im letzten Augenblick!
Sommer 1918 - Wind der Hoffnung, der
u
ber die verbrannten Felder
streicht, rasendes Fieber der Ungeduld, der Entt
u
uschung, schmerzlichste
Schauer des Todes, unfaßbare Frage: Warum? Warum macht man kein Ende?
Und warum flattern diese Ger
u
chte vom Ende auf?
Es gibt so viele Flieger hier, und sie sind so sicher, daß sie
auf einzelne Leute Jagd machen wie auf Hasen. Auf ein deutsches Flugzeug
kommen mindestens f
u
nf englische und amerikanische. Auf einen hungrigen,
m
u
den deutschen Soldaten im Graben kommen f
u
nf kr
u
ftige, frische andere im
gegnerischen. Auf ein deutsches Kommißbrot kommen f
u
nfzig B
u
chsen
Fleischkonserven dr
u
ben. Wir sind nicht geschlagen, denn wir sind als
Soldaten besser und erfahrener; wir sind einfach von der vielfachen
u
bermacht zerdr
u
ckt und zur
u
ckgeschoben.
Einige Regenwochen liegen hinter uns - grauer Himmel, graue
zerfließende Erde, graues Sterben. Wenn wir hinausfahren, dringt uns
bereits die N
u
sse durch die M
u
ntel und Kleider, - und so bleibt es die Zeit
vorne auch. Wir werden nicht trocken. Wer noch Stiefel tr
u
gt, bindet sie
oben mit Sands
u
cken zu, damit das Lehmwasser nicht so rasch hineinl
u
uft. Die
Gewehre verkrusten, die Uniformen verkrusten, alles ist fließend und
aufgel
u
st, eine triefende, feuchte,
u
lige Masse Erde, in der die gelben
T
u
mpel mit spiralig roten Blutlachen stehen und Tote, Verwundete und
u
berlebende langsam versinken.
Der Sturm peitscht
u
ber uns hin, der Splitterhagel reißt aus dem
wirren Grau und Gelb die spitzen Kinderschreie der Getroffenen, und in den
N
u
chten st
u
hnt das zerrissene Leben sich m
u
hsam dem Schweigen zu. Unsere
H
u
nde sind Erde, unsere K
u
rper Lehm und unsere Augen Regent
u
mpel. Wir wissen
nicht, ob wir noch leben.
Dann st
u
rzt die Hitze wie eine Qualle feucht und schw
u
l in unsere
L
u
cher, und an einem dieser Sp
u
tsommertage, beim Essenholen, f
u
llt Kat um.
Wir beide sind allein. Ich verbinde seine Wunde; das Schienbein scheint
zerschmettert zu sein. Es ist ein Knochenschuß, und Kat st
u
hnt
verzweifelt: "Jetzt noch - gerade jetzt noch -"
Ich tr
u
ste ihn. "Wer weiß, wie lange der Schlamassel noch dauert!
Du bist erst mal gerettet -"
Die Wunde beginnt heftig durchzubluten. Kat kann nicht allein bleiben,
damit ich eine Bahre zu holen versuche. Ich weiß auch nirgendwo eine
Sanit
u
tsstation in der N
u
he.
Kat ist nicht sehr schwer; deshalb nehme ich ihn auf den R
u
cken und
gehe zur
u
ck mit ihm zum Verbandsplatz.
Zweimal machen wir Rast. Er hat starke Schmerzen durch den Transport.
Wir sprechen nicht viel. Ich habe den Kragen meiner Jacke aufgemacht und
atme heftig, ich schwitze, und mein Gesicht ist gedunsen von der Anstrengung
des Tragens. Trotzdem dr
u
nge ich, daß wir weitergehen, denn das
Terrain ist gef
u
hrlich.
"Geht's wieder, Kat?"
"Muß wohl, Paul."
"Dann los."
Ich richte ihn auf, er steht auf dem unverletzten Bein und h
u
lt sich an
einem Baum fest. Dann fasse ich vorsichtig das verwundete Bein, er gibt sich
einen Ruck, und ich nehme auch das Knie des gesunden Beines unter den Arm.
Unser Weg wird schwieriger. Manchmal pfeift eine Granate heran. Ich
gehe, so schnell ich vermag, denn das Blut von Kats Wunde tropft zu Boden.
Wir k
u
nnen uns nur schlecht sch
u
tzen vor den Einschl
u
gen, denn ehe wir
Deckung nehmen, sind sie l
u
ngst vor
u
ber. Um abzuwarten, legen wir uns in
einen kleinen Trichter. Ich gebe Kat Tee aus meiner Feldflasche. Wir rauchen
eine Zigarette. "Ja, Kat", sage ich tr
u
bsinnig, "nun kommen wir doch noch
auseinander."
Er schweigt und sieht mich an.
"Weißt du noch, Kat, wie wir die Gans requirierten? Und wie du
mich aus dem Schlamassel holtest, als ich noch ein kleiner Rekrut und zum
erstenmal verwundet war? Damals habe ich noch geweint. Kat, es sind fast
drei Jahre jetzt."
Er nickt.
Die Angst vor dem Alleinsein steigt in mir auf. Wenn Kat
abtransportiert ist, habe ich keinen Freund mehr hier.
"Kat, wir m
u
ssen uns auf jeden Fall wiedersehen, wenn wirklich Frieden
ist, ehe du zur
u
ckkommst."
"Glaubst du, daß ich mit dem Knochen da noch mal k.v. werde?"
fragt er bitter.
"Du wirst ihn in Ruhe ausheilen. Das Gelenk ist ja in Ordnung.
Vielleicht klappt es doch damit."
"Gib mir noch eine Zigarette", sagt er.
"Vielleicht k
u
nnen wir irgend etwas sp
u
ter zusammen machen, Kat." - Ich
bin sehr traurig, es ist unm
u
glich, daß Kat - Kat, mein Freund, Kat
mit den H
u
ngeschultern und dem d
u
nnen, weichen Schnurrbart, Kat, den ich
kenne auf eine andere Weise als jeden anderen Menschen, Kat, mit dem ich
diese Jahre geteilt habe -, es ist unm
u
glich, daß ich Kat vielleicht
nicht wiedersehen soll.
"Gib mir deine Adresse f
u
r zu Hause, Kat, auf jeden Fall. Und hier ist
meine, ich schreibe sie dir auf."
Den Zettel schiebe ich in meine Brusttasche. Wie verlassen ich schon
bin, obschon er noch neben mir sitzt. Soll ich mir rasch in den Fuß
schießen, um bei ihm bleiben zu k
u
nnen? Kat gurgelt pl
u
tzlich und wird
gr
u
n und gelb. "Wir wollen weiter", stammelt er.
Ich springe auf, gl
u
hend, ihm zu helfen, ich nehme ihn hoch und setze
mich in Lauf, einen gedehnten, langsamen Dauerlauf, damit sein Bein nicht zu
sehr schlenkert.
Mein Hals ist trocken, es tanzt mir rot und schwarz vor den Augen, als
ich verbissen und ohne Gnade weiterstolpernd, endlich die Sanit
u
tsstation
erreiche.
Dort breche ich in die Knie, habe aber noch so viel Kraft, nach der
Seite umzufallen, wo Kats gesundes Bein ist. Langsam richte ich mich nach
einigen Minuten wieder auf. Meine Beine und meine H
u
nde zittern heftig, ich
habe M
u
he, meine Feldflasche zu finden, um einen Schluck zu nehmen. Die
Lippen beben mir dabei. Aber ich l
u
chele - Kat ist geborgen.
Nach einer Weile unterscheide ich den verworrenen Stimmenschwall, der
sich in meinem Ohr f
u
ngt.
"Das h
u
ttest du dir sparen k
u
nnen", sagt ein Sanit
u
ter.
Ich sehe ihn verst
u
ndnislos an.
Er zeigt auf Kat. "Er ist ja tot."
Ich begreife nicht. "Er hat einen Schienbeinschuß", sage ich.
Der Sanit
u
ter bleibt stehen. "Das auch -"
Ich drehe mich um. Meine Augen sind noch immer tr
u
be, der Schweiß
ist mir jetzt von neuem ausgebrochen, er l
u
uft
u
ber die Lider. Ich wische
ihn fort und sehe zu Kat hin. Er liegt still. "Ohnm
u
chtig", sage ich rasch.
Der Sanit
u
ter pfeift leise: "Das kenne ich nun doch besser. Er ist tot.
Darauf halte ich jede Wette."
Ich sch
u
ttele den Kopf. "Ausgeschlossen! Vor zehn Minuten noch habe ich
mit ihm gesprochen. Er ist ohnm
u
chtig." Kats H
u
nde sind warm, ich fasse ihn
bei den Schultern, um ihn mit Tee abzureiben. Da f
u
hle ich meine Finger
naß werden. Als ich sie hinter seinem Kopf hervorziehe, sind sie
blutig. Der Sanit
u
ter pfeift wieder durch die Z
u
hne: "Siehst du -"
Kat hat, ohne daß ich es bemerkt habe, unterwegs einen Splitter
in den Kopf bekommen. Nur ein kleines Loch ist da, es muß ein ganz
geringer, verirrter Splitter gewesen sein. Aber er hat ausgereicht. Kat ist
tot.
Ich stehe langsam auf.
"Willst du sein Soldbuch und seine Sachen mitnehmen ?" fragt der
Gefreite mich.
Ich nicke, und er gibt sie mir.
Der Sanit
u
ter ist verwundert. "Ihr seid doch nicht verwandt?"
Nein, wir sind nicht verwandt. Nein, wir sind nicht verwandt.
Gehe ich? Habe ich noch F
u
ße? Ich hebe die Augen, ich lasse sie
herumgehen und drehe mich mit ihnen, einen Kreis, einen Kreis, bis ich
innehalte. Es ist alles wie sonst. Nur der Landwehrmann Stanislaus
Katczinsky ist gestorben.
Dann weiß ich nichts mehr.
Es ist Herbst. Von den alten Leuten sind nicht mehr viele da. Ich bin
der letzte von den sieben Mann aus unserer Klasse hier.
Jeder spricht von Frieden und Waffenstillstand. Alle warten. Wenn es
wieder eine Entt
u
uschung wird, dann werden sie zusammenbrechen, die
Hoffnungen sind zu stark, sie lassen sich nicht mehr fortschaffen, ohne zu
explodieren. Gibt es keinen Frieden, dann gibt es Revolution.
Ich habe vierzehn Tage Ruhe, weil ich etwas Gas geschluckt habe. In
einem kleinen Garten sitze ich den ganzen Tag in der Sonne. Der
Waffenstillstand kommt bald, ich glaube es jetzt auch. Dann werden wir nach
Hause fahren.
Hier stocken meine Gedanken und sind nicht weiterzubringen. Was mich
mit
u
bermacht hinzieht und erwartet, sind Gef
u
hle. Es ist Lebensgier, es ist
Heimatgef
u
hl, es ist das Blut, es ist der Rausch der Rettung. Aber es sind
keine Ziele.
W
u
ren wir 1916 heimgekommen, wir h
u
tten aus dem Schmerz und der St
u
rke
unserer Erlebnisse einen Sturm entfesselt. Wenn wir jetzt zur
u
ckkehren, sind
wir m
u
de, zerfallen, ausgebrannt, wurzellos und ohne Hoffnung. Wir werden
uns nicht mehr zurechtfinden k
u
nnen.
Man wird uns auch nicht verstehen - denn vor uns w
u
chst ein Geschlecht,
das zwar die Jahre hier gemeinsam mit uns verbrachte, das aber Bett und
Beruf hatte und jetzt zur
u
ckgeht in seine alten Positionen, in denen es den
Krieg vergessen wird, - und hinter uns w
u
chst ein Geschlecht,
u
hnlich uns
fr
u
her, das wird uns fremd sein und uns beiseite schieben. Wir sind
u
berfl
u
ssig f
u
r uns selbst, wir werden wachsen, einige werden sich anpassen,
andere sich f
u
gen, und viele werden ratlos sein; - die Jahre werden
zerrinnen, und schließlich werden wir zugrunde gehen.
Aber vielleicht ist auch alles dieses, was ich denke, nur Schwermut und
Best
u
rzung, die fortst
u
ubt, wenn ich wieder unter den Pappeln stehe und dem
Rauschen ihrer Bl
u
tter lausche. Es kann nicht sein, daß es fort ist,
das Weiche, das unser Blut unruhig machte, das Ungewisse, Best
u
rzende,
Kommende, die tausend Gesichter der Zukunft, die Melodie aus Tr
u
umen und
B
u
chern, das Rauschen und die Ahnung der Frauen, es kann nicht sein,
daß es untergegangen ist in Trommelfeuer, Verzweiflung und
Mannschaftsbordells.
Die B
u
ume hier leuchten bunt und golden, die Beeren der Ebereschen
stehen rot im Laub, Landstraßen laufen weiß auf den Horizont zu,
und die Kantinen summen wie Bienenst
u
cke von Friedensger
u
chten.
Ich stehe auf.
Ich bin sehr ruhig. M
u
gen die Monate und Jahre kommen, sie nehmen mir
nichts mehr, sie k
u
nnen mir nichts mehr nehmen. Ich bin so allein und so
ohne Erwartung, daß ich ihnen entgegensehen kann ohne Furcht. Das
Leben, das mich durch diese Jahre trug, ist noch in meinen H
u
nden und Augen.
Ob ich es
u
berwunden habe, weiß ich nicht. Aber solange es da ist,
wird es sich seinen Weg suchen, mag dieses, das in mir "Ich" sagt, wollen
oder nicht.
Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an
der ganzen Front, daß der Heeresbericht sich nur auf den Satz
beschr
u
nkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.
Er war vorn
u
bergesunken und lag wie schlafend an der Erde. Als man ihn
umdrehte, sah man, daß er sich nicht lange gequ
u
lt haben konnte; -
sein Gesicht hatte einen so gefaßten Ausdruck, als w
u
re er beinahe
zufrieden damit, daß es so gekommen war.
OCR, Spellcheck: Илья Франк,
http://franklang.ru
(мультиязыковой проект
Ильи Франка)
Мультиязыковой проект Ильи Франка www.franklang.ru
[email protected]
Обращений с начала месяца:
258
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