Книго

Эрих Мария Ремарк. На западном фронте без перемен (germ)




     OCR, Spellcheck: Илья Франк, 

http://franklang.ru

 (мультиязыковой проект. Ильи Франка)


     Erich Maria Remarque
     Im Westen nichts Neues

     Dieses Buch soll weder eine Anklage
     noch ein Bekenntnis sein.
     Es soll nur den Versuch machen,
     

u

ber eine Generation zu berichten,
     die vom Kriege zerst

u

rt wurde -
     auch wenn sie seinen Granaten entkam.





     Wir  liegen  neun  Kilometer  hinter  der  Front.  Gestern  wurden  wir
abgel

u

st; jetzt haben wir den Magen voll weißer Bohnen mit Rindfleisch
und  sind  satt  und  zufrieden.  Sogar  f

u

r  abends  hat   jeder  noch  ein
Kochgeschirr voll fassen k

u

nnen; dazu gibt es außerdem doppelte Wurst-
und Brotportionen  - das  schafft.  So ein  Fall ist schon  lange nicht mehr
dagewesen:  der  K

u

chenbulle  mit seinem roten Tomatenkopf bietet  das Essen
direkt  an; jedem, der  vorbeikommt, winkt er mit seinem L

u

ffel zu und f

u

llt
ihm  einen kr

u

ftigen Schlag ein.  Er ist  ganz verzweifelt,  weil  er  nicht
weiß, wie er seine Gulaschkanone leer  kriegen soll. Tjaden und M

u

ller
haben  ein paar Waschsch

u

sseln  aufgetrieben  und  sie  sich  bis  zum  Rand
gestrichen  voll   geben  lassen,   als   Reserve.  Tjaden  macht  das   aus
Freßsucht, M

u

ller aus Vorsicht. Wo Tjaden es l

u

ßt, ist allen ein
R

u

tsel. Er ist und bleibt ein magerer Hering.
     Das Wichtigste  aber  ist, daß  es auch  doppelte  Rauchportionen
gegeben hat. F

u

r  jeden zehn  Zigarren,  zwanzig  Zigaretten und  zwei St

u

ck
Kautabak, das ist sehr  anst

u

ndig. Ich habe  meinen Kautabak  mit Katczinsky
gegen seine  Zigaretten getauscht,  das macht  f

u

r mich vierzig  Zigaretten.
Damit langt man schon einen Tag.
     Dabei steht uns diese ganze Bescherung eigentlich nicht zu. So splendid
sind die Preußen nicht. Wir haben sie nur einem Irrtum zu verdanken.
     Vor  vierzehn Tagen mußten  wir  nach vorn, um  abzul

u

sen. Es war
ziemlich ruhig in unserm Abschnitt, und der Furier hatte deshalb f

u

r den Tag
unserer  R

u

ckkehr  das  normale Quantum  Lebensmittel erhalten und  f

u

r  die
hundertf

u

nfzig Mann starke Kompanie vorgesorgt.  Nun  aber  gab es gerade am
letzten Tage bei uns 

u

berraschend viel Langrohr und dicke Brocken, englische
Artillerie,  die  st

u

ndig  auf  unsere Stellung trommelte, so daß  wir
starke Verluste hatten und nur mit achtzig Mann zur

u

ckkamen.
     Wir waren nachts einger

u

ckt und hatten uns gleich hingehauen,  um  erst
einmal anst

u

ndig zu schlafen; denn Katczinsky hat recht: es w

u

re alles nicht
so schlimm mit dem Krieg, wenn man nur mehr Schlaf haben w

u

rde. Vorne ist es
doch nie etwas damit, und vierzehn Tage jedes mal sind eine lange Zeit.
     Es war schon  Mittag, als die ersten von uns aus den  Baracken krochen.
Eine halbe Stunde  sp

u

ter  hatte jeder  sein Kochgeschirr gegriffen, und wir
versammelten uns  vor der Gulaschmarie, die fettig und nahrhaft roch. An der
Spitze nat

u

rlich die  Hungrigsten: der kleine  Albert Kropp,  der von uns am
klarsten denkt und  deshalb  erst  Gefreiter  ist;  -  M

u

ller  V,  der  noch
Schulb

u

cher mit sich herumschleppt und vom Notexamen tr

u

umt; im Trommelfeuer
b

u

ffelt er  physikalische  Lehrs

u

tze; - Leer, der einen Vollbart  tr

u

gt  und
große Vorliebe  f

u

r M

u

dchen  aus den Offizierspuffs  hat;  er  schw

u

rt
darauf, daß sie  durch Armeebefehl verpflichtet w

u

ren, seidene  Hemden
zu tragen  und bei G

u

sten vom Hauptmann aufw

u

rts vorher zu baden; - und  als
vierter  ich,  Paul B

u

umer. Alle  vier neunzehn Jahre  alt,  alle  vier  aus
derselben Klasse in den Krieg gegangen.
     Dicht hinter uns unsere  Freunde. Tjaden, ein magerer Schlosser, so alt
wie wir, der gr

u

ßte Fresser der  Kompanie. Er  setzt  sich schlank zum
Essen  hin  und  steht dick  wie eine  schwangere Wanze wieder auf;  -  Haie
Westhus,  gleich alt, Torfstecher,  der bequem ein  Kommißbrot in eine
Hand  nehmen  und  fragen kann:  Ratet mal, was ich  in der  Faust  habe;  -
Detering, ein Bauer, der nur an seinen  Hof  und an  seine Frau denkt; - und
endlich  Stanislaus  Katczinsky,  das  Haupt  unserer  Gruppe, z

u

h,  schlau,
gerissen, vierzig Jahre alt, mit einem Gesicht  aus  Erde, mit blauen Augen,
h

u

ngenden  Schultern und einer wunderbaren  Witterung f

u

r dicke Luft,  gutes
Essen und sch

u

ne Druckposten. Unsere Gruppe bildete die  Spitze der Schlange
vor   der  Gulaschkanone.  Wir  wurden  ungeduldig,   denn  der  ahnungslose
K

u

chenkarl stand noch immer  und wartete.  Endlich  rief Katczinsky  ihm zu:
"Nun  mach  deinen  Bouillonkeller  schon  auf, Heinrich!  Man  sieht  doch,
daß die Bohnen gar sind."
     Der sch

u

ttelte schl

u

frig den Kopf: "Erst m

u

ßt ihr alle da sein."
     Tjaden grinste: "Wir sind alle da."
     Der Unteroffizier merkte  noch nichts.  "Das k

u

nnte euch so  passen! Wo
sind denn die andern?"
     "Die   werden  heute   nicht   von  dir   verpflegt!  Feldlazarett  und
Massengrab."
     Der K

u

chenbulle war erschlagen, als er die Tatsachen erfuhr. Er wankte.
     "Und ich habe f

u

r hundertf

u

nfzig Mann gekocht."
     Kropp stieß ihm in die Rippen. "Dann werden wir endlich mal satt.
Los, fang an!"
     Pl

u

tzlich  aber  durchfuhr   Tjaden  eine   Erleuchtung.  Sein  spitzes
Mausegesicht  fing ordentlich an  zu  schimmern, die Augen wurden klein  vor
Schlauheit, die Backen  zuckten, und er trat dichter  heran: "Menschenskind,
dann hast  du ja auch  f

u

r  hundertf

u

nfzig  Mann  Brot  empfangen, was?" Der
Unteroffizier  nickte verdattert und  geistesabwesend.  Tjaden packte ihn am
Rock. "Und Wurst auch?"
     Der Tomatenkopf nickte wieder.
     Tjadens Kiefer bebten. "Tabak auch?"
     "Ja, alles."
     Tjaden  sah  sich strahlend  um.  "Donnerwetter, das nennt  man Schwein
haben! Das  ist dann  ja  alles f

u

r  uns! Da kriegt  jeder ja - wartet mal -
tats

u

chlich, genau doppelte Portionen!"
     Jetzt aber erwachte die Tomate wieder zum Leben und erkl

u

rte: "Das geht
nicht."
     Doch nun wurden auch wir munter und schoben uns heran.
     "Warum geht das denn nicht, du Mohrr

u

be?" fragte Katczinsky.
     "Was f

u

r hundertf

u

nfzig Mann ist, kann doch nicht f

u

r achtzig sein."
     "Das werden wir dir schon zeigen", knurrte M

u

ller.
     "Das  Essen meinetwegen, aber  Portionen kann ich  nur f

u

r achtzig Mann
ausgeben", beharrte die Tomate.
     Katczinsky wurde  

u

rgerlich. "Du mußt  wohl mal  abgel

u

st werden,
was? Du  hast  nicht  f

u

r achtzig Mann, sondern f

u

r die  2. Kompanie  Furage
empfangen, fertig. Die gibst du aus! Die 2. Kompanie sind wir."
     Wir r

u

ckten dem Kerl auf den Leib. Keiner konnte ihn gut leiden, er war
schon ein paarmal schuld daran  gewesen, daß  wir im Graben das  Essen
viel  zu  sp

u

t und kalt bekommen hatten, weil er sich  bei etwas Granatfeuer
mit  seinem  Kessel  nicht  nahe  genug  herantraute,  so  daß  unsere
Essenholer einen viel  weiteren Weg machen mußten als  die  der andern
Kompanien.  Da war  Bulcke von  der ersten ein besserer Bursche. Er war zwar
fett wie  ein Winterhamster, aber er  schleppte, wenn es  darauf ankam,  die
T

u

pfe selbst bis zur vordersten Linie.
     Wir  waren  gerade  in  der  richtigen Stimmung,  und es h

u

tte bestimmt
Kleinholz gegeben,  wenn  nicht unser  Kompanief

u

hrer aufgetaucht  w

u

re.  Er
erkundigte  sich nach dem Streitfall und sagte vorl

u

ufig nur: "Ja, wir haben
gestern starke Verluste gehabt -"
     Dann guckte er in den Kessel. "Die Bohnen scheinen gut zu sein."
     Die Tomate nickte. "Mit Fett und Fleisch gekocht."
     Der Leutnant sah uns an.  Er  wußte, was wir dachten.  Auch sonst
wußte er noch manches, denn  er war zwischen uns  groß  geworden
und  als Unteroffizier zur Kompanie gekommen. Er hob den  Deckel noch einmal
vom Kessel  und schnupperte. Im  Weggehen sagte er: "Bringt  mir auch  einen
Teller  voll.  Und  die  Portionen  werden  alle  verteilt.  Wir  k

u

nnen sie
brauchen."
     Die Tomate machte ein dummes Gesicht. Tjaden tanzte um sie herum.
     "Das schadet dir gar nichts! Als ob ihm das  Proviantamt geh

u

rt, so tut
er. Und nun fang an, du alter Speckj

u

ger, und verz

u

hle dich nicht -"
     "H

u

ng  dich auf!"  fauchte die  Tomate. Sie war geplatzt, so etwas ging
ihr gegen den Verstand. Sie begriff die Welt nicht mehr. Und als  wollte sie
zeigen,  daß  nun  schon  alles  egal  sei,  verteilte  sie  pro  Kopf
freiwillig noch ein halbes Pfund Kunsthonig.

     Der Tag  ist wirklich  gut heute. Sogar Post ist da, fast jeder hat ein
paar  Briefe  und  Zeitungen.  Nun schlendern  wir zu der Wiese  hinter  den
Baracken  hin

u

ber. Kropp hat den runden Deckel eines  Margarinefasses unterm
Arm.
     Am rechten  Rande der Wiese ist  eine große Massenlatrine erbaut,
ein 

u

berdachtes,  stabiles Geb

u

ude. Doch das ist was f

u

r Rekruten, die  noch
nicht  gelernt haben, aus  jeder Sache  Vorteil zu ziehen.  Wir suchen etwas
Besseres.  

u

berall  verstreut stehen  n

u

mlich noch  kleine Einzelk

u

sten  f

u

r
denselben  Zweck.  Sie sind viereckig,  sauber,  ganz aus  Holz getischlert,
rundum  geschlossen,   mit   einem   tadellosen,  bequemen  Sitz.   An   den
Seitenfl

u

chen befinden sich Handgriffe, so daß  man sie transportieren
kann.
     Wir r

u

cken drei im Kreise zusammen und nehmen gem

u

tlich Platz. Vor zwei
Stunden werden wir hier nicht wieder aufstehen.
     Ich weiß  noch, wie wir uns anfangs genierten als Rekruten in der
Kaserne, wenn wir die Gemeinschaftslatrine benutzen mußten. T

u

ren gibt
es da nicht, es sitzen zwanzig Mann nebeneinander  wie in der Eisenbahn. Sie
sind mit einem Blick zu  

u

bersehen; -  der  Soldat soll  eben  st

u

ndig unter
Aufsicht sein.
     Wir  haben  inzwischen  mehr  gelernt, als  das bißchen Scham  zu

u

berwinden. Mit der Zeit wurde uns noch ganz anderes gel

u

ufig.
     Hier  draußen ist die Sache  aber geradezu ein  Genuß.  Ich
weiß nicht  mehr,  weshalb wir fr

u

her  an  diesen  Dingen immer  scheu
vorbeigehen  mußten, sie  sind  ja  ebenso  nat

u

rlich  wie  Essen  und
Trinken.  Und man brauchte  sich vielleicht auch nicht besonders  dar

u

ber zu

u

ußern, wenn sie nicht so eine wesentliche  Rolle bei uns spielten und
gerade   uns   neu   gewesen  w

u

ren  -  den   

u

brigen   waren   sie   l

u

ngst
selbstverst

u

ndlich.
     Dem Soldaten ist sein Magen und seine Verdauung ein vertrauteres Gebiet
als jedem anderen  Menschen.  Drei  Viertel  seines  Wortschatzes  sind  ihm
entnommen, und sowohl der  Ausdruck h

u

chster Freude als  auch  der  tiefster
Entr

u

stung findet hier seine kernige Untermalung. Es ist unm

u

glich, sich auf
eine andere  Art so  knapp  und  klar  zu  

u

ußern. Unsere Familien und
unsere Lehrer werden sich sch

u

n wundern, wenn wir nach Hause kommen, aber es
ist hier nun einmal die Universalsprache.
     F

u

r  uns  haben  diese  ganzen  Vorg

u

nge  den  Charakter  der  Unschuld
wiedererhalten durch ihre zwangsm

u

ßige  

u

ffentlichkeit. Mehr noch: sie
sind uns so selbstverst

u

ndlich, daß ihre gem

u

tliche
     Erledigung   ebenso   gewertet   wird   wie   meinetwegen   ein   sch

u

n
durchgef

u

hrter,  bombensicherer  Grand  ohne  viere. Nicht umsonst  ist  f

u

r
Geschw

u

tz aller Art  das  Wort  "Latrinenparole" entstanden; diese Orte sind
die Klatschecken und der Stammtischersatz beim Kommiß.
     Wir  f

u

hlen  uns  augenblicklich  wohler  als  im  noch  so  weiß
gekachelten Luxuslokus. Dort kann es  nur hygienisch sein;  hier aber ist es
sch

u

n.
     Es  sind  wunderbar  gedankenlose Stunden.  

u

ber uns  steht  der  blaue
Himmel.  Am  Horizont h

u

ngen  hellbestrahlte  gelbe  Fesselballons  und  die
weißen W

u

lkchen  der  Flakgeschosse. Manchmal schnellen sie  wie  eine
Garbe hoch, wenn sie einen Flieger verfolgen.
     Nur wie  ein  sehr fernes Gewitter  h

u

ren wir das ged

u

mpfte Brummen der
Front. Hummeln, die vor

u

bersummen, 

u

bert

u

nen es schon.
     Und rund um  uns liegt die bl

u

hende Wiese. Die zarten Rispen der Gr

u

ser
wiegen sich, Kohlweißlinge  taumeln heran,  sie schweben  im  weichen,
warmen Wind des Sp

u

tsommers, wir lesen Briefe und Zeitungen und rauchen, wir
setzen  die M

u

tzen ab und  legen  sie neben uns, der Wind spielt mit unseren
Haaren, er spielt mit unseren Worten und Gedanken.
     Die drei K

u

sten stehen mitten im leuchtenden, roten Klatschmohn. -
     Wir legen den Deckel des Margarinefasses auf unsere Knie.  So haben wir
eine  gute  Unterlage zum Skatspielen. Kropp hat die Karten  bei sich.  Nach
jedem Nullouvert  wird eine Partie Schieberamsch eingelegt. Man k

u

nnte  ewig
so sitzen.
     Die T

u

ne  einer Ziehharmonika klingen von  den Baracken  her.  Manchmal
legen wir die  Karten hin und sehen uns an. Einer sagt dann: "Kinder, Kinder
-",  oder:  "Das  h

u

tte  schiefgehen k

u

nnen  -",  und  wir  versinken  einen
Augenblick in  Schweigen. In uns  ist ein starkes, verhaltenes Gef

u

hl, jeder
sp

u

rt  es,  das  braucht  nicht  viele Worte.  Leicht h

u

tte es  sein k

u

nnen,
daß  wir heute  nicht auf unsern K

u

sten  s

u

ßen, es war  verdammt
nahe daran. Und darum ist alles neu  und stark -  der rote Mohn und das gute
Essen, die Zigaretten und der Sommerwind.
     Kropp fragt: "Hat einer von euch Kemmerich noch mal gesehen?"
     "Er liegt in St. Joseph", sage ich.
     M

u

ller meint, er habe einen  Oberschenkeldurchschuß,  einen guten
Heimatpaß.
     Wir beschließen, ihn nachmittags zu besuchen.
     Kropp  holt  einen  Brief  hervor.  "Ich  soll  euch  gr

u

ßen  von
Kantorek."
     Wir lachen. M

u

ller wirft seine Zigarette weg und sagt: "Ich wollte, der
w

u

re hier."

     Kantorek  war unser Klassenlehrer, ein strenger, kleiner Mann in grauem
Schoßrock,  mit  einem  Spitzmausgesicht. Er  hatte ungef

u

hr  dieselbe
Statur   wie   der  Unteroffizier  Himmelstoß,   der  "Schrecken   des
Klosterberges".  Es ist 

u

brigens komisch,  daß das Ungl

u

ck der Welt so
oft   von   kleinen  Leuten   herr

u

hrt,  sie  sind  viel   energischer   und
unvertr

u

glicher  als  großgewachsene.  Ich habe mich stets geh

u

tet, in
Abteilungen  mit  kleinen  Kompanief

u

hrern  zu  geraten;  es  sind  meistens
verfluchte Schinder.
     Kantorek hielt uns in den  Turnstunden  so  lange  Vortr

u

ge, bis unsere
Klasse unter seiner F

u

hrung  geschlossen  zum Bezirkskommando  zog und  sich
meldete. Ich  sehe ihn noch  vor  mir, wie er uns durch seine  Brillengl

u

ser
anfunkelte  und  mit  ergriffener  Stimme  fragte:   "Ihr   geht  doch  mit,
Kameraden?"
     Diese Erzieher haben ihr Gef

u

hl  so oft in der Westentasche parat;  sie
geben es ja  auch stundenweise aus. Doch dar

u

ber machten wir uns damals noch
keine Gedanken.
     Einer  von uns allerdings  z

u

gerte und wollte nicht recht mit.  Das war
Josef Behm, ein dicker, gem

u

tlicher  Bursche. Er  ließ  sich dann aber

u

berreden, er h

u

tte sich  auch  sonst unm

u

glich gemacht. Vielleicht  dachten
noch mehrere so wie er; aber es konnte  sich niemand gut ausschließen,
denn mit dem Wort "feige"  waren  um  diese Zeit sogar Eltern rasch bei  der
Hand.  Die  Menschen  hatten  eben alle keine  Ahnung von  dem, was kam.  Am
vern

u

nftigsten waren eigentlich die armen  und  einfachen Leute; sie hielten
den Krieg  gleich f

u

r ein Ungl

u

ck,  w

u

hrend die bessergestellten  vor Freude
nicht aus  noch ein  wußten, obschon gerade sie sich  

u

ber die  Folgen
viel eher h

u

tten klarwerden k

u

nnen.
     Katczinsky behauptet, das k

u

me von der Bildung, sie mache d

u

mlich.  Und
was Kat sagt, das hat er sich 

u

berlegt.
     Sonderbarerweise war Behm einer der ersten,  die fielen. Er erhielt bei
einem Sturm einen Schuß in die Augen, und wir ließen ihn f

u

r tot
liegen.  Mitnehmen  konnten  wir  ihn  nicht,  weil  wir  

u

berst

u

rzt  zur

u

ck
mußten. Nachmittags  h

u

rten wir  ihn  pl

u

tzlich rufen  und  sahen  ihn
draußen  herumkriechen.  Er war  nur bewußtlos gewesen.  Weil er
nichts  sah  und  wild vor  Schmerzen war, nutzte  er keine Deckung  aus, so
daß er von dr

u

ben abgeschossen wurde,  ehe jemand herankam, um ihn  zu
holen.
     Man  kann Kantorek nat

u

rlich nicht damit in  Zusammenhang bringen; - wo
bliebe  die Welt sonst, wenn man das  schon Schuld nennen wollte. Es  gab ja
Tausende  von Kantoreks, die alle 

u

berzeugt waren, auf eine f

u

r sie  bequeme
Weise das Beste zu tun.
     Darin liegt aber gerade f

u

r uns ihr Bankerott.
     Sie  sollten uns Achtzehnj

u

hrigen  Vermittler und  F

u

hrer zur  Welt des
Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der  Kultur und des
Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie  manchmal und spielten ihnen
Meine  Streiche, aber im Grunde  glaubten  wir  ihnen.  Mit  dem Begriff der
Autorit

u

t,  dessen  Tr

u

ger  sie  waren,  verband  sich  m  unseren  Gedanken
gr

u

ßere Einsicht und  menschlicheres Wissen.  Doch der erste Tote, den
wir  sahen,  zertr

u

mmerte  diese  

u

berzeugung.  Wir  mußten  erkennen,
daß unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die
Phrase  und die Geschicklichkeit voraus. Das  erste Trommelfeuer  zeigte uns
unseren Irrtum, und unter  ihm st

u

rzte  die Weltanschauung zusammen, die sie
uns gelehrt hatten.
     W

u

hrend  sie  noch  schrieben  und  redeten,  sahen  wir  Lazarette und
Sterbende;  -  w

u

hrend  sie  den  Dienst  am  Staate  als  das  Gr

u

ßte
bezeichneten,  wußten  wir  bereits,  daß die Todesangst st

u

rker
ist.  Wir wurden darum keine Meuterer,  keine Deserteure, keine  Feiglinge -
alle diese Ausdr

u

cke waren ihnen ja so leicht zur Hand -, wir liebten unsere
Heimat genauso wie sie, und wir  gingen bei  jedem Angriff mutig vor; - aber
wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen  gelernt.  Und  wir
sahen, daß nichts von ihrer Welt 

u

brig blieb. Wir waren pl

u

tzlich  auf
furchtbare Weise allein; - und wir mußten allein damit fertig werden.

     Bevor wir zu Kemmerich aufbrechen, packen wir seine Sachen ein; er wird
sie unterwegs gut brauchen k

u

nnen.
     Im Feldlazarett  ist  großer  Betrieb; es riecht wie  immer  nach
Karbol, Eiter und Schweiß. Man ist  aus  den Baracken manches gewohnt,
aber hier kann einem doch flau  werden. Wir fragen uns nach Kemmerich durch;
er liegt in  einem Saal und empf

u

ngt uns  mit einem  schwachen Ausdruck  von
Freude und hilfloser Aufregung.  W

u

hrend er bewußtlos war, hat man ihm
seine Uhr gestohlen.
     M

u

ller sch

u

ttelt den Kopf: "Ich habe dir ja immer gesagt, daß man
eine so gute Uhr nicht mitnimmt."
     M

u

ller ist  etwas  tapsig und  rechthaberisch. Sonst  w

u

rde er den Mund
halten, denn jeder  sieht, daß  Kemmerich nicht mehr  aus diesem  Saal
herauskommt.  Ob  er  seine  Uhr  wiederfindet, ist  ganz  egal,  h

u

chstens,
daß man sie nach Hause schicken k

u

nnte.
     "Wie geht's denn, Franz?" fragt Kropp.
     Kemmerich l

u

ßt den Kopf sinken. "Es geht ja - ich habe bloß
so verfluchte Schmerzen im Fuß."
     Wir sehen auf seine Decke. Sein Bein  liegt  unter einem Drahtkorb, das
Deckbett  w

u

lbt  sich dick dar

u

ber.  Ich trete M

u

ller gegen  das Schienbein,
denn  er  br

u

chte  es  fertig, Kemmerich  zu  sagen,  was  uns die Sanit

u

ter
draußen schon erz

u

hlt haben: daß Kemmerich keinen Fuß mehr
hat. Das Bein ist amputiert.
     Er sieht schrecklich  aus,  gelb und fahl,  im Gesicht sind  schon  die
fremden  Linien,  die wir so  genau  kennen,  weil wir sie schon  hundertmal
gesehen haben. Es sind eigentlich keine  Linien, es sind mehr Zeichen. Unter
der Haut pulsiert kein Leben mehr; es ist bereits herausgedr

u

ngt  bis an den
Rand  des  K

u

rpers,  von  innen  arbeitet  sich  der  Tod durch,  die  Augen
beherrscht er schon.  Dort liegt unser  Kamerad Kemmerich,  der mit uns  vor
kurzem noch Pferdefleisch gebraten und im Trichter gehockt hat; - er  ist es
noch,  und er ist  es doch nicht mehr, verwaschen, unbestimmt ist sein  Bild
geworden,  wie  eine fotografische  Platte, auf der  zwei Aufnahmen  gemacht
worden sind. Selbst seine Stimme klingt wie Asche.
     Ich  denke daran,  wie wir damals abfuhren.  Seine  Mutter, eine  gute,
dicke Frau, brachte ihn zum Bahnhof. Sie weinte  ununterbrochen, ihr Gesicht
war davon  gedunsen und geschwollen. Kemmerich genierte sich  deswegen, denn
sie war am  wenigsten gefaßt von allen, sie  zerfloß f

u

rmlich in
Fett und Wasser. Dabei hatte sie es auf mich abgesehen, immer wieder ergriff
sie meinen Arm  und  flehte mich an, auf Franz draußen achtzugeben. Er
hatte allerdings  auch  ein  Gesicht wie  ein Kind  und so  weiche  Knochen,
daß er nach vier  Wochen Tornistertragen  schon Plattf

u

ße bekam.
Aber wie kann man im Felde auf jemand achtgeben!
     "Du wirst ja nun nach Hause kommen", sagt Kropp, "auf Urlaub h

u

ttest du
mindestens noch drei, vier Monate warten m

u

ssen."
     Kemmerich nickt. Ich  kann seine H

u

nde nicht gut ansehen, sie sind  wie
Wachs. Unter den  N

u

geln sitzt der Schmutz des Grabens, er sieht blauschwarz
aus  wie Gift.  Mir f

u

llt ein,  daß  diese N

u

gel weiterwachsen werden,
lange  noch,  gespenstische Kellergew

u

chse, wenn Kemmerich l

u

ngst nicht mehr
atmet. Ich sehe das  Bild vor  mir: sie kr

u

mmen  sich  zu  Korkenziehern und
wachsen und wachsen,  und mit  ihnen die Haare auf dem zerfallenden Sch

u

del,
wie Gras auf gutem Boden, genau wie Gras, wie ist das nur m

u

glich -?
     M

u

ller b

u

ckt sich. "Wir haben deine Sachen mitgebracht, Franz."
     Kemmerich zeigt mit der Hand. "Legt sie unters Bett."
     M

u

ller tut es. Kemmerich f

u

ngt wieder von der  Uhr an. Wie soll man ihn
nur beruhigen, ohne ihn mißtrauisch zu machen!
     M

u

ller  taucht  mit einem  Paar  Fliegerstiefel  wieder  auf.  Es  sind
herrliche  englische Schuhe  aus weichem,  gelbem Leder, die  bis  zum  Knie
reichen  und ganz hinauf geschn

u

rt  werden, eine begehrte Sache. M

u

ller  ist
von ihrem  Anblick  begeistert,  er h

u

lt  ihre Sohlen  gegen  seine  eigenen
klobigen Schuhe und fragt: "Willst du denn die Stiefel mitnehmen, Franz?"
     Wir denken alle  drei das  gleiche: selbst wenn er gesund w

u

rde, k

u

nnte
er nur  einen gebrauchen, sie w

u

ren f

u

r ihn also wertlos. Aber wie  es jetzt
steht,  ist es ein Jammer, daß sie  hierbleiben;  - denn die Sanit

u

ter
werden sie nat

u

rlich sofort wegschnappen, wenn er tot ist.
     M

u

ller wiederholt: "Willst du sie nicht hier lassen?"
     Kemmerich will nicht. Es sind seine besten St

u

cke.
     "Wir  k

u

nnen sie  ja  umtauschen",  schl

u

gt M

u

ller  wieder  vor,  "hier
draußen kann man so was brauchen."
     Doch Kemmerich ist nicht zu bewegen.
     Ich trete M

u

ller auf den Fuß; er legt die sch

u

nen Stiefel z

u

gernd
wieder unter das Bett.
     Wir reden noch einiges und verabschieden uns dann. "Mach's gut, Franz."
     Ich  verspreche  ihm,  morgen wiederzukommen.  M

u

ller  redet  ebenfalls
davon; er denkt an die Schn

u

rschuhe und will deshalb auf dem Posten sein.
     Kemmerich  st

u

hnt.  Er  hat  Fieber.  Wir  halten  draußen  einen
Sanit

u

ter an und reden ihm zu, Kemmerich eine Spritze zu geben.
     Er lehnt ab. "Wenn wir jedem Morphium geben  wollten,  m

u

ßten wir
F

u

sser voll haben -"
     "Du bedienst wohl nur Offiziere", sagt Kropp geh

u

ssig.
     Rasch lege ich mich ins Mittel und gebe dem Sanit

u

ter zun

u

chst mal eine
Zigarette. Er  nimmt sie.  Dann  frage ich:  "Darfst du denn  

u

berhaupt eine
machen?"
     Er ist beleidigt. "Wenn ihr's nicht glaubt, was fragt ihr mich -"
     Ich  dr

u

cke  ihm  noch  ein  paar Zigaretten  in die Hand.  "Tu uns den
Gefallen -"
     "Na, sch

u

n",  sagt er. Kropp geht mit  hinein, er  traut ihm  nicht und
will zusehen. Wir warten draußen.
     M

u

ller f

u

ngt  wieder  von  den Stiefeln an." Sie  w

u

rden  mir  tadellos
passen. In  diesen K

u

hnen  laufe ich  mir Blasen  

u

ber Blasen.  Glaubst  du,
daß  er durchh

u

lt  bis morgen nach dem Dienst?  Wenn er nachts abgeht,
haben wir die Stiefel gesehen -"
     Albert kommt zur

u

ck. "Meint ihr -?" fragt er.
     "Erledigt", sagt M

u

ller abschließend.
     Wir  gehen zu unsern Baracken zur

u

ck. Ich denke  an den  Brief, den ich
morgen  schreiben  muß  an Kemmerichs Mutter. Mich friert.  Ich m

u

chte
einen Schnaps trinken. M

u

ller rupft  Gr

u

ser aus  und kaut  daran.  Pl

u

tzlich
wirft  der  kleine Kropp seine  Zigarette weg, trampelt  wild  darauf herum,
sieht sich um, mit  einem aufgel

u

sten und verst

u

rten Gesicht, und  stammelt:
"Verfluchte Scheiße, diese verfluchte Scheiße."
     Wir gehen  weiter, eine lange Zeit. Kropp hat sich beruhigt, wir kennen
das, es ist der  Frontkoller, jeder hat  ihn mal. M

u

ller fragt ihn: "Was hat
dir der Kantorek eigentlich geschrieben?"
     Er lacht: "Wir w

u

ren die eiserne Jugend."
     Wir lachen  alle drei 

u

rgerlich. Kropp schimpft; er ist froh, daß
er reden kann. -
     Ja, so denken sie, so denken sie, die hunderttausend Kantoreks! Eiserne
Jugend.  Jugend! Wir sind alle  nicht  mehr  als zwanzig  Jahre. Aber  jung?
Jugend? Das ist lange her. Wir sind alte Leute.



     Es ist f

u

r mich sonderbar,  daran  zu  denken,  daß zu  Hause, in
einer Schreibtischlade,  ein  angefangenes Drama "Saul"  und ein  Stoß
Gedichte liegen. Manchen Abend habe ich dar

u

ber verbracht, wir haben ja fast
alle  so etwas  

u

hnliches gemacht;  aber  es ist mir so unwirklich geworden,
daß ich es mir nicht mehr richtig vorstellen kann.
     Seit  wir  hier  sind, ist  unser  fr

u

heres  Leben abgeschnitten,  ohne
daß  wir  etwas  dazu  getan  haben.  Wir  versuchen  manchmal,  einen

u

berblick und  eine Erkl

u

rung  daf

u

r zu gewinnen, doch  es gelingt uns nicht
recht. Gerade f

u

r uns  Zwanzigj

u

hrige ist alles besonders unklar, f

u

r Kropp,
M

u

ller, Leer, mich, f

u

r uns, die Kantorek als eiserne Jugend bezeichnet. Die

u

lteren Leute sind alle  fest mit  dem Fr

u

heren verbunden, sie  haben Grund,
sie  haben  Frauen, Kinder,  Berufe und Interessen, die schon so stark sind,
daß der Krieg sie nicht zerreißen kann. Wir Zwanzigj

u

hrigen aber
haben nur unsere Eltern und manche ein M

u

dchen. Das ist nicht viel - denn in
unserm  Alter ist die Kraft der Eltern am  schw

u

chsten, und die M

u

dchen sind
noch nicht beherrschend. Außer diesem  gab es ja  bei uns  nicht  viel
anderes  mehr;  etwas  Schw

u

rmertum,  einige Liebhabereien  und die  Schule;
weiter reichte unser Leben noch nicht. Und davon ist nichts geblieben.
     Kantorek  w

u

rde sagen,  wir  h

u

tten gerade an  der Schwelle des Daseins
gestanden. So 

u

hnlich ist es  auch. Wir  waren noch nicht eingewurzelt.  Der
Krieg hat  uns  weggeschwemmt.  F

u

r  die andern,  die 

u

lteren,  ist  er eine
Unterbrechung, sie  k

u

nnen  

u

ber ihn  hinausdenken.  Wir aber  sind  von ihm
ergriffen worden und wissen  nicht,  wie das enden soll. Was wir wissen, ist
vorl

u

ufig  nur,  daß wir  auf eine sonderbare und  schwerm

u

tige  Weise
verroht sind, obschon wir nicht einmal oft mehr traurig werden.
     Wenn M

u

ller gern Kemmerichs Stiefel haben will, so ist er deshalb nicht
weniger teilnahmsvoll als  jemand,  der vor  Schmerz nicht  daran  zu denken
wagte. Er  weiß  nur  zu unterscheiden. W

u

rden  die  Stiefel Kemmerich
etwas nutzen, dann  liefe M

u

ller lieber barfuß  

u

ber Stacheldraht, als
groß zu 

u

berlegen, wie er sie bekommt. So aber sind die Stiefel etwas,
das gar  nichts mit Kemmerichs Zustand zu  tun  hat, w

u

hrend M

u

ller sie  gut
verwenden kann. Kemmerich wird sterben, einerlei, wer sie erh

u

lt. Warum soll
deshalb M

u

ller nicht dahinter her sein, er hat doch mehr Anrecht  darauf als
ein  Sanit

u

ter!  Wenn Kemmerich  erst tot  ist,  ist  es  zu  sp

u

t.  Deshalb
paßt M

u

ller eben jetzt schon auf.
     Wir  haben  den  Sinn  f

u

r  andere  Zusammenh

u

nge  verloren,  weil  sie
k

u

nstlich sind. Nur die Tatsachen sind richtig und wichtig f

u

r uns. Und gute
Stiefel sind selten.

     Fr

u

her  war auch  das anders. Als wir zum Bezirkskommando gingen, waren
wir  noch  eine  Klasse von zwanzig jungen Menschen,  die  sich,  manche zum
ersten  Male,  

u

berm

u

tig  gemeinsam  rasieren  ließ,  bevor  sie   den
Kasernenhof betrat.  Wir hatten keine festen Pl

u

ne f

u

r die Zukunft, Gedanken
an Karriere und Beruf waren bei den wenigsten praktisch bereits so bestimmt,
daß sie eine Daseinsform bedeuten konnten; - daf

u

r jedoch steckten wir
voll Ungewisser Ideen, die dem  Leben und  auch dem Kriege in  unseren Augen
einen idealisierten und fast romantischen Charakter verliehen.
     Wir wurden  zehn  Wochen  milit

u

risch ausgebildet  und  in  dieser Zeit
entscheidender  umgestaltet als  in  zehn  Jahren  Schulzeit.  Wir  lernten,
daß ein  geputzter Knopf  wichtiger ist  als vier B

u

nde  Schopenhauer.
Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließlich gleichg

u

ltig erkannten
wir, daß nicht  der Geist ausschlaggebend zu sein  schien, sondern die
Wichsb

u

rste,  nicht  der Gedanke,  sondern das  System, nicht die  Freiheit,
sondern  der Drill.  Mit Begeisterung  und gutem Willen  waren wir  Soldaten
geworden; aber man tat alles, um uns das auszutreiben. Nach drei Wochen  war
es uns nicht mehr unfaßlich, daß ein betreßter Brieftr

u

ger
mehr Macht 

u

ber uns besaß als fr

u

her unsere Eltern, unsere Erzieherund
s

u

mtliche  Kulturkreise  von Plato bis Goethe zusammen. Mit  unseren jungen,
wachen  Augen  sahen wir, daß der klassische Vaterlandsbegriff unserer
Lehrer sich hier vorl

u

ufig realisierte zu einem Aufgeben der Pers

u

nlichkeit,
wie  man  es   dem  geringsten   Dienstboten  nie  zugemutet   haben  w

u

rde.
Gr

u

ßen,  Strammstehen,  Parademarsch,  Gewehrpr

u

sentieren,   Rechtsum,
Linksum,  Hackenzusammenschlagen,  Schimpfereien und  tausend Schikanen: wir
hatten  uns unsere Aufgabe anders gedacht  und fanden, daß wir auf das
Heldentum wie Zirkuspferde vorbereitet wurden.  Aber wir  gew

u

hnten uns bald
daran. Wir begriffen sogar, daß  ein Teil dieser Dinge  notwendig, ein
anderer aber ebenso 

u

berfl

u

ssig war. Der Soldat hat daf

u

r eine feine Nase.

     Zu  dreien und  vieren  wurde unsere  Klasse  

u

ber die Korporalschaften
verstreut,   zusammen  mit   friesischen  Fischern,  Bauern,  Arbeitern  und
Handwerkern,  mit   denen  wir  uns  schnell  anfreundeten.  Kropp,  M

u

ller,
Kemmerich und  ich  kamen zur  neunten Korporalschaft, die der Unteroffizier
Himmelstoß f

u

hrte.
     Er galt als  der sch

u

rfste Schinder des Kasernenhofes, und das war sein
Stolz. Ein kleiner,  untersetzter  Kerl,  der zw

u

lf Jahre gedient hatte, mit
fuchsigem, aufgewirbeltem Schnurrbart, im Zivilberuf Brieftr

u

ger. Auf Kropp,
Tjaden,  Westhus  und mich hatte er es  besonders abgesehen,  weil er unsern
stillen Trotz sp

u

rte.
     Ich  habe an  einem Morgen vierzehnmal sein  Bett gebaut. Immer  wieder
fand  er etwas  daran  auszusetzen und  riß es herunter.  Ich habe  in
zwanzigst

u

ndiger Arbeit - mit Pausen nat

u

rlich - ein Paar uralte, steinharte
Stiefel so  butterweich geschmiert, daß selbst Himmelstoß nichts
mehr  daran  auszusetzen  fand;  -  ich  habe  auf  seinen  Befehl mit einer
Zahnb

u

rste die Korporalschaftsstube sauber geschrubbt; - Kropp und ich haben
uns  mit einer Handb

u

rste  und  einem  Fegeblech an den Auftrag gemacht, den
Kasernenhof  vom Schnee reinzufegen,  und  wir h

u

tten  durchgehalten bis zum
Erfrieren,  wenn  nicht  zuf

u

llig  ein  Leutnant aufgetaucht  w

u

re, der  uns
fortschickte und Himmelstoß  m

u

chtig anschnauzte. Die Folge war leider
nur, daß Himmelstoß um so w

u

tender auf uns wurde. Ich habe  vier
Wochen  hintereinander  jeden  Sonntag  Wache   geschoben  und   ebensolange
Stubendienst gemacht;  -  ich habe  in vollem  Gep

u

ck mit  Gewehrauf  losem,
nassem Sturzacker "Sprung auf, marsch, marsch" und "Hinlegen" ge

u

bt, bis ich
ein  Dreckklumpen  war und  zusammenbrach;  -  ich  habe vier Stunden sp

u

ter
Himmelstoß mein tadellos gereinigtes Zeug vorgezeigt,  allerdings  mit
blutig geriebenen  H

u

nden; - ich  habe mit  Kropp,  Westhus und Tjaden  ohne
Handschuhe bei scharfem Frost eine Viertelstunde "Stillgestanden" ge

u

bt, die
bloßen   Finger  am   eisigen  Gewehrlauf,  lauernd   umschlichen  von
Himmelstoß, der auf  die geringste  Bewegung wartete, um  ein Vergehen
festzustellen; - ich bin nachts um zwei Uhr achtmal  im Hemd  vom  ob ersten
Stock der Kaserne  heruntergerannt  bis auf  den  Hof,  weil meine Unterhose
einige Zentimeter 

u

ber  den  Rand  des Schemels  hinausragte,  auf dem jeder
seine Sachen aufschichten mußte.  Neben mir lief der Unteroffizier vom
Dienst,  Himmelstoß, und  trat  mir auf  die  Zehen;  -  ich habe beim
Bajonettieren  st

u

ndig mit  Himmelstoß fechten  m

u

ssen,  wobei ich ein
schweres Eisengestell und er ein handliches Holzgewehr hatte,  so  daß
er mir bequem die Arme braun und blau schlagen konnte; allerdings geriet ich
dabei einmal so in Wut,  daß  ich  ihn  blindlings 

u

berrannte und  ihm
einen derartigen Stoß vor  den Magen gab, daß er umfiel. Als  er
sich beschweren wollte, lachte  ihn der  Kompanief

u

hrer  aus  und  sagte, er
solle doch  aufpassen; erkannte  seinen Himmelstoß und schien  ihm den
Reinfall  zu  g

u

nnen.  - Ich  habe mich zu einem perfekten Kletterer auf die
Spinde  entwickelt;  -  ich  suchte  allm

u

hlich  auch  im Kniebeugen  meinen
Meister; -  wir  haben gezittert,  wenn  wir nur seine  Stimme h

u

rten,  aber
kleingekriegt hat uns dieses wildgewordene Postpferd nicht.
     Als Kropp  und ich  im  Barackenlager  sonntags  an  einer  Stange  die
Latrineneimer  

u

ber  den Hof  schleppten  und  Himmelstoß,  blitzblank
geschniegelt, zum Ausgehen bereit, gerade vorbeikam, sich vor uns hinstellte
und  fragte,  wie  uns  die Arbeit  gefiele, markierten  wir trotz allem ein
Stolpern und  g

u

ssen ihm  den  Eimer  

u

ber die  Beine.  Er  tobte,  aber das
Maß war voll.
     "Das setzt Festung", schrie er.
     Kropp  hatte genug. "Vorher  aber eine Untersuchung, und  da werden wir
auspacken", sagte er.
     "Wie reden  Sie  mit einem  Unteroffizier!"  br

u

llte  Himmelstoß,
"sind Sie verr

u

ckt geworden? Warten Sie,  bis Sie gefragt werden! Was wollen
Sie tun?"
     "

u

ber Herrn Unteroffizier auspacken!"  sagte Kropp und nahm die  Finger
an die Hosennaht.
     Himmelstoß merkte nun doch, was los war, und  schob ohne ein Wort
ab.  Bevor  er  verschwand,  krakehlte er  zwar noch:  "Das  werde  ich euch
eintr

u

nken",  - aber  es war vorbei mit  seiner Macht. Er versuchte  es noch
einmal  in den Sturz

u

ckern mit "Hinlegen" und "Sprung auf,  marsch, marsch".
Wir befolgten  zwar  jeden Befehl;  denn  Befehl ist  Befehl,  er  muß
ausgef

u

hrt  werden.  Aber  wir  f

u

hrten  ihn   so  langsam   aus,  daß
Himmelstoß in Verzweiflung geriet.
     Gem

u

tlich gingen wir  auf die Knie,  dann auf  die  Arme  und so  fort;
inzwischen hatte  er  schon w

u

tend ein anderes  Kommando gegeben. Bevor  wir
schwitzten, war er heiser. Er ließ uns dann in Ruhe. Zwar  bezeichnete
er uns immer noch als Schweinehunde. Aber es lag Achtung darin.
     Es gab auch  viele  anst

u

ndige Korporale, die vern

u

nftiger  waren;  die
anst

u

ndigen  waren sogar in der 

u

berzahl. Aber vor allem wollte jeder seinen
guten  Posten hier in der Heimat  so lange  behalten  wie  m

u

glich, und  das
konnte er nur, wenn er stramm mit den Rekruten war.
     Uns  ist  dabei wohl  jeder  Kasernenhofschliff  zuteil  geworden,  der
m

u

glich war, und  oft haben wir vor Wut geheult. Manche  von  uns  sind auch
krank dadurch geworden. Wolf  ist sogar an  Lungenentz

u

ndung gestorben. Aber
wir w

u

ren  uns l

u

cherlich vorgekommen, wenn wir klein beigegeben h

u

tten. Wir
wurden hart, mißtrauisch, mitleidlos, rachs

u

chtig,  roh  - und das war
gut; denn diese  Eigenschaften fehlten uns gerade. H

u

tte man  uns ohne diese
Ausbildungszeit in den Sch

u

tzengraben geschickt, dann w

u

ren wohl die meisten
von uns  verr

u

ckt geworden. So aber  waren wir vorbereitet f

u

r das, was  uns
erwartete.
     Wir  zerbrachen nicht, wir  paßten uns  an; unsere zwanzig Jahre,
die uns manches andere  so schwer machten, halfen uns dabei.  Das Wichtigste
aber war, daß in uns ein festes, praktisches Zusammen
     geh

u

rigkeitsgef

u

hl  erwachte,  das  sich  im  Felde   dann  zum  Besten
steigerte, was der Krieg hervorbrachte: zur Kameradschaft!

     Ich sitze  am Bette Kemmerichs. Er verf

u

llt mehr  und mehr. Um  uns ist
viel  Radau.  Ein  Lazarettzug  ist  angekommen,  und  die  transportf

u

higen
Verwundeten werden ausgesucht.  An Kemmerichs Bett geht der Arzt  vorbei, er
sieht ihn nicht einmal an.
     "Das n

u

chstemal, Franz", sage ich.
     Er  hebt  sich  in  den  Kissen  auf  die  Ellbogen.  "Sie  haben  mich
amputiert."
     Das weiß er also doch jetzt. Ich nicke und antworte:
     "Sei froh, daß du so weggekommen bist."
     Er schweigt.
     Ich rede weiter: "Es konnten auch beide Beine sein, Franz.  Wegeler hat
den rechten  Arm  verloren. Das ist viel  schlimmer.  Du kommst ja auch nach
Hause."
     Er sieht mich an. "Meinst du?"
     "Nat

u

rlich."
     Er wiederholt: "Meinst du?"
     "  Sicher,  Franz.  Du  mußt  dich nur  erst  von  der  Operation
erholen."
     Er winkt mir, heranzur

u

cken. Ich beuge mich 

u

ber  ihn, und er fl

u

stert:
"Ich glaube es nicht."
     "Rede keinen  Quatsch,  Franz,  in ein paar Tagen wirst  du  es  selbst
einsehen.  Was ist das schon  groß: ein amputiertes  Bein; hier werden
ganz andere Sachen wieder zurechtgepflastert."
     Er hebt eine Hand hoch. "Sieh dir das mal an, diese Finger."
     "Das  kommt  von der Operation. Futtere nur ordentlich, dann  wirst  du
schon aufholen. Habt ihr anst

u

ndige Verpflegung?"
     Er  zeigt auf eine  Sch

u

ssel,  die noch  halb  voll ist. Ich  gerate in
Erregung. "Franz,  du mußt essen. Essen ist die  Hauptsache.  Das  ist
doch ganz gut hier."
     Er  wehrt ab.  Nach  einer  Pause  sagt  er  langsam:  "Ich  wollte mal
Oberf

u

rster werden."
     "Das kannst du noch immer", tr

u

ste ich. "Es gibt jetzt großartige
Prothesen, du merkst  damit gar nicht, daß dir etwas fehlt. Sie werden
an die Muskeln angeschlossen.  Bei Handprothesen kann man die Finger bewegen
und  arbeiten,  sogar schreiben. Und außerdem wird  da immer noch mehr
erfunden werden."
     Er liegt  eine  Zeitlang  still.  Dann  sagt  er:  "  Du  kannst  meine
Schn

u

rschuhe f

u

r M

u

ller mitnehmen.
     Ich nicke und denke nach, was ich ihm  Aufmunterndes sagen  kann. Seine
Lippen  sind weggewischt,  sein Mund  ist  gr

u

ßer geworden,  die Z

u

hne
stechen hervor, als w

u

ren sie aus Kreide. Das Fleisch zerschmilzt, die Stirn
w

u

lbt sich st

u

rker,  die Backenknochen stehen vor. Das Skelett arbeitet sich
durch. Die Augen versinken schon. In ein paar Stunden wird es vorbei sein.
     Er ist  nicht  der  erste, den  ich  so sehe;  aber wir  sind  zusammen
aufgewachsen, da ist es doch immer  etwas anders. Ich habe  die Aufs

u

tze von
ihm  abgeschrieben. Er trug in  der Schule meistens einen braunen Anzug  mit
G

u

rtel, der an den 

u

rmeln blankgewetzt war. Auch war er der einzige von uns,
der die große Riesenwelle am Reck konnte. Das Haar  flog ihm wie Seide
ms Gesicht, wenn er sie  machte. Kantorek war  deshalb  stolz auf ihn.  Aber
Zigaretten  konnte  er nicht vertragen.  Seine Haut war sehr  weiß, er
hatte etwas von einem M

u

dchen.
     Ich blicke auf meine Stiefel. Sie sind groß  und klobig, die Hose
ist hineingeschoben; wenn man aufsteht, sieht man dick und kr

u

ftig in diesen
breiten R

u

hren  aus. Aber wenn wir  baden gehen und uns ausziehen, haben wir
pl

u

tzlich  wieder schmale Beine und  schmale Schultern. Wir sind dann  keine
Soldaten  mehr,  sondern  beinahe Knaben,  man  w

u

rde  auch  nicht  glauben,
daß wir Tornister schleppen k

u

nnen. Es ist ein sonderbarer Augenblick,
wenn wir  nackt sind; dann  sind wir Zivilisten und f

u

hlen  uns auch beinahe
so.
     Franz Kemmerich sah beim Baden klein  und schmal aus wie  ein  Kind. Da
liegt  er  nun,  weshalb nur?  Man sollte  die  ganze  Welt an  diesem Bette
vorbeif

u

hren und sagen:  Das ist Franz Kemmerich, neunzehneinhalb Jahre alt,
er will nicht sterben. Laßt ihn nicht sterben!
     Meine Gedanken  gehen durcheinander.  Diese  Luft von Karbol  und Brand
verschleimt die Lungen, sie ist ein tr

u

ger Brei, der erstickt.
     Es  wird dunkel.  Kemmerichs Gesicht  verbleicht, es  hebt sich von den
Kissen  und ist so blaß, daß es schimmert.  Der Mund bewegt sich
leise. Ich n

u

here mich ihm. Er fl

u

stert: "Wenn ihr meine Uhr findet, schickt
sie nach Hause."
     Ich  widerspreche  nicht. Es hat keinen Zweck mehr. Man  kann ihn nicht

u

berzeugen.  Mir  ist  elend   vor  Hilflosigkeit.  Diese  Stirn   mit   den
eingesunkenen Schl

u

fen, dieser  Mund,  der nur  noch Gebiß ist,  diese
spitze Nase!  Und die  dicke weinende Frau  zu Hause,  an die ich  schreiben
muß. Wenn ich nur den Brief schon weg h

u

tte.
     Lazarettgehilfen  gehen  herum  mit  Flaschen  und Eimern. Einer  kommt
heran, wirft Kemmerich einen forschenden Blick zu  und entfernt sich wieder.
Man sieht, daß er wartet, wahrscheinlich braucht er das Bett.
     Ich  r

u

cke nahe an Franz heran und spreche,  als k

u

nnte ihn das retten:
"Vielleicht kommst  du in das Erholungsheim am  Klosterberg, Franz, zwischen
den Villen. Du kannst dann vom Fenster aus 

u

ber die Felder sehen bis zu  den
beiden  B

u

umen am  Horizont. Es ist jetzt die  sch

u

nste Zeit, wenn  das Korn
reift, abends in der Sonne sehen die Felder dann aus wie Perlmutter. Und die
Pappela

u

ee am Klosterbach, in  dem  wir Stichlinge gefangen haben! Du kannst
dir dann wieder ein Aquarium anlegen und Fische z

u

chten,  du kannst ausgehen
und  brauchst niemand  zu fragen, und Klavierspielen kannst  du  sogar auch,
wenn du willst."
     Ich beuge mich 

u

ber sein Gesicht, das im Schatten liegt. Er atmet noch,
leise. Sein Gesicht ist naß,  er weint. Da habe ich ja  sch

u

nen Unsinn
angerichtet mit meinem dummen Gerede!
     "Aber  Franz"  - ich  umfasse seine Schulter und  lege mein  Gesicht an
seins. "Willst du jetzt schlafen?"
     Er antwortet nicht. Die  Tr

u

nen  laufen ihm  die  Backen  herunter. Ich
m

u

chte sie abwischen, aber mein Taschentuch ist zu schmutzig.
     Eine  Stunde vergeht.  Ich  sitze gespannt  und  beobachte jede  seiner
Mienen,  ob er vielleicht  noch etwas  sagen m

u

chte. Wenn  er  doch den Mund
auftun und schreien wollte! Aber  er weint nur, den Kopf zur  Seite gewandt.
Er spricht nicht von seiner Mutter und seinen  Geschwistern, er sagt nichts,
es liegt wohl schon hinter ihm; - er ist
     jetzt allein  mit seinem kleinen neunzehnj

u

hrigen Leben und weint, weil
es ihn verl

u

ßt.
     Dies ist der fassungsloseste und schwerste Abschied, den ich je gesehen
habe, obwohl es beiTiedjen auch schlimm war, der nach seiner Mutter br

u

llte,
ein  b

u

renstarker Kerl, und  der den Arzt mit aufgerissenen Augen  angstvoll
mit einem Seitengewehr von seinem Bett fernhielt, bis er zusammenklappte.
     Pl

u

tzlich st

u

hnt Kemmerich und f

u

ngt an zu r

u

cheln.
     Ich  springe auf, stolpere  hinaus und frage: "Wo ist der  Arzt? Wo ist
der Arzt?"
     Als  ich den weißen Kittel sehe, halte ich ihn  fest. "Kommen Sie
rasch, Franz Kemmerich stirbt sonst."
     Er macht sich los und fragt einen dabeistehenden Lazarettgehilfen: "Was
soll das heißen?"
     Der sagt: "Bett 26, Oberschenkel amputiert."
     Er  schnauzt: "Wie soll ich davon  etwas wissen, ich  habe  heute  f

u

nf
Beine amputiert",  schiebt mich weg, sagt dem Lazarettgehilfen:  "Sehen  Sie
nach", und rennt zum Operationssaal.
     Ich bebe vor Wut, als ich mit  dem  Sanit

u

ter gehe. Der Mann sieht mich
an und sagt: "Eine Operation nach der andern, seit morgens  f

u

nf Uhr - doll,
sage  ich  dir,  heute allein  wieder sechzehn  Abg

u

nge  -  deiner  ist  der
siebzehnte. Zwanzig werden sicher noch voll -"
     Mir  wird schwach,  ich kann pl

u

tzlich nicht mehr. Ich will  nicht mehr
schimpfen, es  ist sinnlos,  ich m

u

chte  mich fallen lassen und  nie  wieder
aufstehen.
     Wir  sind am  Bette  Kemmerichs.  Er  ist  tot.  Das Gesicht  ist  noch
naß  von den  Tr

u

nen. Die Augen stehen halb  offen, sie sind  gelb wie
alte Hornkn

u

pfe. -
     Der Sanit

u

ter st

u

ßt mich in die Rippen.
     "Nimmst du seine Sachen mit?"
     Ich nicke.
     Er  f

u

hrt  fort: "Wir m

u

ssen  ihn gleich wegbringen,  wir brauchen  das
Bett. Draußen liegen sie schon auf dem Flur."
     Ich nehme die Sachen  und kn

u

pfe Kemmerich die Erkennungsmarke ab.  Der
Sanit

u

ter fragt nach dem Soldbuch. Es ist nicht da.
     Ich sage, daß es wohl auf der Schreibstube sein m

u

sse,  und gehe.
Hinter mir zerren sie Franz schon auf eine Zeltbahn.
     Vor der T

u

r  f

u

hle ich  wie eine Erl

u

sung das  Dunkel und den Wind. Ich
atme, so sehr  ich  es  vermag, und sp

u

re die Luft warm und weich wie nie in
meinem  Gesicht. Gedanken  an  M

u

dchen, an  bl

u

hende  Wiesen, an weiße
Wolken  fliegen mir pl

u

tzlich durch den Kopf.  Meine F

u

ße bewegen sich
in den Stiefeln vorw

u

rts, ich gehe schneller, ich  laufe. Soldaten kommen an
mir vor

u

ber,  ihre Gespr

u

che erregen mich, ohne daß ich  sie verstehe.
Die Erde  ist von Kr

u

ften durchflossen, die  durch meine Fußsohlen  in
mich 

u

berstr

u

men. Die Nacht  knistert elektrisch, die Front gewittert  dumpf
wie  ein  Trommelkonzert. Meine  Glieder bewegen sich geschmeidig, ich f

u

hle
meine Gelenke  stark, ich schnaufe und schnaube. Die Nacht lebt,  ich  lebe.
Ich sp

u

re Hunger, einen gr

u

ßeren als nur vom Magen. -
     M

u

ller  steht  vor  der Baracke  und  erwartet mich.  Ich gebe  ihm die
Schuhe. Wir gehen hinein, und er probiert sie an. Sie passen genau. -
     Er  kramt  in   seinen  Vorr

u

ten  und  bietet  mir  ein  sch

u

nes  St

u

ck
Zervelatwurst an. Dazu gibt es heißen Tee mit Rum.



     Wir  bekommen Ersatz. Die L

u

cken werden  ausgef

u

llt, und die Strohs

u

cke
in den Baracken sind  bald belegt.  Zum Teil sind es  alte Leute, aber  auch
f

u

nfundzwanzig  Mann  junger  Ersatz aus  den  Feldrekrutendepots werden uns

u

berwiesen. Sie sind fast  ein Jahr  j

u

nger  als wir. Kropp st

u

ßt mich
an: "Hast du die Kinder gesehen?"
     Ich nicke.  Wir  werfen  uns  in  die  Brust, lassen  uns  auf dem  Hof
rasieren, stecken die H

u

nde  in die Hosentaschen, sehen uns  die Rekruten an
und f

u

hlen uns als steinaltes Milit

u

r.
     Katczinsky  schließt   sich  uns   an.  Wir   wandern  durch  die
Pferdest

u

lle und kommen zu den Ersatzleuten, die gerade Gasmasken und Kaffee
empfangen.  Kat   fragt   einen  der   j

u

ngsten:  "Habt  wohl  lange  nichts
Vern

u

nftiges zu futtern gekriegt, was?"
     Der   verzieht  das   Gesicht.   "Morgens   Steckr

u

benbrot   -  mittags
Steckr

u

bengem

u

se, abends Steckr

u

benkoteletts und Steckr

u

bensalat."
     Katczinsky pfeift fachm

u

nnisch. "Brot aus Steckr

u

ben? Da habt ihr Gl

u

ck
gehabt, sie machen  es  auch  schon aus  S

u

gesp

u

nen.  Aber  was meinst du zu
weißen Bohnen, willst du einen Schlag haben?"
     Der Junge wird rot. "Verkohlen brauchst du mich nicht."
     Katczinsky antwortet nichts als: "Nimm dein Kochgeschirr."
     Wir  folgen neugierig.  Er  f

u

hrt  uns  zu  einer  Tonne  neben  seinem
Strohsack.  Sie  ist   tats

u

chlich   halb   voll  weißer  Bohnen   mit
Rindfleisch. Katczinsky steht vor  ihr wie  ein General und sagt: "Auge auf,
Finger lang! Das ist die Parole bei den Preußen."
     Wir sind 

u

berrascht. Ich frage: "Meine Fresse,  Kat, wie kommst du denn
dazu?"
     "Die  Tomate war  froh,  als  ich  ihr's abnahm.  Ich  habe  drei St

u

ck
Fallschirmseide  daf

u

r gegeben. Na, weiße  Bohnen schmecken kalt  doch
tadellos."
     Er gibt g

u

nnerhaft dem  Jungen eine Portion auf und sagt: "Wenn du  das
n

u

chstemal  hier  antrittst mit  deinem Kochgeschirr, hast du  in der linken
Hand eine Zigarre oder einen Priem. Verstanden?"
     Dann wendet er sich zu uns. "Ihr kriegt nat

u

rlich so."

     Katczinsky ist nicht zu entbehren, weil er einen sechsten Sinn hat.  Es
gibt 

u

berall  solche  Leute,  aber niemand sieht  ihnen  von  vornherein an,
daß es so ist. Jede Kompanie hat einen oder zwei davon. Katczinsky ist
der gerissenste, den ich kenne. Von Beruf ist er, glaube ich, Schuster, aber
das tut  nichts zur Sache, er versteht jedes Handwerk. Es ist  gut, mit  ihm
befreundet  zu sein.  Wir sind  es, Kropp und  ich, auch Haie Westhus geh

u

rt
halb und halb dazu. Er ist allerdings schon mehr ausf

u

hrendes Organ, denn er
arbeitet  unter dem Kommando  Kats, wenn eine Sache geschmissen wird, zu der
man F

u

uste braucht. Daf

u

r hat er dann seine Vorteile.
     Wir kommen  zum Beispiel nachts  in  einen v

u

llig  unbekannten Ort, ein
tr

u

bseliges Nest,  dem  man gleich ansieht, daß es ausgepowert ist bis
auf die  Mauern.  Quartier  ist  eine kleine, dunkle Fabrik,  die erst  dazu
eingerichtet worden ist. Es  stehen Betten darin, vielmehr  nur Bettstellen,
ein paar Holzlatten, die mit Drahtgeflecht bespannt sind.
     Drahtgeflecht ist hart. Eine Decke zum Unterlegen haben wir  nicht, wir
brauchen unsere zum Zudecken. Die Zeltbahn ist zu d

u

nn.
     Kat sieht sich  die Sache an und sagt  zu Haie Westhus: "Komm mal mit."
Sie gehen  los,  in den v

u

llig  unbekannten Ort hinein.  Eine  halbe  Stunde
sp

u

ter  sind sie  wieder  da,  die  Arme  hoch  voll  Stroh. Kat  hat  einen
Pferdestall  gefunden  und damit das Stroh. Wir k

u

nnten jetzt warm schlafen,
wenn wir nicht noch einen so entsetzlichen Kohldampf h

u

tten.
     Kropp  fragt einen Artilleristen, der  schon l

u

nger in der  Gegend ist:
"Gibt es hier irgendwo eine Kantine?"
     Der lacht: "Hat  sich was! Hier ist  nichts zu holen.  Keine  Brotrinde
holst du hier."
     "Sind denn keine Einwohner mehr da?"
     Er spuckt  aus.  "Doch,  ein  paar. Aber  die  lungern selbst  um jeden
K

u

chenkessel herum und betteln."
     Das ist eine b

u

se Sache. Dann m

u

ssen  wir eben den Schmachtriemen enger
schnallen und bis morgen warten, wenn die Furage kommt.
     Ich sehe jedoch, wie Kat seine M

u

tze aufsetzt, und frage: "Wo willst du
hin, Kat?"
     "Mal etwas die Lage spannen." Er schlendert hinaus.
     Der Artillerist grinst h

u

hnisch. "Spann man! Verheb dich nicht dabei."
     Entt

u

uscht  legen  wir  uns  hin  und  

u

berlegen,  ob  wir die eisernen
Portionen anknabbern sollen. Aber es  ist  uns zu  riskant. So versuchen wir
ein Auge voll Schlaf zu nehmen.
     Kropp  bricht eine  Zigarette  durch und  gibt mir  die H

u

lfte.  Tjaden
erz

u

hlt  von  seinem  Nationalgericht,  großen  Bohnen  mit  Speck. Er
verdammt  die  Zubereitung  ohne Bohnenkraut.  Vor allem aber soll man alles
durcheinander  kochen, um Gottes willen nicht die Kartoffeln, die Bohnen und
den  Speck  getrennt.  Jemand  knurrte, daß er Tjaden  zu  Bohnenkraut
verarbeiten w

u

rde, wenn er nicht sofort still w

u

re.  Darauf wird es ruhig in
dem großen  Raum. Nur ein paar Kerzen flackern in  den Flaschenh

u

lsen,
und ab und zu spuckt der Artillerist aus.
     Wir duseln ein bißchen,  als die T

u

r aufgeht und  Kat  erscheint.
Ich glaube zu tr

u

umen: er hat zwei Brote unter dem Arm und in der Hand einen
blutigen Sandsack mit Pferdefleisch.
     Dem Artilleristen f

u

llt die Pfeife aus dem Munde. Er betastet das Brot.
"Tats

u

chlich, richtiges Brot, und noch warm."
     Kat redet  nicht weiter dar

u

ber. Er hat eben Brot, das andere ist egal.
Ich bin 

u

berzeugt,  wenn man ihn  in der W

u

ste aussetzte, w

u

rde  er in einer
Stunde ein Abendessen aus Datteln, Braten und Wein zusammenfinden.
     Er sagt kurz zu Haie: "Hack Holz."
     Dann holt er eine Bratpfanne unter  seinem Rock hervor  und  zieht eine
Handvoll Salz  und sogar eine Scheibe Fett aus der Tasche; - er hat an alles
gedacht. Haie macht auf dem Fußboden ein Feuer.  Es prasselt durch die
kahle Fabrikhalle. Wir klettern aus den Betten.
     Der  Artillerist  schwankt.  Er  

u

berlegt,  ob  er  loben  soll,  damit
vielleicht auch etwas f

u

r ihn abf

u

llt. Aber Katczinsky  sieht ihn gar nicht,
so sehr ist er Luft f

u

r ihn. Da zieht er fluchend ab.
     Kat kennt die Art, Pferdefleisch weichzubraten. Es darf nicht gleich in
die  Pfanne,  dann  wird  es  hart.  Vorher  muß  es in  wenig  Wasser
vorgekocht werden. Wir  hocken uns mit  unsern Messern im Kreis und schlagen
uns den Magen voll.
     Das ist Kat. Wenn in  einem Jahr in  einer  Gegend nur eine Stunde lang
etwas  Eßbares aufzutreiben  w

u

re, so w

u

rde er genau in dieser Stunde,
wie von einer Erleuchtung  getrieben, seine  M

u

tze  aufsetzen,  hinausgehen,
geradewegs wie nach einem Kompaß darauf zu, und es finden.
     Er  findet  alles; - wenn es kalt  ist, kleine  Ofen und Holz, Heu  und
Stroh, Tische, St

u

hle  - vor  allem  aber  Fressen.  Es ist  r

u

tselhaft, man
sollte glauben, er zaubere es aus der Luft. Seine  Glanzleistung  waren vier
Dosen Hummer. Allerdings h

u

tten wir lieber Schmalz daf

u

r gehabt.

     Wir  haben uns auf der  Sonnenseite der  Baracken hingehauen. Es riecht
nach Teer, Sommer und Schweißf

u

ßen.
     Kat  sitzt  neben  mir,  denn er unterh

u

lt sich  gern.  Wir haben heute
mittag   eine  Stunde  Ehrenbezeigungen  ge

u

bt,  weil   Tjaden  einen  Major
nachl

u

ssig  gegr

u

ßt  hat.  Das  will  Kat   nicht  aus  dem  Kopf.  Er

u

ußert:  "Paß  auf,  wir  verlieren den Krieg,  weil  wir zu gut
gr

u

ßen k

u

nnen."
     Kropp  storcht n

u

her,  barfuß, die Hosen aufgekrempelt.  Er  legt
seine gewaschenen Socken zum  Trocknen aufs Gras. Kat sieht  in den  Himmel,
l

u

ßt  einen  kr

u

ftigen  Laut h

u

ren und  sagt  versonnen  dazu:  "Jedes
B

u

hnchen gibt ein T

u

nchen."
     Die beiden  fangen an zu  disputieren. Gleichzeitig wetten sie um  eine
Flasche Bier auf einen Fliegerkampf, der sich 

u

ber uns abspielt.
     Kat l

u

ßt  sich  nicht von  seiner Meinung abbringen, die  er  als
altes  Frontschwein  wieder  in  Reimen  von sich  gibt:  "Gleiche  L

u

hnung,
gleiches Essen, war'der Krieg schon l

u

ngst vergessen." -
     Kropp  dagegen ist  ein Denker. Er  schl

u

gt  vor,  eine Kriegserkl

u

rung
solle  eine  Art Volksfest  werden mit  Eintrittskarten  und Musik  wie  bei
Stiergefechten. Dann m

u

ßten in der Arena die Minister und Gener

u

le der
beiden  L

u

nder in  Badehosen, mit Kn

u

ppeln bewaffnet,  aufeinander losgehen.
Wer 

u

brigbliebe, dessen  Land  h

u

tte gesiegt. Das  w

u

re einfacher und besser
als hier, wo die falschen Leute sich bek

u

mpfen.
     Der Vorschlag gef

u

llt.  Dann gleitet das Gespr

u

ch auf den Kasernendrill

u

ber.
     Mir f

u

llt dabei ein Bild ein. Gl

u

hender Mittag auf dem Kasernenhof. Die
Hitze  steht  

u

ber dem  Platz. Die Kasernen  wirken  wie ausgestorben. Alles
schl

u

ft. Man h

u

rt nur Trommler 

u

ben, irgendwo haben sie sich aufgestellt und

u

ben,   ungeschickt,   eint

u

nig,   stumpfsinnig.   Welch    ein   Dreiklang:
Mittagshitze, Kasernenhof und Trommel

u

ben!
     Die  Fenster  der  Kaserne  sind  leer und  dunkel. Aus  einigen h

u

ngen
trocknende Drillichhosen.  Man sieht  sehns

u

chtig  hin

u

ber. Die Stuben  sind
k

u

hl. -
     Oh,  ihr  dunklen,  muffigen  Korporalschaftsstuben  mit  den  eisernen
Bettgestellen, den  gew

u

rfelten Betten, den Spindschr

u

nken und den  Schemeln
davor! Selbst ihr  k

u

nnt das  Ziel von W

u

nschen  werden; hier  draußen
seid ihr sogar ein  sagenhafter Abglanz  von  Heimat, ihr Gelasse voll Dunst
von abgestandenen Speisen, Schlaf, Rauch und Kleidern!
     Katczinsky beschreibt sie mit Farbenpracht  und  großer Bewegung.
Was w

u

rden wir geben, wenn wir  zu  ihnen zur

u

ck k

u

nnten! Denn  weiter wagen
sich unsre Gedanken schon gar nicht -
     Ihr Instruktionsstunden in der Morgenfr

u

he - "Worin zerf

u

llt das Gewehr
98?" - ihr  Turnstunden  am Nachmittag -  "Klavierspieler vortreten.  Rechts
heraus. Meldet euch in der K

u

che zum Kartoffelsch

u

len" -
     Wir  schwelgen in Erinnerungen.  Kropp lacht  pl

u

tzlich  und sagt:  "In
L

u

hne umsteigen."
     Das  war   das   liebste   Spiel   unseres  Korporals.  L

u

hne  ist  ein
Umsteigebahnhof. Damit  unsre Urlauber sich  dort  nicht  verlaufen sollten,

u

bte  Himmelstoß  das  Umsteigen  mit  uns in  der Kasernenstube.  Wir
sollten  lernen,  daß  man  in   L

u

hne  durch  eine  Unterf

u

hrung  zum
Anschlußzug  gelangte. Die  Betten stellten die Unterf

u

hrung  dar, und
jeder  baute  sich  links davon  auf.  Dann  kam  das  Kommando:  "In  L

u

hne
umsteigen!", und wie der Blitz kroch alles unter den Betten hindurch auf die
andere Seite. Das haben wir stundenlang ge

u

bt. -
     Inzwischen ist das deutsche Flugzeug abgeschossen worden. Wie ein Komet
st

u

rzt es in einer Rauchfahne abw

u

rts.  Kropp hat  dadurch eine Flasche Bier
verloren und z

u

hlt mißmutig sein Geld.
     "Der  Himmelstoß  ist als  Brieftr

u

ger  sicher  ein  bescheidener
Mann", sagte ich, nachdem sich Alberts Entt

u

uschung gelegt  hat, "wie mag es
nur kommen, daß er als Unteroffizier ein solcher Schinder ist?"
     Die Frage macht Kropp wieder mobil. "Das ist nicht nur Himmelstoß
allein,  das  sind sehr viele. Sowie  sie  Tressen  oder einen S

u

bel  haben,
werden sie andere Menschen, als ob sie Beton gefressen h

u

tten."
     "Das macht die Uniform", vermute ich.
     "So  ungef

u

hr", sagt  Kat  und  setzt sich zu einer  großen  Rede
zurecht, "aber der Grund liegt anderswo. Sieh  mal, wenn du einen  Hund  zum
Kartoffelfressen  abrichtest und du legst ihm dann nachher ein St

u

ck Fleisch
hin,  so wird er trotzdem  danach schnappen, weil das in seiner Natur liegt.
Und  wenn du einem Menschen ein  St

u

ckchen  Macht  gibst, dann  geht  es ihm
ebenso; er  schnappt danach.  Das kommt ganz von selber, denn der Mensch ist
an und  f

u

r sich  zun

u

chst einmal ein  Biest, und dann  erst ist  vielleicht
noch, wie bei einer Schmalzstulle, etwas Anst

u

ndigkeit draufgeschmiert.  Der
Kommiß besteht nun  darin, daß immer einer 

u

ber den andern Macht
hat. Das  Schlimme  ist  nur,  daß jeder viel  zuviel  Macht hat;  ein
Unteroffizier  kann  einen  Gemeinen, ein Leutnant einen  Unteroffizier, ein
Hauptmann  einen Leutnant derartig zwiebeln, daß er verr

u

ckt wird. Und
weil er das  weiß, deshalb gew

u

hnt er  es sich gleich schon etwas  an.
Nimm  nur  die  einfachste  Sache:  wir kommen  vom Exerzierplatz  und  sind
hundem

u

de. Da  wird befohlen: Singen! Na, es wird ein schlapper Gesang, denn
jeder ist  froh,  daß  er sein  Gewehr noch schleppen  kann. Und schon
macht  die Kompanie  kehrt  und muß eine  Stunde strafexerzieren. Beim
R

u

ckmarsch heißt  es  wieder:  ‚Singen!', und jetzt wird gesungen. Was
hat   das  Ganze  f

u

r  einen  Zweck?  Der  Kompanief

u

hrer  hat  seinen  Kopf
durchgesetzt,  weil er die Macht  dazu  hat.  Niemand  wird  ihn tadeln,  im
Gegenteil, er gilt als stramm. Dabei ist  so  etwas nur eine Kleinigkeit, es
gibt  doch noch ganz andere Sachen, womit sie einen schinden. Nun  frage ich
euch: Mag der Mann in Zivil sein, was er will, in welchem Beruf kann er sich
so etwas leisten, ohne  daß ihm die Schnauze eingeschlagen  wird ? Das
kann er nur  beim Kommiß! Seht ihr, und das steigt  jedem zu Kopf! Und
es steigt ihm um  so  mehr  zu Kopf, je  weniger er als  Zivilist  zu  sagen
hatte."
     "Es  heißt  eben,  Disziplin  muß  sein   -",  meint  Kropp
nachl

u

ssig.
     " Gr

u

nde", knurrt Kat, "haben sie immer. Mag ja auch sein. Aber es darf
keine Schikane werden. Und mach du das mal  einem Schlosser oder Knecht oder
Arbeiter klar, erkl

u

re das mal einem Muskoten, und das sind doch die meisten
hier; der sieht nur, daß er geschunden wird und ins Feld kommt, und er
weiß  ganz  genau,  was  notwendig  ist und was nicht. Ich  sage euch,
daß  der einfache Soldat  hier  vorn so aush

u

lt,  das  ist  allerhand!
Allerhand ist das!"
     Jeder   gibt  es   zu,   denn   jeder   weiß,  daß  nur  im
Sch

u

tzengraben der Drill aufh

u

rt,  daß er aber wenige Kilometer hinter
der Front schon wieder beginnt, und sei es mit dem gr

u

ßten Unsinn, mit
Gr

u

ßen  und Parademarsch.  Denn  es  ist  eisernes Gesetz: Der  Soldat
muß auf jeden Fall besch

u

ftigt werden.
     Doch nun  erscheint Tjaden, mit roten  Flecken  im Gesicht.  Er  ist so
aufgeregt,    daß    er   stottert.    Strahlend    buchstabiert   er:
"Himmelstoß ist unterwegs nach hier. Er kommt an die Front."

     Tjaden  hat  eine  Hauptwut  auf  Himmelstoß,  weil  der  ihn  im
Barackenlager auf seine  Weise  erzogen hat. Tjaden  ist  Bettn

u

sser, nachts
beim Schlafen  passiert  es ihm eben.  Himmelstoß  behauptet steif und
fest, es sei nur Faulheit, und er fand ein seiner w

u

rdiges Mittel, um Tjaden
zu  heilen. Er  trieb  in der benachbarten Baracke  einen zweiten Bettn

u

sser
auf, der Kindervater hieß. Den quartierte er mit  Tjaden zusammen.  In
den Baracken  standen die  typischen Bettgestelle, zwei Betten 

u

bereinander,
die Bettb

u

den  aus  Draht.  Himmelstoß  legte  beide nun  so zusammen,
daß der  eine  das  obere,  der  andere das  darunter befindliche Bett
bekam. Der untere war dadurch nat

u

rlich scheußlich  daran. Daf

u

r wurde
am n

u

chsten Abend gewechselt, der untere kam nach oben, damit er  Vergeltung
hatte. Das war Himmelstoß' Selbsterziehung.
     Der Einfall war gemein, aber in der Idee  gut. Leider nutzte er nichts,
weil die Voraussetzung nicht stimmte: es war keine Faulheit bei  den beiden.
Das konnte  jeder merken, der ihre fahle Haut ansah. Die Sache endete damit,
daß immer einer  von  beiden auf  dem Fußboden schlief. Er h

u

tte
sich leicht dabei erk

u

lten k

u

nnen. -
     Haie hat sich inzwischen auch neben uns niedergelassen. Er blinzelt mir
zu und reibt and

u

chtig  seine Tatze. Wir haben  zusammen den  sch

u

nsten  Tag
unseres  Kommißlebens erlebt. Das  war der  Abend, bevor wir  ins Feld
fuhren. Wir waren einem  der Regimenter mit  der hohen Hausnummer zugeteilt,
vorher  aber  zur  Einkleidung   in  die  Garnison  zur

u

ckbef

u

rdert  worden,
allerdings  nicht  zum  Rekrutendepot,  sondern in  eine andere  Kaserne. Am
n

u

chsten Morgen  fr

u

h  sollten wir  abfahren. Abends machten wir uns auf, um
mit Himmelstoß abzurechnen. Das hatten wir uns seit Wochen geschworen.
Kropp war  sogar so weit gegangen, daß er  sich vorgenommen  hatte, im
Frieden das Postfach einzuschlagen, um sp

u

ter, wenn Himmelstoß  wieder
Brieftr

u

ger  war, sein  Vorgesetzter zu werden. Er schwelgte in Bildern, wie
er  ihn schleifen  w

u

rde. Denn  das  war  es  gerade,  weshalb  er uns nicht
kleinkriegen  konnte; wir  rechneten  stets damit,  daß wir ihn  schon
einmal schnappen w

u

rden, sp

u

testens am Kriegsende.
     Einstweilen wollten wir ihn gr

u

ndlich  verhauen.  Was konnte  uns schon
passieren, wenn er uns nicht erkannte und wir ohnehin morgen fr

u

h abfuhren.
     Wir wußten, in  welcher Kneipe er jeden Abend saß.  Wenn er
von  dort  zur  Kaserne ging, mußte  er  durch eine  dunkle, unbebaute
Straße. Dort lauerten wir ihm hinter einem Steinhaufen  auf. Ich hatte
einen Bett

u

berzug bei mir. Wir zitterten  vor Erwartung, ob  er auch  allein
sein  w

u

rde. Endlich h

u

rten  wir  seinen Schritt, den kannten wir genau, wir
hatten ihn oft  genug morgens geh

u

rt, wenn die T

u

r aufflog  und "Aufstehen!"
gebr

u

llt wurde.
     "Allein?" fl

u

sterte Kropp.
     "Allein!" - Ich schlich mit Tjaden um den Steinhaufen herum.
     Da blitzte schon sein Koppelschloß. Himmelstoß schien etwas
angeheitert zu sein; er sang. Ahnungslos ging er vor

u

ber.
     Wir faßten das Bettuch, machten  einen leisen Satz,  st

u

lpten  es
ihm von hinten  

u

ber den Kopf, rissen es  nach unten, so daß er wie in
einem weißen Sack dastand und die Arme nicht heben  konnte. Das Singen
erstarb.
     Im n

u

chsten Moment  war  Haie Westhus heran. Mit  ausgebreiteten  Armen
warf  er  uns  zur

u

ck,  um  nur  ja der  erste  zu  sein.  Er  stellte  sich
genußreich in Positur,  hob den Arm wie einen Signalmast, die Hand wie
eine Kohlenschaufel und knallte einen Schlag auf  den weißen Sack, der
einen Ochsen h

u

tte t

u

ten k

u

nnen.
     Himmelstoß 

u

berschlug sich, landete f

u

nf Meter weiter und fing an
zu br

u

llen. Auch daf

u

r hatten  wir  gesorgt, denn wir hatten  ein Kissen bei
uns.  Haie  hockte  sich  hin,  legte  das  Kissen  auf  die   Knie,  packte
Himmelstoß da, wo der Kopf war, und dr

u

ckte ihn auf das Kissen. Sofort
wurde er  im  Ton  ged

u

mpfter. Haie  ließ  ihn  ab  und  zu  mal  Luft
schnappen,  dann kam aus dem Gurgeln  ein prachtvoller  heller  Schrei,  der
gleich wieder zart wurde.
     Tjaden kn

u

pfte jetzt Himmelstoß  die Hosentr

u

ger ab und  zog  ihm
die  Hose  herunter. Die  Klopfpeitsche  hielt er dabei mit den Z

u

hnen fest.
Dann erhob er sich und begann sich zu bewegen.
     Es war ein wunderbares Bild: Himmelstoß  auf der  Erde, 

u

ber  ihn
gebeugt, seinen Kopf auf  den  Knien,  Haie mit teuflisch grinsendem Gesicht
und vor Lust offenem Maul, dann  die zuckende, gestreifte Unterhose mit  den
X-Beinen,  die   in  der  heruntergeschobenen  Hose  bei  jedem  Schlag  die
originellsten  Bewegungen  machten,  und  dar

u

ber  wie  ein  Holzhacker  der
unerm

u

dliche  Tjaden.  Wir   mußten   ihn  schließlich  geradezu
wegreißen, um auch noch an die Reihe zu kommen.
     Endlich stellte Haie Himmelstoß wieder auf die Beine und  gab als
Schluß eine Privatvorstellung. Er schien Sterne pfl

u

cken zu wollen, so
holte seine Rechte aus zu einer Backpfeife. Himmelstoß kippte um. Haie
hob ihn wieder  auf, stellte  ihn  sich parat  und langte  ihm ein  zweites,
erstklassig gezieltes Ding  mit der linken Hand. Himmelstoß heulte und
fl

u

chtete auf allen vieren. Sein gestreifter Brieftr

u

gerhintern leuchtete im
Mond.
     Wir verschwanden im Galopp.
     Haie  sah sich noch einmal um und sagte ingrimmig,  ges

u

ttigt und etwas
r

u

tselhaft: "Rache ist Blutwurst." -
     Eigentlich konnte Himmelstoß froh sein; denn sein Wort, daß
immer einer den andern erziehen m

u

sse, hatte an ihm selbst Fr

u

chte getragen.
Wir waren gelehrige Sch

u

ler seiner Methoden geworden.
     Er hat nie heraus gekriegt, wem er die Sache verdankte. Immerhin gewann
er  dabei ein  Bettuch;  denn  als  wir einige  Stunden  sp

u

ter  noch einmal
nachsahen, war es nicht mehr zu finden.
     Dieser  Abend   war  der   Grund,  daß  wir  am  n

u

chsten  Morgen
einigermaßen  gefaßt abfuhren. Ein wehender Vollbart bezeichnete
uns deshalb ganz ger

u

hrt als Heldenjugend.



     Wir  m

u

ssen  nach vorn  zum  Schanzen.  Beim  Dunkelwerden  rollen  die
Lastwagen  an. Wir  klettern  hinauf.  Es ist  ein  warmer  Abend,  und  die
D

u

mmerung  erscheint uns  wie ein  Tuch,  unter dessen Schutz  wir uns  wohl
f

u

hlen.  Sie  verbindet  uns;  sogar der  geizige Tjaden  schenkt  mir  eine
Zigarette und gibt mir Feuer.
     Wir stehen nebeneinander, dicht an dicht, sitzen kann niemand. Das sind
wir auch nicht gew

u

hnt.  M

u

ller ist endlich mal guter  Laune; er tr

u

gt seine
neuen Stiefel.
     Die  Motoren  brummen   an,  die   Wagen  klappern  und   rasseln.  Die
Straßen sind ausgefahren und voller L

u

cher. Es darf kein Licht gemacht
werden,  deshalb  rumpeln wir  hinein,  daß  wir  fast aus  dem  Wagen
purzeln.  Das beunruhigt uns  nicht weiter.  Was  kann  schon passieren; ein
gebrochener  Arm ist besser als ein Loch im Bauch,  und mancher w

u

nscht sich
geradezu eine solch gute Gelegenheit, nach Hause zu kommen.
     Neben  uns  fahren in langer Reihe die Munitionskolonnen. Sie  haben es
eilig,  

u

berholen  uns  fortw

u

hrend.  Wir  rufen ihnen  Witze  zu,  und  sie
antworten.
     Eine Mauer wird sichtbar, sie geh

u

rt  zu  einem Hause,  das abseits der
Straße liegt. Ich spitze pl

u

tzlich die Ohren. T

u

usche ich mich? Wieder
h

u

re ich deutlich  G

u

nsegeschnatter. Ein Blick zu Katczinsky - ein Blick von
ihm zur

u

ck; wir verstehen uns.
     "Kat, ich h

u

re da einen Kochgeschirraspiranten -"
     Er nickt.  "Wird gemacht, wenn wir zur

u

ck  sind.  Ich  weiß  hier
Bescheid."
     Nat

u

rlich weiß Kat Bescheid. Er kennt bestimmt jedes G

u

nsebein in
zwanzig Kilometer Umkreis.
     Die Wagen erreichen  das Gebiet der Artillerie. Die Gesch

u

tzst

u

nde sind
gegen Fliegersicht mit  B

u

schen  verkleidet, wie  zu einer Art milit

u

rischem
Laubh

u

ttenfest.  Diese  Lauben  s

u

hen lustig  und  friedlich aus, wenn  ihre
Insassen keine Kanonen w

u

ren.
     Die Luft wird  diesig  von  Gesch

u

tzrauch und Nebel. Man  schmeckt  den
Pulverqualm bitter auf  der  Zunge. Die Absch

u

sse  krachen, daß  unser
Wagen  bebt,  das  Echo  rollt  tosend  hinterher,  alles  schwankt.  Unsere
Gesichter ver

u

ndern sich unmerklich. Wir  brauchen zwar nicht in die Gr

u

ben,
sondern nur zum Schanzen, aber in - jedem Gesicht steht jetzt: hier ist  die
Front,  wir sind in ihrem Bereich. Es ist  das noch keine  Angst. Wer so oft
nach vorn gefahren ist wie wir, der wird dickfellig. Nur die jungen Rekruten
sind  aufgeregt.  Kat belehrt  sie:  "Das  war  ein  30,5.  Ihr h

u

rt  es  am
Abschuß; - gleich kommt der Einschlag."
     Aber der dumpfe Hall  der Einschl

u

ge  dringt nicht her

u

ber. Er ertrinkt
im Gemurmel der Front. Kat horcht hinaus: "Die Nacht gibt es Kattun."
     Wir horchen alle. Die Front ist unruhig. Kropp sagt:
     "Die Tommys schießen schon."
     Die Absch

u

sse sind deutlich zu h

u

ren. Es sind die englischen Batterien,
rechts von  unserm Abschnitt. Sie beginnen  eine  Stunde zu  fr

u

h.  Bei  uns
fingen sie immer erst Punkt zehn Uhr an.
     "Was f

u

llt denn denen ein", ruft M

u

ller, "ihre Uhren gehen wohl vor."
     "Es gibt Kattun, sag ich euch, ich  sp

u

re es in den Knochen." Kat zieht
die Schultern hoch.
     Neben  uns dr

u

hnen drei Absch

u

sse. Der Feuerstrahl schießt schr

u

g
in den Nebel, die Gesch

u

tze brummen und rumoren. Wir fr

u

steln und sind froh,
daß wir morgen fr

u

h wieder in den Baracken sein werden.
     Unsere Gesichter sind nicht blasser und nicht r

u

ter als sonst; sie sind
auch nicht gespannter  oder schlaffer, und doch sind sie anders. Wir f

u

hlen,
daß in  unserm  Blut  ein  Kontakt  angeknipst  ist.  Das  sind  keine
Redensarten;  es  ist Tatsache. Die Front ist  es,  das Bewußtsein der
Front,  das diesen Kontakt  ausl

u

st. Im Augenblick, wo die  ersten  Granaten
pfeifen,  wo die Luft unter den Absch

u

ssen zerreißt,  ist pl

u

tzlich in
unsern Adern, unsern  H

u

nden, unsern Augen ein geducktes Warten, ein Lauern,
ein  st

u

rkeres  Wachsein,  eine  sonderbare Geschmeidigkeit  der  Sinne. Der
K

u

rper ist mit einem Schlage in voller Bereitschaft.
     Oft ist es mir, als w

u

re es die ersch

u

tterte, vibrierende Luft, die mit
lautlosem Schwingen auf uns 

u

berspringt; oder als w

u

re  es die Front selbst,
von  der  eine   Elektrizit

u

t  ausstrahlt,  die   unbekannte   Nervenspitzen
mobilisiert.
     Jedesmal  ist  es  dasselbe: wir  fahren  ab  und sind  m

u

rrische  oder
gutgelaunte Soldaten; -  dann  kommen die  ersten Gesch

u

tzst

u

nde, und  jedes
Wort unserer Gespr

u

che hat einen ver

u

nderten Klang. -
     Wenn Kat vor den  Baracken steht und  sagt: "Es gibt Kattun  -", so ist
das eben seine Meinung, fertig; - wenn er es aber hier sagt, so hat der Satz
eine Sch

u

rfe wie ein Bajonett nachts im Mond,  er schneidet  glatt durch die
Gedanken,  er ist n

u

her und spricht zu diesem  Unbewußten, das  in uns
aufgewacht ist, mit einer  dunklen Bedeutung, "es gibt Kattun" -. Vielleicht
ist  es unser  innerstes  und geheimstes Leben,  das erzittert und sich  zur
Abwehr erhebt.

     F

u

r  mich  ist  die Front ein unheimlicher Strudel.  Wenn man noch weit
entfernt von  seinem  Zentrum  im  ruhigen Wasser  ist,  f

u

hlt man schon die
Saugkraft,  die  einen  an  sich  zieht,  langsam,  unentrinnbar,  ohne viel
Widerstand. Aus der Erde, aus  der Luft aber  str

u

men uns Abwehrkr

u

fte zu, -
am meisten  von  der  Erde.  F

u

r niemand ist die Erde so  viel  wie f

u

r  den
Soldaten. Wenn er sich an sie preßt, lange, heftig, wenn er  sich tief
mit dem  Gesicht und den  Gliedern in sie hineinw

u

hlt in  der Todesangst des
Feuers,  dann ist sie  sein  einziger Freund, sein Bruder, seine Mutter,  er
st

u

hnt   seine  Furcht  und   seine   Schreie  in  ihr  Schweigen  und  ihre
Geborgenheit,  sie nimmt sie auf und  entl

u

ßt ihn wieder zu neuen zehn
Sekunden Lauf und Leben, faßt ihn wieder, und manchmal f

u

r immer.
     Erde - Erde - Erde -!
     Erde, mit deinen  Bodenfalten und L

u

chern und Vertiefungen, in die  man
sich hineinwerfen,  hineinkauern  kann!  Erde,  du gabst uns  im Krampf  des
Grauens, im Aufspritzen der Vernichtung, im Todesbr

u

llen der Explosionen die
ungeheure  Widerwelle  gewonnenen  Lebens!  Der  irre Sturm fast  zerfetzten
Daseins floß im R

u

ckstrom von dir durch unsre H

u

nde, so  daß wir
die geretteten in dich  gruben und  im stummen  Angstgl

u

ck der 

u

berstandenen
Minute mit unseren Lippen in dich hineinbissen! -
     Wir  schnellen mit einem  Ruck in  einem Teil unseres Seins beim ersten
Dr

u

hnen der Granaten um Tausende  von Jahren zur

u

ck. Es ist der Instinkt des
Tieres, der  in  uns erwacht,  der  uns leitet und besch

u

tzt.  Er  ist nicht
bewußt, er ist viel schneller, viel sicherer, viel unfehlbarer als das
Bewußtsein. Man kann es nicht erkl

u

ren. Man geht und denkt an nichts -
pl

u

tzlich  liegt  man  in einer  Bodenmulde,  und 

u

ber  einen  spritzen  die
Splitter  hinweg; - aber  man kann sich  nicht entsinnen, die Granate kommen
geh

u

rt oder den Gedanken  gehabt zu haben, sich  hinzulegen. H

u

tte man  sich
darauf verlassen sollen, man w

u

re bereits ein Haufen verstreutes Fleisch. Es
ist  das  andere  gewesen, diese  hellsichtige  Witterung  in  uns, die  uns
niedergerissen und gerettet  hat,  ohne daß man weiß,  wie. Wenn
sie nicht w

u

re, g

u

be  es von  Flandern bis zu den Vogesen schon l

u

ngst keine
Menschen mehr.
     Wir fahren ab als m

u

rrische  oder gutgelaunte Soldaten, - wir kommen in
die Zone, wo die Front beginnt, und sind Menschentiere geworden.

     Ein d

u

rftiger  Wald nimmt uns auf. Wir  passieren  die  Gulaschkanonen.
Hinter  dem Walde steigen wir  ab. Die Wagen fahren  zur

u

ck. Sie  sollen uns
morgens vor dem Hellwerden wieder abholen.
     Nebel und  Gesch

u

tzrauch stehen in Brusth

u

he 

u

ber den Wiesen.  Der Mond
scheint  darauf.  Auf  der  Straße  ziehen  Truppen.   Die  Stahlhelme
schimmern mit  matten Reflexen im Mondlicht. Die K

u

pfe und die Gewehre ragen
aus dem weißen Nebel, nickende K

u

pfe, schwankende Gewehrl

u

ufe.
     Weiter vorn h

u

rt der Nebel  auf. Die K

u

pfe  werden hier zu Gestalten; -
R

u

cke, Hosen und Stiefel kommen aus dem Nebel  wie aus einem Milchteich. Sie
formieren sich zur Kolonne. Die Kolonne marschiert, geradeaus, die Gestalten
schließen  sich zu einem Keil, man erkennt  die einzelnen  nicht mehr,
nur ein dunkler Keil schiebt  sich nach vorn, sonderbar  erg

u

nzt  aus den im
Nebelteich  heranschwimmenden K

u

pfen  und  Gewehren.  Eine Kolonne  -  keine
Menschen.
     Auf einer Querstraße fahren  leichte Gesch

u

tze und Munitionswagen
heran. Die Pferde haben gl

u

nzende R

u

cken im Mondschein, ihre Bewegungen sind
sch

u

n, sie werfen die  K

u

pfe, man sieht die Augen blitzen. Die Gesch

u

tze und
Wagen  gleiten  vor  dem   verschwimmenden  Hintergrund  der  Mondlandschaft
vor

u

ber,  die  Reiter  mit  ihren Stahlhelmen  sehen aus  wie  Ritter  einer
vergangenen Zeit, es ist irgendwie sch

u

n und ergreifend.
     Wir streben dem Pionierpark zu. Ein Teil  von uns ladet  sich gebogene,
spitze Eisenst

u

be  auf die  Schultern, der  andere steckt glatte Eisenst

u

cke
durch Drahtrollen und zieht damit ab. Die Lasten sind unbequem und schwer.
     Das  Terrain  wird  zerrissener.   Von  vorn  kommen  Meldungen  durch:
"Achtung, links tiefer Granattrichter" - "Vorsicht, Graben" -
     Unsere Augen sind angespannt, unsere F

u

ße  und St

u

cke f

u

hlen vor,
ehe  sie die Last  des  K

u

rpers  empfangen. Mit einmal  h

u

lt der Zug; -  man
prallt mit dem Gesicht gegen die Drahtrolle des Vordermannes und schimpft.
     Einige zerschossene Wagen  sind im Wege.  Ein neuer Befehl. "Zigaretten
und Pfeifen aus." -Wir sind dicht an den Gr

u

ben.
     Es ist inzwischen ganz dunkel  geworden. Wir  umgehen ein W

u

ldchen  und
haben dann den Frontabschnitt vor uns.
     Eine  Ungewisse, r

u

tliche  Helle steht am Horizont  von einem  Ende zum
andern.  Sie  ist in st

u

ndiger  Bewegung,  durchzuckt  vom M

u

ndungsfeuer der
Batterien. Leuchtkugeln steigen dar

u

ber  hoch, silberne  und rote B

u

lle, die
zerplatzen  und in  weißen,  gr

u

nen  und  roten Sternen  niederregnen.
Franz

u

sische Raketen schießen auf, die in der Luft einen  Seidenschirm
entfalten und ganz langsam niederschweben. Sie erleuchten alles taghell, bis
zu  uns  dringt ihr Schein, wir  sehen  unsere  Schatten  scharf  am  Boden.
Minutenlang  schweben  sie, ehe  sie ausgebrannt sind.  Sofort  steigen neue
hoch, 

u

berall, und dazwischen wieder die gr

u

nen, roten und blauen.
     "Schlamassel", sagt Kat.
     Das  Gewitter der Gesch

u

tze  verst

u

rkt  sich  zu einem einzigen dumpfen
Dr

u

hnen und zerf

u

llt dann wieder in  Gruppeneinschl

u

ge. Die trockenen Salven
der Maschinengewehre knarren. 

u

ber uns ist die Luft erf

u

llt von unsichtbarem
Jagen, Heulen, Pfeifen und Zischen. Es sind kleinere Geschosse; - dazwischen
orgeln aber  auch die  großen Kohlenk

u

sten,  die ganz schweren Brocken
durch die  Nacht und  landen  weit  hinteruns.  Sie  haben  einen r

u

hrenden,
heiseren, entfernten  Ruf, wie Hirsche in  der  Brunft, und ziehen hoch 

u

ber
dem Geheul und Gepfeife der kleineren Geschosse ihre Bahn.
     Die Scheinwerfer beginnen den schwarzen Himmel abzusuchen. Sie rutschen
dar

u

ber hin wie riesige, am Ende  d

u

nner werdende Lineale. Einer steht still
und zittert nur wenig. Sofort ist ein zweiter bei ihm, sie kreuzen sich, ein
schwarzes  Insekt ist zwischen ihnen und versucht zu entkommen: der Flieger.
Er wird unsicher, geblendet und taumelt.

     Wir rammen die Eisenpf

u

hle in  regelm

u

ßigen Abst

u

nden fest. Immer
zwei Mann halten eine Rolle,  die andern spulen den Stacheldraht ab.  Es ist
der ekelhafte  Draht mit  den  dichtstehenden, langen Stacheln.  Ich bin das
Abrollen nicht mehr gew

u

hnt und reiße mir die Hand auf.
     Nach einigen Stunden sind wir fertig Aber  wir haben noch Zeit, bis die
Lastwagen  kommen.  Die meisten  von uns legen  sich hin  und  schlafen. Ich
versuche es auch.  Doch es  wird zu k

u

hl.  Man merkt, daß wir nahe  am
Meere sind, man wacht vor K

u

lte immer wieder auf.
     Einmal  schlafe ich fest. Als  ich pl

u

tzlich mit einem Ruck hochfliege,
weiß ich nicht, wo ich bin. Ich sehe die  Sterne, ich sehe die Raketen
und  habe  einen   Augenblick  den  Eindruck,  auf   einem  Fest  im  Garten
eingeschlafen zu sein. Ich  weiß nicht, ob es  Morgen oder Abend  ist,
ich  liege in der bleichen Wiege  der D

u

mmerung und warte  auf weiche Worte,
die kommen  m

u

ssen,  weich und geborgen - weine ich? Ich  fasse nach  meinen
Augen, es ist  so wunderlich,  bin ich ein  Kind? Sanfte  Haut;  -  nur eine
Sekunde  w

u

hrt es,  dann erkenne  ich die Silhouette  Katczinskys. Er  sitzt
ruhig, der alte Soldat, und raucht eine Pfeife, eine Deckelpfeife nat

u

rlich.
Als er  bemerkt,  daß  ich wach  bin,  sagt  er  nur: "Du  bist  sch

u

n
zusammengefahren. Es war nur ein Z

u

nder, er ist da ins Geb

u

sch gesaust."
     Ich setze mich hoch,  ich  f

u

hle  mich sonderbar  allein.  Es ist  gut,
daß  Kat  da  ist. Er sieht gedankenvoll  zur Front  und  sagt:  "Ganz
sch

u

nes Feuerwerk, wenn's nicht so gef

u

hrlich w

u

re."
     Hinter uns  schl

u

gt es ein.  Ein paar  Rekruten fahren  erschreckt auf.
Nach ein paar Minuten funkt es wieder her

u

ber,  n

u

her als vorher. Kat klopft
seine Pfeife aus. "Es gibt Zunder."
     Schon geht es  los. Wir kriechen weg,  so gut es in  der Eile geht. Der
n

u

chste Schuß sitzt bereits zwischen  uns. Ein paar Leute schreien. Am
Horizont steigen gr

u

ne Raketen auf. Der  Dreck fliegt hoch, Splitter surren.
Man h

u

rt sie  noch  aufklatschen, wenn der L

u

rm der Einschl

u

ge l

u

ngst wieder
verstummt ist.
     Neben uns liegt ein ver

u

ngstigter  Rekrut,  ein  Flachskopf. Er hat das
Gesicht  in die H

u

nde gepreßt. Sein Helm ist weggepurzelt.  Ich fische
ihn heran und will ihn auf seinen Sch

u

del st

u

lpen. Er sieht auf, st

u

ßt
den Helm fort und kriecht wie ein Kind mit dem Kopf unter  meinen Arm, dicht
an  meine Brust. Die schmalen Schultern zucken. Schultern, wie Kemmerich sie
hatte.
     Ich lasse ihn  gew

u

hren. Damit  der Helm aber wenigstens zu etwas nutze
ist,  packe  ich ihn auf  seinen Hintern, nicht aus  Bl

u

dsinn,  sondern  aus

u

berlegung, denn das ist der h

u

chste Fleck. Wenn da zwar auch dickes Fleisch
sitzt,  Sch

u

sse  hinein  sind  doch  verflucht  schmerzhaft,  außerdem
muß  man monatelang  im  Lazarett  auf  dem Bauch  liegen und  nachher
ziemlich sicher hinken.
     Irgendwo  hat  es  m

u

chtig eingehauen. Man  h

u

rt Schreien  zwischen den
Einschl

u

gen.
     Endlich wird  es ruhig. Das Feuer ist  

u

ber  uns hinweggefegt und liegt
nun auf den letzten Reservegr

u

ben. Wir riskieren einen  Blick.  Rote Raketen
flattern am Himmel. Wahrscheinlich kommt ein Angriff.
     Bei uns bleibt es ruhig. Ich setze mich auf und r

u

ttele den Rekruten an
der Schulter. "Vorbei, Kleiner! Ist noch mal gutgegangen."
     Er sieht  sich  verst

u

rt  um.  Ich  rede  ihm  zu:  "Wirst  dich  schon
gew

u

hnen."
     Er bemerkt  seinen Helm und  setzt  ihn auf. Langsam kommt er zu  sich.
Pl

u

tzlich wird er feuerrot und hat ein verlegenes Aussehen. Vorsichtig langt
er  mit der Hand nach hinten und sieht mich gequ

u

lt an. Ich verstehe sofort:
Kanonenfieber.  Dazu  hatte   ich  ihm  eigentlich  den  Helm  nicht  gerade
dorthingepackt - aber ich tr

u

ste ihn doch:  "Das ist keine Schande, es haben
schon  ganz  andere Leute als  du nach ihrem  ersten Feuer

u

berfall die Hosen
voll gehabt. Geh hinter den Busch da und schmeiß  deine Unterhose weg.
Erledigt -"

     Er trollt sich. Es wird stiller, doch das Schreien h

u

rt nicht auf. "Was
ist los, Albert?" frage ich.
     "Dr

u

ben haben ein paar Kolonnen Volltreffer gekriegt."
     Das  Schreien  dauert an. Es sind keine  Menschen, sie  k

u

nnen nicht so
furchtbar schreien.
     Kat sagt: "Verwundete Pferde."
     Ich  habe noch nie Pferde schreien geh

u

rt  und kann es kaum glauben. Es
ist  der  Jammer  der  Welt,  es  ist  die gemarterte  Kreatur, ein  wilder,
grauenvoller Schmerz,  der da st

u

hnt. Wir sind bleich. Detering richtet sich
auf. "Schinder, Schinder! Schießt sie doch ab!"
     Er ist Landwirt  und mit Pferden vertraut. Es geht  ihm  nahe. Und  als
w

u

re es Absicht, schweigt das Feuer jetzt beinahe. Um so deutlicher wird das
Schreien der  Tiere.  Man  weiß nicht mehr, woher  es  kommt in dieser
jetzt  so stillen,  silbernen  Landschaft,  es ist  unsichtbar, geisterhaft,

u

berall,  zwischen  Himmel und  Erde,  es  schwillt  unermeßlich  an -
Detering wird w

u

tend  und br

u

llt: "Erschießt  sie, erschießt sie
doch, verflucht noch mal!"
     "Sie m

u

ssen doch erst die Leute holen", sagt Kat.
     Wir  stehen auf  und  suchen, wo die Stelle  ist.  Wenn  man die  Tiere
erblickt, wird es besser auszuhalten sein. Meyer  hat ein Glas bei sich. Wir
sehen  eine  dunkle   Gruppe   Sanit

u

ter   mit  Tragbahren   und   schwarze,
gr

u

ßere  Klumpen, die sich  bewegen. Das  sind die verwundeten Pferde.
Aber  nicht alle.  Einige galoppieren  weiter  entfernt, brechen nieder  und
rennen  weiter. Einem ist  der Bauch aufgerissen,  die  Ged

u

rme  h

u

ngen lang
heraus. Es verwickelt sich darin und st

u

rzt, doch es steht wieder auf.
     Detering reißt das Gewehr hoch und zielt.  Kat schl

u

gt es  in die
Luft. "Bist du verr

u

ckt -?"
     Detering zittert und wirft sein Gewehr auf die Erde.
     Wir  setzen  uns  hin  und   halten  uns  die  Ohren  zu.  Aber  dieses
entsetzliche  Klagen und  St

u

hnen  und  Jammern schl

u

gt  durch,  es  schl

u

gt

u

berall durch.
     Wir k

u

nnen alle etwas vertragen. Hier aber bricht uns der Schweiß
aus.  Man  m

u

chte  aufstehen und  fortlaufen,  ganz gleich wohin, nur um das
Schreien nicht mehr zu h

u

ren. Dabei sind es doch keine Menschen, sondern nur
Pferde.
     Von  dem  dunklen  Kn

u

uel  l

u

sen sich wieder Tragbahren.  Dann  knallen
einzelne  Sch

u

sse.  Die  Klumpen zucken und werden flacher. Endlich! Aber es
ist  noch  nicht zu Ende. Die  Leute kommen  nicht  an die verwundeten Tiere
heran, die in ihrer Angst fl

u

chten,  allen Schmerz in den weit aufgerissenen
M

u

ulern. Eine  der Gestalten  geht  aufs Knie,  ein Schuß -  ein Pferd
bricht nieder, - noch eins.  Das letzte stemmt sich  auf die Vorderbeine und
dreht  sich im  Kreise wie  ein  Karussell,  sitzend dreht es sich  auf  den
hochgestemmten   Vorderbeinen  im  Kreise,  wahrscheinlich  ist  der  R

u

cken
zerschmettert.  Der Soldat rennt hin und schießt es  nieder.  Langsam,
dem

u

tig rutscht es zu Boden.
     Wir nehmen die H

u

nde von den Ohren. Das Schreien ist verstummt. Nur ein
langgezogener, ersterbender Seufzer h

u

ngt noch in der Luft. Dann sind wieder
nur die  Raketen, das Granatensingen und  die Sterne da - und das  ist  fast
sonderbar.
     Detering geht und flucht: "M

u

chte wissen, was die f

u

r Schuld haben." Er
kommt nachher noch einmal heran. Seine Stimme ist erregt, sie klingt beinahe
feierlich, als er sagt: "Das  sage ich  euch, es  ist die  allergr

u

ßte
Gemeinheit, daß Tiere im Krieg sind."

     Wir gehen zur

u

ck. Es ist Zeit, zu unseren Wagen zu gelangen. Der Himmel
ist eine Spur heller geworden. Drei Uhr morgens. Der
     Wind ist frisch und k

u

hl, die fahle Stunde macht unsere Gesichter
     Wir tappen  uns  vorw

u

rts im G

u

nsemarsch durch die  Gr

u

ben und Trichter
und gelangen wieder in die  Nebelzone. Katczinsky ist unruhig,  das ist  ein
schlechtes Zeichen.
     "Was hast du, Kat?" fragt Kropp.
     "Ich  wollte,  wir  w

u

ren  erst zu Hause."  -  Zu  Hause," er meint die
Baracken.
     "Dauert nicht mehr lange, Kat."
     Er ist nerv

u

s.
     "Ich weiß nicht, ich weiß nicht -"
     Wir  kommen in  die Laufgr

u

ben und  dann  in  die Wiesen.  Das W

u

ldchen
taucht auf; wir kennen hier  jeden  Schritt  Boden. Da ist der J

u

gerfriedhof
schon mit den H

u

geln und den schwarzen Kreuzen.
     In diesem Augenblick pfeift  es hinter uns, schwillt, kracht,  donnert.
Wir haben uns geb

u

ckt  - hundert Meter vor uns schießt eine Feuerwolke
empor.
     In der  n

u

chsten  Minute hebt sich ein St

u

ck  Wald unter einem  zweiten
Einschlag  langsam 

u

ber die  Gipfel, drei, vier B

u

ume segeln mit und brechen
dabei in  St

u

cke.  Schon zischen  wie  Kesselventile die  folgenden Granaten
heran - scharfes Feuer -
     "Deckung!" br

u

llt jemand - "Deckung!" -
     Die Wiesen sind flach, der Wald ist zu weit und  gef

u

hrlich; -  es gibt
keine andere  Deckung als den Friedhof und die  Gr

u

berh

u

gel. Wir stolpern im
Dunkel hinein, wie hingespuckt klebt jeder gleich hinter einem H

u

gel.
     Keinen Moment zu fr

u

h. Das Dunkel wird wahnsinnig.  Es wogt  und  tobt.
Schw

u

rzere  Dunkelheiten als die Nacht rasen mit Riesenbuckeln auf uns  los,

u

ber  uns  hinweg.  Das Feuer  der  Explosionen  

u

berflackert  den Friedhof.
Nirgendwo  ist  ein  Ausweg. Ich wage im Aufblitzen der Granaten einen Blick
auf  die  Wiesen.  Sie  sind  ein  aufgew

u

hltes  Meer, die Stichflammen  der
Geschosse springen  wie Font

u

nen heraus.  Es  ist ausgeschlossen,  daß
jemand dar

u

ber hinwegkommt.
     Der Wald verschwindet,  er  wird  zerstampft, zerfetzt,  zerrissen. Wir
m

u

ssen hier auf dem Friedhof bleiben.
     Vor uns birst die Erde. Es regnet  Schollen. Ich sp

u

re einen Ruck. Mein

u

rmel  ist  aufgerissen  durch  einen Splitter. Ich balle  die Faust.  Keine
Schmerzen. Doch das beruhigt mich nicht, Verletzungen schmerzen  stets  erst
sp

u

ter.  Ich fahre 

u

ber  den Arm. Er ist angekratzt, aber heil. Da knallt es
gegen meinen  Sch

u

del, daß mir das Bewußtsein  verschwimmt.  Ich
habe  den  blitzartigen  Gedanken:  Nicht  ohnm

u

chtig  werden!, versinke  in
schwarzem Brei und komme sofort wieder  hoch.  Ein Splitter ist gegen meinen
Helm gehauen, er kam so weit her, daß er nicht durchschlug. Ich wische
mir den  Dreck aus den Augen.  Vor mir ist ein Loch aufgerissen, ich erkenne
es undeutlich. Granaten treffen nicht leicht  in denselben Trichter, deshalb
will ich hinein.  Mit einem Satze schnelle ich mich  lang vor, flach wie ein
Fisch  

u

ber den  Boden,  da pfeift es wieder,  rasch  krieche  ich zusammen,
greife  nach  der Deckung,  f

u

hle links etwas, presse mich daneben,  es gibt
nach, ich st

u

hne, die Erde  zerreißt, der Luftdruck donnert in  meinen
Ohren, ich krieche unter das Nachgebende, decke es 

u

ber mich, es  ist  Holz,
Tuch, Deckung, Deckung, armselige Deckung vor herabschlagenden Splittern.
     Ich 

u

ffne die Augen, meine Finger halten einen 

u

rmel umklammert,  einen
Arm. Ein Verwundeter? Ich schreie ihm zu, keine  Antwort - ein  Toter. Meine
Hand faßt weiter, in Holzsplitter, da weiß ich wieder, daß
wir auf dem Friedhof liegen.
     Aber  das  Feuer  ist  st

u

rker  als alles  andere.  Es  vernichtet  die
Besinnung, ich  krieche  nur  noch  tiefer  unter  den  Sarg,  er soll  mich
sch

u

tzen, und wenn der Tod selber in ihm liegt.
     Vor  mir klafft der Trichter. Ich  fasse  ihn  mit den  Augen  wie  mit
F

u

usten, ich muß mit einem  Satz hinein. Da  erhalte ich einen  Schlag
ins Gesicht, eine Hand klammert sich um meine Schulter - ist der Tote wieder
erwacht?  - Die Hand sch

u

ttelt mich, ich wende  den  Kopf, in sekundenkurzem
Licht starre ich in das Gesicht Katczinskys,  er hat den Mund weit offen und
br

u

llt, ich h

u

re nichts, er r

u

ttelt mich, n

u

hert sich; in  einem Moment  des
Abschwellens  erreicht  mich   seine   Stimme:   "Gas  -  Gaaas   -   Gaaas!
-Weitersagen!"
     Ich  reiße  die  Gaskapsel  heran. Etwas entfernt  von mir  liegt
jemand. Ich denke an nichts mehr  als an dies: Der dort muß es wissen:
"Gaaas - Gaaas -!"
     Ich rufe, schiebe mich heran, schlage mit der Kapsel nach ihm, er merkt
nichts  - noch einmal, noch einmal - er duckt sich nur - es ist ein Rekrut -
ich sehe verzweifelt nach Kat, er hat die  Maske vor - ich reiße meine
auch heraus,  der Helm fliegt beiseite,  sie streift sich 

u

ber mein Gesicht,
ich erreiche den  Mann, am  n

u

chsten liegt mir  seine  Kapsel, ich fasse die
Maske, schiebe sie  

u

ber seinen Kopf, er  greift  zu - ich  lasse los -  und
liege pl

u

tzlich mit einem Ruck im Trichter.
     Der  dumpfe  Knall  der  Gasgranaten  mischt  sich  in das  Krachen der
Explosivgeschosse.  Eine  Glocke  dr

u

hnt  zwischen die  Explosionen,  Gongs,
Metallklappern k

u

nden 

u

berallhin - Gas - Gas - Gaas -
     Hinter mir plumpst  es, einmal, zweimal.  Ich wische  die Augenscheiben
meiner Maske vom Atemdunst sauber. Es  sind Kat, Kropp und noch  jemand. Wir
liegen zu viert in schwerer,  lauernder Anspannung und atmen so schwach  wie
m

u

glich.
     Die ersten  Minuten mit der Maske entscheiden 

u

ber  Leben und  Tod: ist
sie dicht? Ich kenne die furchtbaren Bilder aus dem Lazarett: Gaskranke, die
m tagelangem W

u

rgen die verbrannten Lungen st

u

ckweise auskotzen.
     Vorsichtig,  den  Mund  auf  die  Patrone  gedr

u

ckt,  atme  ich.  Jetzt
schleicht der Schwaden  

u

ber  den Boden und sinkt  in alle Vertiefungen. Wie
ein weiches, breites Quallentier legt er  sich  in unseren  Trichter, r

u

kelt
sich hinein. Ich stoße Kat an: es ist besser herauszukriechen und oben
zu liegen,  als hier, wo das  Gas sich  am  meisten sammelt. Doch wir kommen
nicht dazu, ein zweiter Feuerhagel beginnt. Es ist, als  ob nicht  mehr  die
Geschosse br

u

llen; es ist, als ob die Erde selbst tobt.
     Mit  einem Krach  saust etwas  Schwarzes  zu uns  herab. Hart neben uns
schl

u

gt es ein, ein hochgeschleuderter Sarg.
     Ich sehe Kat sich bewegen und krieche hin

u

ber. Der Sarg ist dem vierten
in  unserem Loch auf den ausgestreckten  Arm geschlagen. Der Mann  versucht,
mit der andern Hand  die Gasmaske abzureißen. Kropp greift rechtzeitig
zu, biegt ihm die Hand hart auf den R

u

cken und h

u

lt sie fest.
     Kat  und  ich gehen  daran,  den verwundeten  Arm  frei  zu machen. Der
Sargdeckel ist lose und geborsten, wir k

u

nnen ihn leicht abreißen, den
Toten  werfen  wir  hinaus,  er sackt nach  unten,  dann versuchen  wir, den
unteren Teil zu lockern.
     Zum Gl

u

ck wird der  Mann bewußtlos,  und Albert kann  uns helfen.
Wir  brauchen nun  nicht  mehr  so  behutsam zu sein und arbeiten,  was  wir
k

u

nnen, bis der Sarg mit einem Seufzer nachgibt unter dem daruntergesteckten
Spaten.
     Es ist heller geworden. Kat nimmt ein  St

u

ck des Deckels, legt es unter
den zerschmetterten  Arm, und wir binden alle unsere Verbandsp

u

ckchen darum.
Mehr k

u

nnen wir im Moment nicht tun.
     Mein Kopf brummt  und dr

u

hnt in der Gasmaske, er  ist nahe am  Platzen.
Die  Lungen  sind  angestrengt,   sie  haben  nur   immer  wieder  denselben
heißen, verbrauchten Atem,  die Schl

u

fenadern schwellen, man glaubt zu
ersticken -
     Graues  Licht sickert zu uns herein. Wind fegt  

u

ber den  Friedhof. Ich
schiebe mich 

u

ber den Rand des Trichters. In der schmutzigen D

u

mmerung liegt
vor mir ein ausgerissenes Bein, der  Stiefel ist vollkommen  heil, ich  sehe
das alles  ganz deutlich  im Augenblick. Aber jetzt erhebt sich wenige Meter
weiter  jemand,  ich  putze  die  Fenster, sie beschlagen mir vor  Aufregung
sofort wieder, ich starre hin

u

ber - der Mann dort tr

u

gt keine Gasmaske mehr.
     Noch Sekunden warte ich  - er  bricht nicht zusammen, er blickt suchend
umher und macht einige Schritte - der Wind  hat das Gas zerstreut,  die Luft
ist frei - da zerre ich r

u

chelnd ebenfalls die Maske weg und  falle hin, wie
kaltes Wasser str

u

mt die Luft  in mich hinein, die Augen wollen brechen, die
Welle 

u

berschwemmt mich und l

u

scht mich dunkel aus.

     Die  Einschl

u

ge haben aufgeh

u

rt. Ich  drehe mich zum Trichter und winke
den  andern. Sie klettern  herauf und reißen sich die Masken herunter.
Wir umfassen  den  Verwundeten,  einer  nimmt  seinen  geschienten  Arm.  So
stolpern wir hastig davon.
     Der Friedhof  ist ein  Tr

u

mmerfeld. S

u

rge und Leichen liegen verstreut.
Sie  sind noch  einmal  get

u

tet  worden; aber jeder von ihnen,  der zerfetzt
wurde, hat einen von uns gerettet.
     Der   Zaun  ist  verw

u

stet,  die  Schienen  der  Feldbahn  dr

u

ben  sind
aufgerissen, sie starren hochgebogen in die Luft. Vor uns liegt jemand.  Wir
halten an, nur Kropp geht mit dem Verwundeten weiter.
     Der am Boden ist ein Rekrut. Seine H

u

fte ist blutverschmiert; er ist so
ersch

u

pft, daß ich nach meiner  Feldflasche greife, in der ich Rum mit
Tee habe. Kat h

u

lt meine Hand zur

u

ck und beugt sich 

u

ber ihn: "Wo hat's dich
erwischt, Kamerad?"
     Er bewegt die Augen; er ist zu schwach zum Antworten.
     Wir  schneiden vorsichtig  die Hose auf.  Er st

u

hnt.  "Ruhig, ruhig, es
wird ja besser -"
     Wenn er einen  Bauchschuß  hat, darf  er nichts trinken.  Er  hat
nichts erbrochen, das  ist g

u

nstig. Wir legen die H

u

fte bloß. Sie  ist
ein  einziger  Fleischbrei mit Knochensplittern. Das  Gelenk  ist getroffen.
Dieser Junge wird nie mehr gehen k

u

nnen.
     Ich wische ihm  mit dem  befeuchteten Finger  

u

ber die Schl

u

fe und gebe
ihm einen  Schluck. In  seine Augen  kommt Bewegung.  Jetzt erst sehen  wir,
daß auch der rechte Arm blutet.
     Kat zerfasert zwei Verbandsp

u

ckchen so breit wie m

u

glich, damit sie die
Wunde decken. Ich suche nach Stoff,  um ihn lose dar

u

berzuwickeln. Wir haben
nichts mehr,  deshalb schlitze ich dem Verwundeten das Hosenbein weiter auf,
um ein St

u

ck seiner Unterhose als Binde zu verwenden.  Aber  er tr

u

gt keine.
Ich sehe ihn genauer an: es ist der Flachskopf von vorhin.
     Kat hat  inzwischen  aus den Taschen eines Toten  noch P

u

ckchen geholt,
die wir vorsichtig  an die Wunde  schieben.  Ich  sage  dem  Jungen, der uns
unverwandt ansieht: "Wir holen jetzt eine Bahre."
     Da 

u

ffnet er den Mund und fl

u

stert: "Hierbleiben -"
     Kat sagt: "Wir kommen ja gleich wieder. Wir holen f

u

r dich eine Bahre."
     Man kann  nicht erkennen, ob er verstanden hat; er wimmert wie ein Kind
hinter uns her: "Nicht weggehen -"
     Kat  sieht sich  um und fl

u

stert:  "Sollte  man da nicht einfach  einen
Revolver nehmen, damit es aufh

u

rt?"
     Der Junge  wird den  Transport  kaum 

u

berstehen, und h

u

chstens  kann es
noch einige Tage  mit ihm dauern. Alles  bisher  aber wird nichts sein gegen
diese Zeit, bis er stirbt. Jetzt ist  er noch  bet

u

ubt  und f

u

hlt nichts. In
einer  Stunde  wird er  ein  kreischendes  B

u

ndel  unertr

u

glicher  Schmerzen
werden.  Die Tage, die er noch  leben kann, bedeuten  f

u

r  ihn  eine einzige
rasende Qual. Und wem n

u

tzt es, ob er sie noch hat oder nicht -
     Ich nicke. "Ja, Kat, man sollte einen Revolver nehmen."
     " Gib her", sagt er  und  bleibt stehen.  Er ist entschlossen, ich sehe
es. Wir  blicken  uns um, aber wir  sind  nicht mehr allein. Vor uns sammelt
sich  ein H

u

uflein,  aus den Trichtern und Gr

u

bern kommen  K

u

pfe.  Wir holen
eine Bahre.
     Kat sch

u

ttelt  den Kopf. "  So junge  Kerle" -  Er  wiederholt  es: "So
junge, unschuldige Kerle -"

     Unsere Verluste sind  geringer, als anzunehmen war: f

u

nf Tote und  acht
Verwundete.  Es war nur  ein  kurzer  Feuer

u

berfall. Zwei von  unseren Toten
liegen  in  einem der  aufgerissenen  Gr

u

ber; wir  brauchen  sie  bloß
zuzubuddeln.
     Wir gehen zur

u

ck. Schweigend trotten wir im  G

u

nsemarsch hintereinander
her.  Die  Verwundeten  werden zur Sanit

u

tsstation gebracht. Der Morgen  ist
tr

u

be,  die  Krankenw

u

rter laufen mit Nummern und  Zetteln,  die  Verletzten
wimmern. Es beginnt zu regnen.
     Nach einer Stunde haben wir unsere Wagen  erreicht und klettern hinauf.
Jetzt ist mehr Platz als vorher da.
     Der  Regen wird st

u

rker.  Wir breiten Zeltbahnen aus und legen sie  auf
unsere K

u

pfe. Das Wasser trommelt darauf nieder. An den Seiten fließen
die Regenstr

u

hnen  ab. Die Wagen platschen durch die  L

u

cher, und wir wiegen
uns im Halbschlaf hin und her.
     Zwei Mann vorn im  Wagen  haben  lange gegabelte  St

u

cke bei sich.  Sie
achten  auf  die Telefondr

u

hte,  die quer 

u

ber die Straße  h

u

ngen,  so
tief, daß  sie  unsere K

u

pfe wegreißen k

u

nnen. Die beiden  Leute
fangen sie mit  ihren  gegabelten St

u

cken auf und heben sie 

u

ber uns hinweg.
Wir h

u

ren ihren Ruf: "Achtung - Draht", und  im Halbschlaf gehen  wir in die
Kniebeuge und richten uns wieder auf.
     Monoton  pendeln die Wagen,  monoton sind  die Rufe, monoton rinnt  der
Regen. Er rinnt auf unsere K

u

pfe  und auf die  K

u

pfe der Toten vorn, auf den
K

u

rper des kleinen Rekruten mit der Wunde, die viel zu groß f

u

r  seine
H

u

fte ist, er rinnt auf das Grab Kemmerichs, er rinnt auf unsere Herzen.
     Ein Einschlag hallt irgendwo. Wir zucken  auf, die Augen sind gespannt,
die  H

u

nde wieder  bereit,  um die K

u

rper 

u

ber die  W

u

nde  des Wagens in den
Straßengraben zu werfen.
     Es kommt nichts weiter. - Monoton nur die Rufe: "Achtung - Draht" - wir
gehen in die Knie, wir sind wieder im Halbschlaf.



     Es ist beschwerlich, die einzelne Laus zu t

u

ten, wenn man Hunderte hat.
Die Tiere sind etwas hart,  und das ewige Knipsen mit den Fingern

u

geln  wird
langweilig. Tjaden hat deshalb den Deckel einer Schuhputzschachtel mit Draht

u

ber einem brennenden Kerzenstumpf  befestigt. In diese kleine Pfanne werden
die L

u

use einfach hineingeworfen - es knackt, und sie sind erledigt.
     Wir sitzen rundherum, die Hemden auf den Knien, den Oberk

u

rper nackt in
der warmen Luft, die H

u

nde bei der Arbeit. Haie hat eine besonders feine Art
von  L

u

usen:  sie haben ein rotes Kreuz auf dem  Kopf. Deshalb behauptet er,
sie  aus dem Lazarett inThourhout mitgebracht zu  haben, sie seien von einem
Oberstabsarzt pers

u

nlich.  Er will auch das sich langsam in  dem Blechdeckel
ansammelnde Fett zum Stiefelschmieren benutzen und br

u

llte eine halbe Stunde
lang vor Lachen 

u

ber seinen Witz.
     Doch heute hat er wenig Erfolg; etwas anderes besch

u

ftigt uns zu sehr.
     Das Ger

u

cht ist Wahrheit geworden. Himmelstoß ist da. Gestern ist
er erschienen, wir haben seine wohlbekannte Stimme schon geh

u

rt. Er soll  zu
Hause ein paar junge  Rekruten zu  kr

u

ftig im  Sturzacker gehabt haben. Ohne
daß er es wußte,  war der Sohn des Regierungspr

u

sidenten  dabei.
Das brach ihm das Genick.
     Hier   wird  er  sich  wundern.  Tjaden  er

u

rtert  seit   Stunden  alle
M

u

glichkeiten,  wie  er  ihm  antworten will. Haie  sieht nachdenklich seine
große  Flosse  an  und  kneift mir  ein  Auge.  Die  Pr

u

gelei  war der
H

u

hepunkt  seines Daseins;  er  hat mir erz

u

hlt,  daß er noch manchmal
davon tr

u

umt.

     Kropp  und  M

u

ller  unterhalten  sich.  Kropp   hat  als  einziger  ein
Kochgeschirr  voll  Linsen erbeutet, wahrscheinlich  bei  der  Pionierk

u

che.
M

u

ller schielt gierig hin, beherrscht sich aber und fragt: ,.....
     "Albert, was w

u

rdest du tun, wenn jetzt mit einemmal Frieden w

u

re?"
     "Frieden gibt's nicht!" 

u

ußert Albert kurz.
     "Na, aber wenn -", beharrt M

u

ller, "was w

u

rdest du machen?"
     "Abhauen!" knurrt Kropp.
     "Das ist klar. Und dann?"
     "Mich besaufen", sagt Albert.
     "Rede keinen Quatsch, ich meine es ernst -"
     "Ich auch", sagt Albert, "was soll man denn anders machen."
     Kat interessiert sich f

u

r die Frage. Er fordert von Kropp seinen Tribut
an den Linsen, erh

u

lt ihn, 

u

berlegt dann lange  und meint: "Besaufen  k

u

nnte
man  sich  ja, sonst aber auf  die n

u

chste Eisenbahn  - und ab nach Muttern.
Mensch, Frieden, Albert -"
     Er kramt in seiner Wachstuchbrieftasche nach einer Fotografie und zeigt
sie stolz herum. "Meine Alte!" Dann packt er sie weg und flucht: "Verdammter
Lausekrieg -"
     "Du  kannst  gut reden",  sage ich. "Du hast  deinen  Jungen und  deine
Frau."
     "Stimmt", nickt er, "ich muß  daf

u

r  sorgen, daß sie was zu
essen haben."
     Wir  lachen.  "Daran wird's  nicht fehlen,  Kat, sonst  requierierst du
eben."
     M

u

ller ist hungrig und gibt sich noch nicht zufrieden. Er schreckt Haie
Westhus aus seinen Verpr

u

geltr

u

umen. "Haie, was w

u

rdest du denn machen, wenn
jetzt Frieden w

u

re?"
     "Er m

u

ßte dir den  Arsch vollhauen,  weil du hier  von  so  etwas

u

berhaupt anf

u

ngst", sage ich, "wie kommt das eigentlich?"
     "Wie kommt Kuhscheiße aufs  Dach?" antwortet M

u

ller lakonisch und
wendet sich wieder an Haie Westhus. Es ist zu schwer auf einmal f

u

r Haie. Er
wiegt seinen sommersprossigen  Sch

u

del:  "Du  meinst,  wenn kein Krieg  mehr
ist?"
     "Richtig. Du merkst auch alles."
     "Dann k

u

men doch wieder Weiber, nicht?" - Haie leckt sich das Maul.
     "Das auch."
     "Meine Fresse noch mal", sagt Haie, und  sein Gesicht  taut auf, " dann
w

u

rde  ich  mir  so  einen  strammen  Feger  schnappen, so  einen  richtigen
K

u

chendragoner, weißt du, mit ordentlich was dran zum Festhalten,  und
sofort  nichts  wie  'rin  in  die  Betten!  Stell  dir  mal  vor,  richtige
Federbetten  mit Sprungmatratzen, Kinners, acht Tage lang  w

u

rde  ich  keine
Hose wieder anziehen."
     Alles schweigt. Das Bild ist  zu wunderbar. Schauer laufen uns 

u

ber die
Haut. Endlich ermannt sich M

u

ller und fragt: "Und danach?"
     Pause. Dann erkl

u

rt Haie etwas verzwickt: "Wenn ich Unteroffizier w

u

re,
w

u

rde ich erst noch bei den Preußen bleiben und kapitulieren."
     "Haie, du hast glatt einen Vogel", sage ich.
     Er fragt gem

u

tlich zur

u

ck: "Hast du schon mal Torf gestochen? Probier's
mal."
     Damit zieht er  seinen L

u

ffel aus dem Stiefelschaft  und langt damit in
Alberts Eßnapf.
     "Schlimmer als  Schanzen  in der  Champagne  kann's  auch nicht  sein",
erwiderte ich.
     Haie kaut und grinst: "Dauert  aber  l

u

nger.  Kannst  dich  auch  nicht
dr

u

cken."
     "Aber, Mensch, zu Hause ist es doch besser, Haie."
     "Teils, teils", sagt er und versinkt mit offenem Munde in Gr

u

belei.
     Man kann auf  seinen  Z

u

gen  lesen,  was  er denkt.  Da  ist  eine arme
Moorkate, da ist schwere Arbeit in der Hitze der Heide vom fr

u

hen Morgen bis
zum Abend, da ist sp

u

rlicher Lohn, da ist ein schmutziger Knechtsanzug --
     "Hast beim Kommiß in Frieden keine Sorgen", teilt er  mit, "jeden
Tag  ist  dein Futter da, sonst machst  du Krach,  hast dein Bett, alle acht
Tage reine W

u

sche wie ein Kavalier, machst deinen Unteroffiziersdienst, hast
dein sch

u

nes  Zeug; -  abends  bist  du  ein freier  Mann und gehst  in  die
Kneipe."
     Haie ist außerordentlich stolz  auf seine Idee. Er  verliebt sich
darin.  "Und  wenn  du  deine  zw

u

lf  Jahre  um  hast,  kriegst  du   deinen
Versorgungsschein   und  wirst  Landj

u

ger.  Den   ganzen   Tag   kannst   du
Spazierengehen."
     Er schwitzt jetzt vor Zukunft.  "  Stell dir vor, wie du dann traktiert
wirst. Hier einen Kognak, da  einen  halben Liter.  Mit einem Landj

u

ger will
doch jeder gutstehen."
     "Du  wirst ja nie Unteroffizier, Haie", wirft Kat ein. Haie  blickt ihn
betroffen an und schweigt.  In  seinen  Gedanken sind jetzt wohl die  klaren
Abende  im  Herbst,  die  Sonntage   in  der  Heide,  die  Dorfglocken,  die
Nachmittage  und N

u

chte  mit den  M

u

gden, die Buchweizenpfannkuchen mit  den
großen Speckaugen, die sorglos verschwatzten Stunden im Krug -
     Mit soviel Phantasie  kann er  so  rasch  nicht  fertig werden; deshalb
knurrt er nur erbost: "Was ihr immer f

u

r Bl

u

dsinn zusammenfragt."
     Er streift sein Hemd 

u

ber den Kopf und kn

u

pft den Waffenrock zu.
     "Was w

u

rdest du machen, Tjaden?" ruft Kropp.
     Tjaden kennt nur eins. "Aufpassen, daß mir Himmelstoß nicht
durchgeht."
     Er m

u

chte  ihn wahrscheinlich  am liebsten in einen K

u

fig  sperren  und
jeden Morgen mit einem Kn

u

ppel 

u

ber ihn herfallen. Zu Kropp schw

u

rmt er:
     "An deiner Stelle w

u

rde ich sehen, daß ich  Leutnant w

u

rde.  Dann
kannst du ihn schleifen, daß ihm das Wasser im Hintern kocht."
     "Und  du,  Detering?"  forscht  M

u

ller  weiter.  Er  ist  der  geborene
Schulmeister mit seiner Fragerei.
     Detering ist wortkarg. Aber auf dieses Thema gibt  er Antwort. Er sieht
in  die  Luft und sagt nur  einen Satz: "Ich  w

u

rde  gerade  noch  zur Ernte
zurechtkommen." Damit steht er auf und geht weg.
     Er  macht  sich Sorgen.  Seine  Frau muß  den Hof bewirtschaften.
Dabei  haben sie  ihm  noch  zwei  Pferde weggeholt.  Jeden Tag liest er die
Zeitungen, die kommen,  ob  es  in  seiner oldenburgischen  Ecke auch  nicht
regnet. Sie bringen das Heu sonst nicht fort.
     In  diesem Augenblick erscheint  Himmelstoß. Er kommt direkt  auf
unsere  Gruppe zu. Tjadens  Gesicht wird fleckig.  Er legt sich l

u

ngelang ms
Gras und schließt die Augen vor Aufregung.
     Himmelstoß  ist etwas unschl

u

ssig, sein Gang wird langsamer. Dann
marschiert  er  dennoch  zu uns heran. Niemand macht Miene, sich zu erheben.
Kropp sieht ihm interessiert entgegen.
     Er steht jetzt vor uns und wartet.  Da keiner etwas sagt, l

u

ßt er
ein "Na?" vom Stapel.
     Ein  paar Sekunden verstreichen;  Himmelstoß weiß sichtlich
nicht, wie er  sich benehmen soll. Am liebsten m

u

chte er uns jetzt im Galopp
schleifen. Immerhin  scheint er schon gelernt zu haben, daß  die Front
kein Kasernenhof ist. Er versucht es abermals  und wendet sich nicht mehr an
alle, sondern an einen, er hofft, so leichter Antwort zu erhalten. Kropp ist
ihm am n

u

chsten. Ihn beehrt er deshalb. "Na, auch hier?"
     Aber Albert ist sein  Freund nicht.  Er antwortet knapp: "Bißchen
l

u

nger als Sie, denke ich."
     Der  r

u

tliche  Schnurrbart zittert. "Ihr  kennt  mich wohl  nicht mehr,
was?"
     Tjaden schl

u

gt jetzt die Augen auf. "Doch."
     Himmelstoß wendet sich ihm zu: "Das ist doch Tjaden, nicht?"
     Tjaden hebt den Kopf.
     "Und weißt du, was du bist?"
     Himmelstoß  ist verbl

u

fft.  "Seit wann duzen  wir uns  denn?  Wir
haben doch nicht zusammen im Chausseegraben gelegen."
     Er weiß absolut nichts aus der Situation zu machen. Diese  offene
Feindseligkeit  hat er nicht erwartet. Aber er h

u

tet  sich vorl

u

ufig; sicher
hat ihm jemand den Unsinn von Sch

u

ssen in den R

u

cken vorgeschwatzt.
     Tjaden wird auf die Frage nach dem Chausseegraben vor Wut sogar witzig.
     "Nee, das warst du alleme."
     Jetzt kocht Himmelstoß auch. Tjaden kommt ihm jedoch eilig zuvor.
Er muß  seinen Spruch loswerden. "Was  du  bist, willst du wissen?  Du
bist ein Sauhund, das bist du! Das  wollt' ich dir schon  lange  mal sagen."
Die Genugtuung vieler Monate leuchtet ihm aus den blanken Schweinsaugen, als
er den Sauhund hinausschmettert.
     Auch Himmelstoß ist nun entfesselt: "Was willst du  Mistk

u

ter, du
dreckiger  Torfdeubel?   Stehen   Sie   auf,  Knochen  zusammen,   wenn  ein
Vorgesetzter mit Ihnen spricht!"
     Tjaden winkt  großartig.  "Sie  k

u

nnen r

u

hren,  Himmelstoß.
Wegtreten."
     Himmelstoß ist ein tobendes Exerzierreglement. Der  Kaiser k

u

nnte
nicht beleidigter sein.  Er heult: "Tjaden,  ich  befehle  Ihnen dienstlich:
Stehen Sie auf!"
     "Sonst noch was?" fragt Tjaden.
     "Wollen Sie meinem Befehl Folge leisten oder nicht?"
     Tjaden erwidert gelassen und abschließend, ohne es zu wissen, mit
dem bekanntesten Klassikerzitat. Gleichzeitig l

u

ftet er seine Kehrseite.
     Himmelstoß st

u

rmt davon: " Sie kommen vors Kriegsgericht!"
     Wir sehen ihn in der Richtung zur Schreibstube verschwinden.
     Haie und Tjaden sind ein gewaltiges  Torfstechergebr

u

ll. Haie lacht so,
daß  er  sich  die  Kinnlade ausrenkt  und mit  offenem Maul pl

u

tzlich
hilflos dasteht. Albert muß sie ihm mit einem Faustschlag erst  wieder
einsetzen.
     Kat ist besorgt. "Wenn er dich meldet, wird's b

u

se."
     "Meinst du, daß er es tut?" fragt Tjaden.
     "Bestimmt", sage ich.
     "Das mindeste, was du kriegst, sind f

u

nf Tage Dicken", erkl

u

rt Kat.
     Das ersch

u

ttert Tjaden nicht. "F

u

nf Tage Kahn sind f

u

nf Tage Ruhe."
     "Und wenn du auf Festung kommst?" forscht der gr

u

ndlichere M

u

ller.
     "Dann ist der Krieg f

u

r mich so lange aus."
     Tjaden ist ein Sonntagskind. F

u

r ihn gibt es keine Sorgen. Mit Haie und
Leer zieht er ab, damit man ihn nicht in der ersten Aufregung findet.

     M

u

ller ist noch  immer nicht zu  Ende. Er nimmt sich  wieder Kropp vor.
"Albert, wenn du nun tats

u

chlich nach Hause k

u

mst, was w

u

rdest du machen?"
     Kropp ist jetzt satt und  deshalb nachgiebiger. "Wieviel Mann w

u

ren wir
dann eigentlich in der Klasse?"
     Wir rechnen:  von zwanzig sind sieben tot, vier verwundet, einer in der
Irrenanstalt. Es k

u

men h

u

chstens also zw

u

lf Mann zusammen.
     "Drei  sind davon Leutnants", sagt  M

u

ller. "Glaubst  du, daß sie
sich von Kantorek anschnauzen ließen?"
     "Wir glauben es nicht;  wir  w

u

rden  uns  auch nicht  mehr  anschnauzen
lassen."
     "Was h

u

ltst du eigentlich von der dreifachen Handlung im Wilhelm Teil?"
erinnert sich Kropp mit einem Male und br

u

llt vor Lachen.
     "Was waren  die Ziele  des  G

u

ttinger Hainbundes?" forscht auch  M

u

ller
pl

u

tzlich sehr streng.
     "Wieviel Kinder hatte Karl der K

u

hne?" erwidere ich ruhig.
     "Aus Ihnen wird im Leben nichts, B

u

umer", qu

u

kt M

u

ller.
     "Wann war die Schlacht bei Zama?" will Kropp wissen.
     "Ihnen fehlt  der sittliche Ernst, Kropp,  setzen  Sie sich, drei minus
-", winke ich ab.
     "Welche Aufgaben hielt Lykurgus f

u

r die wichtigsten im Staate?" wispert
M

u

ller und scheint an einem Kneifer zu r

u

cken.
     "Heißt es: Wir Deutsche f

u

rchten Gott, sonst niemand in der Welt,
oder wir Deutschen ...?" gebe ich zu bedenken.
     "Wieviel Einwohner hat Melbourne ?" zwitschert M

u

ller zur

u

ck.
     "Wie wollen  Sie  bloß im  Leben bestehen,  wenn  Sie  das  nicht
wissen?" frage ich Albert emp

u

rt.
     "Was versteht man unter Koh

u

sion?" trumpft der nun auf.
     Von  dem  ganzen Kram wissen wir nicht mehr allzuviel. Er hat  uns auch
nichts genutzt. Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht,  wie man bei
Regen und Sturm eine Zigarette anz

u

ndet, wie man ein Feuer  aus  nassem Holz
machen  kann  -  oder  daß  man ein Bajonett  am besten  in  den Bauch
st

u

ßt, weil es da nicht festklemmt wie bei den Rippen.
     M

u

ller sagt nachdenklich: "Was nutzt es. Wir werden doch wieder auf die
Schulbank m

u

ssen."
     Ich halte es f

u

r ausgeschlossen. "Vielleicht machen wir ein Notexamen."
     "Dazu  brauchst du  Vorbereitung.  Und wenn  du  es schon bestehst, was
dann? Student sein ist nicht viel besser. Wenn du kein Geld hast, mußt
du auch b

u

ffeln."
     "Etwas besser ist es. Aber Quatsch bleibt es  trotzdem,  was sie dir da
eintrichtern."
     Kropp trifft unsere Stimmung:
     "Wie kann  man das ernst nehmen,  wenn man  hier  draußen gewesen
ist."
     "Aber du mußt doch  einen  Beruf  haben", wendet M

u

ller  ein, als
w

u

re er Kantorek in Person.
     Albert reinigt sich  die N

u

gel  mit dem Messer. Wir sind  erstaunt 

u

ber
dieses Stutzertum. Aber es  ist nur Nachdenklichkeit. Er schiebt das  Messer
weg und erkl

u

rt: "Das ist es ja.  Kat und Detering und Haie werden wieder in
ihren  Beruf gehen, weil sie ihn schon vorher gehabt haben. Himmelstoß
auch. Wir haben keinen gehabt. Wie sollen wir uns da  nach diesem hier" - er
macht eine Bewegung zur Front - "an einen gew

u

hnen."
     "Man  m

u

ßte Rentier  sein und  dann  ganz allein  in  einem Walde
wohnen  k

u

nnen  -",   sage  ich,  sch

u

me   mich  aber   sofort  

u

ber  diesen
Gr

u

ßenwahn.
     "Was soll das bloß werden, wenn wir  zur

u

ckkommen?" meint M

u

ller,
und selbst er ist betroffen.
     Kropp zuckt die Achseln. "Ich weiß nicht. Erst mal da sein,  dann
wird sich's ja zeigen."
     Wir  sind eigentlich  alle ratlos. "Was k

u

nnte man  denn machen?" frage
ich.
     "Ich  habe zu nichts Lust", antwortet  Kropp m

u

de. "Eines Tages bist du
doch tot, was hast du  da schon?  Ich glaube nicht, daß wir  

u

berhaupt
zur

u

ckkommen."
     "Wenn  ich dar

u

ber nachdenke, Albert", sage ich  nach  einer Weile  und
w

u

lze  mich auf den  R

u

cken, "so m

u

chte ich, wenn ich  das Wort Friede h

u

re,
und es w

u

re wirklich so, irgend etwas Unausdenkbares tun,  so steigt  es mir
zu  Kopf.  Etwas,  weißt  du,  was  wert  ist, daß  man  hier im
Schlamassel gelegen hat. Ich  kann mir bloß nichts vorstellen. Was ich
an  M

u

glichem sehe, diesen ganzen Betrieb mit Beruf  und Studium und  Gehalt
und so weiter -  das kotzt mich an, denn das  war ja  immer schon da und ist
widerlich. Ich finde nichts - ich finde nichts, Albert."
     Mit einemmal scheint mir alles aussichtslos und verzweifelt.
     Kropp denkt ebenfalls dar

u

ber nach. Es wird 

u

berhaupt schwer werden mit
uns allen. Ob die sich in der Heimat eigentlich nicht manchmal Sorgen machen
deswegen? Zwei  Jahre Schießen  und  Handgranaten - das  kann man doch
nicht ausziehen wie einen Strumpf nachher -"
     Wir stimmen darin  

u

berein, daß es jedem 

u

hnlich geht; nicht  nur
uns hier; 

u

berall, jedem, der in  der gleichen Lage ist, dem einen mehr, dem
andern weniger. Es ist das gemeinsame Schicksal unserer Generation.
     Albert spricht es aus. "Der Krieg hat uns f

u

r alles verdorben."
     Er hat recht.  Wir sind keine  Jugend  mehr. Wir  wollen die Welt nicht
mehr st

u

rmen.  Wir sind Fl

u

chtende. Wir fl

u

chten vor uns. Vor unserem Leben.
Wir waren achtzehn Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben; wir
mußten darauf schießen. Die erste Granate,  die  einschlug, traf
in  unser  Herz.  Wir  sind  abgeschlossen vom  T

u

tigen,  vom  Streben,  vom
Fortschritt. Wir glauben nicht mehr daran; wir glauben an den Krieg.

     Die Schreibstube wird  lebendig. Himmelstoß scheint sie alarmiert
zu  haben.  An der Spitze der  Kolonne trabt  der  dicke Feldwebel. Komisch,
daß fast alle etatsm

u

ßigen Feldwebel dick sind.
     Ihm folgt der rached

u

rstende Himmelstoß. Seine Stiefel gl

u

nzen in
der Sonne.
     Wir erheben uns. Der Spieß schnauft:
     "Wo ist Tjaden?"
     Nat

u

rlich weiß es keiner. Himmelstoß glitzert uns b

u

se an.
     "Bestimmt wißt ihr es. Wollt es bloß nicht  sagen. Raus mit
der Sprache."
     Der  Spieß  sieht  sich  suchend  um;  Tjaden  ist  nirgendwo  zu
erblicken. Er versucht es andersherum. "In zehn Minuten soll Tjaden sich
     auf der Schreibstube melden." Damit zieht er davon, Himmelstoß in
seinem Kielwasser.
     "Ich  habe  das  Gef

u

hl, daß  mir  beim  n

u

chsten  Schanzen  eine
Drahtrolle auf die Beine von Himmelstoß fallen wird", vermutet Kropp.
     "Wir werden an ihm  noch viel Spaß  haben", lacht M

u

ller. Das ist
nun unser Ehrgeiz: einem Brieftr

u

ger die Meinung stoßen. -
     Ich  gehe  in  die  Baracke   und   sage  Tjaden  Bescheid,  damit   er
verschwindet.  Dann wechseln  wir  unsern Platz und  lagern uns  wieder,  um
Karten  zu spielen. Denn das  k

u

nnen wir: Kartenspielen,  fluchen und  Krieg
f

u

hren. Nicht viel f

u

r zwanzig Jahre - zuviel f

u

r zwanzig Jahre.
     Nach einer  halben Stunde ist Himmelstoß erneut bei  uns. Niemand
beachtet ihn. Er fragt nach Tjaden. Wir zucken die Achseln.
     "Ihr solltet ihn doch suchen", beharrt er.
     "Wieso ihr?" erkundigt sich Kropp.
     "Na, ihr hier -"
     "Ich m

u

chte Sie bitten, uns nicht zu duzen", sagt Kropp wie ein Oberst.
     Himmelstoß f

u

llt aus den Wolken. "Wer duzt euch denn?"
     "Sie!"
     "Ich?"
     "Ja."
     Es arbeitet  in ihm.  Er  schielt Kropp mißtrauisch an,  weil  er
keine Ahnung hat, was der meint.  Immerhin traut er  sich in  diesem  Punkte
nicht ganz und kommt uns entgegen. "Habt ihr ihn nicht gefunden?"
     Kropp  legt  sich  ins  Gras  und  sagt:  "Waren  Sie  schon  mal  hier
draußen?"
     "Das geht Sie gar nichts an",  bestimmt Himmelstoß. "Ich verlange
Antwort."
     "Gemacht", erwidert Kropp und erhebt  sich. "Sehen Sie mal dorthin,  wo
die kleinen W

u

lkchen stehen. Das sind die Geschosse der Flaks. Da waren  wir
gestern. F

u

nf Tote, acht Verwundete .Dabei war es eigentlich ein Spaß.
Wenn  Sie  n

u

chstens  mit 'rausgehen, werden  die  Mannschaften,  bevor  sie
sterben, erst vor Sie hintreten, die Knochen zusammenreißen und zackig
fragen: Bitte wegtreten zu d

u

rfen! Bitte abkratzen zu d

u

rfen! Auf  Leute wie
Sie haben wir hier gerade gewartet."
     Er setzt sich wieder, und Himmelstoß verschwindet wie ein Komet.
     "Drei Tage Arrest", vermutet Kat.
     "Das n

u

chstemal lege ich los", sage ich zu Albert.
     Aber  es  ist  Schluß.  Daf

u

r  findet  abends  beim  Appell  eine
Vernehmung statt. In  der  Schreibstube  sitzt  unser Leutnant Bertinck  und
l

u

ßt einen nach dem andern rufen.
     Ich  muß ebenfalls als Zeuge erscheinen  und  kl

u

re  auf, weshalb
Tjaden   rebelliert   hat.   Die   Bettn

u

ssergeschichte    macht   Eindruck.
Himmelstoß wird herangeholt und ich wiederhole meine Aussagen.
     "Stimmt das?" fragt Bertinck Himmelstoß.
     Der windet  sich und muß es  schließlich zugeben, als Kropp
die gleichen Angaben macht.
     "Weshalb hat denn niemand das damals gemeldet?" fragt Bertinck.
     Wir schweigen;  er  muß  doch selbst wissen, was  eine Beschwerde

u

ber  solche Kleinigkeiten  beim Kommiß  f

u

r Zweck  hat. Gibt es  beim
Kommiß  

u

berhaupt  Beschwerden ? Er  sieht  es wohl  ein  und  kanzelt
Himmelstoß zun

u

chst ab, indem  er ihm noch einmal energisch klarmacht,
daß  die  Front  kein  Kasernenhof  sei.  Dann  kommt  in  verst

u

rktem
Maße Tjaden an die Reihe, der eine ausgewachsene Predigt und drei Tage
Mittelarrest erh

u

lt. Kropp  diktiert  er  mit  einem Augenzwinkern einen Tag
Arrest.
     "Geht nicht anders",  sagt erbedauernd zu ihm. Er ist ein  vern

u

nftiger
Kerl.
     Mittelarrest   ist  angenehm.  Das   Arrestlokal   ist   ein   fr

u

herer
H

u

hnerstall; da  k

u

nnen  beide  Besuch  empfangen, wir  verstehen uns  schon
darauf,  hinzukommen. Dicker Arrest w

u

re  Keller gewesen.  Fr

u

her wurden wir
auch an einen Baum gebunden,  doch  das ist jetzt verboten. Manchmal  werden
wir schon wie Menschen behandelt.
     Eine Stunde nachdem Tjaden und Kropp hinter  ihren Drahtgittern sitzen,
brechen wir zu ihnen auf. Tjaden begr

u

ßt uns kr

u

hend.
     Dann spielen  wir  bis in die Nacht Skat. Tjaden gewinnt nat

u

rlich, das
dumme Luder.

     Beim Aufbrechen fragt Kat mich: "Was meinst du zu G

u

nsebraten?"
     "Nicht schlecht", finde ich.
     Wir  klettern  auf   eine  Munitionskolonne.   Die  Fahrt  kostet  zwei
Zigaretten.  Kat hat  sich den  Ort genau gemerkt. Der  Stall  geh

u

rt  einem
Regimentsstab.  Ich  beschließe,  die  Gans zu  holen, und  lasse  mir
Instruktionen geben. Der Stall ist  hinter der Mauer, nur  mit  einem Pflock
verschlossen.
     Kat  h

u

lt  mir  die  H

u

nde hin,  ich stemme den  Fuß  hinein  und
klettere 

u

ber die Mauer. Kat steht unterdessen Schmiere.
     Einige Minuten  bleibe  ich  stehen, um  die Augen an die Dunkelheit zu
gew

u

hnen. Dann erkenne ich den  Stall. Leise schleiche ich mich heran, taste
den Pflock ab, ziehe ihn weg und 

u

ffne die T

u

r.
     Ich  unterscheide zwei  weiße Flecke. Zwei  G

u

nse, das  ist faul:
faßt  man die  eine, so  schreit  die andere. Also beide  -  wenn  ich
schnell bin, klappt es.
     Mit  einem Satz springe ich zu. Eine erwische ich sofort, einen  Moment
sp

u

ter die zweite. Wie verr

u

ckt haue ich die K

u

pfe gegen die Wand, um sie zu
bet

u

uben.  Aber ich muß wohl  nicht gen

u

gend  Wucht haben. Die Biester
r

u

uspern sich und schlagen mit F

u

ßen  und  Fl

u

geln um sich. Ich k

u

mpfe
erbittert, aber, Donnerwetter,  was  hat so eine Gans f

u

r Kraft! Sie zerren,
daß ich hin und her  taumele. Im Dunkel sind diese weißen Lappen
scheußlich, meine Arme haben Fl

u

gel  gekriegt, beinahe habe ich Angst,
daß  ich mich zum  Himmel erhebe, als h

u

tte ich ein paar Fesselballons
in den Pfoten.
     Da  geht auch schon  der L

u

rm  los; einer der H

u

lse hat Luft geschnappt
und schnarrt wie eine  Weckuhr. Ehe ich mich versehe, tappt es draußen
heran,  ich  bekomme einen Stoß, liege  am  Boden  und  h

u

re  w

u

tendes
Knurren. Ein Hund.
     Ich blicke zur  Seite; da schnappt er schon  nach meinem  Halse. Sofort
liege ich still und ziehe vor allem das Kinn an den Kragen.
     Es ist eine Dogge.  Nach einer  Ewigkeit nimmt sie den Kopf zur

u

ck  und
setzt sich neben  mich. Doch wenn ich versuche, mich zu bewegen, knurrt sie.
Ich  

u

berlege. Das  einzige, was  ich  tun  kann, ist, daß ich  meinen
kleinen Revolver zu fassen kriege. Fort  muß ich  hier auf jeden Fall,
ehe Leute kommen. Zentimeterweise schiebe ich die Hand heran.
     Ich  habe das  Gef

u

hl, daß es  Stunden  dauert.  Immer eine leise
Bewegung  und ein gef

u

hrliches Knurren; Stilliegen und erneuter Versuch. Als
ich den Revolver in  der Hand habe, f

u

ngt sie  an zu zittern. Ich dr

u

cke sie
auf den Boden und mache mir klar: Revolver hochreißen, schießen,
ehe er zufassen kann, und t

u

rmen.
     Langsam hole  ich Atem und  werde ruhiger. Dann halte ich die Luft  an,
zucke den Revolver hoch, es knallt, die Dogge spritzt jaulend zur Seite, ich
gewinne die T

u

r des Stalles und purzele 

u

ber eine der gefl

u

chteten G

u

nse.
     Im Galopp greife  ich  schnell noch zu,  schmeiße  sie mit  einem
Schwung 

u

ber die Mauer und klettere selbst hoch. Ich bin noch nicht hin

u

ber,
da ist die Dogge auch  schon wieder munter und springt nach mir. Rasch lasse
ich mich fallen. Zehn Schritt  vor mir steht Kat, die Gans im Arm.  Sowie er
mich sieht, laufen wir.
     Endlich k

u

nnen wir verschnaufen. Die Gans ist tot, Kat hat das in einem
Moment erledigt. Wir wollen sie gleich braten, damit keiner etwas merkt. Ich
hole T

u

pfe und Holz aus  der  Baracke,  und  wir  kriechen  in einen kleinen
verlassenen  Schuppen,  den  wir  f

u

r  solche  Zwecke  kennen.  Die  einzige
Fensterluke  wird  dicht   verh

u

ngt.  Eine   Art  Herd  ist  vorhanden,  auf
Backsteinen liegt eine eiserne Platte. Wir z

u

nden ein Feuer an.
     Kat rupft die Gans und bereitet sie zu. Die Federn legen wir sorgf

u

ltig
beiseite.  Wir  wollen  uns  zwei  kleine  Kissen  daraus  machen  mit   der
Aufschrift: "Ruhe sanft im Trommelfeuer!"
     Das  Artilleriefeuer der Front umsummt unsern Zufluchtsort. Lichtschein
flackert 

u

ber unsere Gesichter, Schatten tanzen auf  der Wand.  Manchmal ein
dumpfer Krach, dann  zittert der Schuppen. Fliegerbomben. Einmal  h

u

ren  wir
ged

u

mpfte Schreie. Eine Baracke muß getroffen sein.
     Flugzeuge  surren; das  Tacktack von MaschirMßgewehren wird laut.
Aber von uns dringt kein Licht hinaus, dasrzu sehen w

u

re.
     So sitzen wir uns gegen

u

ber, Kat und ich, zwei Soldaten in abgeschabten
R

u

cken, die  eine Gans  braten, mitten in  der Nacht.  Wir reden nicht viel,
aber  wir sind  voll zarterer R

u

cksicht  miteinander,  als  ich  mir  denke,
daß Liebende  es  sein k

u

nnen. Wir  sind zwei Menschen,  zwei  winzige
Funken Leben, draußen  ist die  Nacht  und  der  Kreis des  Todes. Wir
sitzen an  ihrem  Rande, gef

u

hrdet und geborgen,  

u

ber  unsere H

u

nde  trieft
Fett, wir sind uns nahe mit unseren Herzen, und die Stunde ist wie der Raum:

u

berflackert  von einem sanften  Feuer,  gehen die Lichter und Schatten  der
Empfindungen hin und her. Was weiß er von mir - was weiß ich von
ihm, fr

u

her w

u

re keiner unserer Gedanken 

u

hnlich gewesen -  jetzt sitzen wir
vor einer Gans und f

u

hlen  unser Dasein und  sind uns so nahe, daß wir
nicht dar

u

ber sprechen m

u

gen.
     Es dauert lange, eine Gans zu braten,  auch wenn sie jung und fett ist.
Wir wechseln uns deshalb  ab.  Einer begießt sie,  w

u

hrend  der andere
unterdessen schl

u

ft. Ein herrlicher Duft verbreitet sich allm

u

hlich.
     Die Ger

u

usche  von  draußen werden zu einem Band, zu einem Traum,
der aber die Erinnerung nicht ganz verliert. Ich sehe im Halbschlaf  Kat den
L

u

ffel  heben und  senken, ich  liebe ihn, seine  Schultern,  seine  eckige,
gebeugte  Gestalt  -  und zu  gleicher  Zeit sehe ich  hinter ihm W

u

lder und
Sterne, und  eine  gute Stimme  sagt  Worte, die mir  Ruhe geben, mir, einem
Soldaten, der  mit seinen großen Stiefeln und seinem Koppel und seinem
Brotbeutel klein unter dem hohen Himmel den Weg geht, der vor ihm liegt, der
rasch vergißt  und nur selten noch traurig  ist, der  immer weitergeht
unter dem großen Nachthimmel.
     Ein kleiner  Soldat und eine gute  Stimme, und wenn man ihn  streicheln
w

u

rde,  k

u

nnte  er es vielleicht  nicht  mehr verstehen, der Soldat  mit den
großen Stiefeln und dem zugesch

u

tteten Herzen, der marschiert, weil er
Stiefel tr

u

gt, und alles vergessen  hat außer dem Marschieren. Sind am
Horizont  nicht Blumen  und eine Landschaft, die so still  ist, daß er
weinen m

u

chte, der Soldat?  Stehen dort nicht Bilder, die  er nicht verloren
hat, weil er sie nie besessen hat, verwirrend, aber dennoch f

u

r ihn vor

u

ber?
Stehen dort nicht seine zwanzig Jahre?
     Ist mein  Gesicht naß, und wo bin ich?  Kat steht  vor  mir, sein
riesiger  geb

u

ckter  Schatten f

u

llt 

u

ber mich  wie  eine  Heimat. Er spricht
leise, er l

u

chelt und geht zum Feuer zur

u

ck.
     Dann sagt er: "Es ist fertig."
     "Ja, Kat."
     Ich sch

u

ttele mich. In der Mitte des Raumes leuchtet der braune Braten.
Wir holen unsere  zusammenklappbaren  Gabeln und unsere Taschenmesser heraus
und schneiden uns jeder eine Keule  ab. Dazu essen wir Kommißbrot, das
wir in die Soße tunken. Wir essen langsam, mit vollem Genuß.
     "Schmeckt es, Kat?"
     "Gut! Dir auch?"
     "Gut, Kat."
     Wir  sind  Br

u

der und schieben  uns gegenseitig  die besten St

u

cke  zu.
Hinterher rauche ich  eine  Zigarette, Kat eine  Zigarre. Es  ist  noch viel

u

briggeblieben.
     "Wie w

u

re es, Kat, wenn wir Kropp und Tjaden ein St

u

ck br

u

chten?"
     "Gemacht",  sagt er.  Wir schneiden  eine Portion  ab  und wickeln  sie
sorgf

u

ltig in  Zeitungspapier.  Den  Rest  wollen wir eigentlich  in  unsere
Baracke tragen, aber Kat lacht und sagt nur: "Tjaden."
     Ich sehe  es ein, wir m

u

ssen alles mitnehmen. So machen wir uns auf den
Weg zum H

u

hnerstall,  um die beiden  zu wecken. Vorher packen wir  noch  die
Federn weg.
     Kropp und Tjaden  halten uns f

u

r eine Fata Morgana. Dann knirschen ihre
Gebisse. Tjaden hat einen Fl

u

gel mit beiden H

u

nden wie eine Mundharmonika im
Munde und kaut.  Er s

u

uft das Fett aus  dem Topf und schmatzt: "Das vergesse
ich euch nie!"
     Wir gehen zu unserer  Baracke. Da ist  der  hohe Himmel  wieder mit den
Sternen und der beginnenden D

u

mmerung, und ich gehe darunter hin, ein Soldat
mit großen Stiefeln und  vollem Magen, ein kleiner Soldat in der Fr

u

he
- aber neben mir, gebeugt und eckig, geht Kat, mein Kamerad.
     Die  Umrisse  der Baracke kommen in  der  D

u

mmerung  auf uns zu wie ein
schwarzer, guter Schlaf.



     Es wird von einer Offensive gemunkelt.  Wir gehen zwei Tage  fr

u

her als
sonst an die Front. Auf dem Wege  passieren wir eine zerschossene Schule. An
ihrer  L

u

ngsseite  aufgestapelt  steht eine  doppelte, hohe  Mauer  von ganz
neuen, hellen, unpolierten S

u

rgen. Sie riechen  noch nach  Harz  und Kiefern
und Wald. Es sind mindestens hundert.
     "Da ist ja gut vorgesorgt zur Offensive", sagt M

u

ller erstaunt.
     "Die sind f

u

r uns", knurrt Detering.
     "Quatsch nicht!" f

u

hrt Kat ihn an.
     "Sei froh,  wenn  du  noch  einen  Sarg  kriegst",  grinst Tjaden, "dir
verpassen sie  doch  nur  eine Zeltbahn  f

u

r  deine  Schießbudenfigur,
paß auf!"
     Auch  die andern machen Witze, unbehagliche Witze, was sollen wir sonst
tun. - Die S

u

rge sind ja tats

u

chlich f

u

r uns.  In  solchen Dingen klappt die
Organisation.
     

u

berall  vorn  brodelt  es.  In der ersten  Nacht versuchen  wir uns zu
orientieren. Da es ziemlich still ist, k

u

nnen  wir h

u

ren, wie die Transporte
hinter der gegnerischen  Front rollen,  unausgesetzt, bis  in  die D

u

mmerung
hinein. Kat  sagt, daß sie  nicht abrollen,  sondern Truppen  bringen,
Truppen, Munition, Gesch

u

tze.
     Die englische Artillerie ist verst

u

rkt, das h

u

ren wir sofort. Es stehen
rechts  von der Ferme mindestens  vier  Batterien  20,5 mehr, und hinter dem
Pappelstumpf  sind Minenwerfer  eingebaut. Außerdem  ist  eine  Anzahl
dieser kleinen franz

u

sischen Biester mit Aufschlagz

u

ndern hinzugekommen.
     Wir  sind  in gedr

u

ckter Stimmung. Zwei  Stunden  nachdem  wir  in  den
Unterst

u

nden stecken, schießt uns die eigene Artillerie in den Graben.
Es  ist  das drittemal in vier  Wochen. Wenn es noch Zielfehler w

u

ren, w

u

rde
keiner was sagen, aber es liegt daran,  daß die  Rohre zu  ausgeleiert
sind; sie streuen bis in unsern Abschnitt, so
     unsicher werden die Sch

u

sse oft. In dieser Nacht haben wir dadurch zwei
Verwundete.

     Die  Front ist  ein K

u

fig, in dem man nerv

u

s  warten muß auf das,
was geschehen wird.  Wir liegen unter dem Gitter der Granatenbogen und leben
in  der  Spannung  des Ungewissen.  

u

ber  uns schwebt  der Zufall. Wenn  ein
Geschoß kommt, kann ich mich ducken, das ist alles; wohin  es schl

u

gt,
kann ich weder genau wissen noch beeinflussen.
     Dieser Zufall ist es, der uns gleichg

u

ltig  macht.  Ich  saß  vor
einigen Monaten in einem Unterstand und spielte Skat; nach einer Weile stand
ich auf und ging,  Bekannte in einem andern Unterstand zu besuchen. Als  ich
zur

u

ckkam, war  von  dem  ersten nichts mehr  zu sehen,  er  war  von  einem
schweren  Treffer zerstampft. Ich  ging zum  zweiten  zur

u

ck und kam  gerade
rechtzeitig, um zu  helfen, ihn aufzugraben.  Er  war inzwischen versch

u

ttet
worden.
     Ebenso  zuf

u

llig, wie  ich  getroffen  werde,  bleibe ich am Leben.  Im
bombensicheren Unterstand  kann ich zerquetscht werden, und auf freiem Felde
zehn  Stunden  Trommelfeuer  unverletzt 

u

berstehen. Jeder Soldat  bleibt nur
durch tausend  Zuf

u

lle am Leben. Und  jeder  Soldat glaubt und vertraut  dem
Zufall.

     Wir  m

u

ssen  auf  unser  Brot achtgeben.  Die Ratten  haben  sich  sehr
vermehrt in der  letzten Zeit, seit  die  Gr

u

ben nicht mehr recht in Ordnung
sind. Detering behauptet, es w

u

re das sicherste Vorzeichen f

u

r dicke Luft.
     Die Ratten  hier  sind  besonders widerw

u

rtig, weil  sie so  groß
sind.   Es  ist  die   Art,  die   man  Leichenratten   nennt.   Sie   haben
scheußliche,  b

u

sartige, nackte  Gesichter,  und  es  kann einem  

u

bel
werden, wenn man ihre langen, kahlen Schw

u

nze sieht.
     Sie scheinen recht  hungrig zu sein.  Bei fast allen haben sie das Brot
angefressen. Kropp  hat es unter seinem Kopf fest in die Zeltbahn gewickelt,
doch  er kann  nicht schlafen,  weil  sie ihm 

u

ber das  Gesicht  laufen,  um
heranzugelangen.  Detering wollte schlau sein; er  hatte an der  Decke einen
d

u

nnen  Draht  befestigt  und  sein  Brot  darangeh

u

ngt. Als er nachts seine
Taschenlampe  anknipst, sieht  er den Draht hin und her  schwanken. Auf  dem
Brot reitet eine fette Ratte.
     Schließlich machen  wir  ein Ende. Die St

u

cke Brot,  die  von den
Tieren benagt sind, schneiden  wir sorgf

u

ltig aus; wegwerfen k

u

nnen wir  das
Brot ja auf keinen Fall, weil wir morgen sonst nichts zu essen haben.
     Die abgeschnittenen  Scheiben  legen wir  in der Mitte  auf  dem  Boden
zusammen. Jeder nimmt seinen Spaten heraus und legt  sich  schlagbereit hin.
Detering, Kropp und Kat halten ihre Taschenlampen bereit.
     Nach wenigen Minuten  h

u

ren wir  das  erste  Schlurfen und  Zerren.  Es
verst

u

rkt  sich,  nun  sind  es  viele  kleine F

u

ße.  Da  blitzen  die
Taschenlampen auf, und  alles schl

u

gt  auf  den  schwarzen  Haufen ein,  der
auseinanderzischt.  Der  Erfolg ist gut. Wir  schaufeln die Rattenteile 

u

ber
den Grabenrand und legen uns wieder auf die Lauer.
     Noch einige  Male gelingt uns der Schlag.  Dann haben die  Tiere  etwas
gemerkt  oder das Blut  gerochen.  Sie kommen  nicht mehr. Trotzdem ist  der
Brotrest auf dem Boden am n

u

chsten Tage von ihnen weggeholt.
     Im benachbarten Abschnitt haben  sie zwei große Katzen und  einen
Hund 

u

berfallen, totgebissen und angefressen.

     Am  n

u

chsten  Tage  gibt  es  Edamer  K

u

se.  Jeder  erh

u

lt  fast  einen
Viertelk

u

se. Das  ist  teilweise gut,  denn  Edamer schmeckt  -  und  es ist
teilweise faul, denn f

u

r uns waren die dicken  roten B

u

lle bislang immer ein
Anzeichen f

u

r schweren Schlamassel.  Unsere  Ahnung steigert sich,  als noch
Schnaps ausgeteilt wird. Vorl

u

ufig trinken wir ihn; aber uns ist  nicht wohl
zumute dabei.
     Tags

u

ber  machen wir  Wettschießen auf Ratten und lungern  umher.
Die  Patronen  und  Handgranatenvorr

u

te  werden reichlicher.  Die  Bajonette
revidieren  wir  selbst.  Es gibt n

u

mlich  welche, die gleichzeitig auf  der
stumpfen  Seite  als  S

u

ge eingerichtet  sind.  Wenn die dr

u

ben jemand damit
erwischen, wird er rettungslos  abgemurkst.  Im Nachbarabschnitt sind  Leute
von uns wiedergefunden worden, denen mit diesen S

u

geseitengewehren die Nasen
abgeschnitten  und die  Augen ausgestochen waren. Dann hatte  man  ihnen den
Mund und Nase mit S

u

gesp

u

nen gef

u

llt und sie so erstickt.
     Einige  Rekruten haben  noch Seitengewehre 

u

hnlicher Art;  wir schaffen
sie weg und besorgen ihnen andere.
     Das Seitengewehr  hat allerdings an Bedeutung verloren. Zum St

u

rmen ist
es  jetzt  manchmal Mode, nur mit Handgranaten  und  Spaten  vorzugehen. Der
gesch

u

rfte  Spaten ist  eine leichtere und vielseitigere Waffe, man kann ihn
nicht nur unter das Kinn stoßen, sondern vor allem damit schlagen, das
hat gr

u

ßere  Wucht;  besonders wenn man schr

u

g zwischen  Schulter  und
Hals trifft, spaltet man leicht bis zur Brust durch. Das Seitengewehr bleibt
beim Stich oft stecken, man muß dann erst dem andern kr

u

ftig gegen den
Bauch  treten, um es loszukriegen, und  in  der Zwischenzeit hat man  selbst
leicht eins weg. Dabei bricht es noch außerdem manchmal ab.
     Nachts wird Gas abgeblasen. Wir erwarten den Angriff und liegen mit den
Masken  fertig,  bereit,  sie  abzureißen,  sowie  der erste  Schatten
auftaucht.
     Der  Morgen  graut,  ohne  daß etwas  erfolgt. Nur  immer  dieses
nervenzerreibende  Rollen dr

u

ben,  Z

u

ge,  Z

u

ge,  Lastwagen,  Lastwagen,  was
konzentriert sich  da  nur? Unsere Artillerie funkt st

u

ndig hin

u

ber, aber es
h

u

rt nicht auf, es h

u

rt nicht auf. -
     Wir haben  m

u

de Gesichter und sehen  aneinander vorbei. "Es wird wie an
der Somme, da hatten wir nachher sieben Tage  und N

u

chte Trommelfeuer", sagt
Kat  d

u

ster. Er hat gar keinen Witz mehr, seit  wir  hier  sind, und das ist
schlimm, denn Kat ist  ein  altes Frontschwein, das  Witterung besitzt.  Nur
Tjaden freut sich der  guten Portionen und  des  Rums;  er meint sogar,  wir
w

u

rden genauso in Ruhe zur

u

ckkehren, es w

u

rde gar nichts passieren.
     Fast  scheint es  so. Ein Tag nach dem  andern geht vor

u

ber.  Ich sitze
nachts   im  Loch  auf  Horchposten.   

u

ber  mir  steigen  die  Raketen  und
Leuchtschirme  auf  und nieder. Ich bin  vorsichtig und  gespannt, mein Herz
klopft. Immer wieder liegt  mein Auge auf der Uhr mit dem Leuchtzifferblatt;
der Zeiger will nicht weiter.  Der Schlaf  h

u

ngt in meinen Augenlidern,  ich
bewege die  Zehen in den Stiefeln, um  wachzubleiben.  Nichts geschieht, bis
ich  abgel

u

st  werde;  - nur immer  das Rollen dr

u

ben. Wir werden allm

u

hlich
ruhig und spielen st

u

ndig Skat und Mauscheln. Vielleicht haben wir Gl

u

ck.
     Der Himmel h

u

ngt tags

u

ber voll Fesselballons. Es heißt, daß
von   dr

u

ben   jetzt  auch  hier   Tanks   eingesetzt   werden   sollen  und
Infanterieflieger  beim Angriff. Das interessiert uns aber weniger als  das,
was von den neuen Flammenwerfern erz

u

hlt wird.

     Mitten in der Nacht erwachen wir. Die Erde dr

u

hnt. Schweres Feuer liegt

u

ber  uns. Wir dr

u

cken uns in die Ecken. Geschosse aller Kaliber  k

u

nnen wir
unterscheiden.
     Jeder greift nach seinen Sachen  und vergewissert sich alle Augenblicke
von neuem,  daß sie  da sind. Der Unterstand  bebt, die Nacht ist  ein
Br

u

llen und Blitzen.  Wir sehen  uns bei  dem sekundenlangen  Licht  an  und
sch

u

tteln mit bleichen Gesichtern und gepreßten Lippen die K

u

pfe.
     Jeder  f

u

hlt  es mit,  wie die  schweren  Geschosse  die Grabenbr

u

stung
wegreißen,  wie  sie   die  B

u

schung  durchw

u

hlen   und  die  obersten
Betonkl

u

tze  zerfetzen. Wir merken den dumpferen, rasenderen Schlag, der dem
Prankenhieb eines  fauchenden  Raubtiers  gleicht, wenn  der  Schuß im
Graben sitzt. Morgens sind einige Rekruten bereits gr

u

n und kotzen. Sie sind
noch zu unerfahren.
     Langsam rieselt  widerlich graues  Licht in den Stollen  und  macht das
Blitzen der Einschl

u

ge  fahler.  Der  Morgen  ist  da.  Jetzt  mischen  sich
explodierende  Minen  in  das Artilleriefeuer. Es  ist das Wahnsinnigste  an
Ersch

u

tterung, was es gibt. Wo sie niederfegen, ist ein Massengrab.
     Die Abl

u

sungen gehen hinaus, die Beobachter taumeln herein, mit Schmutz
beworfen, zitternd. Einer legt  sich schweigend  in die  Ecke und ißt,
der  andere,  ein  Ersatzreservist,  schluchzt;  er  ist  zweimal  

u

ber  die
Brustwehr  geflogen  durch  den  Luftdruck  der  Explosion, ohne  sich etwas
anderes zu holen als einen Nervenschock.
     Die  Rekruten sehen zu  ihm hin. So etwas steckt rasch  an, wir  m

u

ssen
aufpassen,  schon  fangen verschiedene  Lippen  an  zu  flattern.  Gut  ist,
daß es Tag wird; vielleicht erfolgt der Angriff vormittags.
     Das  Feuer schw

u

cht  nicht ab. Es liegt auch  hinter uns.  So  weit man
sehen kann, spritzen Dreck- und Eisenfont

u

nen. Ein  sehr breiter G

u

rtel wird
bestrichen.
     Der Angriff erfolgt nicht, aber die  Einschl

u

ge dauern  an. Wir  werden
langsam  taub.  Es  spricht  kaum noch  jemand.  Man  kann sich  auch  nicht
verstehen.
     Unser Graben ist fast fort. An  vielen Stellen reicht er nur noch einen
halben Meter hoch, er ist durchbrochen von L

u

chern, Trichtern und Erdbergen.
Direkt  vor unserm Stollen platzt  eine  Granate. Sofort ist es  dunkel. Wir
sind  zugesch

u

ttet  und m

u

ssen uns  ausgraben.  Nach einer  Stunde  ist  der
Eingang  wieder  frei,  und wir sind etwas  gefaßter, weil  wir Arbeit
hatten.
     Unser  Kompanief

u

hrer klettert herein  und  berichtet,  daß  zwei
Unterst

u

nde  weg sind. Die Rekruten beruhigen  sich, als sie  ihn sehen.  Er
sagt, daß heute abend versucht werden soll, Essen heranzubringen.
     Das klingt tr

u

stlich. Keiner hat daran gedacht, außer Tjaden. Nun
r

u

ckt etwas wieder von draußen n

u

her; - wenn Essen geholt werden soll,
kann es ja nicht so schlimm sein, denken die Rekruten. Wir st

u

ren sie nicht,
wir wissen, daß Essen  ebenso wichtig wie Munition ist und nur deshalb
herangeschafft werden muß.
     Aber es  mißlingt. Eine  zweite Staffel geht los. Auch  sie kehrt
um.   Schließlich   ist   Kat   dabei,   und   selbst   er   erscheint
unverrichtetersache  wieder.  Niemand  kommt durch,  kein  Hundeschwanz  ist
schmal genug f

u

r dieses Feuer.
     Wir ziehen unsere Schmachtriemen  enger und kauen jeden  Happen dreimal
so  lange.  Doch  es  reicht  trotzdem  nicht  aus;  wir  haben  verfluchten
Kohldampf. Ich bewahre mir eine Kante  auf; das  Weiche esse ich heraus, die
Kante bleibt im Brotbeutel; ab und zu knabbere ich mal daran.
     Die Nacht ist unertr

u

glich. Wir k

u

nnen nicht schlafen, wir stieren  vor
uns  hin  und duseln. Tjaden bedauert,  daß  wir unsere  angefressenen
Brotst

u

cke f

u

r die  Ratten vergeudet haben.  Wir  h

u

tten sie ruhig  aufheben
sollen. Jeder w

u

rde sie jetzt essen. Wasser fehlt uns  auch, aber noch nicht
so sehr.
     Gegen  Morgen,  als  es noch dunkel ist, entsteht Aufregung.  Durch den
Eingang st

u

rzt ein Schw

u

rm fl

u

chtender Ratten und jagt die W

u

nde hinauf. Die
Taschenlampen  beleuchten  die  Verwirrung.  Alle  schreien  und fluchen und
schlagen  zu.  Es ist  der Ausbruch  der  Wut  und  der Verzweiflung  vieler
Stunden, der sich entl

u

dt. Die Gesichter sind  verzerrt, die Arme  schlagen,
die Tiere quietschen, es f

u

llt schwer,  daß wir aufh

u

ren,  fast  h

u

tte
einer den anderen angefallen.
     Der  Ausbruch hat uns  ersch

u

pft. Wir  liegen und warten wieder. Es ist
ein Wunder, daß unser Unterstand noch keine Verluste hat. Er ist einer
der wenigen tiefen Stollen, die es jetzt noch gibt.
     Ein Unteroffizier  kriecht  herein;  der hat ein  Brot  bei  sich. Drei
Leuten ist  es doch gegl

u

ckt,  nachts durchzukommen  und  etwas  Proviant zu
holen. Sie haben erz

u

hlt, daß das Feuer in  unverminderter St

u

rke  bis
zu  den Artilleriest

u

nden l

u

ge. Es sei ein R

u

tsel,  wo  die dr

u

ben  so viele
Gesch

u

tze hern

u

hmen.
     Wir m

u

ssen  warten,  warten.  Mittags passiert  das,  womit  ich  schon
rechnete. Einer der  Rekruten hat einen Anfall.  Ich  habe ihn  schon  lange
beobachtet, wie  er  ruhelos  die  Z

u

hne  bewegte und die  F

u

uste ballte und
schloß. Diese gehetzten, herausspnngenden Augen kennen wir zur Gen

u

ge.
In den letzten Stunden ist er nur scheinbar stiller geworden. Er ist in sich
zusammengesunken wie ein morscher Baum.
     Jetzt  steht  er auf, unauff

u

llig kriecht er durch den  Raum,  verweilt
einen Augenblick und rutscht dann  dem  Ausgang zu. Ich lege  mich herum und
frage: "Wo willst du hin?"
     "Ich bin gleich wieder da", sagt er und will an mir vorbei. "Warte doch
noch, das Feuer l

u

ßt schon nach."
     Er horcht auf, und das Auge wird einen Moment klar.  Dann hat es wieder
den tr

u

ben Glanz wie bei einem tollw

u

tigen Hund, er schweigt und dr

u

ngt mich
fort. "Eine Minute, Kamerad!" rufe ich.
     Kat wird aufmerksam. Gerade als der  Rekrut mich fortst

u

ßt, packt
er zu, und wir halten ihn fest.
     Sofort  beginnt  er zu toben:  "Laßt  mich los,  laßt  mich
'raus, ich will hier'raus!"
     Er h

u

rt  auf nichts  und schl

u

gt  um sich,  der  Mund ist naß und
spr

u

ht  Worte,  halbverschluckte, sinnlose Worte.  Es  ist  ein  Anfall  von
Unterstandsangst, er hat das  Gef

u

hl, hier zu ersticken,  und kennt nur  den
einen Trieb: hinauszugelangen.  Wenn  man ihn  laufen ließe,  w

u

rde er
ohne Deckung irgendwohin rennen. Er ist nicht der erste.
     Da er  sehr  wild ist und  die Augen sich schon verdrehen, so  hilft es
nichts, wir  m

u

ssen ihn  verpr

u

geln,  damit er vern

u

nftig wird. Wir  tun  es
schnell und erbarmungslos und erreichen, daß er vorl

u

ufig wieder ruhig
sitzt.  Die  andern  sind bleich bei  der  Geschichte geworden;  hoffentlich
schreckt es sie ab. Dieses Trommelfeuer ist  zuviel f

u

r die armen Kerle; sie
sind  vom Feldrekrutendepot gleich in  einen Schlamassel geraten, der selbst
einem alten Mann graue Haare machen k

u

nnte.
     Die  stickige  Luft  f

u

llt uns nach  diesem Vorgang noch mehr  auf  die
Nerven. Wir sitzen  wie in unserm Grabe und warten nur darauf, daß wir
zugesch

u

ttet werden. Pl

u

tzlich heult und blitzt es ungeheuer, der Unterstand
kracht  in allen Fugen unter einem Treffer, gl

u

cklicherweise einem leichten,
dem  die   Betonkl

u

tze  standgehalten   haben.  Es  klirrt   metallisch  und
f

u

rchterlich,  die W

u

nde wackeln,  Gewehre,  Helme,  Erde,  Dreck und  Staub
fliegen.  Schwefeliger  Qualm dringt  ein. Wenn  wir  statt  in  dem  festen
Unterstand  in  einem  der leichten Dinger s

u

ßen,  wie sie  neuerdings
gebaut werden, lebte jetzt keiner mehr.
     Die Wirkung ist aber auch so schlimm  genug. Der Rekrut von vorhin tobt
schon wieder, und zwei andere schließen sich an. Einer reißt aus
und  l

u

uft weg. Wir haben M

u

he mit den beiden andern. Ich st

u

rze hinter  dem
Fl

u

chtenden her und 

u

berlege, ob ich ihm in die Beine schießen soll; -
da  pfeift es heran, ich werfe  mich hin,  und als  ich  aufstehe,  ist  die
Grabenwand  mit  heißen  Splittern,  Fleischfetzen  und  Uniformlappen
bepflastert. Ich klettere zur

u

ck.
     Der erste scheint wirklich verr

u

ckt geworden zu sein. Er  rennt mit dem
Kopf wie ein  Bock  gegen die Wand, wenn man  ihn  losl

u

ßt. Wir werden
nachts  versuchen m

u

ssen, ihn nach  hinten zu bringen.  Vorl

u

ufig binden wir
ihn so fest, daß man ihn beim Angriff sofort wieder losmachen kann.
     Kat schl

u

gt vor, Skat zu spielen; - was soll man tun, vielleicht ist es
leichter dann. Aber es wird nichts daraus, wir lauschen auf jeden Einschlag,
der  n

u

her ist, und  verz

u

hlen uns  bei den Stichen  oder bedienen nicht die
Farbe. Wir m

u

ssen es lassen. Wie in einem gewaltig  dr

u

hnenden Kessel sitzen
wir, auf den von allen Seiten losgeschlagen wird.
     Noch  eine  Nacht. Wir sind  jetzt  stumpf vor  Spannung. Es  ist  eine
t

u

dliche  Spannung,  die wie ein schartiges  Messer unser R

u

ckenmark entlang
kratzt. Die Beine wollen nicht mehr, die H

u

nde zittern, der  K

u

rper ist eine
d

u

nne Haut 

u

ber m

u

hsam unterdr

u

cktem Wahnsinn, 

u

ber einem gleich hemmungslos
ausbrechenden Gebr

u

ll  ohne Ende. Wir haben kein Fleisch  und keine  Muskeln
mehr,   wir   k

u

nnen  uns   nicht  mehr   ansehen,   aus  Furcht  vor  etwas
Unberechenbarem.   So  pressen  wir  die  Lippen  aufeinander   -  es   wird
vor

u

bergehen - es wird vor

u

bergehen - vielleicht kommen wir durch.

     Mit  einem Male h

u

ren  die nahen Einschl

u

ge auf. Das  Feuer dauert  an,
aber  es  ist zur

u

ckverlegt, unser  Graben ist  frei.  Wir  greifen nach den
Handgranaten,  werfen  sie  vor  den  Unterstand  und springen  hinaus.  Das
Trommelfeuer hat aufgeh

u

rt, daf

u

r liegt hinter uns ein  schweres Sperrfeuer.
Der Angriff ist da.
     Niemand  w

u

rde  glauben,  daß in  dieser  zerw

u

hlten  W

u

ste  noch
Menschen  sein  k

u

nnten;  aber  jetzt  tauchen 

u

berall  aus  dem  Graben die
Stahlhelme  auf,  und   f

u

nfzig  Meter  von   uns  entfernt  ist  schon  ein
Maschinengewehr in Stellung gebracht, das gleich losbellt.
     Die Drahtverhaue sind zerfetzt. Immerhin halten sie noch etwas auf. Wir
sehen die  St

u

rmenden  kommen.  Unsere  Artillerie  funkt.  Maschinengewehre
knarren,  Gewehre knattern.  Von dr

u

ben  arbeiten sie sich  heran. Haie  und
Kropp beginnen mit  den Handgranaten. Sie werfen,  so  rasch sie k

u

nnen, die
Stiele werden ihnen  abgezogen zugereicht. Haie  wirft sechzig  Meter  weit,
Kropp f

u

nfzig,  das  ist ausprobiert und wichtig. Die  von  dr

u

ben k

u

nnen im
Laufen nicht viel eher etwas machen,  als  bis sie  auf dreißig  Meter
heran sind.
     Wir erkennen  die verzerrten  Gesichter,  die  flachen  Helme,  es sind
Franzosen.  Sie  erreichen  die  Reste  des  Drahtverhaus  und  haben  schon
sichtbare Verluste. Eine ganze Reihe wird von dem Maschinengewehr neben  uns
umgelegt; dann haben wir viele Ladehemmungen, und sie kommen n

u

her.
     Ich  sehe  einen  von ihnen in einen  spanischen  Reiter  st

u

rzen,  das
Gesicht hoch erhoben. Der  K

u

rper sackt zusammen, die H

u

nde  bleiben h

u

ngen,
als  wollte er beten.  Dann f

u

llt der  K

u

rper ganz  weg,  und  nur noch  die
abgeschossenen H

u

nde mit den Armst

u

mpfen h

u

ngen im Draht.
     Im Augenblick, als wir  zur

u

ckgehen, heben sich vorn drei Gesichter vom
Boden. Unter einem der Helme  ein dunkler Spitzbart und zwei Augen, die fest
auf  mich  gerichtet  sind. Ich hebe die Hand, aber ich kann nicht werfen in
diese  sonderbaren  Augen,  einen  verr

u

ckten  Moment lang  rast  die  ganze
Schlacht  wie  ein  Zirkus  um  mich  und  diese  beiden  Augen,  die allein
bewegungslos sind, dann reckt  sich dr

u

ben der  Kopf  auf, eine  Hand,  eine
Bewegung, und meine Handgranate fliegt hin

u

ber, hinein.
     Wir  laufen zur

u

ck,  reißen  spanische Reiter in  den Graben  und
lassen  abgezogene Handgranaten  hinter uns fallen,  die uns  einen feurigen
R

u

ckzug sichern. Von der n

u

chsten Stellung aus feuern die Maschinengewehre.
     Aus  uns  sind gef

u

hrliche  Tiere  geworden.  Wir  k

u

mpfen  nicht,  wir
verteidigen uns vor der Vernichtung. Wir schleudern die Granaten nicht gegen
Menschen, was  wissen  wir  im Augenblick  davon, dort  hetzt mit H

u

nden und
Helmen  der Tod hinter uns her, wir k

u

nnen ihm seit  drei Tagen  zum  ersten
Male ins Gesicht  sehen,  wir k

u

nnen uns  seit  drei  Tagen zum  ersten Male
wehren  gegen ihn,  wir  haben eine  wahnsinnige Wut,  wir liegen nicht mehr
ohnm

u

chtig wartend auf dem Schafott, wir k

u

nnen  zerst

u

ren und t

u

ten, um uns
zu retten und zu r

u

chen.
     Wir  hocken  hinter  jeder Ecke,  hinter jedem Stacheldrahtgestell  und
werfen den Kommenden  B

u

ndel  von Explosionen  vor  die F

u

ße, ehe  wir
forthuschen. Das Krachen der Handgranaten schießt kraftvoll in  unsere
Arme,  in  unsere  Beine, geduckt  wie Katzen  laufen wir,  

u

berschwemmt von
dieser  Welle, die uns  tr

u

gt,  die  uns grausam macht, zu  Wegelagerern, zu
M

u

rdern,   zu   Teufeln   meinetwegen,   dieser  Welle,   die  unsere  Kraft
vervielf

u

ltigt in Angst und Wut und  Lebensgier, die  uns Rettung  sucht und
erk

u

mpft. K

u

me dein Vater  mit  denen  dr

u

ben, du w

u

rdest nicht zaudern, ihm
die Granate gegen die Brust zu werfen!
     Die  vorderen Gr

u

ben werden aufgegeben. Sind es noch  Gr

u

ben? Sie  sind
zerschossen,  vernichtet  -  es  sind  nur  einzelne  Grabenst

u

cke,  L

u

cher,
verbunden durch Laufg

u

nge, Trichternester,  nicht mehr.  Aber  die  Verluste
derer  von  dr

u

ben h

u

ufen  sich.  Sie  haben  nicht  mit so  viel Widerstand
gerechnet.

     Es  wird  Mittag. Die  Sonne  brennt heiß,  uns  beißt  der
Schweiß in die Augen, wir wischen ihn mit dem 

u

rmel  weg, manchmal ist
Blut dabei.  Der erste  etwas  besser erhaltene Graben taucht  auf.  Er  ist
besetzt und  vorbereitet  zum  Gegenstoß,  er  nimmt uns  auf.  Unsere
Artillerie setzt m

u

chtig ein und riegelt den Vorstoß ab.
     Die Linien hinter uns  stocken. Sie  k

u

nnen nicht vorw

u

rts. Der Angriff
wird zerfetzt durch unsere Artillerie. Wir lauern. Das Feuer springt hundert
Meter weiter, und wir brechen wieder vor. Neben mir wird einem Gefreiten der
Kopf abgerissen. Er l

u

uft noch einige Schritte, w

u

hrend das Blut ihm wie ein
Springbrunnen aus dem Halse schießt.
     Es kommt  nicht  ganz  zum Handgemenge, die andern m

u

ssen  zur

u

ck.  Wir
erreichen unsere Grabenst

u

cke wieder und gehen dar

u

ber hinaus vor.
     Oh,   dieses  Umwenden!   Man  hat  die  sch

u

tzenden  Reservestellungen
erreicht,  man m

u

chte hindurchkriechen, verschwinden;  -  und muß sich
umdrehen und wieder  in  das  Grauen hinein. W

u

ren  wir  keine Automaten  in
diesem Augenblick, wir blieben liegen, ersch

u

pft, willenlos. Aber wir werden
wieder mit vorw

u

rts gezogen, willenlos und  doch wahnsinnig wild und w

u

tend,
wir  wollen t

u

ten,  denn das dort  sind unsere Todfeinde jetzt, ihre Gewehre
und Granaten  sind  gegen  uns  gerichtet,  vernichten  wir  sie nicht, dann
vernichten sie uns!
     Die braune  Erde, die zerrissene, zerborstene braune Erde, fettig unter
den   Sonnenstrahlen   schimmernd,  ist  der   Hintergrund  rastlos  dumpfen
Automatentunis, unser Keuchen ist das Abschnarren der Feder, die Lippen sind
trocken, der Kopf ist w

u

ster als nach einer durchsoffenen Nacht - so taumeln
wir  vorw

u

rts, und in unsere durchsiebten, durchl

u

cherten  Seelen bohrt sich
qu

u

lend  eindringlich das Bild der braunen Erde mit der  fettigen  Sonne und
den zuckenden und toten Soldaten, die da liegen, als m

u

ßte es so sein,
die  nach  unsern  Beinen  greifen  und  schreien,  w

u

hrend  wir  

u

ber   sie
hinwegspringen.
     Wir haben alles Gef

u

hl f

u

reinander  verloren, wir kennen uns kaum noch,
wenn  das  Bild  des  andern  in  unseren  gejagten  Blick  f

u

llt.  Wir sind
gef

u

hllose  Tote,  die  durch einen Trick,  einen gef

u

hrlichen  Zauber  noch
laufen und t

u

ten k

u

nnen.
     Ein junger Franzose bleibt zur

u

ck, er wird erreicht, hebt die H

u

nde, in
einer  hat   er   noch  den   Revolver  -  man  weiß  nicht,  will  er
schießen  oder  sich  ergeben  -,  ein  Spatenschlag spaltet  ihm  das
Gesicht. Ein zweiter sieht es und  versucht, weiterzufl

u

chten,  ein Bajonett
zischt ihm in den R

u

cken. Er springt  hoch, und die Arme  ausgebreitet,  den
Mund schreiend  weit offen, taumelt  er davon, in seinem R

u

cken schwankt das
Bajonett. Ein  dritter wirft  das Gewehr weg, kauert sich nieder,  die H

u

nde
vor den Augen. Er bleibt zur

u

ck mit einigen andern Gefangenen, um Verwundete
fortzutragen.
     Pl

u

tzlich geraten wir in der Verfolgung an die feindlichen Stellungen.
     Wir  sind  so dicht  hinter den  weichenden Gegnern,  daß es  uns
gelingt,  fast gleichzeitig mit  ihnen  anzulangen. Dadurch  haben wir wenig
Verluste.  Ein  Maschinengewehr  kl

u

fft,  wird aber  durch  eine Handgranate
erledigt.  Immerhin haben die  paar  Sekunden  f

u

r f

u

nf Bauchsch

u

sse bei uns
ausgereicht.    Kat    schl

u

gt    einem    der    unverwundet    gebliebenen
Maschinengewehrsch

u

tzen  mit dem Kolben  das  Gesicht  zu  Brei.  Die andern
erstechen wir, ehe  sie  ihre  Handgranaten  heraus  haben. Dann  saufen wir
durstig das K

u

hlwasser aus.
     

u

berall knacken Drahtzangen, poltern Bretter 

u

ber die Verhaue, springen
wir  durch  die schmalen  Zug

u

nge  in  die Gr

u

ben.  Haie  st

u

ßt  einem
riesigen  Franzosen  seinen  Spaten  in  den   Hals  und   wirft  die  erste
Handgranate; wir ducken uns einige Sekunden hinter einer Brustwehr, dann ist
das gerade St

u

ck des Grabens vor  uns leer. Schr

u

g 

u

ber  die Ecke zischt der
n

u

chste  Wurf und  schafft freie  Bahn,  im  Vorbeilaufen  fliegen  geballte
Ladungen in die Unterst

u

nde, die Erde ruckt, es kracht,  dampft und  st

u

hnt,
wir stolpern 

u

ber glitschige Fleischfetzen, 

u

ber weiche K

u

rper, ich falle in
einen zerrissenen Bauch, auf dem ein neues, sauberes Offiziersk

u

ppi liegt.
     Das Gefecht  stockt. Die  Verbindung mit dem Feinde  reißt ab. Da
wir uns hier nicht lange halten k

u

nnen, werden wir unter dem Sch

u

tze unserer
Artillerie zur

u

ckgenommen auf  unsere Stellung. Kaum wissen wir  es, als wir
in  gr

u

ßter Eile  noch  in  die  n

u

chsten Unterst

u

nde  st

u

rzen, um von
Konserven  an uns zu reißen,  was  wir  gerade  sehen,  vor  allem die
B

u

chsen mit Corned beef und Butter, ehe wir t

u

rmen.
     Wir kommen gut zur

u

ck. Es erfolgt  vorl

u

ufig kein weiterer  Angriff von
dr

u

ben. 

u

ber eine Stunde liegen  wir, keuchen und ruhen uns aus,  ehe jemand
spricht.  Wir sind so v

u

llig ausgepumpt, daß wir trotz unseres starken
Hungers nicht an die  Konserven denken. Erst allm

u

hlich werden wir wieder so
etwas wie Menschen.
     Das Corned beef  von  dr

u

ben ist  an  der ganzen Front  ber

u

hmt. Es ist
mitunter sogar  der  Hauptgrund zu  einem  

u

berraschenden Vorstoß  von
unserer Seite, denn unsere Ern

u

hrung ist im allgemeinen schlecht; wir  haben
st

u

ndig Hunger.
     Insgesamt haben wir f

u

nf B

u

chsen geschnappt. Die Leute dr

u

ben werden ja
verpflegt,  das  ist  eine  Pracht  gegen  uns   Hungerleider  mit   unserer
R

u

benmarmelade,  das Fleisch  steht  da nur so herum, man braucht bloß
danach   zu  greifen.  Haie  hat  außerdem  ein  d

u

nnes  franz

u

sisches
Weißbrot erwischt und  hinter sein  Koppel geschoben wie einen Spaten.
An einer  Ecke  ist  es ein bißchen  blutig,  doch das l

u

ßt sich
abschneiden.
     Es ist ein  Gl

u

ck, daß  wir  jetzt gut zu essen haben; wir werden
unsere Kr

u

fte  noch  brauchen. Sattessen ist  ebenso  wertvoll wie ein guter
Unterstand; deshalb sind wir  so gierig danach, denn  es kann uns das  Leben
retten.
     Tjaden  hat  noch zwei  Feldflaschen  Kognak  erbeutet. Wir lassen  sie
reihum gehen.

     Der Abendsegen  beginnt.  Die  Nacht  kommt, aus  den Trichtern steigen
Nebel. Es sieht  aus, als  w

u

ren  die  L

u

cher von  gespenstigen Geheimnissen
erf

u

llt. Der  weiße Dunst kriecht  angstvoll  umher, ehe er wagt, 

u

ber
den  Rand  hinwegzugleiten.  Dann ziehen  lange  Streifen  von  Trichter  zu
Trichter.
     Es ist  k

u

hl. Ich bin auf Posten  und starre in die Dunkelheit. Mir ist
schwach zumute,  wie  immer nach  einem  Angriff,  und deshalb  wird es  mir
schwer,  mit  meinen Gedanken  allein zu sein.  Es sind  keine  eigentlichen
Gedanken; es sind Erinnerungen, die mich in meiner Schw

u

che jetzt heimsuchen
und mich sonderbar stimmen.
     Die  Leuchtschirme  gehen   hoch  -   und  ich  sehe  ein  Bild,  einen
Sommerabend, wo  ich  im Kreuzgang  des Domes  bin und  auf hohe Rosenb

u

sche
schaue,  die  in der  Mitte  des  kleinen  Kreuzgartens  bl

u

hen, in  dem die
Domherren begraben werden. Rundum  stehen die  Steinbilder der Stationen des
Rosenkranzes. Niemand ist da; - eine große Stille h

u

lt dieses bl

u

hende
Viereck  umfangen, die Sonne  liegt warm auf den dicken  grauen Steinen, ich
lege  meine  Hand darauf  und f

u

hle  die W

u

rme. 

u

ber der  rechten  Ecke  des
Schieferdaches  strebt  der  gr

u

ne Domturm  in das matte,  weiche  Blau  des
Abends. Zwischen den begl

u

nzten kleinen  S

u

ulen der  umlaufenden  Kreuzg

u

nge
ist das k

u

hle  Dunkel,  das nur Kirchen haben, und ich stehe  dort und denke
daran, daß ich mit zwanzig Jahren die verwirrenden Dinge kennen werde,
die von den Frauen kommen.
     Das  Bild  ist  best

u

rzend  nahe,  es  r

u

hrt mich an, ehe  es unter dem
Aufflammen der n

u

chsten Leuchtkugel zergeht.
     Ich  fasse mein Gewehr  und r

u

cke es  zurecht. Der Lauf ist feucht, ich
lege meine Hand fest darum und zerreibe die Feuchtigkeit mit den Fingern.
     Zwischen  den Wiesen hinter unserer Stadt erhob sich an einem Bach eine
Reihe von alten Pappeln. Sie waren weithin sichtbar, und obschon sie nur auf
einer Seite standen,  hießen sie die  Pappelallee.  Schon  als  Kinder
hatten wir eine Vorliebe f

u

r sie, unerkl

u

rlich zogen sie uns an,  ganze Tage
verbrachten   wir  bei  ihnen  und  honen  ihrem  leisen  Rauschen  zu.  Wir
saßen  unter ihnen am Ufer des Baches und ließen  die F

u

ße
in die hellen,  eiligen Wellen  h

u

ngen. Der reine Duft des  Wassers  und die
Melodie des Windes in den Pappeln beherrschten unsere Phantasie. Wir liebten
sie  sehr, und das  Bild  dieser  Tage  l

u

ßt  mir jetzt noch  das Herz
klopfen, ehe es wieder geht.
     Es  ist  seltsam,  daß   alle   Erinnerungen,  die  kommen,  zwei
Eigenschaften haben.  Sie sind immer voll  Stille, das  ist  das St

u

rkste an
ihnen, und selbst  dann,  wenn  sie es  nicht in  dem Maße in Wahrheit
waren, wirken  sie so. Sie sind lautlose Erscheinungen, die zu mir  sprechen
mit Blicken und Geb

u

rden,  wortlos  und  schweigend, - und ihr Schweigen ist
das Ersch

u

tternde, das mich zwingt, meinen 

u

rmel anzufassen und mein Gewehr,
um  mich  nicht  vergehen zu lassen in dieser Aufl

u

sung und  Lockung, in der
mein K

u

rper sich ausbreiten und sanft zerfließen m

u

chte zu den stillen
M

u

chten hinter den Dingen.
     Sie sind so still, weil das f

u

r uns so unbegreiflich ist. An  der Front
gibt es keine Stille, und der Bann  der Front reicht so weit, daß  wir
nie außerhalb von ihr  sind. Auch  in den  zur

u

ckgelegenen  Depots und
Ruhequartieren bleibt das Summen und das ged

u

mpfte Poltern des  Feuers stets
in  unseren Ohren.  Wir sind  nie so weit fort, daß wir es  nicht mehr
h

u

ren. In diesen Tagen aber war es unertr

u

glich.
     Die Stille ist die Ursache daf

u

r, daß die Bilder des Fr

u

her nicht
so  sehr  W

u

nsche  erwecken  als   Trauer  -  eine  ungeheure,  fassungslose
Schwermut.  Sie waren - aber sie  kehren  nicht wieder. Sie sind vorbei, sie
sind eine andere Welt, die f

u

r uns vor

u

ber ist. Auf den Kasernenh

u

fen riefen
sie  ein  rebellisches,  wildes Begehren  hervor, da waren sie noch  mit uns
verbunden,  wir geh

u

rten  zu ihnen und  sie zu  uns, wenn wir  auch getrennt
waren. Sie stiegen  auf bei den Soldatenliedern,  die wir sangen,  wenn  wir
zwischen  Morgenrot  und  schwarzen Waldsilhouetten  zum Exerzieren nach der
Heide  marschierten, sie waren eine heftige  Erinnerung, die in uns war  und
aus uns kam.
     Hier in den Gr

u

ben aber ist sie  uns verlorengegangen. Sie steigt nicht
mehr  aus uns auf; - wir sind tot, und  sie steht fern am  Horizont, sie ist
eine Erscheinung, ein r

u

tselhafter Widerschein,  der uns  heimsucht, den wir
f

u

rchten und ohne Hoffnung  lieben.  Sie  ist  stark, und unser Begehren ist
stark -  aber sie  ist  unerreichbar,  und  wir wissen  es. Sie  ist  ebenso
vergeblich wie die Erwartung, General zu werden.
     Und selbst  wenn  man  sie  uns  wiederg

u

be,  diese Landschaft  unserer
Jugend, wir  w

u

rden wenig  mehr mit ihr  anzufangen wissen. Die  zarten  und
geheimen Kr

u

fte, die von ihr zu uns gingen, k

u

nnen nicht wiedererstehen. Wir
w

u

rden  in ihr  sein  und in ihr  umgehen; wir  w

u

rden uns erinnern  und sie
lieben und bewegt sein von ihrem Anblick. Aber es w

u

re das gleiche, wie wenn
wir  nachdenklich werden vor  der Fotografie eines  toten Kameraden; es sind
seine  Z

u

ge,  es ist sein Gesicht, und  die Tage, die  wir mit  ihm zusammen
waren, gewinnen ein tr

u

gerisches Leben in unserer Erinnerung; aber er ist es
nicht selbst.
     Wir w

u

rden  nicht mehr verbunden sein mit ihr,  wie wir es waren. Nicht
die Erkenntnis  ihrer Sch

u

nheit und ihrer  Stimmung  hat  uns  ja angezogen,
sondern  das  Gemeinsame,  dieses  Gleichf

u

hlen  einer Br

u

derschaft  mit den
Dingen  und  Vorf

u

llen unseres Seins, die  uns  abgrenzte  und  uns die Welt
unserer Eltern immer etwas unverst

u

ndlich machte; - denn wir waren irgendwie
immer z

u

rtlich an sie verloren und hingegeben,  und das Kleinste m

u

ndete uns
einmal  immer  in  den Weg  der  Unendlichkeit.  Vielleicht  war es  nur das
Vorrecht unserer Jugend - wir sahen noch keine Bezirke,  und nirgendwo gaben
wir  ein Ende  zu; wir  hatten die Erwartung des Blutes, die uns eins machte
mit dem Verlauf unserer Tage.
     Heute  w

u

rden wir  in  der  Landschaft  unserer Jugend  umhergehen  wie
Reisende.  Wir  sind  verbrannt von Tatsachen, wir  kennen  Unterschiede wie
H

u

ndler und Notwendigkeiten wie Schl

u

chter. Wir sind  nicht mehr unbek

u

mmert
-  wir sind f

u

rchterlich gleichg

u

ltig.  Wir w

u

rden da sein; aber  w

u

rden wir
leben?
     Wir sind verlassen wie Kinder und erfahren wie alte Leute, wir sind roh
und traurig und oberfl

u

chlich - ich glaube, wir sind verloren.

     Meine H

u

nde  werden kalt,  und  meine Haut schauert; dabei ist  es eine
warme Nacht. Nur der Nebel ist k

u

hl, dieser unheimliche Nebel, der die Toten
vor uns beschleicht und ihnen das letzte, verkrochene Leben aussaugt. Morgen
werden sie bleich und gr

u

n sein und ihr Blut gestockt und schwarz.
     Immer   noch   steigen   die  Leuchtschirme  empor   und   werfen   ihr
erbarmungsloses Licht 

u

ber  die versteinerte Landschaft, die voll Krater und
Lichtk

u

lte  ist wie ein  Mond. Das Blut unter meiner Haut bringt  Furcht und
Unruhe herauf in meine Gedanken. Sie werden schwach  und zittern, sie wollen
W

u

rme und Leben. Sie k

u

nnen es nicht  aushaken ohne Trost und T

u

uschung, sie
verwirren sich vor dem nackten Bilde der Verzweiflung.
     Ich  h

u

re  das Klappern von Kochgeschirren und habe sofort  das heftige
Verlangen  nach warmem  Essen, es wird mir gut tun  und  mich beruhigen. Mit
M

u

he zwinge ich mich, zu warten, bis ich abgel

u

st werde.
     Dann gehe ich in den Unterstand und finde einen Becher mit Graupen vor.
Sie sind  fett gekocht  und schmecken gut, ich  esse  sie  langsam. Aber ich
bleibe  still, obschon  die andern  besser  gelaunt  sind,  weil  das  Feuer
eingeschlafen ist.

     Die  Tage  gehen   hin,   und   jede  Stunde   ist  unbegreiflich   und
selbstverst

u

ndlich. Die Angriffe wechseln  mit  Gegenangriffen,  und langsam
h

u

ufen  sich auf  dem Trichterfeld  zwischen  den  Gr

u

bern  die  Toten.  Die
Verwundeten,  die  nicht sehr  weit  weg liegen,  k

u

nnen wir meistens holen.
Manche aber m

u

ssen lange liegen, und wir h

u

ren sie sterben.
     Einen suchen wir  vergeblich  zwei Tage hindurch. Er  muß auf dem
Bauche liegen  und sich nicht mehr umdrehen k

u

nnen. Anders ist  es  nicht zu
erkl

u

ren,  daß wir ihn  nicht finden; denn nur wenn  man mit dem Munde
dicht auf dem Boden schreit, ist die Richtung so schwer festzustellen.
     Er  wird  einen  b

u

sen   Schuß  haben,   eine   dieser  schlimmen
Verletzungen, die nicht so stark sind, daß sie den K

u

rper rasch derart
schw

u

chen, daß man halb bet

u

ubt verd

u

mmert, und auch nicht  so leicht,
daß man die Schmerzen mit der Aussicht  ertragen kann,  wieder heil zu
werden.  Kat meint,  er h

u

tte entweder eine Beckenzertr

u

mmerung  oder  einen
Wirbels

u

ulenschuß. Die Brust sei nicht verletzt, sonst bes

u

ße er
nicht so viel  Kraft  zum Schreien. Man m

u

ßte  ihn  bei einer  anderen
Verletzung sich auch bewegen sehen.
     Er wird  allm

u

hlich  heiser.  Die Stimme ist  so ungl

u

cklich  im Klang,
daß  sie  

u

berall  herkommen k

u

nnte. In der ersten Nacht  sind dreimal
Leute von uns draußen. Aber wenn  sie glauben, die Richtung  zu haben,
und  schon hinkriechen, ist  die  Stimme beim n

u

chstenmal, wenn sie horchen,
wieder ganz anderswo.
     Bis in  die D

u

mmerung  hinein suchen wir vergeblich. Tags

u

ber wird  das
Gel

u

nde mit Gl

u

sern durchforscht;  nichts ist zu entdecken. Am  zweiten  Tag
wird  der  Mann  leiser; man  merkt,  daß  die  Lippen  und  der  Mund
vertrocknet sind.
     Unser Kompanief

u

hrer hat  dem, der  ihn findet, Vorzugsurlaub und  drei
Tage Zusatz versprochen. Das ist ein m

u

chtiger Anreiz, aber  wir w

u

rden auch
ohne das  tun, was m

u

glich ist;  denn das Rufen ist furchtbar. Kat und Kropp
gehen sogar nachmittags noch  einmal vor. Albert wird  das Ohrl

u

ppchen dabei
abgeschossen. Es ist umsonst, sie haben ihn nicht bei sich.
     Dabei ist  deutlich zu verstehen, was er ruft.  Zuerst hat er immer nur
um Hilfe geschrien - in der zweiten Nacht muß er etwas  Fieber  haben,
er  spricht mit  seiner  Frau und  seinen  Kindern, wir k

u

nnen oft den Namen
Elise heraush

u

ren.  Heute weint er nur noch. Abends  erlischt  die Stimme zu
einem Kr

u

chzen. Aber er  st

u

hnt noch  die ganze Nacht leise. Wir h

u

ren es so
genau, weil  der Wind auf  unsern  Graben  zusteht.  Morgens,  als wir schon
glauben, er habe l

u

ngst  Ruhe, dringt  noch  einmal  ein gurgelndes  R

u

cheln
her

u

ber -.
     Die Tage sind  heiß, und die Toten  liegen unbeerdigt. Wir k

u

nnen
sie  nicht alle  holen,  wir  wissen nicht, wohin wir mit  ihnen sollen. Sie
werden von den  Granaten  beerdigt.  Manchen  treiben  die  B

u

uche  auf  wie
Ballons. Sie zischen, r

u

lpsen und bewegen sich. Das Gas rumort in ihnen.
     Der Himmel ist blau und ohne Wolken.  Abends wird es  schw

u

l, j und die
Hitze steigt aus  der Erde. Wenn der  Wind zu uns her

u

berweht, bringt er den
Blutdunst  mit,  der   schwer  und  widerw

u

rtig  s

u

ßlich  ist,  diesen
Totenbrodem der Trichter, der aus Chloroform und Verwesung gemischt  scheint
und uns 

u

belkeiten und Erbrechen verursacht.

     Die N

u

chte  werden  ruhig, und die Jagd auf die kupfernen F

u

hrungsringe
der  Granaten und die Seidenschirme der franz

u

sischen Leuchtkugeln geht los.
Weshalb  die  F

u

hrungsringe  so  begehrt sind, weiß  eigentlich keiner
recht. Die Sammler behaupten einfach, sie seien wertvoll. Es gibt Leute, die
so viel davon mitschleppen, daß sie  krumm und schief  darunter gehen,
wenn wir abr

u

cken.
     Haie gibt  wenigstens einen  Grund an;  er will  sie  seiner  Braut als
Strumpfb

u

nderersatz  schicken.  Dar

u

ber  bricht  bei den  Friesen  nat

u

rlich
unb

u

ndige Heiterkeit aus; sie schlagen sich auf die Knie, das ist ein  Witz,
Donnerwetter, der Haie, der hat es hinter den  Ohren. Besonders Tjaden  kann
sich gar  nicht fassen;  er  hat den gr

u

ßten der Ringe in der Hand und
steckt alle Augenblicke sein  Bein hindurch, um zu zeigen,  wieviel  da noch
frei  ist.  "Haie,  Mensch, die  muß  ja Beine haben,  Beine"  - seine
Gedanken klettern  etwas  h

u

her  -, "und einen Hintern muß die dann ja
haben, wie - wie ein Elefant."
     Er kann sich  nicht genug tun.  "Mit der m

u

chte ich mal Schinkenkloppen
spielen, meine Fresse..."
     Haie  strahlt,   weil  seine  Braut   soviel  Anerkennung  findet,  und

u

ußert selbstzufrieden und knapp: "Stramm isse!"
     Die Seidenschirme sind praktischer zu verwerten. Drei oder vier ergeben
eine  Bluse,  je  nach  der  Brustweite.  Kropp  und ich  brauchen  sie  als
Taschent

u

cher. Die andern  schicken  sie nach Hause.  Wenn  die Frauen sehen
k

u

nnten,  mit wieviel  Gefahr diese d

u

nnen Lappen oft geholt  werden, w

u

rden
sie einen sch

u

nen Schreck kriegen.
     Kat 

u

berrascht Tjaden, wie er von einem Blindg

u

nger in aller Seelenruhe
die Ringe abzuklopfen  versucht. Bei jedem andern w

u

re  das Ding explodiert,
Tjaden hat wie stets Gl

u

ck.
     Einen  ganzen Vormittag spielen zwei Schmetterlinge  vor unserm Graben.
Es sind Zitronenfalter, ihre gelben  Fl

u

gel haben rote Punkte. Was  mag  sie
nur hierher verschlagen  haben; weit und breit  ist keine  Pflanze und keine
Blume. Sie ruhen sich auf den Z

u

hnen eines  Sch

u

dels aus. Ebenso sorglos wie
sie sind die V

u

gel, die sich l

u

ngst an den Krieg gew

u

hnt haben. Jeden Morgen
steigen  Lerchen zwischen  der Front auf. Vor einem Jahr  konnten  wir sogar
br

u

tende beobachten, die ihre Jungen auch hochbekamen.
     Vor den  Ratten haben wir Ruhe im Graben. Sie sind  vorn  - wir wissen,
wozu. Sie werden fett; wo wir  eine sehen, knallen wir sie weg. Nachts h

u

ren
wir  wieder das Rollen von dr

u

ben. Tags

u

ber haben wir nur das normale Feuer,
so daß  wir die  Gr

u

ben ausbessern k

u

nnen.  Unterhaltung ist ebenfalls
da, die Flieger sorgen daf

u

r. T

u

glich finden zahlreiche K

u

mpfe ihr Publikum.
     Die    Kampfflieger    lassen    wir    uns    gefallen,    aber    die
Beobachtungsflugzeuge  hassen  wir  wie die Pest;  denn  sie  holen  uns das
Artilleriefeuer her

u

ber. Ein paar Minuten  nachdem sie erscheinen, funkt  es
von Schrapnells und Granaten. Dadurch verlieren wir elf Leute an  einem Tag,
darunter  f

u

nf  Sanit

u

ter. Zwei  werden  so zerschmettert,  daß Tjaden
meint,  man k

u

nne  sie mit  dem L

u

ffel von  der Grabenwand abkratzen  und im
Kochgeschirr beerdigen.  Einem  andern  wird  der Unterleib  mit  den Beinen
abgerissen.  Er  lehnt  tot  auf  der  Brust im  Graben,  sein  Gesicht  ist
zitronengelb, zwischen dem Vollbart  glimmt  noch die Zigarette. Sie glimmt,
bis sie auf den Lippen verzischt.
     Wir legen  die Toten vorl

u

ufig in einen großen Trichter.  Es sind
bis jetzt drei Lagen 

u

bereinander.

     Pl

u

tzlich  beginnt  das Feuer  nochmals zu trommeln.  Bald  sitzen  wir
wieder in der gespannten Starre des unt

u

tigen Wartens.
     Angriff,  Gegenangriff,  Stoß, Gegenstoß  - das sind Worte,
aber  was  umschließen sie!  Wir verlieren  viele  Leute,  am  meisten
Rekruten.  Auf  unserem  Abschnitt  wird wieder Ersatz eingeschoben. Es  ist
eines der neuen Regimenter, fast lauter junge Leute der letzten ausgehobenen
Jahrg

u

nge. Sie haben kaum  eine Ausbildung, nur theoretisch haben  sie etwas

u

ben k

u

nnen, ehe sie ins Feld r

u

ckten. Was eine Handgranate ist,  wissen sie
zwar, aber von  Deckung haben sie  wenig Ahnung, vor allen  Dingen haben sie
keinen Blick daf

u

r. Eine Bodenwelle muß schon einen halben Meter  hoch
sein, ehe sie von ihnen gesehen wird.
     Obschon wir notwendig Verst

u

rkung brauchen, haben  wir fast mehr Arbeit
mit den  Rekruten, als daß  sie uns n

u

tzen. Sie sind hilflos in diesem
schweren Angriff s gebiet und fallen wie die Fliegen. Der Stellungskampf von
heute erfordert Kenntnisse  und Erfahrungen,  man  muß Verst

u

ndnis f

u

r
das Gel

u

nde haben, man muß die Geschosse, ihre Ger

u

usche und Wirkungen
im Ohr haben, man muß vorausbestimmen k

u

nnen, wo sie einbauen, wie sie
streuen und wie man sich sch

u

tzt.
     Dieser junge Ersatz weiß  nat

u

rlich  von  alledem noch  fast  gar
nichts. Er wird aufgerieben, weil er kaum ein Schrapnell von  einer  Granate
unterscheiden kann,  die Leute  werden weggem

u

ht, weil sie angstvoll auf das
Heulen der ungef

u

hrlichen großen, weit hinten einbauenden Kohlenk

u

sten
lauschen  und  das pfeifende, leise Surren  der flach zerspritzenden kleinen
Biester  

u

berh

u

ren.  Wie  die  Schafe dr

u

ngen  sie  sich  zusammen,  anstatt
auseinanderzulaufen, und selbst  die Verwundeten werden  noch wie  Hasen von
den Fliegern abgeknallt.
     Die blassen  Steckr

u

bengesichter,  die  armselig gekrallten H

u

nde,  die
jammervolle  Tapferkeit  dieser  armen  Hunde,  die  trotzdem  vorgehen  und
angreifen, dieser braven, armen Hunde,  die so versch

u

chtert sind, daß
sie nicht laut zu schreien wagen und mit zerrissenen Br

u

sten und B

u

uchen und
Armen und Beinen leise nach ihrer  Mutter wimmern und gleich  aufh

u

ren, wenn
man sie ansieht!
     Ihre  toten,  flaumigen,  spitzen  Gesichter  haben  die   entsetzliche
Ausdruckslosigkeit gestorbener Kinder.
     Es sitzt einem in der Kehle, wenn man sie ansieht,  wie sie aufspringen
und laufen und fallen. Man m

u

chte sie verpr

u

geln, weil sie so
     dumm sind, und sie auf die Arme nehmen und  wegbringen von hier, wo sie
nichts zu  suchen haben. Sie tragen ihre grauen R

u

cke und Hosen und Stiefel,
aber den meisten ist die Uniform zu weit, sie schlottert um die Glieder, die
Schultern sind zu schmal, die K

u

rper sind zu gering, es gab keine Uniformen,
die f

u

r dieses Kindermaß eingerichtet waren.
     Auf einen alten Mann fallen  f

u

nf bis zehn Rekruten. Ein 

u

berraschender
Gasangriff rafft viele weg. Sie sind nicht dazu gelangt, zu ahnen, was ihrer
wartete. Einen  Unterstand  voll finden wir mit blauen K

u

pfen  und schwarzen
Lippen.  In  einem Trichter haben  sie die  Masken  zu fr

u

h losgemacht;  sie
wußten nicht, daß sich das Gas auf  dem Grunde am l

u

ngsten h

u

lt;
als sie andere ohne Maske  oben sahen, rissen sie sie auch ab und schluckten
noch genug,  um sich die Lungen zu verbrennen. Ihr Zustand ist hoffnungslos,
sie w

u

rgen sich mit Blutst

u

rzen und Erstickungsanf

u

llen zu Tode.

     In  einem  Grabenst

u

ck   sehe   ich  mich   pl

u

tzlich  Himmelstoß
gegen

u

ber. Wir  ducken  uns in demselben  Unterstand.  Atemlos  liegt  alles
beieinander und wartet ab, bis der Vorstoß einsetzt.
     Obschon ich sehr erregt bin, schießt  mir beim  Hinauslaufen doch
noch der Gedanke durch den Kopf: Ich sehe Himmelstoß nicht mehr. Rasch
springe ich in den Unterstand zur

u

ck und finde ihn, wie er in der Ecke liegt
mit  einem  kleinen Streifschuß  und den  Verwundeten  simuliert. Sein
Gesicht ist  wie verpr

u

gelt. Er hat  einen  Angstkoller, er ist ja auch noch
neu  hier.   Aber   es   macht  mich  rasend,  daß  der  junge  Ersatz
draußen ist und er hier.
     "Raus!" fauche ich.
     Er r

u

hrt sich nicht, die Lippen zittern, der Schnurrbart bebt.
     "Raus!" wiederhole ich.
     Er zieht die Beine an, dr

u

ckt sich an die Wand und bleckt die Z

u

hne wie
ein K

u

ter.
     Ich fasse ihn am Arm  und will  ihn hochreißen. Er qu

u

kt auf.  Da
gehen  meine  Nerven durch. Ich habe ihn am  Hals,  sch

u

ttele ihn wie  einen
Sack, daß der Kopf hin  und her fliegt, und  schreie  ihm ins Gesicht:
"Du Lump, willst du 'raus - du Hund, du  Schinder, du willst  dich dr

u

cken?"
Er verglast, ich  schleudere seinen Kopf gegen die Wand  - "Du  Vieh" -  ich
trete ihm  in  die Rippen -  "Du Schwein" - ich stoße ihn vorw

u

rts mit
dem Kopf voran hinaus.
     Eine neue Welle von uns kommt gerade vorbei. Ein Leutnant ist dabei. Er
sieht    uns    und    ruft:    "Vorw

u

rts,   vorw

u

rts,    anschließen,
anschließen  -!" Und was meine Pr

u

gel nicht vermocht haben, das wirkte
dieses Wort. Himmelstoß h

u

rt den Vorgesetzten, sieht sich erwachend um
und schließt sich an.
     Ich  folge  und  sehe  ihn  springen.  Er  ist  wieder  der  schneidige
Himmelstoß des Kasernenhofes, er hat sogar den  Leutnant eingeholt und
ist weit voraus. -

     Trommelfeuer,   Sperrfeuer,   Gardinenfeuer,    Minen,    Gas,   Tanks,
Maschinengewehre, Handgranaten - Worte, Worte,  aber sie umfassen das Grauen
der Welt.
     Unsere Gesichter sind verkrustet, unser Denken ist verw

u

stet,  wir sind
todm

u

de; - wenn der Angriff kommt,  m

u

ssen manche mit den F

u

usten geschlagen
werden, damit sie erwachen  und mitgehen; -  die Augen  sind  entz

u

ndet, die
H

u

nde zerrissen, die Knie bluten, die Ellbogen sind zerschlagen.
     Vergehen Wochen - Monate -Jahre? Es sind nur Tage. - Wir sehen die Zeit
neben uns  schwinden in den farblosen Gesichtern der Sterbenden, wir l

u

ffeln
Nahrung  in uns hinein,  wir  laufen,  wir werfen, wir  schießen,  wir
t

u

ten, wir liegen herum, wir sind schwach und stumpf, und nur das  h

u

lt uns,
daß noch Schw

u

chere, noch Stumpfere, noch Hilflosere  da sind, die mit
aufgerissenen Augen uns ansehen als  G

u

tter, die manchmal dem Tode entrinnen
k

u

nnen.
     In den wenigen Stunden der Ruhe unterweisen wir sie. "Da, siehst du den
Wackeltopp? Das ist eine Mine, die kommt! Bleib liegen, sie geht dr

u

ben hin.
Wenn sie aber so geht, dann reiß aus! Man kann vor ihr weglaufen."
     Wir machen ihre  Ohren scharf auf  das heimt

u

ckische Surren der kleinen
Dinger, die man kaum vernimmt, sie sollen sie aus dem Krach herauskennen wie
M

u

ckensummen; - wir  bringen ihnen bei, daß  sie gef

u

hrlicher sind als
die großen, die man lange vorher h

u

rt.
     Wir zeigen ihnen, wie man sich vor Fliegern verbirgt, wie man den toten
Mann  macht,  wenn  man  vom Angriff  

u

berrannt  wird, wie  man Handgranaten
abziehen  muß,  damit  sie  eine  halbe  Sekunde   vor  dem  Aufschlag
explodieren;  -  wir  lehren   sie,  vor   Granaten   mit   Aufschlagz

u

ndern
blitzschnell in Trichter zu fallen, wir machen vor, wie man mit einem B

u

ndel
Handgranaten  einen Graben  aufrollt,  wir  erM

u

ren den  Unterschied  in der
Z

u

ndungsdauer zwischen den gegnerischen Handgranaten und unseren, wir machen
sie auf  den Ton der Gasgranaten aufmerksam und zeigen ihnen die Kniffe, die
sie vor dem Tode retten k

u

nnen. Sie h

u

ren zu, sie sind folgsam -  aber  wenn
es  wieder  losgeht, machen sie  es in  der  Aufregung meistens  doch wieder
falsch.
     Haie Westhus wird mit  abgerissenem R

u

cken  fortgeschleppt;  bei  jedem
Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde. Ich kann ihm noch die Hand dr

u

cken;
- "is alle, Paul", st

u

hnt er und beißt sich vor Schmerz in die Arme.
     Wir sehen Menschen leben, denen  der Sch

u

del fehlt; wir  sehen Soldaten
laufen,  denen  beide  F

u

ße  weggefetzt  sind;  sie  stolpern  auf den
splitternden  St

u

mpfen  bis zum  n

u

chsten  Loch; ein  Gefreiter kriecht zwei
Kilometer  weit auf den H

u

nden und  schleppt die zerschmetterten Knie hinter
sich her;  ein anderer geht zur Verbandsstelle, und 

u

ber seine festhaltenden
H

u

nde quellen  die D

u

rme;  wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne
Gesicht; wir finden jemand, der mit den Z

u

hnen  zwei  Stunden die Schlagader
seines  Armes  klemmt, um nicht zu  verbluten, die Sonne geht auf, die Nacht
kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende.
     Doch das St

u

ckchen zerw

u

hlter Erde,  in dem  wir  liegen,  ist gehalten
gegen die 

u

bermacht, nur wenige hundert Meter sind preisgegeben worden. Aber
auf jeden Meter kommt ein Toter.

     Wir werden  abgel

u

st. Die R

u

der rollen unter uns weg, wir stehen dumpf,
und wenn der Ruf: "Achtung  - Draht!" kommt, gehen wir  in die Kniebeuge. Es
war Sommer, als wir hier  vor

u

berfuhren,  die B

u

ume waren noch  gr

u

n,  jetzt
sehen sie schon herbstlich aus, und die Nacht ist grau und feucht. Die Wagen
halten, wir klettern
     97
     hinunter,  ein  durcheinandergew

u

rfelter  Haufen, ein Rest  von  vielen
Namen.  An  den  Seiten,  dunkel,  stehen  Leute und rufen  die  Nummern von
Regimentern, von Kompanien aus. Und bei jedem Ruf sondert sich ein  H

u

uflein
ab,  ein  karges,  geringes  H

u

uflein  schmutziger,  fahler   Soldaten,  ein
furchtbar kleines H

u

uflein und ein furchtbar kleiner Rest.
     Nun ruft jemand die Nummer unserer Kompanie, es ist, man  h

u

rt  es, der
Kompanief

u

hrer, er ist also davongekommen, sein Arm  liegt in der Binde. Wir
treten zu ihm hin, und ich erkenne Kat und Albert, wir stellen uns zusammen,
lehnen uns aneinander und sehen uns an.
     Und noch einmal und noch einmal h

u

ren wir unsere Nummer rufen.  Er kann
lange rufen, man h

u

rt ihn nicht in den Lazaretten und den Trichtern.
     Noch einmal: "Zweite Kompanie hierher!"
     Und dann  leiser: "Niemand mehr  zweite Kompanie?"  Er schweigt und ist
etwas heiser, als er fragt: "Das sind alle?" und befiehlt: "Abz

u

hlen!"
     Der  Morgen ist grau, es war noch Sommer, als wir hinausgingen, und wir
waren  hundertf

u

nfzig Mann.  Jetzt  friert  uns, es ist Herbst, die  Bl

u

tter
rascheln, die Stimmen flattern  m

u

de auf: "Eins -  zwei -drei - vier -", und
bei zweiunddreißig  schweigen  sie.  Und es schweigt  lange,  ehe  die
Stimme fragt: "Noch  jemand?" - und wartet und  dann leise sagt: "In Gruppen
-", und doch abbricht und nur vollenden kann: "Zweite Kompanie -", m

u

hselig:
"Zweite Kompanie - ohne Tritt marsch!"
     Eine   Reihe,   eine   kurze   Reihe  tappt  in  den   Morgen   hinaus,
Zweiunddreißig Mann.



     Man nimmt uns weiter als sonst zur

u

ck, in ein Feld-Rekrutendepot, damit
wir dort  neu zusammengestellt werden k

u

nnen. Unsere Kompanie  braucht  

u

ber
hundert Mann Ersatz.
     Einstweilen bummeln wir umher, wenn wir keinen Dienst machen. Nach zwei
Tagen  kommt  Himmelstoß zu  uns.  Seine  große  Schnauze hat er
verloren, seit er im Graben war. Er schl

u

gt vor, daß wir uns vertragen
wollen.  Ich bin bereit, denn ich habe  gesehen, daß er Haie  Westhus,
dem der R

u

cken weggerissen wurde, mit fortgebracht hat. Da er außerdem
wirklich vern

u

nftig redet, haben wir nichts dabei, daß er  uns  in die
Kantine einl

u

dt. NurTjaden ist mißtrauisch und reserviert.
     Doch auch er wird gewonnen, denn Himmelstoß erz

u

hlt, daß er
den in Urlaub  fahrenden K

u

chenbullen vertreten soll. Als Beweis daf

u

r r

u

ckt
er sofort zwei Pfund Zucker f

u

r uns und ein  halbes  Pfund Butter f

u

r Tjaden
besonders heraus. Er sorgt sogar daf

u

r, daß  wir f

u

r die n

u

chsten drei
Tage  in die K

u

che  zum Kartoffel- und Steckr

u

bensch

u

len kommandiert werden.
Das Essen, das er uns dort vorsetzt, ist tadellose Offizierskost.
     So haben wir im Augenblick wieder die beiden  Dinge, die der Soldat zum
Gl

u

ck braucht: gutes Essen und Ruhe. Das ist wenig, wenn man es bedenkt. Vor
ein paar Jahren noch h

u

tten wir uns furchtbar verachtet. Jetzt sind wir fast
zufrieden. Alles ist Gewohnheit, auch der Sch

u

tzengraben.
     Diese Gewohnheit ist der Grund  daf

u

r, daß wir scheinbar so rasch
vergessen. Vorgestern waren wir noch im Feuer, heute machen wir Albernheiten
und fechten uns  durch die Gegend, morgen gehen wir wieder in den Graben. In
Wirklichkeit vergessen wir nichts.  Solange wir  hier im  Felde sein m

u

ssen,
sinken die Fronttage, wenn sie vorbei sind, wie Steine in uns hinunter, weil
sie  zu schwer sind,  um sofort dar

u

ber  nachdenken zu k

u

nnen. T

u

ten wir es,
sie w

u

rden uns hinterher erschlagen; denn soviel habe ich schon gemerkt: Das
Grauen  l

u

ßt sich ertragen, solange  man sich  einfach duckt; aber  es
t

u

tet, wenn man dar

u

ber nachdenkt.
     Genau wie wir  zu Tieren werden, wenn wir  nach vorn gehen, weil es das
einzige  ist,  was  uns  durchbringt,  so   werden  wir  zu  oberfl

u

chlichen
Witzbolden und Schlafm

u

tzen,  wenn wir  in Ruhe sind.  Wir k

u

nnen  gar nicht
anders, es  ist f

u

rmlich  ein  Zwang. Wir  wollen leben um jeden  Preis;  da
k

u

nnen wir uns nicht  mit Gef

u

hlen belasten, die f

u

r  den Frieden  dekorativ
sein  m

u

gen, hier aber falsch sind. Kemmerich ist tot, Haie  Westhus stirbt,
mit dem K

u

rper Hans  Kramers werden sie am J

u

ngsten Tage Last haben, ihn aus
einem Volltreffer zusammenzuklauben, Martens hat keine Beine mehr, Meyer ist
tot,  Marx  ist tot, Beyer  ist tot, H

u

mmerling ist tot, hundertzwanzig Mann
liegen  irgendwo mit Sch

u

ssen, es ist eine verdammte Sache, aber was geht es
uns noch an, wir leben.  K

u

nnten  wir  sie retten, ja  dann  sollte man  mal
sehen, es w

u

re egal, ob wir selbst draufgingen, so w

u

rden wir loslegen; denn
wir haben einen verfluchten Muck, wenn wir wollen;  Furcht  kennen wir nicht
viel - Todesangst wohl, doch das ist etwas anderes, das ist k

u

rperlich.
     Aber unsere  Kameraden sind tot,  wir  k

u

nnen ihnen  nicht helfen,  sie
haben Ruhe -  wer weiß,  was  uns  noch  bevorsteht;  wir  wollen  uns
hinhauen und  schlafen oder  fressen, soviel wir  in den Magen kriegen,  und
saufen und rauchen, damit die Stunden nicht 

u

de sind. Das Leben ist kurz.

     Das Grauen der  Front versinkt,  wenn wir ihm  den  R

u

cken kehren,  wir
gehen ihm mit  gemeinen und grimmigen Witzen  zuleibe; wenn  jemand  stirbt,
dann heißt  es, daß er den  Arsch zugekniffen  hat, und so reden
wir  

u

ber alles, das rettet  uns  vor dem Verr

u

cktwerden, solange wir es  so
nehmen, leisten wir Widerstand.
     Aber wir  vergessen  nicht!  Was in den  Kriegszeitungen steht 

u

ber den
goldenen Humor der Truppen, die bereits T

u

nzchen  arrangieren, wenn sie kaum
aus  dem Trommelfeuer zur

u

ck  sind, ist großer Quatsch.  Wir  tun  das
nicht, weil wir Humor  haben, sondern wir haben Humor, weil wir sonst kaputt
gehen. Die Kiste wird ohnehin  nicht  mehr allzulange  halten, der Humor ist
jeden Monat bitterer.
     Und ich weiß: all  das, was  jetzt, solange  wir im  Kriege sind,
versackt in uns wie ein Stein, wird nach  dem  Kriege wieder  aufwachen, und
dann beginnt erst die Auseinandersetzung auf Leben und Tod.
     Die   Tage,  die  Wochen,  die  Jahre  hier  vorn  werden  noch  einmal
zur

u

ckkommen, und unsere toten Kameraden werden dann aufstehen und  mit  uns
marschieren, unsere K

u

pfe  werden klar sein, wir werden ein Ziel haben,  und
so  werden wir marschieren, unsere toten Kameraden neben uns, die Jahre  der
Front hinter uns: - gegen wen, gegen wen?

     Hier  in der Gegend war  vor  einiger Zeit  ein Fronttheater. Auf einer
Bretterwand  kleben  noch  bunte  Plakate  von  den  Vorstellungen her.  Mit
großen Augen stehen Kropp  und ich  davor. Wir k

u

nnen nicht begreifen,
daß  es  so etwas  noch  gibt.  Da  ist ein  M

u

dchen in  einem  hellen
Sommerkleid abgebildet, mit einem roten Lackg

u

rtel um die H

u

ften. Sie st

u

tzt
sich mit der einen Hand  auf ein Gel

u

nder, mit der  anderen h

u

lt  sie  einen
Strohhut. Sie tr

u

gt  weiße Str

u

mpfe und weiße  Schuhe, zierliche
Spangenschuhe  mit hohen  Abs

u

tzen. Hinter ihr  leuchtet die  blaue  See mit
einigen Wogenk

u

mmen, eine Bucht greift seitlich hell hinein. Es ist ein ganz
herrliches M

u

dchen, mit  einer schmalen Nase, mit  roten  Lippen und  langen
Beinen, unvorstellbar sauber und gepflegt, es badet gewiß  zweimal  am
Tage  und  hat nie Dreck unter den  N

u

geln.  H

u

chstens  vielleicht  mal  ein
bißchen Sand vom Strand.
     Neben ihm  steht ein Mann in weißer Hose, mit  blauem Jackett und
Seglerm

u

tze, aber der interessiert uns viel weniger.
     Das M

u

dchen  auf der Bretterwand ist f

u

r uns ein Wunder. Wir haben ganz
vergessen,  daß es  so  etwas gibt,  und  auch jetzt  noch trauen  wir
unseren  Augen kaum.  Seit Jahren  jedenfalls  haben  wir nichts  Derartiges
gesehen, nichts nur entfernt Derartiges an Heiterkeit,  Sch

u

nheit und Gl

u

ck.
Das ist der Frieden, so muß er sein, sp

u

ren wir erregt.
     "Sieh  dir nur  diese  leichten  Schuhe  an, darin  k

u

nnte  sie  keinen
Kilometer  marschieren", sage ich und komme mir gleich albern vor,  denn  es
ist bl

u

dsinnig, bei einem solchen Bild an Marschieren zu denken.
     "Wie alt mag sie sein?" fragt Kropp.
     Ich sch

u

tze: "AUerh

u

chstens zweiundzwanzig, Albert."
     "Dann w

u

re sie ja  

u

lter als wir. Sie ist nicht mehr als siebzehn, sage
ich dir!"
     Eine G

u

nsehaut 

u

berl

u

uft uns. "Albert, das w

u

re was, meinst du nicht?"
     Er nickt. "Zu Hause habe ich auch eine weiße Hose."
     "Weiße Hose", sage ich, "aber so ein M

u

dchen -"
     Wir  sehen an uns herunter, gegenseitig. Da ist  nicht  viel zu finden,
eine  ausgeblichene,  geflickte,  schmutzige   Uniform  bei  jedem.  Es  ist
hoffnungslos, sich zu vergleichen.
     Zun

u

chst  einmal   kratzen  wir   deshalb  den  jungen  Mann  mit   der
weißen Hose von der  Bretterwand ab, vorsichtig, damit wir das M

u

dchen
nicht besch

u

digen. Dadurch ist schon etwas erreicht. Dann schl

u

gt Kropp vor:
"Wir k

u

nnten uns mal entlausen lassen."
     Ich bin nicht ganz einverstanden, denn die Sachen leiden darunter, aber
die L

u

use hat man nach zwei Stunden wieder. Doch  nachdem  wir uns wieder in
das Bild  vertieft haben,  erkl

u

re  ich  mich bereit. Ich  gehe  sogar  noch
weiter. "K

u

nnten auch mal sehen, ob  wir  nicht  ein  reines  Hemd zu fassen
kriegen -"
     Albert  meint  aus  irgendeinem  Grunde:  "Fußlappen  w

u

ren  noch
besser."
     "Vielleicht auch  Fußlappen.  Wir  wollen  mal ein  bißchen
spekulieren gehen."
     Doch da schlendern Leer und Tjaden heran; sie sehen das Plakat, und  im
Handumdrehen wird die Unterhaltung ziemlich schweinisch. Leer war in unserer
Klasse der erste, der ein Verh

u

ltnis hatte und davon aufregende Einzelheiten
erz

u

hlte. Er begeistert sich in seiner Weise an dem Bilde, und Tjaden stimmt
m

u

chtig ein.
     Es ekelt uns nicht  gerade an. Wer nicht schweinigelt, ist kein Soldat;
nur liegt es  uns im  Moment nicht ganz, deshalb  schlagen wir uns seitw

u

rts
und marschieren der  Entlausungsanstalt zu mit einem Gef

u

hl, als sei sie ein
feines Herrenmodengesch

u

ft.

     Die H

u

user, in denen wir Quartier haben, liegen nahe am Kanal. Jenseits
des Kanals sind Teiche, die von Pappelw

u

ldern umstanden sind; - jenseits des
Kanals sind auch Frauen.
     Die H

u

user auf unserer Seite sind ger

u

umt worden. Auf der andern jedoch
sieht man ab und zu noch Bewohner.
     Abends schwimmen wir. Da kommen drei Frauen am Ufer  entlang. Sie gehen
langsam und sehen nicht weg, obschon wir keine Badehosen tragen.
     Leer  ruft  zu  ihnen  hin

u

ber. Sie lachen und bleiben  stehen,  um uns
zuzuschauen.  Wir  werfen ihnen in gebrochenem Franz

u

sisch S

u

tze zu, die uns
gerade  einfallen, alles durcheinander, eilig, damit sie nicht fortgehen. Es
sind nicht gerade feine Sachen, aber wo sollen  wir die auch  herhaben. Eine
Schmale,  Dunkle ist dabei. Man sieht ihre Z

u

hne schimmern, wenn sie  lacht.
Sie hat rasche  Bewegungen, der Rock  schl

u

gt  locker um ihre Beine. Obschon
das  Wasser  kalt  ist,  sind  wir m

u

chtig aufger

u

umt und  bestrebt, sie  zu
interessieren, damit sie bleiben. Wir  versuchen  Witze,  und sie antworten,
ohne  daß  wir  sie  verstehen; wir  lachen  und  winken.  Tjaden  ist
vern

u

nftiger. Er l

u

uft ins Haus, holt ein Kommißbrot und h

u

lt es hoch.
     Das erzielt großen  Erfolg. Sie  nicken und winken, daß wir
hin

u

berkommen sollen.  Aber  das  d

u

rfen  wir  nicht. Es  ist verboten,  das
jenseitige Ufer  zu betreten. 

u

berall  stehen Posten  an  den Br

u

cken.  Ohne
Ausweis  ist nichts zu machen. Wir dolmetschen  deshalb, sie m

u

chten  zu uns
kommen;  aber  sie  sch

u

tteln  die  K

u

pfe und  zeigen  auf die  Br

u

cken. Man
l

u

ßt auch sie nicht durch.
     Sie  kehren  um, langsam  gehen sie den Kanal aufw

u

rts,  immer  am Ufer
entlang.  Wir begleiten  sie schwimmend. Nach  einigen hundert Metern biegen
sie  ab  und  zeigen  auf  ein  Haus,  das  abseits  aus  B

u

umen und Geb

u

sch
herauslugt. Leer fragt, ob sie dort wohnen.
     Sie lachen - ja, dort sei ihr Haus.
     Wir rufen ihnen zu, daß wir kommen  wollen,  wenn uns die  Posten
nicht sehen k

u

nnen. Nachts. Diese Nacht.
     Sie heben die H

u

nde, legen sie flach  zusammen,  die  Gesichter darauf,
und  schließen die Augen. Sie  haben verstanden. Die  Schmale,  Dunkle
macht Tanzschritte. Eine Blonde zwitschert: "Brot - gut -"
     Wir best

u

tigen eifrig,  daß wir es  mitbringen werden.  Auch noch
andere sch

u

ne Sachen, wir  rollen  die Augen  und zeigen sie mit den H

u

nden.
Leer  ers

u

uft fast,  als  er  "ein St

u

ck  Wurst"  klarmachen  will.  Wenn es
notwendig  w

u

re, w

u

rden wir ihnen ein  ganzes Proviantdepot versprechen. Sie
gehen  und wenden sich noch oft um.  Wir  klettern  an  das Ufer auf unserer
Seite  und achten  darauf, ob  sie auch in  das Haus gehen, denn es  kann ja
sein, daß sie schwindeln. Dann schwimmen wir zur

u

ck.
     Ohne Ausweis  darf  niemand 

u

ber die Br

u

cke, deshalb werden wir einfach
nachts  hin

u

berschwimmen.  Die  Erregung packt uns und  l

u

ßt uns nicht
los. Wir k

u

nnen es nicht an  einem  Fleck aushalten  und  gehen zur Kantine.
Dort gibt es gerade Bier und eine Art Punsch.
     Wir trinken Punsch und  l

u

gen  uns phantastische Erlebnisse vor.  Jeder
glaubt dem  andern gern und wartet ungeduldig, um noch dicker aufzutrumpfen.
Unsere H

u

nde sind unruhig, wir paffen ungez

u

hlte Zigaretten, bis Kropp sagt:
"Eigentlich k

u

nnten wir ihnen auch ein paar Zigaretten mitbringen." Da legen
wir sie in unsere M

u

tzen und bewahren sie auf.
     Der Himmel wird  gr

u

n wie ein unreifer  Apfel. Wir sind zu viert,  aber
drei k

u

nnen nur  mit; deshalb m

u

ssen  wir Tjaden loswerden und geben Rum und
Punsch  f

u

r ihn  aus, bis er torkelt.  Als es dunkel wird,  gehen  wirunsern
H

u

usern zu.  Tjaden  in  der  Mitte. Wir gl

u

hen  und sind  von Abenteuerlust
erf

u

llt. F

u

r  mich  ist  die Schmale, Dunkle,  das  haben  wir verteilt  und
ausgemacht.
     Tjaden f

u

llt  auf seinen Strohsack und  schnarcht. Einmal wacht  er auf
und grinst uns so listig an, daß wir schon erschrecken und glauben, er
habe gemogelt, und der ausgegebene Punsch sei umsonst gewesen. Dann f

u

llt er
zur

u

ck und schl

u

ft weiter.
     Jeder  von  uns  dreien  legt ein ganzes  Kommißbrot  bereit  und
wickelt es in Zeitungspapier. Die Zigaretten packen wir dazu, außerdem
noch drei gute Portionen Leberwurst, die wir  heute  abend empfangen  haben.
Das ist ein anst

u

ndiges Geschenk.
     Vorl

u

ufig stecken wir die Sachen in unsere Stiefel; denn Stiefel m

u

ssen
wir  mitnehmen,  damit  wir  dr

u

ben auf dem andern  Ufer  nicht in Draht und
Scherben  treten.  Da wir  vorher schwimmen m

u

ssen, k

u

nnen wir weiter  keine
Kleider brauchen. Es ist ja auch dunkel und nicht weit.
     Wir  brechen auf,  die Stiefel  in  den H

u

nden.  Rasch gleiten wir  ins
Wasser,  legen uns  auf den R

u

cken, schwimmen und halten die Stiefel mit dem
Inhalt 

u

ber unsere K

u

pfe.
     Am andern Ufer klettern wir vorsichtig hinauf, nehmen die Pakete heraus
und ziehen die Stiefel  an. Die Sachen klemmen wir unter die Arme. So setzen
wir uns, naß, nackt, nur  mit Stiefeln  bekleidet, in Trab. Wir finden
das Haus sofort. Es liegt dunkel in den B

u

schen. Leer f

u

llt 

u

ber eine Wurzel
und schrammt sich die Ellbogen. "Macht nichts", sagt er fr

u

hlich.
     Vor den Fenstern sind L

u

den. Wir umschleichen das  Haus und  versuchen,
durch die  Ritzen  zu  sp

u

hen.  Dann  werden  wir  ungeduldig. Kropp  z

u

gert
pl

u

tzlich. "Wenn nun ein Major drinnen bei ihnen ist?"
     "Dann   kneifen   wir   eben  aus",   grinst  Leer,  "er  kann   unsere
Regimentsnummer ja hier lesen", und klatscht sich auf den Hintern.
     Die Haust

u

r ist offen. Unsere Stiefel machen ziemlichen  L

u

rm. Eine T

u

r

u

ffnet  sich, Licht f

u

llt hindurch, eine Frau  st

u

ßt  erschreckt einen
Schrei  aus.  Wir machen  "Pst, pst  -  camerade  -  bon  ami  -" und  heben
beschw

u

rend unsere Pakete hoch.
     Die  andern beiden  sind jetzt auch sichtbar, die T

u

r 

u

ffnet sich ganz,
und  das  Licht bestrahlt  uns. Wir werden  erkannt, und  alle  drei  lachen
unb

u

ndig 

u

ber  unsern Aufzug. Sie  biegen und  beugen sich im  T

u

rrahmen, so
m

u

ssen sie lachen. Wie geschmeidig sie sich bewegen!
     "Un moment  -." Sie verschwinden und werfen  uns Zeugst

u

cke zu, die wir
uns notd

u

rftig umwickeln.  Dann d

u

rfen  wir  eintreten.  Eine  kleine  Lampe
brennt  im Zimmer, es  ist  warm und riecht  etwas  nach  Parf

u

m. Wir packen
unsere  Pakete aus und  

u

bergeben sie  ihnen. Ihre Augen gl

u

nzen, man sieht,
daß sie Hunger haben.
     Dann werden wir alle etwas verlegen. Leer macht die Geb

u

rde des Essens.
Da  kommt wieder Leben hinein,  sie holen Teller und Messer und fallen  

u

ber
die Sachen her. Bei jedem Scheibchen Leberwurst heben sie, ehe sie es essen,
das St

u

ck zuerst bewundernd in die H

u

he, und wir sitzen stolz dabei.
     Sie 

u

bersprudeln uns mit ihrer Sprache - wir verstehen nicht viel, aber
wir  h

u

ren, daß es freundliche Worte  sind. Vielleicht sehen  wir auch
sehr jung aus. Die Schmale, Dunkle, streicht mir 

u

ber das Haar und sagt, was
alle franz

u

sischen Frauen immer sagen:  "La guerre - grand malheur - pauvres
gar

u

ons -"
     Ich halte  ihren Arm  fest und lege meinen Mund in ihre Handfl

u

che. Die
Finger  umschließen mein Gesicht. Dicht 

u

ber mir sind ihre  erregenden
Augen, das  sanfte  Braun der Haut  und die roten  Lippen.  Der Mund spricht
Worte,  die ich nicht verstehe. Ich verstehe auch  die Augen nicht ganz, sie
sagen mehr, als wir erwarteten, da wir hierher kamen.
     Es sind Zimmer nebenan. Im Gehen sehe ich Leer,  er ist mit der Blonden
handfest und  laut. Er kennt das ja auch. Aber ich - ich bin verloren an ein
Fernes, Leises  und Ungest

u

mes und vertraue  mich ihm an. Meine W

u

nsche sind
sonderbar gemischt aus Verlangen und Versinken. Mir wird schwindelig, es ist
nichts hier, woran man sich noch halten k

u

nnte. Unsere Stiefel haben wir vor
der T

u

r gelassen, man hat uns Pantoffeln daf

u

r gegeben, und  nun  ist nichts
mehr da, was mir  die Sicherheit und Frechheit des Soldaten zur

u

ckruft: kein
Gewehr, kein Koppel, kein Waffenrock, keine M

u

tze. Ich lasse mich fallen ins
Ungewisse, mag geschehen, was will - denn ich habe etwas Angst, trotz allem.
     Die Schmale,  Dunkle  bewegt die  Brauen, wenn  sie nachdenkt; aber sie
sind  still, wenn sie  spricht. Manchmal  auch wird der Laut  nicht ganz zum
Wort  und erstickt oder  schwingt  halbfertig 

u

ber mich weg; ein Bogen, eine
Bahn, ein Komet. Was habe  ich davon gewußt - was weiß ich davon
? -  Die Worte dieser  fremden Sprache, von der ich kaum etwas begreife, sie
schl

u

fern  mich  ein  zu einer  Stille,  in  der das Zimmer  braun und  halb
begl

u

nzt verschwimmt und nur das Antlitz 

u

ber mir lebt und klar ist.
     Wie vielf

u

ltig ist ein Gesicht, wenn es fremd war noch vor einer Stunde
und  jetzt  geneigt ist  zu  einer Z

u

rtlichkeit,  die  nicht aus  ihm kommt,
sondern aus der Nacht, der Welt und dem Blut, die in ihm  zusammenzustrahlen
scheinen.  Die  Dinge des  Raumes werden davon anger

u

hrt und verwandelt, sie
werden besonders, und  vor meiner  hellen Haut  habe ich beinahe  Ehrfurcht,
wenn  der   Schein   der  Lampe  daraufliegt  und   die  k

u

hle  braune  Hand
dar

u

berstreicht.
     Wie anders ist dies alles als die Dinge in den Mannschaftsbordells,  zu
denen  wir  Erlaubnis haben  und wo  in langer Reihe  angestanden  wird. Ich
m

u

chte nicht an sie denken; aber sie gehen mir unwillk

u

rlich durch den Sinn,
und ich erschrecke, denn vielleicht kann man so etwas nie mehr loswerden.
     Dann aber f

u

hle ich die  Lippen  der Schmalen, Dunklen, und dr

u

nge mich
ihnen  entgegen,  ich  schließe  die  Augen  und  m

u

chte  alles  damit
ausl

u

schen,  Krieg  und  Grauen und Gemeinheit, um  jung  und  gl

u

cklich  zu
erwachen; ich denke an das Bild des M

u

dchens auf dem Plakat und glaube einen
Augenblick, daß mein Leben davon  abh

u

ngt, es zu gewinnen. - Und um so
tiefer presse ich mich in die Arme, die mich  umfassen, vielleicht geschieht
ein Wunder.

     ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

     Irgendwie  finden wir uns alle nachher  wieder  zusammen. Leer ist sehr
forsch. Wir  verabschieden uns herzlich und schl

u

pfen in unsere Stiefel. Die
Nachtluft k

u

hlt unsere heißen  K

u

rper. Groß ragen die Pappeln in
das Dunkel und  rauschen. Der Mond steht am Himmel und im Wasser des Kanals.
Wir laufen nicht, wir gehen nebeneinander mit langen Schritten.
     Leer sagt: "Das war ein Kommißbrot wert!"
     Ich  kann mich nicht entschließen zu sprechen, ich bin  gar nicht
einmal froh.
     Da h

u

ren wir Schritte und ducken uns hinter einen Busch.
     Die Schritte kommen n

u

her, dicht an uns vorbei. Wir sehen einen nackten
Soldaten,  in Stiefeln, genau  wie wir, er hat  ein Paket unter dem Arm  und
sprengt  im Galopp vorw

u

rts. Es ist  Tjaden in großer Fahrt. Schon ist
er verschwunden.  Wir lachen.  Morgen wird er schimpfen. Unbemerkt  gelangen
wir zu unseren Strohs

u

cken.

     Ich  werde  zur  Schreibstube  gerufen.  Der  Kompanief

u

hrer  gibt  mir
Urlaubsschein  und  Fahrschein und w

u

nscht mir gute  Reise.  Ich sehe  nach,
wieviel  Urlaub  ich  habe.  Siebzehn  Tage  -  vierzehn  sind  Urlaub, drei
Reisetage. Es ist zuwenig, und ich frage, ob ich nicht f

u

nf Reisetage  haben
kann. Bertinck  zeigt  auf  meinen Schein.  Da sehe ich erst,  daß ich
nicht sofort zur Front zur

u

ckkomme. Ich habe mich  nach  Ablauf  des Urlaubs
noch zum Kursus im Heidelager zu melden.
     Die anderen  beneiden  mich.  Kat  gibt mir  gute Ratschl

u

ge,  wie  ich
versuchen soll, Druckpunkt zu nehmen. "Wenn  du gerissen bist, bleibst du da
h

u

ngen."
     Es w

u

re  mir  eigentlich lieber gewesen,  wenn  ich erst in acht  Tagen
h

u

tte fahren brauchen; denn so lange sind wir noch  hier, und hier ist es ja
gut. -
     Nat

u

rlich  muß ich in der Kantine einen ausgeben.  Wir  sind alle
ein bißchen angetrunken.  Ich  werde tr

u

bselig;  es sind sechs Wochen,
die ich fortbleiben werde, das  ist nat

u

rlich ein m

u

chtiges  Gl

u

ck, aber wie
wird  es  sein,  wenn  ich  zur

u

ckkomme?  Werde   ich  sie  hier  noch  alle
wiedertreffen? Haie und Kemmerich  sind  schon nicht mehr da -  wer wird der
n

u

chste sein ?
     Wir trinken, und ich sehe einen nach dem andern an. Albert  sitzt neben
mir und raucht, er ist  munter, wir sind immer zusammen gewesen; - gegen

u

ber
hockt Kat mit den abfallenden Schultern,  dem breiten Daumen und der ruhigen
Stimme,  M

u

ller mit den vorstehenden Z

u

hnen  und  dem  bellenden  Lachen;  -
Tjaden mit den Mauseaugen; - Leer, der sich einen Vollbart stehen l

u

ßt
und ausschaut wie vierzig.
     

u

ber unsern K

u

pfen  schwebt dicker  Qualm. Was  w

u

re  der  Soldat  ohne
Tabak! Die Kantine ist eine Zuflucht,  Bier ist mehr als ein Getr

u

nk, es ist
ein Zeichen, daß man gefahrlos die Glieder dehnen und recken darf. Wir
tun es auch ordentlich, die Beine haben wir lang von uns gestreckt,  und wir
spucken gem

u

tlich in die Gegend, daß es nur so eine Art hat. Wie einem
das alles vorkommt, wenn man morgen abreist!
     Nachts sind wir  noch  einmal  jenseits des  Kanals. Ich  habe  beinahe
Furcht,   der  Schmalen,  Dunklen  zu  sagen,  daß  ich  fortgehe  und
daß, wenn ich zur

u

ckkehre,  wir sicher irgendwo weiter sind; daß
wir  uns also nicht wiedersehen werden.  Aber sie  nickt nur  und l

u

ßt
nicht allzuviel merken. Ich kann das  erst gar  nicht  recht verstehen, dann
aber begreife ich. Leer hat  schon  recht:  w

u

re ich an die  Front gegangen,
dann h

u

tte es wieder geheißen: "pauvre garc.on"; aber ein  Urlauber  -
davon  wollen sie nicht  viel wissen, das ist nicht  so interessant. Mag sie
zum Teufel  gehen mit  ihrem Gesumm und  Gerede. Man glaubt an  Wunder,  und
nachher sind es Kommißbrote.
     Am  n

u

chsten Morgen,  nachdem ich  entlaust  bin,  marschiere  ich  zur
Feldbahn.  Albert und  Kat  begleiten  mich.  Wir h

u

ren an  der Haltestelle,
daß  es  wohl  noch ein paar Stunden  dauern wird bis zur Abfahrt. Die
beiden m

u

ssen zum Dienst zur

u

ck. Wir nehmen Abschied.
     "Mach's gut, Kat; mach's gut, Albert."
     Sie gehen  und  winken noch  ein paarmal. Ihre Gestalten werden Meiner.
Mir  ist jeder Schritt,  jede  Bewegung  an  ihnen vertraut,  ich  w

u

rde sie
weithin schon daran erkennen. Dann sind sie verschwunden.
     Ich setze mich auf meinen Tornister und warte.
     Pl

u

tzlich bin ich von rasender Ungeduld erf

u

llt, fortzukommen.

     Ich liege auf manchem Bahnhof;  ich stehe vor manchem Suppenkessel; ich
hocke  auf mancher Holzplanke; dann  aber wird  die Landschaft draußen
beklemmend, unheimlich und bekannt. An  den abendlichen Fenstern gleitet sie
vor

u

ber,  mit  D

u

rfern, in denen Strohd

u

cher wie  M

u

tzen tief  

u

ber gekalkte
Fachwerkh

u

user gezogen sind, mit Kornfeldern, die wie Perlmutter im schr

u

gen
Licht schimmern, mit Obstg

u

rten und Scheunen und alten Linden.
     Die  Namen der  Stationen  werden  zu  Begriffen, bei  denen  mein Herz
zittert. Der Zug stampft und stampft, ich stehe am Fenster und halte mich an
den Rahmenh

u

lzern fest. Diese Namen umgrenzen meine Jugend.
     Flache Wiesen, Felder, H

u

fe; ein  Gespann zieht einsam vor  dem  Himmel

u

ber den Weg, der parallel zum Horizont l

u

uft. Eine Schranke, vor der Bauern
warten, M

u

dchen, die winken, Kinder,  die am Bahndamm spielen, Wege, die ins
Land f

u

hren, glatte Wege, ohne Artillerie.
     Es  ist Abend,  und  wenn  der  Zug  nicht  stampfte,  m

u

ßte  ich
schreien. Die Ebene entfaltet  sich groß, in schwachem Blau beginnt in
der  Ferne  die  Silhouette der  Bergr

u

nder aufzusteigen.  Ich  erkenne  die
charakteristische Linie des  Dolbenberges, diesen  gezackten Kamm,  der  j

u

h
abbricht, wo der Scheitel des Waldes aufh

u

rt.  Dahinter  muß die Stadt
kommen.
     Aber nun fließt das goldrote Licht verschwimmend 

u

ber  die  Welt,
der Zug rattert  durch eine Kurve und noch eine -  und  unwirklich, verweht,
dunkel stehen die Pappeln darin, weit  weg, hintereinander  in langer Reihe,
gebildet aus Schatten, Licht und Sehnsucht.
     Das Feld dreht sich  mit ihnen langsam vorbei; der Zug  umgeht sie, die
Zwischenr

u

ume verringern  sich,  sie werden  ein Block, und einen Augenblick
sehe ich nur eine einzige; dann schieben  sich die anderen wieder hinter der
vordersten heraus, und sie sind noch lange allein am Himmel, bis sie von den
ersten H

u

usern verdeckt werden.
     Ein Bahn

u

bergang. Ich stehe  am  Fenster, ich  kann mich nicht trennen.
Die andern bereiten ihre Sachen zum  Aussteigen vor. Ich  spreche  den Namen
der  Straße,  die wir 

u

berqueren, vor mich hin,  Bremer Straße -
Bremer Straße -  Radfahrer, Wagen, Menschen sind da unten; es ist eine
graue Straße  und  eine graue Unterf

u

hrung; -  sie ergreift mich,  als
w

u

re sie meine Mutter.
     Dann  h

u

lt  der  Zug, und  der  Bahnhof  ist  da  mit  L

u

rm,  Rufen und
Schildern. Ich  packe meinen  Tornister  auf und mache die  Haken  fest, ich
nehme mein Gewehr in die Hand und stolpere die Tritte hinunter.
     Auf dem Perron sehe ich mich um; ich kenne niemand von den  Leuten, die
da hasten. Eine Rote-Kreuz-Schwester  bietet mir  etwas zu  trinken  an. Ich
wende mich  ab,  sie l

u

chelt  mich zu albern an, so  durchdrungen von  ihrer
Wichtigkeit: Seht nur,  ich  gebe einem Soldaten  Kaffee. - Sie sagt  zu mir
"Kamerad", das  hat mir gerade gefehlt. Draußen  vor dem Bahnhof  aber
rauscht  der Fluß neben der Straße, er zischt weiß aus den
Schleusen der M

u

hlenbr

u

cke hervor. Der viereckige alte Wartturm steht daran,
und vor ihm die große bunte Linde, und dahinter der Abend.
     Hier haben  wir gesessen, oft  - wie lange ist das  her  -;  

u

ber diese
Br

u

cke sind wir gegangen und haben den k

u

hlen, fauligen Geruch des gestauten
Wassers  eingeatmet; wir haben  uns  

u

ber  die  ruhige  Flut  diesseits  der
Schleuse  gebeugt,   in  der  gr

u

ne  Schlinggew

u

chse  und   Algen   an   den
Br

u

ckenpfeilern  hingen; - und  wir  haben  uns  jenseits  der  Schleuse  an
heißen  Tagen  

u

ber  den spritzenden Schaum  gefreut  und  von unseren
Lehrern geschw

u

tzt.
     Ich gehe 

u

ber die Br

u

cke, ich schaue  rechts  und links; das Wasser ist
immer  noch voll  Algen,  und es schießt  immer noch in  hellem  Bogen
herab; - im Turmgeb

u

ude stehen die Pl

u

tterinnen wie damals  mit bloßen
Armen  vor der weißen W

u

sche, und die Hitze der B

u

geleisen  str

u

mt aus
den offenen Fenstern. Hunde trotten durch die schmale Straße, vor  den
Haust

u

ren stehen Menschen und  sehen mir nach, wie ich schmutzig und bepackt
vor

u

bergehe.
     In  dieser   Konditorei   haben   wir   Eis   gegessen   und   uns   im
Zigarettenrauchen ge

u

bt.  In dieser Straße, die an mir vor

u

bergleitet,
kenne ich jedes Haus, das Kolonialwarengesch

u

ft, die Drogerie, die B

u

ckerei.
Und dann stehe ich vor der braunen T

u

r mit der abgegriffenen Klinke, und die
Hand wird mir schwer.
     Ich 

u

ffne sie; die K

u

hle kommt mir wunderlich entgegen, sie macht meine
Augen unsicher.
     Unter meinen Stiefeln knarrt die Treppe.  Oben klappt eine  T

u

r, jemand
blickt 

u

ber  das Gel

u

nder. Es  ist  die K

u

chent

u

r,  die  ge

u

ffnet wurde, sie
backen dort  gerade Kartoffelpuffer, das Haus  riecht danach,  heute  ist ja
auch  Sonnabend,  und es wird meine Schwester  sein, die sich herunterbeugt.
Ich sch

u

me mich einen Augenblick und senke den Kopf, dann nehme ich den Helm
ab und sehe hinauf. Ja, es ist meine 

u

lteste Schwester.
     in
     "Paul!" ruft sie. "Paul -!"
     Ich nicke, mein Tornister  st

u

ßt gegen das  Gel

u

nder, mein Gewehr
ist so schwer.
     Sie reißt eine T

u

r auf und ruft: "Mutter, Mutter, Paul ist da."
     Ich kann nicht mehr weitergehen. Mutter, Mutter, Paul ist da.
     Ich lehne mich an die Wand und umklammere meinen Helm und mein  Gewehr.
Ich umklammere  sie, so  fest es  geht,  aber  ich  kann keinen Schritt mehr
machen, die Treppe  verschwimmt  vor meinen Augen, ich stoße  mir  den
Kolben  auf  die F

u

ße und  presse zornig  die Z

u

hne zusammen, aber ich
kann  nicht  gegen dieses  eine Wort an,  das  meine Schwester gerufen  hat,
nichts kann dagegen an, ich qu

u

le mich gewaltsam, zu lachen und zu sprechen,
aber  ich  bringe  kein  Wort hervor,  und  so stehe  ich  auf  der  Treppe,
ungl

u

cklich, hilflos,  in einem furchtbaren Krampf,  und will nicht, und die
Tr

u

nen laufen mir immer nur so 

u

ber das Gesicht.
     Meine Schwester kommt zur

u

ck und fragt: "Was hast du denn?"
     Da raffe  ich  mich zusammen und  stolpere  zum  Vorplatz  hinauf. Mein
Gewehr lehne ich in eine Ecke, den Tornister stelle  ich gegen die Wand, und
den Helm packe  ich darauf.  Auch das Koppel mit den Sachen daran  muß
fort. Dann sage ich w

u

tend: "So gib doch endlich ein Taschentuch her!"
     Sie gibt mir  eins aus dem Schrank, und ich wische mir das Gesicht  ab.

u

ber mir  an der Wand h

u

ngt der Glaskasten mit  bunten  Schmetterlingen, die
ich fr

u

her gesammelt habe.
     Nun h

u

re ich die Stimme meiner Mutter. Sie kommt aus dem Schlafzimmer.
     "Ist sie nicht auf?" frage ich meine Schwester.
     "Sie ist krank -", antwortet sie.
     Ich gehe hinein zu ihr, gebe ihr die Hand  und sage, so ruhig ich kann:
"Da bin ich, Mutter."
     Sie  liegt im Halbdunkel. Dann fragt sie angstvoll, und  ich f

u

hle, wie
ihr Blick mich abtastet: "Bist du verwundet?"
     "Nein, ich habe Urlaub."
     Meine Mutter ist sehr blaß. Ich scheue mich, Licht zu machen. "Da
liege ich nun und weine", sagt sie, "anstatt mich zu freuen."
     "Bist du krank, Mutter?" frage ich.
     "Ich werde  heute etwas aufstehen", sagt sie und wendet sich  zu meiner
Schwester, die immer auf einen Sprung in die  K

u

che muß, damit ihr das
Essen nicht anbrennt: "Mach auch das Glas mit den eingemachten Preiselbeeren
auf, - das ißt du doch gern?" fragt sie mich.
     "Ja, Mutter, das habe ich lange nicht gehabt."
     "Als  ob  wir  es geahnt h

u

tten,  daß  du  kommst",  lacht  mtine
Schwester, "gerade dein Lieblingsessen, Kartoffelpuffer, und jetzt sogar mit
Preiselbeeren."
     "Es ist ja auch Sonnabend", antworte ich.
     "Setz dich zu mir", sagt meine Mutter.
     Sie sieht mich an. Ihre H

u

nde  sind weiß und kr

u

nklich und schmal
gegen meine. Wir sprechen  nur einige  Worte, und ich bin ihr dankbar daf

u

r,
daß sie nichts fragt. Was soll ich auch sagen: Alles, was m

u

glich war,
ist ja geschehen. Ich bin heil herausgelangt und sitze neben ihr. Und in der
K

u

che steht meine Schwester und macht das Abendbrot und singt dazu.
     "Mein lieber Junge", sagt meine Mutter leise.
     Wir sind nie sehr z

u

rtlich in der Familie gewesen, das ist nicht 

u

blich
bei armen Leuten, die viel arbeiten  m

u

ssen und Sorgen haben. Sie k

u

nnen das
auch  nicht  so  verstehen,  sie beteuern  nicht  gern etwas 

u

fter,  was sie
ohnehin wissen. Wenn meine Mutter zu mir "lieber Junge" sagt, so ist  das so
viel,  als  wenn eine  andere wer  weiß  was  anstellt. Ich weiß
bestimmt, daß das Glas mit Preiselbeeren das einzige  ist seit Monaten
und daß sie es  aufbewahrt hat  f

u

r  mich, ebenso  wie  die schon  alt
schmeckenden  Kekse,  die  sie  mir jetzt  gibt. Sie hat  sicher  bei  einer
g

u

nstigen Gelegenheit einige erhalten und sie gleich zur

u

ckgelegt f

u

r mich.
     Ich sitze  an ihrem Bett,  und durch das Fenster  funkeln in  Braun und
Gold die Kastanien des gegen

u

berliegenden Wirtsgartens. Ich atme langsam ein
und aus  und sage  mir:  "Du bist  zu Hause, du bist  zu  Hause." Aber  eine
Befangenheit will nicht von mir weichen, ich kann  mich noch nicht in  alles
hineinfinden.  Da  ist  meine  Mutter,  da  ist  meine  Schwester,  da  mein
Schmetterlingskasten und da das
     Mahagoniklavier - aber ich bin noch nicht ganz da. Es sind ein Schleier
und ein Schritt dazwischen.
     Deshalb gehe ich jetzt,  hole  meinen Tornister ans Bett und packe aus,
was ich mitgebracht habe: einen ganzen Edamer K

u

se, den Kat mir besorgt hat,
zwei  Kommißbrote, dreiviertel Pfund Butter,  zwei B

u

chsen Leberwurst,
ein Pfund Schmalz und ein S

u

ckchen Reis.
     "Das k

u

nnt ihr sicher gebrauchen -"
     Sie nicken. "Hierist es wohl schlecht damit?" erkundige ich mich.
     "Ja, es gibt nicht viel. Habt ihr denn draußen genug?"
     Ich l

u

chele  und zeige auf  die mitgebrachten Sachen. "So  viel ja  nun
nicht immer, aber es geht doch einigermaßen."
     Erna bringt die Lebensmittel fort. Meine Mutter nimmt  pl

u

tzlich heftig
meine Hand und fragt stockend: "War es sehr schlimm draußen, Paul?"
     Mutter, was soll ich  dir darauf antworten! Du wirst es nicht verstehen
und nie begreifen. Du sollst es auch nie  begreifen. War es  schlimm, fragst
du. - Du, Mutter. - Ich sch

u

ttele den Kopf und sage: "Nein, Mutter, nicht so
sehr. Wir sind ja mit vielen zusammen, da ist es nicht so schlimm."
     "Ja, aber k

u

rzlich war  Heinrich Bredemeyer hier, der erz

u

hlte, es w

u

re
jetzt furchtbar draußen, mit dem Gas und all dem andern."
     Es ist meine Mutter, die das  sagt. Sie sagt: mit  dem  Gas und all dem
andern. Sie  weiß nicht, was sie spricht, sie hat  nur Angst um  mich.
Soll  ich ihr erz

u

hlen, daß wir einmal drei gegnerische Gr

u

ben fanden,
die  erstarrt  waren in  ihrer Haltung,  wie  vom Schlag getroffen?  Auf den
Brustwehren, in den Unterst

u

nden, wo sie gerade waren, standen und lagen die
Leute mit blauen Gesichtern, tot.
     "Ach,  Mutter,  was  so geredet wird",  antworte ich,  "der  Bredemeyer
erz

u

hlt nur so etwas dahin. Du siehst ja, ich bin heil und dick -"
     An  der zitternden Sorge  meiner  Mutter finde  ich meine  Ruhe wieder.
Jetzt kann ich schon umhergehen und  sprechen und Rede  stehen, ohne Furcht,
mich pl

u

tzlich an die  Wand lehnen zu  m

u

ssen, weil die  Welt weich wird wie
Gummi und die Adern m

u

rbe wie Zunder.
     Meine Mutter  will aufstehen, ich gehe solange  in  die K

u

che zu meiner
Schwester.  "Was  hat sie?"  frage ich. Sie zuckt die Achseln:  "  Sie liegt
schon  ein  paar Monate, wir sollten  es dir  aber nicht schreiben.  Es sind
mehrere 

u

rzte bei ihr gewesen. Einer sagte, es w

u

re wohl wieder Krebs."

     Ich gehe zum Bezirkskommando, um mich anzumelden.  Langsam  wandere ich
durch die Straßen. Hier und da spricht mich jemand an.  Ich halte mich
nicht lange auf, denn ich will nicht so viel reden.
     Als ich aus der Kaserne  zur

u

ckkomme, ruft mich eine  laute  Stimme an.
Ich  drehe mich um, ganz  in Gedanken, und  stehe einem Major  gegen

u

ber. Er
f

u

hrt mich an: "K

u

nnen Sie nicht gr

u

ßen?"
     "Entschuldigen  Herr  Major",  sage  ich verwirrt, "ich  habe Sie nicht
gesehen."
     Er  wird  noch   lauter:   "K

u

nnen  Sie   sich  auch  nicht  vern

u

nftig
ausdr

u

cken?"
     Ich m

u

chte ihm ins Gesicht  schlagen, beherrsche  mich aber, denn sonst
ist mein  Urlaub  hin, nehme die Knochen zusammen und sage: "Ich  habe Herrn
Major nicht gesehen."
     "Dann passen Sie gef

u

lligst auf!" schnauzt er. "Wie heißen Sie?"
     Ich rapportiere.
     Sein rotes, dickes Gesicht ist immernoch emp

u

rt. "Truppenteil?"
     Ich  melde vorschriftsm

u

ßig.  Er  hat immer noch nicht genug. "Wo
liegen Sie?"
     Aber   ich  habe  jetzt  genug   und  sage:  "Zwischen  Langemark   und
Bixschoote."
     "Wieso?" fragt er etwas verbl

u

fft.
     Ich erkl

u

re  ihm, daß ich  vor einer  Stunde auf  Urlaub gekommen
sei, und  denke, daß  er jetzt abtrudeln wird.  Aber ich irre mich. Er
wird sogar noch  wilder: "Das k

u

nnte Ihnen wohl so  passen, hier Frontsitten
einzuf

u

hren, was? Das gibt's nicht! Hier herrscht Gott sei Dank Ordnung!" Er
kommandiert: "Zwanzig Schritt zur

u

ck, marsch, marsch!"
     In  mir sitzt die dumpfe Wut. Aber ich kann nichts gegen ihn machen, er
l

u

ßt mich sofort festnehmen, wenn er will. So spritze ich
     zur

u

ck,  gehe  vor und zucke sechs  Meter vor  ihm  zu  einem  zackigen
Gruß zusammen, den ich  erst  wegnehme, als ich sechs Meter hinter ihm
bin.
     Er  ruft  mich wieder  heran  und gibt  mir  jetzt  leutselig  bekannt,
daß er noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen will. Ich zeige mich
stramm dankbar. "Wegtreten!"  kommandiert er.  Ich knalle  die  Wendung  und
ziehe ab.
     Der Abend  ist  mir dadurch  verleidet. Ich  mache,  daß ich nach
Hause komme,  und  werfe die Uniform in die Ecke, das hatte ich sowieso vor.
Dann hole ich meinen Zivilanzug aus dem Schrank und ziehe ihn an.
     Das  ist  mir ganz ungewohnt.  Der Anzug sitzt ziemlich kurz und knapp,
ich  bin  beim  Kommiß  gewachsen.  Kragen  und  Krawatte  machen  mir
Schwierigkeiten.  Schließlich  bindet mir  meine Schwester den Knoten.
Wie  leicht  so ein  Anzug ist,  man hat  das Gef

u

hl, als  w

u

re  man  nur in
Unterhosen und Hemd.
     Ich betrachte mich im Spiegel.  Das  ist  ein sonderbarer Anblick.  Ein
sonnenverbrannter,  etwas ausgewachsener Konfirmand sieht mich da verwundert
an.
     Meine  Mutter  ist  froh,  daß ich Zivilzeug  trage;  ich bin ihr
dadurch vertrauter.  Doch  mein Vater  h

u

tte lieber,  daß  ich Uniform
anz

u

ge, er m

u

chte so mit mir zu seinen Bekannten gehen.
     Aber ich weigere mich.

     Es ist sch

u

n, still irgendwo zu sitzen, zum Beispiel in dem Wirtsgarten
gegen

u

ber den  Kastanien, nahe  der Kegelbahn.  Die  Bl

u

tter fallen  auf den
Tisch und auf die Erde, wenige nur,  die ersten. Ich habe ein  Glas Bier vor
mir  stehen, das  Trinken  hat man  beim  Milit

u

r gelernt. Das Glas ist halb
geleert,  ich  habe  also  noch einige  gute, k

u

hle  Schlucke  vor  mir, und
außerdem  kann  ich ein  zweites und ein drittes  bestellen,  wenn ich
will.  Es  gibt  keinen  Appell und kein Trommelfeuer, die Kinder  des Wirts
spielen auf der Kegelbahn, und der  Hund  legt mir seinen Kopf auf die Knie.
Der Himmel ist blau, zwischen dem Laub der Kastanien ragt der gr

u

ne Turm der
Margaretenkirche auf.
     Das  ist gut, und ich  liebe es. Aber  mit den Leuten  kann  ich  nicht
fertig werden. Die  einzige, die nicht  fragt, ist  meine Mutter. Doch schon
mit  meinem Vater  ist es anders. Er m

u

chte, daß ich etwas erz

u

hle von
draußen, er hat W

u

nsche, die ich r

u

hrend und dumm  finde, zu ihm schon
habe ich kein rechtes Verh

u

ltnis mehr. Am liebsten m

u

chte er immerfort etwas
h

u

ren. Ich begreife, daß er nicht weiß, daß so etwas nicht
erz

u

hlt werden kann, und ich  m

u

chte ihm auch gern den Gefallen tun; aber es
ist eine Gefahr f

u

r mich,  wenn ich  diese Dinge  in Worte  bringe, ich habe
Scheu, daß sie dann riesenhaft werden und sich nicht  mehr  bew

u

ltigen
lassen. Wo blieben wir, wenn uns alles ganz klar w

u

rde, was da draußen
vorgeht.
     So beschr

u

nke ich mich  darauf,  ihm einige lustige Sachen zu erz

u

hlen.
Er  aber fragt mich,  ob ich auch einen Nahkampf mitgemacht  h

u

tte. Ich sage
nein und stehe auf, um auszugehen.
     Doch das bessert  nichts.  Nachdem ich  mich auf der  Straße  ein
paarmal erschreckt  habe, weil  das Quietschen der  Straßenbahnen sich
wie heranheulende Granaten  anh

u

rt, klopft  mir jemand auf die  Schulter. Es
ist mein Deutschlehrer, der mich mit den 

u

blichen Fragen 

u

berf

u

llt. "Na, wie
steht  es  draußen.  Furchtbar,  furchtbar,  nicht  wahr?  Ja, es  ist
schrecklich,  aber  wir  m

u

ssen  eben  durchhalten.  Und  schließlich,
draußen habt  ihr  doch wenigstens gute  Verpflegung,  wie ich  geh

u

rt
habe, Sie sehen gut aus, Paul,  kr

u

ftig. Hier ist das  nat

u

rlich schlechter,
ganz nat

u

rlich,  ist ja  auch selbstverst

u

ndlich, das Beste immer f

u

r unsere
Soldaten!"
     Er  schleppt mich  zu einem Stammtisch  mit. Ich  werde großartig
empfangen, ein Direktor gibt mir die Hand und sagt: " So, Sie kommen von der
Front? Wie ist denn der Geist dort? Vorz

u

glich, vorz

u

glich, was?"
     Ich erkl

u

re, daß jeder gern nach Hause m

u

chte.
     Er  lacht  dr

u

hnend:  "Das glaube  ich! Aber erst  m

u

ßt  ihr  den
Franzmann verkloppen! Rauchen Sie? Hier, stecken Sie sich mal eine an. Ober,
bringen Sie unserm jungen Krieger auch ein Bier."
     Leider habe  ich die  Zigarre genommen, deshalb muß ich  bleiben.
Alle triefen nur so von Wohlwollen, dagegen ist nichts einzuwenden. Trotzdem
bin ich 

u

rgerlich und qualme, so schnell ich kann.
     Um  wenigstens etwas zu tun,  st

u

rze  ich das  Glas  Bier in einem  Zug
hinunter. Sofort wird mir ein zweites bestellt; die  Leute wissen,  was  sie
einem Soldaten schuldig sind.  Sie disputieren dar

u

ber, was  wir annektieren
sollen. Der  Direktor mit der  eisernen Uhrkette will am meisten haben: ganz
Belgien,  die   Kohlengebiete   Frankreichs  und   große  St

u

cke   von
Rußland.  Er gibt genaue Gr

u

nde an, weshalb wir das  haben m

u

ssen, und
ist unbeugsam, bis  die andern schließlich nachgeben. Dann beginnt  er
zu erl

u

utern,  wo  in Frankreich  der Durchbruch einsetzen m

u

sse, und wendet
sich  zwischendurch zu  mir:  "Nun  macht mal ein bißchen vorw

u

rts  da
draußen  mit eurem  ewigen  Stellungskrieg.  Schmeißt  die Kerle
'raus, dann gibt es auch Frieden." -
     Ich antworte, daß nach  unserer  Meinung ein Durchbruch unm

u

glich
sei. Die dr

u

ben h

u

tten zuviel Reserven. Außerdem w

u

re  der  Krieg doch
anders, als man sich das so denke.
     Er  wehrt  

u

berlegen  ab  und  beweist  mir, daß ich davon nichts
verstehe. " Gewiß, der einzelne", sagt er, "aber es kommt doch auf das
Gesamte  an.  Und  das k

u

nnen Sie nicht  so beurteilen.  Sie sehen nur Ihren
kleinen  Abschnitt und haben deshalb keine 

u

bersicht.  Sie tun Ihre Pflicht,
Sie setzen Ihr Leben  ein,  das  ist h

u

chster  Ehren  wert  - jeder von euch
m

u

ßte  das  Eiserne  Kreuz  haben  -,  aber  vor allem  muß  die
gegnerische  Front  in  Flandern  durchbrochen und dann  von oben aufgerollt
werden."
     Er  schnauft und wischt sich den Bart. "V

u

llig aufgerollt muß sie
werden, von oben herunter. Und dann auf Paris."
     Ich  m

u

chte wissen,  wie  er sich  das vorstellt,  und gieße  das
dritte Bier in mich hinein. Sofort l

u

ßt er ein neues bringen.
     Aber ich breche auf. Er schiebt mir noch einige Zigarren in  die Tasche
und  entl

u

ßt  mich  mit  einem  freundschaftlichen Klaps. "Alles Gute!
Hoffentlich h

u

ren wir nun bald etwas Ordentliches von euch."

     Ich  habe mir den Urlaub anders vorgestellt. Vor einem Jahr war er auch
anders. Ich  bin es wohl,  der sich inzwischen ge

u

ndert hat. Zwischen  heute
und  damals liegt  eine  Kluft. Damals kannte ich den Krieg noch nicht,  wir
hatten in ruhigeren  Abschnitten gelegen. Heute  merke ich,  daß  ich,
ohne es zu  wissen, zerm

u

rbter geworden bin. Ich  finde mich hier nicht mehr
zurecht, es ist eine fremde Welt. Die einen fragen, die andern fragen nicht,
und man sieht ihnen an, daß  sie  stolz  darauf sind; oft sagen sie es
sogar  noch mit dieser  Miene  des  Verstehens, daß  man dar

u

ber nicht
reden k

u

nne. Sie bilden sich etwas darauf ein.
     Am liebsten bin ich  allein,  da  st

u

rt  mich keiner.  Denn alle kommen
stets auf dasselbe  zur

u

ck,  wie schlecht es geht  und wie gut  es geht, der
eine findet es so,  der  andere so,  - immer  sind  sie  auch  rasch bei den
Dingen,  die ihr Dasein darstellen.  Ich habe  fr

u

her sicher genauso gelebt,
aber ich finde jetzt keinen Anschluß mehr daran.
     Sie reden  mir zuviel. Sie haben Sorgen, Ziele, W

u

nsche, die ich  nicht
so  auffassen kann wie  sie. Manchmal sitze  ich  mit einem von ihnen in dem
kleinen   Wirtsgarten  und  versuche,   ihm   klarzumachen,  daß  dies
eigentlich schon alles ist: so still zu sitzen. Sie verstehen das nat

u

rlich,
geben es zu, finden es auch, aber nur mit Worten, nur mit Worten, das ist es
ja  - sie  empfinden  es,  aber  stets nur  halb, ihr anderes Wesen ist  bei
anderen Dingen, sie  sind so verteilt, keiner empfindet es mit seinem ganzen
Leben; ich kann ja selbst auch nicht recht sagen, was ich meine.
     Wenn  ich sie  so  sehe,  in  ihren Zimmern,  in ihren  B

u

ros, in ihren
Berufen, dann zieht das mich unwiderstehlich  an, ich m

u

chte auch darin sein
und den Krieg vergessen; aber es st

u

ßt mich auch gleich wieder  ab, es
ist so eng, wie kann das ein Leben ausf

u

llen, man sollte es zerschlagen, wie
kann  das alles  so sein,  w

u

hrend draußen jetzt die Splitter 

u

ber die
Trichter  sausen  und  die  Leuchtkugeln   hochgehen,  die  Verwundeten  auf
Zeltbahnen zur

u

ckgeschleift  werden  und die Kameraden  sich  in  die Gr

u

ben
dr

u

cken! -Es  sind  andere Menschen hier,  Menschen, die ich  nicht  richtig
begreife,  die ich beneide und verachte. Ich muß an Kat und Albert und
M

u

ller und Tjaden denken, was  m

u

gen sie  tun? Sie sitzen vielleicht in  der
Kantine oder sie schwimmen - bald m

u

ssen sie wieder nach vorn.
     In meinem  Zimmer  steht hinter dem Tisch  ein  braunes Ledersofa.  Ich
setze mich hinein.
     An den  W

u

nden sind viele Bilder mit Reißzwecken festgemacht, die
ich fr

u

her aus Zeitschriften  geschnitten  habe.  Postkarten und Zeichnungen
dazwischen, die mir gefallen  haben. In der Ecke steht  ein kleiner eiserner
Ofen. An der Wand gegen

u

ber das Regal mit meinen B

u

chern.
     In diesem Zimmer habe ich gelebt, bevor  ich  Soldat wurde. Die  B

u

cher
habe ich  nach  und nach  gekauft  von  dem Geld, das  ich  mit Stundengeben
verdiente. Viele davon antiquarisch,  alle Klassiker  zum Beispiel, ein Band
kostete eine Mark und zwanzig Pfennig, in steifem,  blauem Leinen.  Ich habe
sie vollst

u

ndig gekauft,  denn  ich  war gr

u

ndlich, bei ausgew

u

hlten  Werken
traute ich  den Herausgebern nicht, ob  sie auch  das Beste genommen hatten.
Deshalb  kaufte  ich  mir  "  S

u

mtliche  Werke".  Gelesen habe ich  sie  mit
ehrlichem Eifer,  aber die  meisten  sagten  mir  nicht recht zu. Um so mehr
hielt  ich von  den anderen B

u

chern, den moderneren, die nat

u

rlich auch viel
teurer waren. Einige  davon habe ich  nicht ganz ehrlich erworben, ich  habe
sie  ausgeliehen und  nicht  zur

u

ckgegeben, weil  ich mich  von  ihnen nicht
trennen mochte.
     Ein  Fach  des  Regals ist mit  Schulb

u

chern  gef

u

llt. Sie  sind  wenig
geschont und stark  zerlesen,  Seiten sind herausgerissen, man weiß ja
wof

u

r. Und unten sind Hefte, Papier und Briefe  hingepackt,  Zeichnungen und
Versuche.
     Ich  will  mich hineindenken in  die Zeit  damals. Sie ist  ja noch  im
Zimmer, ich f

u

hle es sofort, die W

u

nde haben sie bewahrt. Meine H

u

nde liegen
auf  der Sofalehne; jetzt mache ich es  mir bequem und ziehe  auch die Beine
hoch, so sitze ich gem

u

tlich in der Ecke, in den Armen des Sofas. Das kleine
Fenster ist ge

u

ffnet,  es zeigt das  vertraute Bild der Straße mit dem
ragenden  Kirchturm  am  Ende.  Ein  paar   Blumen  stehen  auf  dem  Tisch.
Federhalter,   Bleistifte,    eine   Muschel   als    Briefbeschwerer,   das
Tintenfaß - hier ist nichts ver

u

ndert.
     So wird  es auch sein, wenn ich  Gl

u

ck habe, wenn der Krieg aus ist und
ich  wiederkomme f

u

r  immer. Ich werde  ebenso hier sitzen und  mein  Zimmer
ansehen und warten.
     Ich bin aufgeregt; aber ich m

u

chte es  nicht sein, denn  das  ist nicht
richtig.  Ich  will wieder  diese stille  Hingerissenheit, das Gef

u

hl dieses
heftigen,  unbenennbaren Dranges  versp

u

ren, wie fr

u

her,  wenn ich vor meine
B

u

cher trat. Der Wind der W

u

nsche, der aus den bunten B

u

cherr

u

cken aufstieg,
soll mich wieder  erfassen,  er soll  den  schweren,  toten  Bleiblock,  der
irgendwo in mir liegt, schmelzen und  mir wieder die  Ungeduld der  Zukunft,
die beschwingte Freude an  der  Welt der  Gedanken wecken; - er soll mir das
verlorene Bereitsein meiner Jugend zur

u

ckbringen.
     Ich sitze und warte.
     Mir  f

u

llt ein, daß ich zu Kemmerichs  Mutter gehen  muß; -
Mittelstaedt k

u

nnte ich auch besuchen, er muß in der Kaserne sein. Ich
sehe aus  dem  Fenster:  -  hinter  dem besonnten  Straßenbild  taucht
verwaschen und leicht ein H

u

gelzug auf, verwandelt  sich zu einem hellen Tag
im Herbst, wo ich am Feuer sitze und mit Kat und Albert gebratene Kartoffeln
aus der Schale esse.
     Doch daran will ich nicht denken,  ich wische es fort.  Das Zimmer soll
sprechen, es soll mich einfangen und tragen,  ich will f

u

hlen, daß ich
hierhergeh

u

re,  und  horchen, damit ich weiß,  wenn ich wieder  an die
Front  gehe: Der  Krieg  versinkt und  ertrinkt, wenn die Welle der Heimkehr
kommt,  er  ist  vor

u

ber, er zerfrißt uns  nicht,  er hat keine andere
Macht 

u

ber uns als nur die 

u

ußere!
     Die B

u

cherr

u

cken  stehen nebeneinander. Ich kenne sie noch und erinnere
mich, wie ich sie geordnet habe. Ich bitte sie  mit meinen Augen: Sprecht zu
mir, - nehmt mich auf - nimm mich auf, du Leben von  fr

u

her, - du sorgloses,
sch

u

nes - nimm mich wieder auf -
     Ich warte, ich warte.
     Bilder  ziehen vor

u

ber, sie haken nicht fest, es sind  nur Schatten und
Erinnerungen.
     Nichts - nichts.
     Meine Unruhe w

u

chst.
     Ein f

u

rchterliches Gef

u

hl der Fremde steigt pl

u

tzlich in mir hoch.  Ich
kann nicht  zur

u

ckfinden, ich bin ausgeschlossen; so sehr ich auch bitte und
mich anstrenge, nichts bewegt sich, teilnahmslos und  traurig  sitze ich wie
ein Verurteilter da,  und  die Vergangenheit  wendet sich  ab.  Gleichzeitig
sp

u

re ich Furcht, sie zu sehr zu beschw

u

ren, weil  ich nicht weiß, was
dann  alles geschehen k

u

nnte. Ich  bin ein Soldat, daran  muß ich mich
halten.
     M

u

de stehe ich auf und schaue aus dem Fenster. Dann nehme ich eines der
B

u

cher und bl

u

ttere darin, um zu lesen. Aber ich stelle es weg und nehme ein
anderes. Es sind Stellen  darin, die angestrichen sind. Ich suche, bl

u

ttere,
nehme  neue  B

u

cher. Schon  liegt ein  Pack neben  mir.  Andere kommen dazu,
hastiger - Bl

u

tter, Hefte, Briefe.
     Stumm stehe ich davor. Wie vor einem Gericht.
     Mutlos.
     Worte, Worte, Worte - sie erreichen mich nicht.
     Langsam stelle ich die B

u

cher wieder in die L

u

cken. Vorbei.
     Still gehe ich aus dem Zimmer.

     Noch gebe ich es nicht auf. Mein  Zimmer betrete  ich zwar  nicht mehr,
aber ich tr

u

ste  mich damit, daß  einige Tage noch nicht ein  Ende  zu
sein brauchen. Ich habe nachher - sp

u

ter - Jahre daf

u

r Zeit.  Vorl

u

ufig gehe
ich zu Mittelstaedt in  die Kaserne,  und wir sitzen in seiner Stube, da ist
eine Luft, die ich nicht liebe, an die ich aber gew

u

hnt bin.
     Mittelstaedt hat eine Neuigkeit parat, die mich sofort elektrisiert. Er
erz

u

hlt mir, daß Kantorek  eingezogen  worden  sei  als Landsturmmann.
"Stell dir vor", sagt er und holt ein paar gute  Zigarren heraus, "ich komme
aus dem  Lazarett hierher und falle  gleich 

u

ber ihn. Er  streckt mir  seine
Pfote entgegen und quakt:  ‚Sieh da, Mittelstaedt,  wie geht es denn?' - Ich
sehe  ihn groß an  und antworte: ‚Landsturmmann  Kantorek, Dienst  ist
Dienst und  Schnaps ist  Schnaps, das sollten  Sie  selbst am besten wissen.
Nehmen Sie Haltung an, wenn Sie mit einem Vorgesetzten reden.' - Du  h

u

ttest
sein  Gesicht  sehen m

u

ssen!  Eine Kreuzung aus Essiggurke  und Blindg

u

nger.
Z

u

gernd versuchte er noch  einmal,  sich anzubiedern. Da schnauzte ich etwas
sch

u

rfer.  Nun f

u

hrte  er seine st

u

rkste  Batterie  ins  Gefecht und  fragte
vertraulich: ‚Soll ich Ihnen vermitteln, daß Sie Notexamen machen?' Er
wollte  mich  erinnern,  verstehst  du.  Da  packte  mich die  Wut, und  ich
erinnerte ihn auch. ‚Landsturmmann Kantorek, vor zwei Jahren  haben Sie  uns
zum Bezirkskommando gepredigt, darunter auch den Joseph Behm, der eigentlich
nicht wollte. Er fiel drei  Monate bevor er eingezogen worden w

u

re. Ohne Sie
h

u

tte  er solange gewartet.  Und jetzt: Wegtreten. Wir sprechen uns noch.' -
Es war mir leicht, seiner Kompanie  zugeteilt zu werden. Als erstes nahm ich
ihn zur Kammer und sorgte  f

u

r eine  h

u

bsche Ausr

u

stung. Du wirst ihn gleich
sehen."
     Wir gehen  auf  den  Hof. Die  Kompanie  ist  angetreten.  Mittelstaedt
l

u

ßt r

u

hren und besichtigt.
     Da erblicke ich Kantorek und muß  das  Lachen verbeißen. Er
tr

u

gt eine Art Schoßrock aus verblichenem Blau. Auf dem R

u

cken  und an
den 

u

rmeln sind große dunkle Flicken eingesetzt.  Der  Rock  muß
einem Riesen geh

u

rt haben. Um so k

u

rzer  ist  die  abgewetzte schwarze Hose;
sie reicht  bis zur halben Wade.  Daf

u

r sind aber die  Schuhe sehr ger

u

umig,
eisenharte, uralte Treter, mit hochgebogenen Spitzen, noch an den Seiten  zu
schn

u

ren.  Als  Ausgleich  ist  die  M

u

tze  wieder zu  klein, ein  furchtbar
dreckiges, elendes Kr

u

tzchen. Der Gesamteindruck ist erbarmungsw

u

rdig.
     Mittelstaedt  bleibt stehen vor  ihm: "Landsturmmann Kantorek,  ist das
Knopfputz ?  Sie scheinen es nie zu lernen. Ungen

u

gend, Kantorek, ungen

u

gend
-"
     Ich br

u

lle  innerlich vor Vergn

u

gen. Genauso hat Kantorek in der Schule
Mittelstaedt getadelt,  mit  demselben  Tonfall  "Ungen

u

gend,  Mittelstaedt,
ungen

u

gend -"
     Mittelstaedt mißbilligt weiter: "Sehen Sie sich mal Boettcher an,
der ist vorbildlich, von dem k

u

nnen Sie lernen."
     Ich  traue   meinen  Augen  kaum.  Boettcher  ist  ja  auch  da,  unser
Schulportier. Und  der  ist  vorbildlich!  Kantorek schießt mir  einen
Blick zu, als ob er mich fressen m

u

chte. Ich aber  grinse ihm nur harmlos in
die Visage, so als ob ich ihn gar nicht weiter kenne.
     Wie bl

u

dsinnig er aussieht mit seinem Kr

u

tzchen und seiner Uniform! Und
vor so was hat  man fr

u

her eine Heidenangst gehabt, wenn es auf dem Katheder
thronte   und   einen   mit   dem   Bleistift   aufspießte   bei   den
unregelm

u

ßigen   franz

u

sischen   Verben,  mit  denen  man  nachher  in
Frankreich  doch  nichts anfangen konnte. Es ist noch kaum zwei Jahre her; -
und jetzt steht hier der Landsturmmann Kantorek, j

u

h entzaubert, mit krummen
Knien  und Armen  wie Topfhenkel, mit schlechtem  Knopfputz und l

u

cherlicher
Haltung, ein unm

u

glicher  Soldat. Ich kann ihn mir nicht mehr zusammenreimen
mit dem drohenden Bilde auf  dem Katheder, und  ich m

u

chte wirklich gern mal
wissen, was  ich  machen werde, wenn dieser  Jammerpelz  mich alten Soldaten
jemals wieder fragen darf: "B

u

umer, nennen Sie das Imparfait von aller -"
     Vorl

u

ufig  l

u

ßt  Mittelstaedt etwas Schw

u

rmen 

u

ben. Kantorek wird
dabei wohlwollend von ihm zum Gruppenf

u

hrer bestimmt.
     Damit hat es seine  besondere  Bewandtnis. Der Gruppenf

u

hrer  muß
beim Schw

u

rmen  n

u

mlich stets zwanzig  Schritt  vor  seiner  Gruppe sein;  -
kommandiert  man nun: Kehrt  - marsch!, so  macht die  Schwarmlinie  nur die
Wendung,  der  Gruppenf

u

hrer jedoch,  der dadurch pl

u

tzlich  zwanzig Schritt
hinter  der Linie  ist,  muß  im  Galopp vorst

u

rzen, um  wieder  seine
zwanzig Schritt vor die Gruppe zu kommen. Das sind zusammen vierzig Schritt:
Marsch, marsch. Kaum ist  er aber angelangt,  so wird einfach wieder Kehrt -
marsch! befohlen, und er muß eiligst  wieder vierzig  Schritt nach der
anderen  Seite rasen. Auf diese Weise  macht die Gruppe  nur gem

u

tlich immer
eine Wendung und ein paar  Schritte, w

u

hrend  der Gruppenf

u

hrer  hin und her
saust wie  ein Furz auf der Gardinenstange. Das Ganze ist  eines der  vielen
probaten Rezepte von Himmelstoß.
     Kantorek  kann  von Mittelstaedt  nichts anderes verlangen, denn er hat
ihm  einmal  eine Versetzung  vermurkst,  und Mittelstaedt w

u

re sch

u

n  dumm,
diese  gute Gelegenheit nicht auszunutzen, bevor er  wieder ins Feld  kommt.
Man  stirbt doch vielleicht etwas leichter, wenn der Kommiß einem auch
einmal solch eine Chance geboten hat.
     Einstweilen  spritzt  Kantorek  hin  und  her  wie ein  aufgescheuchtes
Wildschwein.  Nach einiger Zeit l

u

ßt  Mittelstaedt  aufh

u

ren,  und nun
beginnt die so wichtige 

u

bung des Kriechens. Auf  Knien und  Ellenbogen, die
Knarre   vorschriftsm

u

ßig   gefaßt,   schiebt   Kantorek   seine
Prachtfigur  durch den Sand, dicht an  uns vorbei.  Er schnauft kr

u

ftig, und
sein Schnaufen ist Musik.
     Mittelstaedt  ermuntert  ihn,  indem er den Landsturmmann Kantorek  mit
Zitaten des Oberlehrers Kantorek tr

u

stet. "Landsturmmann Kantorek, wir haben
das Gl

u

ck, in  einer großen  Zeit  zu leben, da  m

u

ssen  wir  alle uns
zusammenreißen  und  das  Bittere  

u

berwinden."  Kantorek  spuckt  ein
schmutziges St

u

ck  Holz  aus,  das ihm zwischen die Z

u

hne gekommen ist,  und
schwitzt.  Mittelstaedt beugt  sich  nieder, beschw

u

rend eindringlich:  "Und

u

ber Kleinigkeiten niemals das große Erlebnis vergessen, Landsturmmann
Kantorek!"
     Mich  wundert,  daß Kantorek  nicht mit  einem  Knall  zerplatzt,
besonders,  da   jetzt  die  Turnstunde  folgt,  in  der  Mittelstaedt   ihn
großartig  kopiert,  indem er ihm  in  den  Hosenboden faßt beim
Klimmzug am Querbaum, damit er das Kinn stramm 

u

ber die Stange bringen kann,
und dazu von weisen Reden nur so trieft. Genauso hat Kantorek es  fr

u

her mit
ihm gemacht.
     Danach  wird  der  weitere Dienst verteilt. "Kantorek und Boettcher zum
Kommißbrotholen! Nehmen Sie den Handwagen mit."
     Ein paar  Minuten sp

u

ter geht das Paar mit  dem Handwagen los. Kantorek
h

u

lt w

u

tend den Kopf gesenkt. Der Portier ist stolz, weil er leichten Dienst
hat.
     Die Brotfabrik ist  am andern Ende der Stadt. Beide m

u

ssen also hin und
zur

u

ck durch die ganze Stadt.
     "Das machen sie schon  ein paar  Tage", grinst  Mittelstaedt. "Es  gibt
bereits Leute, die darauf warten, sie zu sehen."
     "Großartig", sage ich, "aber hat er sich noch nicht beschwert?"
     "Versucht!   Unser  Kommandeur  hat  furchtbar  gelacht,  als  er   die
Geschichte geh

u

rt  hat. Er kann  keine  Schulmeister  leiden. Außerdem
poussiere ich mit seiner Tochter."
     "Er wird dir das Examen versauen."
     "Darauf pfeife ich", meint Mittelstaedt gelassen. "Seine Beschwerde ist
außerdem  zwecklos gewesen, weil  ich  beweisen konnte,  daß  er
meistens leichten Dienst hat."
     "K

u

nntest du ihn nicht mal ganz groß schleifen?" frage ich.
     "Dazu  ist  er  mir zu d

u

mlich",  antwortet  Mittelstaedt  erhaben  und
großz

u

gig.
     Was  ist  Urlaub?  -   Ein  Schwanken,  das  alles  nachher  noch  viel
schwerermacht. Schon  jetzt  mischt sich der  Abschied hinein. Meine  Mutter
sieht mich schweigend  an; - sie z

u

hlt die Tage,  ich weiß es; - jeden
Morgen ist sie  traurig.  Es  ist  schon  wieder  ein  Tag  weniger.  Meinen
Tornister hat sie weggepackt, sie will durch ihn nicht erinnert werden.
     Die Stunden laufen schnell, wenn man  gr

u

belt. Ich raffe mich  auf  und
begleite meine Schwester. Sie  geht zum Schlachthof, um einige Pfund Knochen
zu holen. Das  ist eine große Verg

u

nstigung, und morgens schon stellen
sich die Leute hin, um darauf anzustehen. Manche werden ohnm

u

chtig.
     Wir  haben kein  Gl

u

ck. Nachdem  wir drei Stunden  abwechselnd gewartet
haben, l

u

st sich die Reihe auf. Die Knochen sind zu Ende.
     Es ist gut, daß  ich meine Verpflegung erhalte.  Davon bringe ich
meiner Mutter mit, und wir haben so alle etwas kr

u

ftigeres Essen.
     Immer  schwerer  werden  die  Tage,  die  Augen   meiner  Mutter  immer
trauriger. Noch vier Tage. Ich muß zu Kemmerichs Mutter gehen.

     Man kann das nicht  niederschreiben. Diese bebende,  schluchzende Frau,
die  mich sch

u

ttelt und mich anschreit: "Weshalb lebst du denn,  wenn er tot
ist!", die mich mit Tr

u

nen 

u

berstr

u

mt und ruft: "Weshalb  seid ihr 

u

berhaupt
da, Kinder, wie ihr -",  die in  einen Stuhl sinkt und weint:  "Hast  du ihn
gesehen? Hast du ihn noch gesehen? Wie starb er?"
     Ich sage ihr, daß er einen Schuß ins Herz erhalten hat  und
gleich tot war. Sie sieht mich  an, sie zweifelt: "Du l

u

gst. Ich  weiß
es besser.  Ich habe gef

u

hlt, wie  schwer  er gestorben ist. Ich  habe seine
Stimme geh

u

rt, seine  Angst habe ich nachts gesp

u

rt, - sag die Wahrheit, ich
will es wissen, ich muß es wissen."
     "Nein",  sage ich, "ich war neben ihm.  Er war sofort tot."  Sie bittet
mich leise:  "Sag es mir. Du mußt es.  Ich weiß,  du willst mich
damit tr

u

sten, aber siehst du nicht, daß du mich schlimmer qu

u

lst, als
wenn du  die  Wahrheit sagst? Ich kann die Ungewißheit nicht ertragen,
sag mir,  wie es  war, und wenn es noch so furchtbar ist. Es  ist immer noch
besser, als was ich sonst denken muß."
     Ich  werde es nie sagen,  eher kann sie aus mir Hackfleisch machen. Ich
bemitleide sie, aber  sie  kommt mir auch ein wenig dumm vor. Sie soll  sich
doch zufrieden geben, Kemmerich bleibt tot, ob sie es weiß oder nicht.
Wenn  man so viele  Tote gesehen  hat, kann  man  so  viel Schmerz  um einen
einzigen  nicht mehr recht begreifen. So sage ich etwas ungeduldig:  "Er war
sofort tot. Er hat es gar nicht gef

u

hlt. Sein Gesicht war ganz ruhig."
     Sie schweigt. Dann fragt sie langsam: "Kannst du das beschw

u

ren?"
     "Ja."
     "Bei allem, was dir heilig ist?"
     Ach Gott, was ist mir schon heilig;  - so  was  wechselt ja schnell bei
uns.
     "Ja, er war sofort tot."
     "Willst du selbst nicht wiederkommen, wenn es nicht wahr ist?"
     "Ich will nicht wiederkommen, wenn er nicht sofort tot war."
     Ich w

u

rde noch wer weiß was auf mich nehmen. Aber sie scheint mir
zu glauben.  Sie st

u

hnt und weint lange. Ich soll erz

u

hlen, wie es war,  und
erfinde eine Geschichte, an die ich jetzt beinahe selbst glaube.
     Als ich gehe, k

u

ßt sie mich und schenkt mir ein Bild von  ihm. Er
lehnt darauf  in seiner  Rekrutenuniform an einem runden Tisch, dessen Beine
aus ungesch

u

lten  Birken

u

sten  bestehen. Dahinter  ist  ein  Wald gemalt als
Kulisse. Auf dem Tisch steht ein Bierseidel.

     Es  ist der letzte Abend zu Hause. Alle sind  schweigsam. Ich gehe fr

u

h
zu Bett, ich fasse die  Kissen an, ich dr

u

cke  sie an mich und lege den Kopf
hinein. Wer weiß, ob ich je wieder so in einem Federbett liegen werde!
     Meine Mutter kommt sp

u

t noch in mein  Zimmer. Sie glaubt, daß ich
schlafe, und ich stelle mich auch so. Zu sprechen, wach miteinander zu sein,
ist zu schwer.
     Sie sitzt fast bis  zum  Morgen,  obschon sie Schmerzen  hat  und  sich
manchmal  kr

u

mmt. Endlich  kann  ich  es  nicht mehr  aushaken, ich tue, als
erwachte ich.
     "Geh schlafen, Mutter, du erk

u

ltest dich hier."
     Sie sagt: "Schlafen kann ich noch genug sp

u

ter."
     Ich richte  mich auf. "Es geht ja nicht  sofort ins Feld,  Mutter.  Ich
muß doch  erst  vier Wochen ins  Barackenlager.  Von  dort  komme  ich
vielleicht einen Sonntag noch her

u

ber."
     Sie schweigt. Dann fragt sie leise: "F

u

rchtest du dich sehr?"
     "Nein, Mutter."
     "Ich wollte  dir  noch sagen:  Nimm dich vor  den  Frauen  in  acht  in
Frankreich. Sie sind schlecht dort."
     Ach Mutter,  Mutter! F

u

r dich bin ich  ein Kind, - warum kann ich nicht
den Kopf in deinen Schoß  legen  und weinen? Warum muß ich immer
der St

u

rkere und  der Gefaßtere  sein,  ich  m

u

chte doch  auch  einmal
weinen und  getr

u

stet werden, ich bin doch  wirklich nicht viel mehr als ein
Kind, im Schrank h

u

ngen noch meine kurzen Knabenhosen, - es ist doch erst so
wenig Zeit her, warum ist es denn vorbei?
     So ruhig  ich kann, sage  ich: "Wo wir liegen,  da sind  keine  Frauen,
Mutter."
     "Und sei recht vorsichtig dort im Felde, Paul."
     Ach Mutter, Mutter!  Warum nehme ich dich nicht in meine  Arme, und wir
sterben. Was sind wir doch f

u

r arme Hunde!
     "Ja, Mutter, das will ich sein."
     "Ich werde jeden Tag f

u

r dich beten, Paul."
     Ach Mutter, Mutter! Laß uns aufstehen und fortgehen, zur

u

ck durch
die  Jahre, bis all dies  Elend nicht mehr auf uns liegt, zur

u

ck  zu dir und
mir allein, Mutter!
     "Vielleicht kannst  du einen  Posten bekommen, der nicht so  gef

u

hrlich
ist."
     "Ja, Mutter, vielleicht komme ich in die K

u

che, das kann wohl
     sein."
     "Nimm ihn ja an, wenn die andern auch reden -"
     "Darum k

u

mmere ich mich nicht, Mutter -"
     Sie seufzt. Ihr  Gesicht  ist ein weißer  Schein im  Dunkel. "Nun
mußt du schlafen gehen, Mutter."
     Sie  antwortet nicht. Ich stehe auf und  lege  ihr meine Decke 

u

ber die
Schultern. Sie st

u

tzt sich auf meinen  Arm, sie hat Schmerzen. So bringe ich
sie hin

u

ber. Eine Weile bleibe ich noch  bei  ihr. "Du  mußt  nun auch
gesund werden, Mutter, bis ich wiederkomme."
     "Jaja, mein Kind."
     "Ihr  d

u

rft  mir   nicht  eure  Sachen  schicken,  Mutter.   Wir  haben
draußen genug zu essen. Ihr k

u

nnt es hier besser brauchen."
     Wie arm sie  in ihrem Bette liegt, sie, die mich liebt, mehr als alles.
Als  ich  schon  gehen  will,  sagt  sie  hastig: "Ich habe  dir  noch  zwei
Unterhosen besorgt. Es ist gute Wolle. Sie werden warm halten. Du mußt
nicht vergessen, sie dir einzupacken."
     Ach Mutter, ich  weiß, was dich diese beiden  Unterhosen gekostet
haben an Herumstehen und Laufen und Betteln! Ach  Mutter,  Mutter, wie  kann
man es  begreifen,  daß ich weg muß von dir, wer hat denn anders
ein Recht  auf  mich  als du. Noch sitze  ich hier, und du liegst  dort, wir
m

u

ssen uns so vieles sagen, aber wir werden es nie k

u

nnen.
     "Gute Nacht, Mutter."
     "Gute Nacht, mein Kind."
     Das Zimmer ist dunkel. Der Atem  meiner Mutter geht darin hin  und her.
Dazwischen  tickt die  Uhr.  Draußen vor den  Fenstern  weht  es.  Die
Kastanien rauschen.
     Auf dem Vorplatz stolpere ich 

u

ber meinen Tornister, der fertig gepackt
daliegt, weil ich morgen sehr fr

u

h fort muß.
     Ich  beiße  in  meine  Kissen,  ich  krampfe  die  F

u

uste  um die
Eisenst

u

be  mei'ies  Bettes.  Ich  h

u

tte  nie hierherkommen  d

u

rfen. Ich war
gleichg

u

ltig  und oft hoffnungslos draußen; - ich werde es nie mehr so
sein k

u

nnen.  Ich war ein Soldat, und nun bin ich nichts mehr als Schmerz um
mich, um  meine Mutter,  um alles, was  so  trostlos und ohne Ende  ist. Ich
h

u

tte nie auf Urlaub fahren d

u

rfen.



     Die  Baracken  im Heidelager kenne ich noch.  Hier hat Himmelstoß
Tjaden erzogen. Sonst aber kenne ich kaum jemand hier; alles hat gewechselt,
wie immer. Nur einige der Leute habe ich fr

u

her fl

u

chtig gesehen.
     Den  Dienst  mache  ich  mechanisch.  Abends  bin  ich  fast  stets  im
Soldatenheim, da liegen Zeitschriften aus, die ich aber nicht lese; es steht
jedoch ein Klavier da,  auf dem ich gern spiele. Zwei M

u

dchen bedienen, eins
davon ist jung.
     Das  Lager ist  von  hohen Drahtz

u

unen umgeben.  Wenn wir sp

u

t  aus dem
Soldatenheim  kommen, m

u

ssen  wir  Passierscheine  haben. Wer  sich  mit dem
Posten versteht, kriecht nat

u

rlich auch so durch.
     Zwischen  Wacholderb

u

schen  und  Birkenw

u

ldern   

u

ben  wir  jeden   Tag
Kompanieexerzieren  in der  Heide. Es ist  zu  ertragen, wenn man nicht mehr
verlangt. Man rennt vorw

u

rts, wirft sich hin, und der Atem biegt die Stengel
und Bl

u

ten der Heide  hin  und  her.  Der Ware Sand ist,  so  dicht am Boden
gesehen,  rein  wie  in  einem  Laboratorium,  aus  vielen kleinsten Kieseln
gebildet. Es ist seltsam verlockend, die Hand hineinzugraben.
     Aber das sch

u

nste sind die W

u

lder mit ihren Birkenr

u

ndern. Sie wechseln
jeden   Augenblick   die  Farbe.  Jetzt  leuchten  die  St

u

mme  im  hellsten
Weiß,  und seidig und luftig  schwebt  zwischen ihnen das pastellhafte
Gr

u

n des Laubes; - im n

u

chsten Moment wechselt alles zu einem opalenen Blau,
das silbrig vom Rande her streicht und das Gr

u

n forttupft; -  aber  sogleich
vertieft  es sich an einer Stelle fast  zu Schwarz, wenn eine Wolke 

u

ber die
Sonne  geht.  Und dieser  Schatten l

u

uft wie ein  Gespenst zwischen den  nun
fahlen  St

u

mmen entlang, weiter 

u

ber die  Heide zum Horizont,  -  inzwischen
stehen  die  Birken schon wie festliche Fahnen  mit weißen Stangen vor
dem rotgoldenen Geloder ihres sich f

u

rbenden Laubes.
     Ich   verliere  mich  oft   an  dieses  Spiel   zartester  Lichter  und
durchsichtiger Schatten, so sehr, daß ich fast die Kommandos 

u

berh

u

re;
-  wenn man allein ist,  beginnt man die Natur zu beobachten und zu  lieben.
Und ich habe hier nicht viel Anschluß, w

u

nsche ihn auch nicht 

u

ber das
normale Maß hinaus. Man ist  zuwenig miteinander bekannt, um  mehr  zu
tun, als etwas zu quatschen und abends Siebzehn-und-vier  zu spielen oder zu
mauscheln.
     Neben unsern Baracken befindet sich das große Russenlager. Es ist
von uns zwar  durch Drahtw

u

nde getrennt, trotzdem  gelingt es den Gefangenen
doch, zu uns her

u

berzukommen. Sie geben sich sehr scheu und 

u

ngstlich, dabei
haben  die  meisten  Barte  und  sind  groß; dadurch  wirken  sie  wie
verpr

u

gelte Bernhardiner.
     Sie schleichen um unsere Baracken und revidieren  die Abfalltonnen. Man
muß sich  vorstellen,  was sie da  finden. Die Kost ist bei  uns schon
knapp und vor allem schlecht, es gibt Steckr

u

ben, in sechs Teile geschnitten
und in Wasser gekocht, Mohrr

u

benstr

u

nke, die  noch  schmutzig sind; fleckige
Kartoffeln  sind  große  Leckerbissen,  und   das  H

u

chste  ist  d

u

nne
Reissuppe, in der kleingeschnittene Rindfleischsehnen schwimmen sollen. Aber
sie sind so klein geschnitten, daß sie nicht mehr zu finden sind.
     Trotzdem wird  nat

u

rlich  alles  gegessen.  Wenn wirklich einer  mal so
reich ist, nicht leerfuttern zu brauchen, stehen zehn andere da, die  es ihm
gern abnehmen. Nur die Reste, die der  L

u

ffel  nicht mehr  erreicht,  werden
ausgesp

u

lt  und  in  die Abfalltonnen gesch

u

ttet. Dazu kommen  dann manchmal
einige Steckr

u

benschalen, verschimmelte Brotrinden und allerlei Dreck.
     Dieses d

u

nne, tr

u

be, schmutzige Wasser ist das Ziel der Gefangenen. Sie
sch

u

pfen es gierig  aus den  stinkenden  Tonnen  und tragen  es unter  ihren
Blusen fort.
     Es  ist sonderbar,  diese  unsere Feinde  so nahe zu sehen.  Sie  haben
Gesichter, die  nachdenklich machen, gute  Bauerngesichter, breite  Stirnen,
breite Nasen,  breite  Lippen, breite  H

u

nde, wolliges Haar. Man m

u

ßte
sie  zum  Pfl

u

gen  und  M

u

hen  und Apfelpfl

u

cken  verwenden. Sie  sehen noch
gutm

u

tiger aus als unsere Bauern in Friesland.
     Es ist traurig, ihre Bewegungen, ihr  Betteln um etwas  Essen zu sehen.
Sie sind alle ziemlich schwach, denn sie erhalten gerade so  viel, daß
sie nicht verhungern. Wir selbst bekommen ja l

u

ngst nicht satt zu essen. Sie
haben  Ruhr,  mit  

u

ngstlichen  Blicken  zeigen  manche  verstohlen  blutige
Hemdzipfel  heraus.  Ihre  R

u

cken,  ihre  Nacken  sind  gekr

u

mmt,  die  Knie
geknickt,  der  Kopf  blickt schief  von unten  herauf, wenn  sie  die  Hand
ausstrecken und  mit den  wenigen Worten, die sie kennen, betteln, - betteln
mit diesen weichen, leisen B

u

ssen, die wie warme 

u

fen und Heimatstuben sind.
     Es gibt  Leute, die ihnen  einen Tritt geben, daß sie umfallen; -
aber das sind nur  wenig. Die  meisten tun ihnen nichts, sie  gehen an ihnen
vorbei. Mitunter wenn  sie sehr elend sind allerdings,  ger

u

t man dar

u

ber in
Wut und versetzt ihnen dann einen Tritt. Wenn sie einen nur nicht so ansehen
wollten, - was f

u

r ein  Jammer in zwei so kleinen  Flecken sitzen  kann, die
man mit dem Daumen schon zuhalten kann: in den Augen.
     Abends kommen sie in die Baracken und handeln. Sie tauschen  alles, was
sie haben, gegen  Brot ein. Es  gelingt ihnen manchmal, denn  sie haben gute
Stiefel, unsere aber sind schlecht. Das Leder ihrer hohen  Schaftstiefel ist
wunderbar  weich, wie  Juchten.  Die Bauerns

u

hne bei uns, die  von zu  Hause
Fettigkeiten geschickt erhalten, k

u

nnen sie sich  leisten. Der Preis f

u

r ein
Paar  Stiefel  ist   ungef

u

hr  zwei  bis  drei  Kommißbrote  oder  ein
Kommißbrot und eine kleinere harte Mettwurst.
     Aber  fast alle  Russen haben  l

u

ngst  ihre  Sachen abgegeben, die  sie
hatten.  Sie  tragen   nur  noch  erb

u

rmliches  Zeug  und  versuchen  kleine
Schnitzereien und Gegenst

u

nde, die sie aus Granatsplittern  und  St

u

cken von
kupfernen  F

u

hrungsringen  gemacht haben,  zu tauschen. Diese Sachen bringen
nat

u

rlich nicht viel ein, wenn sie auch allerhand  M

u

he gemacht haben -  sie
gehen f

u

r ein paar Scheiben Brot  bereits  weg.  Unsere Bauern  sind z

u

h und
schlau, wenn sie handeln. Sie halten dem Russen das St

u

ck Brot oder Wurst so
lange dicht unter die  Nase, bis er  vor  Gier blaß wird und die Augen
verdreht, dann ist ihm alles egal. Sie aber verpacken ihre Beute mit all der
Umst

u

ndlichkeit,  deren  sie  f

u

hig  sind,  holen ihr  dickes  Taschenmesser
heraus, schneiden langsam  und bed

u

chtig f

u

r sich  selber einen  Ranken Brot
von ihrem Vorrat ab und dazu bei jedem Happen ein St

u

ck von der harten guten
Wurst und futtern, sich zur Belohnung. Es ist aufreizend, sie so vespern  zu
sehen, man  m

u

chte ihnen auf die dicken  Sch

u

del  trommeln. Sie geben selten
etwas ab. Man kennt sich ja auch zuwenig.

     Ich bin 

u

fter auf Wache  bei  den  Russen. In  der Dunkelheit sieht man
ihre Gestalten sich bewegen, wie kranke  St

u

rche, wie große V

u

gel. Sie
kommen dicht  an das Gitter heran  und legen  ihre  Gesichter  dagegen,  die
Finger  sind  in  die Maschen  gekrallt. Oft stehen viele nebeneinander.  So
atmen sie den Wind, der von der Heide und den W

u

ldern herkommt.
     Selten sprechen  sie, und dann nur wenige Worte.  Sie sind menschlicher
und, ich m

u

chte fast glauben, br

u

derlicher zueinander als wir hier. Aber das
ist  vielleicht  nur deshalb,  weil sie sich ungl

u

cklicher  f

u

hlen  als wir.
Dabei ist f

u

r sie doch der  Krieg zu Ende. Doch auf die Ruhr zu  warten, ist
ja auch kein Leben.
     Die  Landsturmleute, die  sie bewachen, erz

u

hlen, daß sie anfangs
lebhafter waren. Sie  hatten, wie das immer ist, Verh

u

ltnisse untereinander,
und  es soll oft mit  F

u

usten und Messern dabei zugegangen  sein. Jetzt sind
sie  schon ganz  stumpf und gleichg

u

ltig, die meisten onanieren nicht einmal
mehr, so schwach sind sie, obschon es doch damit sonst oft  so schlimm  ist,
daß sie es sogar barackenweise tun.
     Sie stehen am  Gitter; manchmal schwankt einer fort,  dann ist bald ein
anderer  an seiner Stelle in der Reihe. Die meisten sind still; nur einzelne
betteln um das Mundst

u

ck einer ausgerauchten Zigarette.
     Ich  sehe  ihre dunklen  Gestalten.  Ihre  Barte  wehen  im Winde.  Ich
weiß  nichts von ihnen, als  daß sie Gefangene  sind, und gerade
das ersch

u

ttert mich. Ihr Leben ist namenlos und ohne  Schuld; - w

u

ßte
ich mehr von ihnen, wie sie  heißen, wie  sie leben, was sie erwarten,
was  sie  bedr

u

ckt,  so  h

u

tte  meine Ersch

u

tterung ein  Ziel und k

u

nnte  zu
Mitleid werden.  Jetzt aber empfinde ich hinter ihnen  nur  den  Schmerz der
Kreatur, die furchtbare Schwermut des Lebens und die Erbarmungslosigkeit der
Menschen.
     Ein Befehl hat diese  stillen Gestalten zu unsern Feinden  gemacht; ein
Befehl  k

u

nnte sie  in unsere Freunde verwandeln. An irgendeinem  Tisch wird
ein Schriftst

u

ck von einigen Leuten unterzeichnet, die keiner von uns kennt,
und jahrelang ist unser h

u

chstes Ziel  das,  worauf sonst die Verachtung der
Welt und  ihre h

u

chste Strafe ruht. Wer kann da  noch unterscheiden, wenn er
diese stillen  Leute hier  sieht  mit  den  kindlichen  Gesichtern  und  den
Apostelb

u

rten! Jeder Unteroffizier  ist  dem Rekruten, jeder  Oberlehrer dem
Sch

u

ler ein schlimmerer Feind als sie uns. Und dennoch w

u

rden wir wieder auf
sie schießen und sie auf uns, wenn sie frei w

u

ren.
     Ich erschrecke;  hier darf ich  nicht  weiterdenken. Dieser Weg geht in
den Abgrund.  Es  ist  noch nicht die Zeit dazu; aber ich  will den Gedanken
nicht verlieren,  ich will  ihn bewahren,  ihn  fortschließen, bis der
Krieg zu Ende ist. Mein Herz klopft: ist hier das Ziel, das Große, das
Einmalige,  an  das   ich  im  Graben  gedacht  habe,  das  ich  suchte  als
Daseinsm

u

glichkeit nach dieser Katastrophe aller Menschlichkeit, ist es eine
Aufgabe f

u

r das Leben nachher, w

u

rdig der Jahre des Grauens?
     Ich nehme meine Zigaretten heraus, breche  jede  in zwei Teile und gebe
sie den Russen. Sie verneigen sich und z

u

nden sie an. Nun glimmen in einigen
Gesichtern rote Punkte. Sie tr

u

sten mich; es sieht aus,  als w

u

ren es kleine
Fensterchen in dunklen Dorfh

u

usern, die verraten, daß  dahinter Zimmer
voll Zuflucht sind.

     Die  Tage gehen  hin. An einem nebeligen Morgen wird  wieder  ein Russe
begraben; es sterben ja jetzt fast t

u

glich welche. Ich  bin gerade aufWache,
als  er  beerdigt  wird.  Die Gefangenen  singen einen  Choral,  sie  singen
vielstimmig, und es klingt, als w

u

ren es kaum noch Stimmen, als w

u

re es eine
Orgel, die fern in der Heide steht.
     Die Beerdigung geht schnell.
     Abends  stehen  sie  wieder  am  Gitter,  und der  Wind kommt  von  den
Birkenw

u

ldern zu ihnen.  Die  Sterne sind  kalt. Ich kenne  jetzt einige von
ihnen, die ziemlich gut Deutsch sprechen. Ein Musiker ist dabei, er erz

u

hlt,
daß er Geiger in Berlin gewesen sei. Als er h

u

rt,  daß ich etwas
Klavier spielen kann, holt er seine Geige und spielt.
     Die  andern setzen sich  und lehnen die R

u

cken an  das Gitter. Er steht
und spielt, oft hat  er den verlorenen Ausdruck, den Geiger  haben, wenn sie
die Augen schließen, dann  wieder bewegt er das Instrument im Rhythmus
und l

u

chelt mich an.
     Er spielt wohl Volkslieder; denn die anderen summen mit. Es sind dunkle
H

u

gel,  die  tief  unterirdisch  summen.  Die  Geigenstimme  steht  wie  ein
schlankes M

u

dchen dar

u

ber  und  ist  hell und allein. Die Stimmen h

u

ren auf,
und  die  Geige  bleibt -  sie ist d

u

nn  in der Nacht, als  friere  sie; man
muß  dicht danebenstehen, es w

u

re  in  einem Raum wohl  besser; - hier
draußen wird man traurig, wenn sie so allein umherirrt.

     Ich bekomme keinen Urlaub 

u

ber Sonntag, weil ich ja erst gr

u

ßeren
Urlaub gehabt habe.  Am  letzten Sonntag vor  der  Abfahrt sind deshalb mein
Vater und meine 

u

lteste Schwester zu Besuch bei  mir. Wir  sitzen den ganzen
Tag im Soldatenheim.  Wo sollen wir  anders hin,  in die  Baracke wollen wir
nicht gehen. Mittags machen wir einen Spaziergang in die Heide.
     Die Stunden qu

u

len sich hm; wir wissen nicht, wor

u

ber wir reden sollen.
So sprechen wir 

u

ber die Krankheit meiner Mutter. Es ist nun bestimmt Krebs,
sie  liegt  schon  im  Krankenhaus  und wird demn

u

chst  operiert.  Die 

u

rzte
hoffen, daß sie gesund wird, aber wir haben noch nie geh

u

rt, daß
Krebs geheilt worden ist.
     "Wo liegt sie denn?" frage ich.
     "Im Luisenhospital", sagt mein Vater.
     "In welcher Klasse?"
     "Dritter. Wir m

u

ssen  abwarten, was  die  Operation kostet.  Sie wollte
selbst  dritter liegen. Sie sagte, dann h

u

tte sie etwas Unterhaltung. Es ist
auch billiger."
     "Dann  liegt  sie  doch mit  so  vielen  zusammen. Wenn sie  nur nachts
schlafen kann."
     Mein Vater nickt. Sein Gesicht ist abgespannt und  voll  Furchen. Meine
Mutter ist viel  krank gewesen;  sie ist zwar nur ins Krankenhaus  gegangen,
wenn  sie gezwungen wurde,  trotzdem  hat es viel Geld f

u

r uns gekostet, und
das Leben meines Vaters ist eigentlich
     dar

u

ber  hingegangen.  "Wenn  man  bloß w

u

ßte, wieviel  die
Operation kostet", sagt er.
     "Habt ihr nicht gefragt?"
     "Nicht direkt;  das kann man  nicht - wenn der Arzt  dann  unfreundlich
wird, das geht doch nicht, weil er Mutter doch operieren soll."
     Ja, denke  ich bitter, so sind  wir, so sind sie,  die armen Leute. Sie
wagen  nicht  nach dem  Preise  zu fragen und  sorgen  sich  eher  furchtbar
dar

u

ber;  aber  die  andern,  die  es  nicht  n

u

tig  haben,  die  finden  es
selbstverst

u

ndlich, vorher den  Preis  festzulegen. Bei ihnen wird der  Arzt
auch nicht unfreundlich sein.
     "Die Verb

u

nde hinterher sind auch so teuer", sagt mein Vater.
     "Zahlt denn die Krankenkasse nichts dazu?" frage ich.
     "Mutter ist schon zu lange krank."
     "Habt ihr denn etwas Geld?"
     Er sch

u

ttelt den  Kopf.  "Nein. Aber ich kann jetzt wieder  

u

berstunden
machen."
     Ich weiß: er wird bis zw

u

lf Uhr nachts an seinem Tisch stehen und
falzen und  kleben und schneiden. Um acht Uhr abends wird er etwas essen von
diesem kraftlosen  Zeug,  das sie auf Karte  beziehen. Hinterher wird er ein
Pulver gegen seine Kopfschmerzen einnehmen und weiterarbeiten.
     Um ihn etwas aufzuheitern, erz

u

hle ich ihm einige  Geschichten, die mir
gerade einfallen,  Soldatenwitze und so etwas, von Generalen und Feldwebeln,
die irgendwann mal 'reingelegt wurden.
     Nachher bringe  ich  beide zur  Bahnstation.  Sie  geben mir  ein  Glas
Marmelade  und ein Paket Kartoffelpuffer, die  meine  Mutter  noch  f

u

r mich
gebacken hat.
     Dann fahren sie ab, und ich gehe zur

u

ck.
     Abends streiche ich mir von der Marmelade auf die Pufferund esse davon.
Es will mir nicht schmecken. So gehe ich hinaus, um den Russen die Puffer zu
geben. Dann  f

u

llt mir ein, daß meine Mutter sie  selbst  gebacken hat
und   daß  sie  vielleicht  Schmerzen  gehabt  hat,  w

u

hrend  sie   am
heißen  Herd stand. Ich lege  das Paket zur

u

ck in meinen Tornister und
nehme nur zwei St

u

ck davon mit zu den Russen.



     Wir  fahren  einige Tage. Die ersten Flieger erscheinen am  Himmel. Wir
rollen  an  Transportz

u

gen  vor

u

ber.  Gesch

u

tze,   Gesch

u

tze.  Die  Feldbahn

u

bernimmt uns.  Ich  suche mein Regiment. Niemand  weiß,  wo es gerade
liegt.  Irgendwo 

u

bernachte ich, irgendwo empfange ich morgens  Proviant und
einige vage Instruktionen. So mache ich mich mit meinem Tornister und meinem
Gewehr wieder auf den Weg. Als ich ankomme, ist keiner von  uns mehr in  dem
zerschossenen  Ort. Ich h

u

re, daß  wir  zu einer  fliegenden  Division
geworden sind, die 

u

berall eingesetzt wird, wo es brenzlig  ist. Das  stimmt
mich nicht  heiter.  Man erz

u

hlt mir  von großen  Verlusten,  die  wir
gehabt haben sollen. Ich forsche nach Kat und Albert. Es weiß  niemand
etwas von ihnen.
     Ich suche weiter und irre umher, das ist ein  wunderliches Gef

u

hl. Noch
eine Nacht und eine  zweite  kampiere  ich wie ein Indianer.  Dann  habe ich
bestimmte Nachricht und kann mich nachmittags auf der Schreibstube melden.
     Der Feldwebel  beh

u

lt mich da. Die Kompanie kommt in zwei Tagen zur

u

ck,
es  hat keinen  Zweck  mehr,  mich hinauszuschicken. "Wie war's  im Urlaub?"
fragt er. "Sch

u

n, was?"
     "Teils, teils", sage ich.
     "Jaja", seufzt er, "wenn  man nicht wieder weg  m

u

ßte. Die zweite
H

u

lfte wird dadurch immer schon verpfuscht."
     Ich lungere umher, bis die Kompanie morgens einr

u

ckt, grau,  schmutzig,
verdrossen und tr

u

be. Da springe ich auf und dr

u

nge mich zwischen sie, meine
Augen suchen, dort ist Tjaden, da schnaubt M

u

ller, und da sind  auch Kat und
Kropp.  Wir  machen uns unsere  Strohs

u

cke nebeneinander zurecht.  Ich f

u

hle
mich schuldbewußt, wenn ich  sie  ansehe, und habe  doch keinen  Grund
dazu.  Bevor wir schlafen, hole ich den  Rest  der  Kartoffelpuffer und  der
Marmelade heraus, damit sie auch etwas haben.
     Die beiden 

u

ußeren  Puffer sind  angeschimmelt, man kann sie aber
noch essen. Ich nehme sie f

u

r mich und gebe die frischeren Kat und Kropp.
     Kat kaut und fragt: "Die sind wohl von Muttern?"
     Ich nicke.
     "Gut", sagt er, "das schmeckt man heraus."
     Fast k

u

nnte ich weinen. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Doch  es wird
schon wieder  besser werden, hier  mit Kat und Alben  und den  

u

brigen. Hier
geh

u

re ich hin.
     "Du  hast Gl

u

ck gehabt",  fl

u

stert Kropp  mir noch beim Einschlafen zu,
"es heißt, wir kommen nach  Rußland." Nach Rußland. Da ist
ja kein Krieg mehr.
     In der Ferne donnert die Front. Die W

u

nde der Baracken klirren.

     Es wird m

u

chtig geputzt. Ein Appell  jagt den andern.  Von allen Seiten
werden wir revidiert. Was zerrissen ist, wird umgetauscht gegen gute Sachen.
Ich erwische dabei  einen tadellosen neuen Rock, Kat  nat

u

rlich  sogar  eine
volle Montur.  Das  Ger

u

cht  taucht auf, es  g

u

be  Frieden, doch die  andere
Ansicht  ist wahrscheinlicher:  daß  wir  nach Rußland  verladen
werden. Aber  wozu brauchen  wir in  Rußland  bessere  Sachen? Endlich
sickert  es  durch: der Kaiser kommt  zur  Besichtigung.  Deshalb die vielen
Musterungen.
     Acht Tage lang k

u

nnte man glauben, in  einer Rekrutenkaserne zu sitzen,
so  wird  gearbeitet  und  exerziert. Alles ist verdrossen und nerv

u

s,  denn

u

berm

u

ßiges Putzen ist nichts  f

u

r uns und  Parademarsch noch weniger.
Gerade  solche  Sachen  ver

u

rgern den Soldaten mehr als  der Sch

u

tzengraben.
Endlich  ist der Augenblick da. Wir stehen stramm, und der Kaiser erscheint.
Wir sind neugierig, wie er aussehen mag. Er schreitet die Front entlang, und
ich  bin eigentlich  etwas entt

u

uscht: nach  den Bildern hatte ich  ihn  mir
gr

u

ßer  und  m

u

chtiger  vorgestellt,  vor   allen   Dingen  mit  einer
donnernderen Stimme.
     Er verteilt Eiserne Kreuze und spricht diesen und jenen an. Dann ziehen
wir ab.
     Nachher unterhalten  wir uns.  Tjaden sagt  staunend:  "Das ist nun der
Alleroberste,  den es gibt.  Davor  muß darin doch jeder strammstehen,
jeder  

u

berhaupt!"  Er  

u

berlegt:  "Davor  muß  doch  auch  Hindenburg
strammstehen, was?"
     "Jawoll", best

u

tigt Kat.
     Tjaden  ist  noch nicht fertig. Er denkt eine Zeitlang nach  und fragt:
"Muß ein K

u

nig vor einem Kaiser auch strammstehen?"
     Keiner weiß das genau, aber wir glauben es  nicht. Die sind beide
schon so hoch, daß es da sicher kein richtiges Strammstehen mehr gibt.
     "Was  du  dir f

u

r einen Quatsch ausbr

u

test",  sagt Kat. "Die Hauptsache
ist, daß du selber strammstehst."
     Aber Tjaden ist  v

u

llig fasziniert. Seine sonst sehr trockene Phantasie
arbeitet sich Blasen.
     "Sieh mal", verk

u

ndet  er, "ich kann einfach nicht begreifen, daß
ein Kaiser auch genauso zur Latrine muß wie ich."
     "Darauf kannst du Gift nehmen", lacht Kropp.
     "Verr

u

ckt und  drei  sind sieben",  erg

u

nzt  Kat,  "du  hast  L

u

use  im
Sch

u

del,  Tjaden, geh du nur  selbst rasch los  zur  Latrine, damit du einen
klaren Kopp kriegst und nicht wie ein Wickelkind redest."
     Tjaden verschwindet.
     "Eins m

u

chte ich  aber  doch  noch wissen", sagt Albert, "ob  es  Krieg
gegeben h

u

tte, wenn der Kaiser nein gesagt h

u

tte."
     "Das glaube ich sicher", werfe ich ein, - "er soll ja sowieso erst  gar
nicht gewollt haben."
     "Na,  wenn er  allein  nicht, dann vielleicht  doch,  wenn so  zwanzig,
dreißig Leute in der Welt nein gesagt h

u

tten."
     "Das wohl", gebe ich zu, "aber die haben ja gerade gewollt."
     "Es ist komisch, wenn  man  sich das 

u

berlegt", f

u

hrt Kropp fort,  "wir
sind doch hier, um unser Vaterland zu  verteidigen. Aber die Franzosen  sind
doch auch da, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wer hat nun recht?"
     "Vielleicht beide", sage ich, ohne es zu glauben.
     "Ja, nun", meint Albert, und ich sehe ihm  an, daß er mich in die
Enge treiben will, "aber unsere Professoren und Past

u

re und Zeitungen sagen,
nur wir h

u

tten  recht, und das wird ja hoffentlich  auch so sein; - aber die
franz

u

sischen  Professoren  und  Past

u

re  und Zeitungen  behaupten, nur  sie
h

u

tten recht, wie steht es denn damit?"
     "Das weiß ich nicht",  sage  ich,  "auf jeden Fall ist Krieg, und
jeden Monat kommen mehr L

u

nder dazu."
     Tjaden erscheint wieder. Er  ist noch immer angeregt und greift  sofort
wieder in das  Gespr

u

ch  ein, indem  er sich  erkundigt, wie eigentlich  ein
Krieg entstehe.
     "Meistens so, daß ein Land  ein anderes schwer  beleidigt",  gibt
Albert mit einer gewissen 

u

berlegenheit zur Antwort.
     Doch Tjaden stellt sich dickfellig. "Ein Land?  Das verstehe ich nicht.
Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen.
Oder ein Fluß oder ein Wald oder ein Weizenfeld."
     "Bist du so d

u

mlich oder tust du nur  so?" knurrt Kropp. "So  meine ich
das doch nicht. Ein Volk beleidigt das andere -"
     "Dann habe ich hier nichts zu suchen", erwidert Tjaden, "ich f

u

hle mich
nicht beleidigt."
     "Dir  soll man nun was  erkl

u

ren", sagt  Albert  

u

rgerlich,  "auf  dich
Dorfdeubel kommt es doch dabei nicht an."
     "Dann  kann ich ja erst  recht nach Hause gehen",  beharrt  Tjaden, und
alles lacht.
     "Ach, Mensch, es ist doch  das Volk als Gesamtheit, also  der Staat -",
ruft M

u

ller.
     "Staat, Staat" - Tjaden schnippt schlau mit den Fingern -,
     "Feldgendarmen,  Polizei, Steuer, das ist euer Staat. Wenn du damit  zu
tun hast, danke sch

u

n."
     "Das stimmt", sagt Kat, "da  hast du  zum  ersten  Male etwas Richtiges
gesagt, Tjaden, Staat und Heimat, da ist wahrhaftig ein Unterschied."
     "Aber  sie geh

u

ren doch zusammen", 

u

berlegt  Kropp, "eine  Heimat  ohne
Staat gibt es nicht."
     "Richtig, aber bedenk doch mal, daß wir fast alle  einfache Leute
sind.  Und  in  Frankreich sind die  meisten  Menschen  doch auch  Arbeiter,
Handwerker  oder kleine  Beamte.  Weshalb  soll nun  wohl ein  franz

u

sischer
Schlosser oder  Schuhmacher uns  angreifen  wollen?  Nein, das sind  nur die
Regierungen. Ich habe nie einen Franzosen gesehen, bevor ich hierherkam, und
den meisten  Franzosen wird es 

u

hnlich mit uns gehen.  Die  sind ebensowenig
gefragt wie
     wir."
     "Weshalb ist dann 

u

berhaupt Krieg?" fragt Tjaden.
     Kat zuckt die  Achseln. "Es  muß Leute  geben,  denen  der  Krieg
n

u

tzt."
     "Na, ich geh

u

re nicht dazu", grinst Tjaden.
     "Du nicht, und keiner hier."
     "Wer  denn nur?" beharrte Tjaden. "Dem Kaiser n

u

tzt er doch auch nicht.
Der hat doch alles, was er braucht."
     "Das  sag nicht", entgegnet  Kat,  "einen Krieg hat  er bis  jetzt noch
nicht gehabt. Und jeder gr

u

ßere Kaiser braucht mindestens einen Krieg,
sonst wird er nicht ber

u

hmt. Sieh mal in deinen Schulb

u

chern nach."
     "Gener

u

le werden auch ber

u

hmt durch den Krieg", sagt Detering.
     "Noch ber

u

hmter als Kaiser", best

u

tigt Kat.
     "Sicher stecken andere Leute, die am Krieg verdienen wollen, dahinter",
brummt Detering.
     "Ich glaube, es ist mehr eine Art Fieber", sagt Albert. "Keiner will es
eigentlich, und mit einem Male ist es da. Wir haben den Krieg nicht gewollt,
die andern  behaupten  dasselbe  -  und trotzdem  ist  die  halbe Welt feste
dabei."
     "Dr

u

ben wird aber  mehr  gelogen als bei uns", erwidere ich, "denkt mal
an die  Flugbl

u

tter der Gefangenen, in denen  stand, daß wir belgische
Kinder fr

u

ßen. Die Kerle, die so was schreiben, sollten sie aufh

u

ngen.
Das sind die wahren Schuldigen."
     M

u

ller steht  auf.  "Besser auf jeden  Fall,  der Krieg ist hier als in
Deutschland. Seht euch mal die Trichterfelder an!"
     "Das stimmt", pflichtet selbst  Tjaden bei,  "abernoch  besser  ist gar
kein Krieg."
     Er geht stolz davon,  denn er  hat es uns  Einj

u

hrigen nun mal gegeben.
Und seine  Meinung  ist tats

u

chlich typisch  hier,  man  begegnet  ihr immer
wieder  und  kann  auch  nichts  Rechtes  darauf  entgegnen,  weil  mit  ihr
gleichzeitig   das   Verst

u

ndnis  f

u

r   andere  Zusammenh

u

nge  aufh

u

rt.  Das
Nationalgef

u

hl des Muskoten besteht darin, daß er hier ist. Aber damit
ist es auch  zu  Ende, alles  andere beurteilt  er praktisch und  aus seiner
Einstellung heraus.
     Albert legt sich 

u

rgerlich ins Gras. "Besser  ist, 

u

ber den ganzen Kram
nicht zu reden."
     "Wird ja auch nicht anders dadurch", best

u

tigt Kat.
     Zum 

u

berfluß m

u

ssen  wir  die neu  empfangenen  Sachen  fast alle
wieder abgeben und erhalten unsere alten Brocken wieder. Die guten waren nur
zur Parade da.

     Statt  nach  Rußland  gehen wir wieder an  die  Front.  Unterwegs
kommen  wir  durch   einen  kl

u

glichen  Wald  mit  zerrissenen  St

u

mmen  und
zerpfl

u

gtem Boden. An einigen Stellen sind furchtbare L

u

cher. "Donnerwetter,
da hat es aber eingehauen", sage ich zu Kat.
     "Minenwerfer",  antwortet  er  und zeigt dann nach oben.  In  den 

u

sten
h

u

ngen Tote. Ein nackter Soldat hockt in einer Stammgabelung, er  hat seinen
Helm noch auf dem Kopf, sonst ist er unbekleidet. Nur eine H

u

lfte  sitzt von
ihm dort oben, ein Oberk

u

rper, dem die Beine fehlen.
     "Was ist da los gewesen?" frage ich.
     "Den haben sie aus dem Anzug gestoßen", knurrt Tjaden.
     Kat sagt: "Es ist komisch, wir haben das nun schon ein paarmal gesehen.
Wenn so  eine Mine einwichst,  wird  man tats

u

chlich richtig  aus  dem Anzug
gestoßen. Das macht der Luftdruck."
     Ich suche weiter. Es ist wirklich so. Dort h

u

ngen Uniformfetzen allein,
anderswo klebt blutiger Brei, der einmal menschliche Glieder war. Ein K

u

rper
liegt da, der nur an einem Bein noch ein St

u

ck Unterhose und um den Hals den
Kragen des  Waffenrockes hat.  Sonst ist er nackt, der  Anzug  h

u

ngt im Baum
herum. Beide Arme fehlen, als w

u

ren sie herausgedreht. Einen davon  entdecke
ich zwanzig Schritt weiter im Geb

u

sch.
     Der Tote liegt auf dem Gesicht. Da, wo die Armwunden sind, ist die Erde
schwarz von Blut. Unter  den F

u

ßen ist das  Laub zerkratzt,  als h

u

tte
der Mann noch gestrampelt.
     "Kein Spaß, Kat", sage ich.
     "Ein Granatsplitter im Bauch auch nicht", antwortet er achselzuckend.
     "Nur nicht weich werden", meint Tjaden.
     Das Ganze kann nicht lange her  sein, das Blut ist noch frisch. Da alle
Leute,  die wir sehen, tot sind,  lassen wir  uns  nicht  aufhalten, sondern
melden die Sache bei der n

u

chsten Sanit

u

tsstation. Schließlich  ist es
ja auch nicht  unsere  Angelegenheit, diesen  Tragbahrenhengsten  die Arbeit
abzunehmen.

     Es soll eine Patrouille ausgeschickt werden, um festzustellen, wie weit
die  feindliche Stellung  noch besetzt  ist. Ich habe  wegen  meines Urlaubs
irgendein sonderbares  Gef

u

hl  den  andern  gegen

u

ber und melde mich deshalb
mit.  Wir verabreden den Plan, schleichen  durch den  Draht und trennen  uns
dann, um einzeln  vorzukriechen. Nach einer  Weile  finde ich  einen flachen
Trichter, in den ich mich hineingleiten lasse. Von hier luge ich aus.
     Das  Gel

u

nde  hat  mittleres Maschinengewehrfeuer.  Es  wird  von allen
Seiten  bestrichen, nicht sehr stark, aber immerhin gen

u

gend, um die Knochen
nicht allzu hoch zu nehmen.
     Ein Leuchtschirm entfaltet  sich. Das Terrain liegt  erstarrt im fahlen
Lichte da.  Um  so schw

u

rzer schl

u

gt hinterher die Dunkelheit wieder dar

u

ber
zusammen. Im Graben haben sie vorhin erz

u

hlt, es w

u

ren Schwarze vor uns. Das
ist unangenehm, man  kann  sie schlecht sehen,  außerdem sind  sie als
Patrouillen   sehr   geschickt.  Sonderbarerweise   sind   sie   oft  ebenso
unvern

u

nftig; -  sowohl Kat als auch Kropp haben einmal  auf Patrouille eine
schwarze  Gegenpatrouille  erschossen, weil die  Leute  in  ihrer Gier  nach
Zigaretten  unterwegs rauchten.  Kat und Albert brauchten nur die glimmenden
Zigarettenk

u

pfe als Ziel zu visieren.
     Neben  mir zischt eine  kleine Granate  ein. Ich  habe sie nicht kommen
geh

u

rt und  erschrecke heftig. Im  gleichen Augenblick  faßt mich eine
sinnlose Angst. Ich bin hier allein und fast hilflos im Dunkeln - vielleicht
beobachten mich l

u

ngst aus einem Trichter hervor zwei andere Augen, und eine
Handgranate  liegt wurffertig bereit, mich zu zerreißen. Ich  versuche
mich  aufzuraffen.  Es  ist nicht meine  erste  Patrouille  und  auch  keine
besonders  gef

u

hrliche.  Aber  es  ist meine  erste  nach  dem  Urlaub,  und
außerdem ist das Gel

u

nde mir noch ziemlich fremd.
     Ich mache mir klar, daß  meine Aufregung Unsinn ist, daß im
Dunkel  wahrscheinlich  gar  nichts  lauert,   weil  sonst  nicht  so  flach
geschossen w

u

rde.
     Es ist vergeblich.  In wirrem Durcheinander summen  mir die Gedanken im
Sch

u

del -  ich h

u

re die  warnende Stimme meiner Mutter,  ich sehe die Russen
mit den wehenden Barten  am Gitter  lehnen,  ich habe die helle,  wunderbare
Vorstellung einer Kantine mit Sesseln, eines Kinos in Valenciennes, ich sehe
qu

u

lend,  scheußlich  in  meiner  Einbildung   eine  graue  gef

u

hllose
Gewehrm

u

ndung, die  lauernd lautlos mitgeht, wie ich auch den Kopf zu wenden
versuche: mir bricht der Schweiß aus allen Poren.
     Immer noch  liege  ich in meiner Mulde. Ich sehe auf  die Uhr; es  sind
erst wenige Minuten vergangen. Meine Stirn  ist naß, meine Augenh

u

hlen
sind  feucht, die H

u

nde zittern, und ich keuche leise. Es ist nichts anderes
als ein furchtbarer Angstanfall, eine  einfach gemeine Hundeangst davor, den
Kopf herauszustrecken und weiterzukriechen.
     Wie ein Brei zerquillt meine Anspannung zu dem Wunsch, liegenbleiben zu
k

u

nnen. Meine Glieder kleben am Boden,  ich mache einen vergeblichen Versuch
- sie wollen sich  nicht l

u

sen. Ich presse mich an die Erde,  ich kann nicht
vorw

u

rts, ich fasse den Entschluß, liegenzubleiben.
     Aber sofort 

u

bersp

u

lt mich die Welle erneut, eine Welle aus Scham, Reue
und  doch  auch Geborgenheit. Ich  erhebe  mich  ein  wenig,  um Ausschau zu
halten. Meine Augen brennen,  so starre ich in das  Dunkel. Eine Leuchtkugel
geht hoch; - ich ducke mich wieder.
     Ich k

u

mpfe einen sinnlosen, wirren Kampf, ich will aus der Mulde heraus
und rutsche  doch  wieder hinein, ich  sage, "du mußt,  es  sind deine
Kameraden, es ist ja nicht irgendein dummer  Befehl", - und  gleich  darauf:
"Was geht es mich an, ich habe nur ein Leben zu verlieren -"
     Das  macht  alles dieser  Urlaub, entschuldige ich mich erbittert. Aber
ich glaube es  selbst  nicht,  mir  wird  entsetzlich flau,  ich erhebe mich
langsam und stemme die Arme vor, ziehe den R

u

cken nach und liege  jetzt halb
auf dem Rande des Trichters.
     Da  vernehme  ich  Ger

u

usche  und  zucke  zur

u

ck.  Man h

u

rt  trotz  des
Artilleriel

u

rms verd

u

chtige Ger

u

usche. Ich lausche - das Ger

u

usch ist hinter
mir.  Es sind Leute von uns, die  durch den Graben gehen.  Nun h

u

re ich auch
ged

u

mpfte Stimmen. Es k

u

nnte dem Tone nach Kat sein, der da spricht.
     Eine ungemeine  W

u

rme  durchflutet  mich  mit  einemmal. Diese Stimmen,
diese  wenigen,  leisen   Worte,  diese  Schritte  im   Graben  hinter   mir
reißen mich  mit einem  Ruck  aus der f

u

rchterlichen Vereinsamung  der
Todesangst, der ich beinahe  verfallen w

u

re.  Sie sind mehr als mein  Leben,
diese Stimmen,  sie sind  mehr als M

u

tterlichkeit  und  Angst, sie sind  das
St

u

rkste und Sch

u

tzendste, was es 

u

berhaupt gibt: es sind die Stimmen meiner
Kameraden.
     Ich  bin nicht mehr ein zitterndes St

u

ck Dasein allein im Dunkel  - ich
geh

u

re  zu ihnen und sie zu mir, wir  haben alle die gleiche  Angst  und das
gleiche  Leben, wir sind verbunden auf  eine einfache und schwere  Art.  Ich
m

u

chte  mein Gesicht in sie hineindr

u

cken, in die Stimmen, diese paar Worte,
die mich gerettet haben und die mir beistehen werden.

     Vorsichtig gleite  ich 

u

ber den Rand und schl

u

ngele mich vorw

u

rts.  Auf
allen vieren  schlurfe ich weiter; es geht gut, ich peile die  Richtung  an,
schaue mich um und merke mir das Bild des Gesch

u

tzfeuers, um zur

u

ckzufinden.
Dann suche ich Anschluß an die andern zu bekommen.
     Immer  noch  habe  ich Angst,  aber es ist eine vern

u

nftige Angst, eine
außerordentlich  gesteigerte  Vorsicht.  Die  Nacht  ist  windig,  und
Schatten  gehen hin und her beim Aufflackern  des M

u

ndungsfeuers.  Man sieht
dadurch zu wenig und zu viel. Oft erstarre ich, aber es ist immer nichts. So
komme  ich  ziemlich  weit vor  und  kehre  dann  im  Bogen  wieder um.  Den
Anschluß habe  ich nicht gefunden. Jeder Meter n

u

her  zu unserm Graben
erf

u

llt mich  mit Zuversicht - allerdings  auch mit  gr

u

ßerer Hast. Es
w

u

re nicht sch

u

n, jetzt noch eins verpaßt zu kriegen.
     Da durchf

u

hrt mich ein neuer Schreck. Ich  kann die Richtung nicht mehr
genau wiedererkennen. Still  hocke ich  mich in einen  Trichter und versuche
mich  zu orientieren. Es  ist mehr als einmal vorgekommen, daß  jemand
vergn

u

gt in einen Graben sprang  und dann erst entdeckte, daß  es  der
falsche war.
     Nach einiger Zeit  horche ich wieder. Immer noch bin ich nicht richtig.
Das Trichtergewirr erscheint mir jetzt so un

u

bersichtlich, daß ich vor
Aufregung  

u

berhaupt  nicht  mehr weiß,  wohin  ich mich wenden  soll.
Vielleicht krieche  ich parallel  zu den Gr

u

ben, das kann ja endlos  dauern.
Deshalb schlage ich wieder einen Haken.
     Diese verfluchten  Leuchtschirme! Sie  scheinen eine Stunde zu brennen,
man kann  keine Bewegung  machen, ohne daß  es  gleich  um einen herum
pfeift.
     Doch  es hilft nichts, ich muß  heraus. Stockend arbeite ich mich
weiter, ich krebse 

u

ber den Boden weg und reiße  mir die H

u

nde wund an
den zackigen Splittern, die scharf wie  Rasiermesser sind. Manchmal habe ich
den Eindruck, als wenn der  Himmel etwas heller w

u

rde am Horizont,  doch das
kann auch Einbildung sein. Allm

u

hlich aber  merke ich, daß ich um mein
Leben krieche.
     Eine Granate knallt. Gleich darauf zwei andere.  Und schon geht es los.
Ein Feuer

u

berfall. Maschinengewehre knattern. Jetzt gibt es vorl

u

ufig nichts
anderes, als  liegenzubleiben. Es  scheint  ein Angriff  zu werden.  

u

berall
steigen Leuchtraketen. Ununterbrochen.
     Ich  liege gekr

u

mmt in einem großen Trichter, die Beine im Wasser
bis zum Bauch. Wenn der Angriff einsetzt, werde  ich  mich ins Wasser fallen
lassen,  so  weit es  geht, ohne  zu ersticken,  das Gesicht  im  Dreck. Ich
muß den toten Mann markieren.
     Pl

u

tzlich h

u

re  ich, wie  das Feuer  zur

u

ckspringt. Sofort  rutsche ich
nach  unten ins Grundwasser, den Helm ganz im Genick,  den  Mund nur so weit
hoch, daß ich knapp Luft habe.
     Dann werde ich bewegungslos; - denn irgendwo klirrt etwas, es tappt und
trappst n

u

her,  - in mir  ziehen sich  alle Nerven eisig zusammen. Es klirrt

u

ber  mich hinweg,  der  erste  Trupp ist  vorbei.  Ich  habe nur  den einen
zersprengenden Gedanken  gehabt: Was tust du, wenn jemand in deinen Trichter
springt?  -  Jetzt zerre ich rasch den kleinen  Dolch heraus, fasse ihn fest
und  verberge  ihn  mit  der  Hand  wieder  im  Schlamm.  Ich  werde  sofort
losstechen, wenn jemand hereinspringt, h

u

mmert  es  in meiner  Stirn, sofort
die Kehle durchstoßen,  damit er nicht  schreien kann,  es  geht nicht
anders, er wird ebenso erschrocken sein  wie ich, und schon vor Angst werden
wir 

u

bereinander herfallen, da muß ich der erste sein.
     Nun schießen unsere Batterien. In meiner N

u

he schl

u

gt es ein. Das
macht mich irrsinnig  wild, es fehlt  mir noch, daß  mich  die eigenen
Geschosse  treffen; ich fluche und knirsche  in den Dreck hinein; es ist ein
w

u

tender Ausbruch, zuletzt kann ich nur noch st

u

hnen und bitten.
     Das  Gekrach  der Granaten trifft  mein  Ohr.  Wenn unsere  Leute einen
Gegenstoß machen, bin ich befreit. Ich presse den Kopf an die Erde und
h

u

re  das dumpfe Donnern  wie  ferne  Bergwerksexplosionen  - und  hebe  ihn
wieder, um auf die Ger

u

usche oben zu lauschen.
     Die   Maschinengewehre  knarren.   Ich  weiß,  daß   unsere
Drahtverhaue  fest  und fast  unbesch

u

digt  sind; - ein Teil  davon ist  mit
Starkstrom geladen. Das Gewehrfeuer schwillt an. Sie kommen nicht durch, sie
m

u

ssen zur

u

ck.  Ich sinke wieder zusammen, gespannt bis zum 

u

ußersten.
Das Klappern und  Schleichen, das  Klirren wird h

u

rbar. Ein einzelner Schrei
gellend dazwischen. Sie werden beschossen, der Angriff ist abgeschlagen.

     Es ist noch etwas heller geworden. An mir vor

u

ber hasten Schritte.  Die
ersten. Vorbei.  Wieder andere.  Das Knarren der Maschinengewehre  wird eine
ununterbrochene Kette. Gerade will ich  mich etwas umdrehen, da  poltert es,
und schwer und  klatschend f

u

llt ein  K

u

rper zu mir in den Trichter, rutscht
ab, liegt auf mir -
     Ich denke nichts, ich  fasse keinen  Entschluß - ich  stoße
rasend  zu und  f

u

hle  nur,  wie  der K

u

rper zuckt und dann  weich wird  und
zusammensackt. Meine Hand ist klebrig und naß, als ich zu mir komme.
     Der andere r

u

chelt. Es scheint mir, als ob er br

u

llt, jeder Atemzug ist
wie ein Schrei, ein Donnern  - aber es sind nur meine Adern, die so klopfen.
Ich m

u

chte ihm den Mund zuhalten, Erde hineinstopfen, noch einmal zustechen,
er  soll still sein,  er verr

u

t mich;  doch  ich  bin schon  so weit  zu mir
gekommen und auch so schwach pl

u

tzlich, daß ich  nicht mehr  die  Hand
gegen ihn heben kann.
     So  krieche ich in  die  entfernteste Ecke und  bleibe dort,  die Augen
starr auf  ihn gerichtet, das Messer umklammert, bereit, wenn er sich r

u

hrt,
wieder auf ihn loszugehen - aber er wird nichts mehr tun, das h

u

re ich schon
an seinem R

u

cheln.
     Undeutlich  kann  ich  ihn  sehen. Nur  der  eine  Wunsch ist  in  mir,
wegzukommen.  Wenn es nicht  bald ist, wird es  zu hell;  schon jetzt ist es
schwer. Doch  als ich versuche,  den Kopf hochzunehmen, sehe ich bereits die
Unm

u

glichkeit ein. Das Maschinengewehrfeuer ist derartig  gedeckt, daß
ich durchl

u

chert werde, ehe ich einen Sprung tue.
     Ich probiere es noch einmal mit meinem Helm, den ich etwas emporschiebe
und anhebe, um die H

u

he der Geschosse festzustellen. Einen Augenblick sp

u

ter
wird er mir durch  eine Kugel aus  der  Hand geschlagen. Das Feuer  streicht
also  ganz  niedrig  

u

ber  das  Terrain.  Ich  bin nicht weit genug von  der
feindlichen  Stellung  entfernt,  um  nicht  von den  Scharfsch

u

tzen  gleich
erwischt zu werden, wenn ich versuche, auszureißen.
     Das Licht nimmt zu. Ich warte brennend auf einen Angriff von uns. Meine
H

u

nde sind weiß an den Kn

u

cheln, so presse ich sie zusammen,  so flehe
ich, das Feuer m

u

ge aufh

u

ren und meine Kameraden m

u

chten kommen.
     Minute um Minute versickert. Ich wage keinen  Blick mehr zu der dunklen
Gestalt  im Trichter. Angestrengt  sehe  ich  vorbei und warte,  warte.  Die
Geschosse zischen, sie sind ein st

u

hlernes Netz, es h

u

rt  nicht auf, es h

u

rt
nicht auf.
     Da erblicke  ich meine blutige  Hand und f

u

hle j

u

he 

u

belkeit. Ich nehme
Erde und reibe damit 

u

ber die Haut, jetzt ist die Hand wenigstens schmutzig,
und man sieht das Blut nicht mehr.
     Das Feuer l

u

ßt nicht nach. Von beiden Seiten ist es jetzt  gleich
stark. Man hat mich bei uns wahrscheinlich l

u

ngst verlorengegeben.

     Es ist heller, grauer, fr

u

her  Tag. Das R

u

cheln t

u

nt fort. Ich hake mir
die  Ohren zu, nehme aber die Finger bald wieder heraus, weil ich sonst auch
das andere nicht h

u

ren kann. Die Gestalt gegen

u

ber bewegt sich. Ich schrecke
zusammen  und  sehe  unwillk

u

rlich  hin.  Jetzt   bleiben  meine  Augen  wie
festgeklebt  h

u

ngen.  Ein Mann mit einem  kleinen  Schnurrbart liegt da, der
Kopf  ist zur Seite gefallen,  ein  Arm  ist halb  gebeugt,  der Kopf dr

u

ckt
kraftlos darauf. Die andere Hand liegt auf der Brust, sie ist blutig.
     Er ist tot, sage ich mir, er muß tot sein, er f

u

hlt nichts mehr -
was  da r

u

chelt,  ist  nur noch der K

u

rper. Doch der  Kopf versucht  sich zu
heben, das St

u

hnen wird einen  Moment  st

u

rker, dann sinkt  die Stirn wieder
auf den Arm  zur

u

ck.  Der Mann ist  nicht tot, er stirbt,  aber er ist nicht
tot. Ich schiebe mich heran, halte inne, st

u

tze mich auf die H

u

nde,  rutsche
wieder etwas  weiter, warte  - weiter,  einen gr

u

ßlichen  Weg von drei
Metern, einen langen, furchtbaren Weg. Endlich bin ich neben ihm.
     Da schl

u

gt er  die Augen auf. Er muß  mich noch  geh

u

rt haben und
sieht  mich mit einem Ausdruck furchtbaren  Entsetzens an. Der K

u

rper  liegt
still, aber in den Augen ist  eine so  ungeheure Flucht, daß ich einen
Moment  glaube,  sie  w

u

rden  die  Kraft  haben,  den  K

u

rper  mit  sich  zu
reißen. Hunderte  von Kilometern weit weg mit einem einzigen Ruck. Der
K

u

rper ist still, v

u

llig  ruhig, ohne Laut jetzt, das R

u

cheln ist verstummt,
aber die Augen schreien,  br

u

llen, in  ihnen  ist alles Leben  versammelt zu
einer  unfaßbaren Anstrengung, zu  entfliehen, zu einem  schrecklichen
Grausen vor dem Tode, vor mir.
     Ich knicke  in den  Gelenken  ein  und falle auf  die Ellbogen.  "Nein,
nein", fl

u

stere ich.
     Die Augen folgen mir. Ich bin unf

u

hig, eine Bewegung zu machen, solange
sie da sind.
     Da f

u

llt seine Hand langsam von der Brust,  nur ein geringes St

u

ck, sie
sinkt um wenige Zentimeter, doch diese Bewegung  l

u

st  die  Gewalt der Augen
auf. Ich  beuge mich  vor, sch

u

ttele  den Kopf  und  fl

u

stere:  "Nein, nein,
nein",  ich  hebe eine  Hand,  ich muß ihm zeigen, daß  ich  ihm
helfen will, und streiche 

u

ber seine Stirn.
     Die Augen  sind zur

u

ckgezuckt,  als die Hand kam,  jetzt  verlieren sie
ihre Starre, die Wimpern  sinken tiefer, die  Spannung l

u

ßt  nach. Ich

u

ffne ihm den Kragen und schiebe den Kopf bequemer zurecht.
     Der  Mund steht halb offen, erbem

u

ht sich, Worte zu  formen. Die Lippen
sind  trocken.   Meine  Feldflasche   ist  nicht  da,  ich  habe  sie  nicht
mitgenommen. Aber es  ist  Wasser  in  dem Schlamm unten  im  Trichter.  Ich
klettere  hinab, ziehe mein Taschentuch  heraus, breite  es  aus,  dr

u

cke es
hinunter  und  sch

u

pfe  mit   der   hohlen  Hand   das   gelbe  Wasser,  das
hindurchquillt.
     Er schluckt es. Ich hole neues. Dann kn

u

pfe ich seinen Rock auf, um ihn
zu  verbinden, wenn es geht. Ich  muß es auf jeden Fall tun, damit die
dr

u

ben,  wenn ich gefangen  werden sollte,  sehen,  daß ich ihm helfen
wollte, und  mich nicht erschießen.  Er versucht sich zu  wehren, doch
die Hand ist  zu schlaff  dazu. Das Hemd ist verklebt  und  l

u

ßt  sich
nicht beiseite schieben, es ist hinten gekn

u

pft. So bleibt nichts 

u

brig, als
es aufzuschneiden.
     Ich suche  das Messer  und finde es wieder.  Aber als  ich anfange, das
Hemd zu zerschneiden, 

u

ffnen  sich die Augen noch einmal, und wieder ist das
Schreien darin und der wahnsinnige Ausdruck, so daß ich  sie zuhalten,
zudr

u

cken  muß  und  fl

u

stern:  "Ich  will  dir  ja  helfen,  Kamerad,
camarade,  camarade,  camarade  -",  eindringlich  das  Wort,  damit  er  es
versteht.
     Drei  Stiche sind  es.  Meine Verbandsp

u

ckchen  bedecken  sie, das Blut
l

u

uft darunter weg, ich dr

u

cke sie fester auf, da st

u

hnt er.
     Es ist alles, was ich tun kann. Wir m

u

ssen jetzt warten, warten.

     Diese Stunden. - Das R

u

cheln setzt wieder ein - wie langsam stirbt doch
ein Mensch! Denn das weiß  ich:  er ist nicht zu retten. Ich habe zwar
versucht,  es  mir auszureden, aber  mittags ist  dieser  Vorwand vor seinem
St

u

hnen  zerschmolzen, zerschossen. Wenn ich nur meinen  Revolver nicht beim
Kriechen verloren h

u

tte, ich w

u

rde  ihn erschießen. Erstechen kann ich
ihn nicht.
     Mittags d

u

mmere ich an  der Grenze des  Denkens dahin.  Hunger zerw

u

hlt
mich,  ich muß  fast weinen  dar

u

ber, essen  zu wollen, aber ich  kann
nicht dagegen ank

u

mpfen.  Mehrere Male  hole ich  dem Sterbenden  Wasser und
trinke auch selbst davon.
     Es ist  der erste  Mensch, den ich  mit meinen H

u

nden get

u

tet habe, den
ich genau sehen kann, dessen Sterben mein Werk ist. Kat und Kropp und M

u

ller
haben auch  schon  gesehen, wenn sie jemand getroffen  haben, vielen geht es
so, im Nahkampf ja oft -
     Aber jeder Atemzug legt mein  Herz bloß. Dieser Sterbende hat die
Stunden f

u

r sich, er hat ein  unsichtbares Messer, mit dem er mich ersticht:
die Zeit und meine Gedanken.
     Ich  w

u

rde viel darum geben, wenn er  am Leben  bliebe.  Es ist schwer,
dazuliegen und ihn sehen und h

u

ren zu m

u

ssen.
     Nachmittags um drei Uhr ist er tot.
     Ich atme auf. Doch nur f

u

r kurze Zeit. Das Schweigen erscheint mir bald
noch  schwerer zu  ertragen  als das  St

u

hnen. Ich wollte, das R

u

cheln  w

u

re
wieder da,  stoßweise, heiser, einmal  pfeifend leise und  dann wieder
heiser und laut.
     Es ist sinnlos, was ich tue. Aber ich muß Besch

u

ftigung haben. So
lege ich  den Toten noch einmal zurecht, damit er bequemer liegt, obschon er
nichts mehr f

u

hlt. Ich schließe  ihm die  Augen. Sie  sind braun,  das
Haar ist schwarz, an den Seiten etwas lockig.
     Der Mund  ist voll  und  weich unter dem Schnurrbart,  die Nase ist ein
wenig gebogen, die  Haut br

u

unlich, sie sieht  jetzt  nicht mehr so fahl aus
wie vorhin,  als er noch lebte. Einen Augenblick scheint  das  Gesicht sogar
beinahe  gesund  zu sein  - dann  verf

u

llt es  rasch zu  einem  der  fremden
Totenantlitze, die ich oft gesehen habe und die sich alle gleichen.
     Seine  Frau  denkt sicher  jetzt  an  ihn;  sie  weiß  nicht, was
geschehen  ist. Er sieht aus,  als wenn  er ihr oft geschrieben h

u

tte; - sie
wird auch noch Post von ihm bekommen -  morgen, in einer Woche -, vielleicht
einen verirrten  Brief noch in einem Monat. Sie  wird ihn lesen, und er wird
darin zu ihr sprechen.
     Mein  Zustand wird immer schlimmer, ich kann meine Gedanken nicht  mehr
halten. Wie mag die Frau aussehen? Wie die Dunkle,
     Schmale jenseits  des Kanals?  Geh

u

rt sie  mir nicht? Vielleicht geh

u

rt
sie mir jetzt hierdurch! S

u

ße Kantorek doch hier neben mir! Wenn meine
Mutter mich so s

u

he -. Der  Tote h

u

tte sicher noch dreißig Jahre leben
k

u

nnen,  wenn ich  mir den R

u

ckweg  sch

u

rfer  eingepr

u

gt h

u

tte. Wenn er zwei
Meter weiter nach links  gelaufen w

u

re, l

u

ge  er jetzt dr

u

ben im  Graben und
schriebe einen neuen Brief an seine Frau.
     Doch  so  komme  ich nicht weiter;  denn das  ist das Schicksal von uns
allen; h

u

tte  Kemmerich  sein  Bein zehn Zentimeter weiter rechts  gehalten,
h

u

tte Haie sich f

u

nf Zentimeter weiter vorgebeugt -

     Das Schweigen dehnt sich. Ich spreche  und muß sprechen. So  rede
ich ihn  an und sage es ihm. "Kamerad, ich wollte dich nicht t

u

ten. Spr

u

ngst
du noch  einmal hier hinein,  ich t

u

te es  nicht,  wenn  auch du  vern

u

nftig
w

u

rest. Aber du warst mir  vorher nur ein Gedanke, eine Kombination,  die in
meinem Gehirn lebte und einen Entschluß hervorrief - diese Kombination
habe ich erstochen. Jetzt sehe ich  erst, daß du ein  Mensch  bist wie
ich.  Ich  habe gedacht  an  deine  Handgranaten, an dein Bajonett und deine
Waffen  -  jetzt  sehe  ich deine  Frau und dein Gesicht und das Gemeinsame.
Vergib mir,  Kamerad! Wir  sehen es  immer zu sp

u

t. Warum sagt man uns nicht
immer wieder,  daß  ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, daß eure
M

u

tter sich ebenso 

u

ngstigen wie unsere und daß wir die gleiche Furcht
vor  dem  Tode haben  und das  gleiche  Sterben und  den gleichen Schmerz -.
Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein.  Wenn wir diese Waffen
und diese Uniform fortwerfen, k

u

nntest du ebenso mein Bruder  sein  wie  Kat
und Albert. Nimm zwanzig Jahre von mir, Kamerad, und stehe  auf - nimm mehr,
denn ich weiß nicht, was ich damit beginnen soll."
     Es ist still,  die Front  ist ruhig bis auf  das  Gewehrgeknatter.  Die
Kugeln liegen dicht, es wird  nicht  planlos  geschossen,  sondern auf allen
Seiten scharf gezielt. Ich kann nicht hinaus.
     "Ich  will deiner  Frau  schreiben", sage ich hastig zu dem Toten, "ich
will ihr schreiben, sie  soll es durch  mich  erfahren,  ich will  ihr alles
sagen,  was ich dir  sage,  sie soll nicht leiden,  ich will  ihr helfen und
deinen Eltern auch und deinem Kinde -"
     Seine  Uniform  steht noch  halb offen.  Die Brieftasche ist leicht  zu
finden. Aber ich  z

u

gere,  sie  zu 

u

ffnen. In  ihr ist  das Buch mit  seinem
Namen. Solange ich  seinen Namen nicht  weiß,  kann ich ihn vielleicht
noch vergessen, die Zeit wird es tilgen, dieses Bild. Sein Name aber ist ein
Nagel,  der in  mir eingeschlagen wird und  nie mehr herauszubringen ist. Er
hat  die Kraft, alles immer wieder zur

u

ckzurufen, er wird stets wiederkommen
und vor mich hintreten k

u

nnen.
     Ohne  Entschluß  halte  ich  die  Brieftasche  in  der  Hand. Sie
entf

u

llt mir und 

u

ffnet sich.  Einige Bilder und Briefe  fallen  heraus. Ich
sammle  sie auf und will sie wieder  hineinpacken, aber der Druck, unter dem
ich  stehe, die ganze  Ungewisse Lage, der Hunger, die Gefahr, diese Stunden
mit  dem  Toten  haben  mich verzweifelt  gemacht,  ich  will  die Aufl

u

sung
beschleunigen  und  die   Qu

u

lerei   verst

u

rken  und  enden,  wie  man  eine
unertr

u

glich schmerzende Hand gegen einen Baum schmettert, ganz gleich,  was
wird.
     Es  sind  Bilder  einer   Frau  und  eines  kleinen  M

u

dchens,  schmale
Amateurfotografien vor einer Efeuwand. Neben ihnen stecken Briefe. Ich nehme
sie heraus  und versuche sie zu lesen. Das meiste verstehe ich nicht, es ist
schlecht zu entziffern, und ich kann nur wenig Franz

u

sisch. Aber jedes Wort,
das  ich 

u

bersetze, dringt  mir wie ein  Schuß in die Brust - wie  ein
Stich in die Brust -
     Mein  Kopf  ist  v

u

llig 

u

berreizt.  Aber so  viel  begreife  ich  noch,
daß ich  diesen Leuten nie  schreiben darf, wie ich es dachte  vorhin.
Unm

u

glich. Ich sehe die Bilder noch  einmal an; es sind keine reichen Leute.
Ich k

u

nnte  ihnen ohne Namen Geld schicken, wenn ich sp

u

ter etwas  verdiene.
Daran klammere  ich mich,  das ist ein  kleiner Halt wenigstens. Dieser Tote
ist  mit  meinem  Leben verbunden,  deshalb  muß  ich  alles  tun  und
versprechen, um mich zu retten; ich gelobe blindlings, daß ich nur f

u

r
ihn dasein will und seine Familie, - mit nassen Lippen rede ich auf ihn ein,
und  ganz tief in mir  sitzt dabei die Hoffnung, daß ich  mich dadurch
freikaufe und vielleicht hier doch noch herauskomme, eine kleine Hinterlist,
daß  man  nachher  immer noch erst  einmal  sehen  k

u

nne.  Und deshalb
schlage ich das Buch auf und lese langsam: Gerard Duval, Typograph.
     Ich  schreibe  die  Adresse  mit  dem  Bleistift  des Toten  auf  einen
Briefumschlag und schiebe dann pl

u

tzlich rasch alles in seinen Rock zur

u

ck.
     Ich  habe  den  Buchdrucker   Gerard  Duval  get

u

tet.   Ich   muß
Buchdrucker werden, denke ich ganz verwirrt, Buchdrucker werden, Buchdrucker
-

     Nachmittags  bin  ich ruhiger.  Meine Furcht war unbegr

u

ndet. Der  Name
verwirrt mich  nicht  mehr. Der Anfall vergeht. "Kamerad", sage  ich zu  dem
Toten hin

u

ber, aber ich sage es gefaßt. "Heute  du,  morgen  ich. Aber
wenn ich  davonkomme, Kamerad, will  ich k

u

mpfen gegen dieses, das uns beide
zerschlug: dir das Leben - und mir -? Auch das Leben. Ich verspreche es dir,
Kamerad. Es darf nie wieder geschehen."
     Die  Sonne steht schr

u

g. Ich bin dumpf vor Ersch

u

pfung und Hunger.  Das
Gestern ist mir wie ein Nebel, ich  hoffe nicht, hier noch hinauszugelangen.
So d

u

se ich dahin und begreife  nicht  einmal, daß  es Abend wird. Die
D

u

mmerung  kommt.  Es  scheint  mir rasch jetzt. Noch  eine Stunde.  W

u

re es
Sommer, noch drei Stunden. Noch eine Stunde.
     Nun beginne  ich pl

u

tzlich zu  zittern, daß etwas dazwischenk

u

me.
Ich denke nicht mehr an den Toten, er ist mir jetzt v

u

llig gleichg

u

ltig. Mit
einem Schlage springt die Lebensgier auf, und alles, was ich mir vorgenommen
habe, versinkt davor. Nur um jetzt nicht noch Ungl

u

ck zu haben, plappere ich
mechanisch: "Ich werde alles halten, was ich dir versprochen  habe -",  aber
ich weiß schon jetzt, daß ich es nicht tun werde.
     Pl

u

tzlich  f

u

llt mir  ein,  daß meine eigenen  Kameraden auf mich
schießen k

u

nnen, wenn ich ankrieche; sie wissen es ja nicht. Ich werde
rufen, so fr

u

h es geht, damit sie  mich verstehen. So lange will ich vor dem
Graben liegenbleiben, bis sie mir antworten.
     Der  erste Stern. Die Front bleibt ruhig. Ich atme  auf und spreche vor
Aufregung mit mir selbst: "Jetzt keine Dummheit, Paul - Ruhe,  Ruhe, Paul -,
dann  bist du gerettet, Paul." Es wirkt,  wenn ich meinen Vornamen sage, das
ist, als t

u

te es ein anderer, und hat so mehr Gewalt.
     Die  Dunkelheit w

u

chst.  Meine  Aufregung  legt  sich,  ich  warte  aus
Vorsicht, bis die ersten Raketen steigen. Dann krieche ich aus dem Trichter.
Den  Toten  habe ich vergessen. Vor mir liegt  die beginnende Nacht und  das
bleich  beleuchtete Feld.  Ich  fasse ein  Loch ins Auge;  im Moment, wo das
Licht  erlischt, schnelle  ich hin

u

ber, taste  weiter, erwische das n

u

chste,
ducke mich, husche weiter.
     Ich komme n

u

her. Da sehe  ich bei einer Rakete, wie im Draht sich etwas
eben  noch  bewegt,  ehe es erstarrt, und liege still. Beim n

u

chstenmal sehe
ich es wieder,  es sind bestimmt  Kameraden aus unserm Graben. Aber ich  bin
vorsichtig, bis ich unsere Helme erkenne. Dann rufe ich.
     Gleich darauf erschallt als Antwort mein Name: "Paul - Paul -"
     Ich rufe  wieder.  Es  sind Kat  und Albert,  die  mit  einer  Zeltbahn
losgegangen sind, um mich zu suchen.
     "Bist du verwundet?"
     "Nein, nein -"
     Wir  rutschen  in  den  Graben.  Ich  verlange  Essen und  schlinge  es
hinunter. M

u

ller gibt mir eine  Zigarette. Ich  sage mit wenigen Worten, was
geschehen ist. Es ist  ja  nichts Neues;  so was ist schon oft passiert. Nur
der  Nachtangriff  ist  das  Besondere  bei  der  Sache.  Aber  Kat  hat  in
Rußland schon  einmal zwei Tage hinter der  russischen Front  gelegen,
ehe er sich durchschlagen konnte.
     Von dem toten Buchdrucker sage ich nichts.
     Erst am n

u

chsten Morgen halte  ich  es nicht mehr aus. Ich muß es
Kat und Albert erz

u

hlen. Sie beruhigen mich beide.
     "Du kannst gar  nichts daran  machen. Was wolltest du anders tun.  Dazu
bist du doch hier!"
     Ich h

u

re ihnen geborgen zu, getr

u

stet durch ihre N

u

he. Was habe ich nur
f

u

r einen Unsinn zusammengefaselt da in dem Trichter.
     "Sieh mal dahin", zeigt Kat.
     An den Brustwehren  stehen einige Scharfsch

u

tzen. Sie haben Gewehre mit
Zielfernrohren aufliegen  und lauern den Abschnitt dr

u

ben ab. Hin und wieder
knallt ein Schuß. Jetzt h

u

ren wir Ausrufe. "Das hat gesessen?" - "Hast
du gesehen, wie er hochsprang?" Sergeant Oellrich wendet  sich stolz um  und
notiert  seinen  Punkt. Er  f

u

hrt  in  der  Schußliste  von  heute mit
drei'einwandfrei festgestellten Treffern.
     "Was sagst du dazu?" fragt Kat.
     Ich nicke.
     "Wenn er so weitermacht,  hat er heute abend  ein buntes V

u

gelchen mehr
im Knopfloch", meint Kropp.
     "Oder er wird bald Vizefeldwebel", erg

u

nzt Kat.
     Wir sehen uns an. "Ich w

u

rde es nicht machen", sage ich.
     "Immerhin", sagt  Kat,  "es ist ganz gut, daß  du es jetzt gerade
siehst."
     Sergeant Oellrich tritt  wieder an  die Brustwehr. Die  M

u

ndung  seines
Gewehrs geht hin und her.
     "Da brauchst du 

u

ber deine Sache kein  Wort mehr  zu  verlieren", nickt
Albert.
     Ich begreife mich jetzt auch selbst nicht mehr.
     "Es  war nur, weil ich so lange mit  ihm zusammen  liegen.mußte",
sage ich. Krieg ist Krieg schließlich.
     Oellrichs Gewehr knallt kurz und trocken.



     Wir haben  einen guten Posten erwischt.  Mit  acht Mann m

u

ssen  wir ein
Dorf bewachen, das ger

u

umt worden ist, weil es zu stark beschossen wird.
     Haupts

u

chlich  sollen  wir auf das  Proviantamt achten,  das noch nicht
leer  ist. Verpflegung m

u

ssen  wir  uns aus  den Best

u

nden selbst  besorgen.
Daf

u

r  sind  wir die richtigen  Leute - Kat,  Albert,  M

u

ller, Tjaden, Leer,
Detering, unsere ganze Gruppe ist da. Allerdings, Haie ist tot. Aber das ist
noch ein  m

u

chtiges Gl

u

ck, denn alle anderen Gruppen haben mehr Verluste als
unsere gehabt.
     Als  Unterstand  w

u

hlen  wir  einen  betonierten  Keller,  zu  dem  von
außen  eine Treppe hinunterf

u

hrt.  Der Eingang  ist  noch  durch  eine
besondere Betonmauer gesch

u

tzt.
     Jetzt  entfalten  wir  eine  große  T

u

tigkeit. Es ist wieder eine
Gelegenheit, nicht nur die Beine,  sondern auch die Seele zu  strecken.  Und
solche Gelegenheiten nehmen wir wahr;  denn unsere  Lage ist zu verzweifelt,
um  lange sentimental sein zu  k

u

nnen. Das ist nur m

u

glich,  solange es noch
nicht ganz schlimm ist.  Uns jedoch bleibt nichts  anderes, als  sachlich zu
sein.  So sachlich, daß mir manchmal graut, wenn einen  Augenblick ein
Gedanke aus der fr

u

heren Zeit, vor dem Kriege,  sich in meinen Kopf verirrt.
Er bleibt auch nicht lange.
     Wir m

u

ssen unsere Lage so leicht nehmen wie m

u

glich. Deshalb n

u

tzen wir
jede Gelegenheit dazu, und unmittelbar, hart, ohne 

u

bergang steht  neben dem
Grauen der Bl

u

dsinn. Wir k

u

nnen gar  nicht anders, wir  st

u

rzen uns  hinein.
Auch jetzt geht es  mit  Feuereifer daran, ein Idyll zu  schaffen, ein Idyll
des  Fressens  und  Schlafens nat

u

rlich.  Die Bude wird  zun

u

chst einmal mit
Matratzen   belegt,   die   wir   aus   den   H

u

usern   heranschleppen.  Ein
Soldatenhintern sitzt gern  auch  mal  weich. Nur in  der  Mitte des  Raumes
bleibt  der  Boden  frei.  Dann  besorgen wir  uns Decken  und  Federbetten,
prachtvolle  weiche  Dinger. Von  allem ist im  Dorf ja gen

u

gend  vorhanden.
Albert und  ich  finden ein zerlegbares  Mahagonibett mit  einem Himmel  aus
blauer  Seide   und  Spitzen

u

berwurf.  Wir  schwitzen  wie  die  Affen  beim
Transport, aber so was kann man sich doch nicht entgehen lassen, zumal es in
ein paar Tagen doch sicher zerschossen wird.
     Kat und ich machen einen kleinen Patrouillengang durch die H

u

user. Nach
kurzer  Zeit haben wir  ein  Dutzend Eier  und zwei Pfund  ziemlich  frische
Butter gefaßt. Pl

u

tzlich kracht es  in  einem Salon, und ein  eiserner
Ofen saust durch die Wand, an uns vorbei, einen Meter neben uns wieder durch
die Wand. Zwei L

u

cher. Er kommt aus dem Hause gegen

u

ber, in das eine Granate
gehauen ist. "Schwein gehabt", grinst  Kat, und wir suchen weiter. Mit einem
Male spitzen wir  die Ohren und machen lange Beine. Gleich darauf stehen wir
wie verzaubert: In einem kleinen Stall tummeln sich zwei lebende Ferkel. Wir
reiben  uns die Augen und sehen vorsichtig wieder hin:  sie sind tats

u

chlich
noch immer  da.  Wir  fassen sie an -  kein Zweifel, es sind zwei  wirkliche
junge Schweine.
     Das  gibt  ein  herrliches  Essen.  Etwa  f

u

nfzig  Schritt  von  unserm
Unterstand  entfernt  steht  ein  kleines  Haus,  das  als Offiziersquartier
gedient  hat  In  der  K

u

che  befindet  sich  ein  riesiger  Herd  mit  zwei
Feuerrosten, Pfannen,  T

u

pfen und Kesseln. Alles  ist da, sogar eine Unmenge
kleingehacktes Holz steckt in einem Schuppen - das wahre Schlaraffenhaus.
     Zwei  Mann sind seit dem Morgen auf den Feldern  und suchen Kartoffeln,
Mohrr

u

ben und  junge  Erbsen. Wir sind  n

u

mlich  

u

ppig  und  pfeifen auf die
Konserven  des  Proviantamts,  wir  wollen  frische  Sachen  haben.  In  der
Speisekammer   liegen   schon   zwei  K

u

pfe  Blumenkohl.  Die   Ferkel  sind
geschlachtet. Kat hat das erledigt. Zu dem Braten wollen wir Kartoffelpuffer
machen. Aber wir finden  keine Reiben f

u

r die Kartoffeln.  Doch auch da  ist
bald abgeholfen. In Blechdeckel  schlagen wir mit  N

u

geln eine Menge L

u

cher,
und  schon  sind es  Reiben. Drei Mann ziehen  dicke Handschuhe  an,  um die
Finger beim Reiben zu schonen, zwei andere sch

u

len  Kartoffeln, und es  geht
rasch vorw

u

rts.
     Kat  betreut die Ferkel, die Mohrr

u

ben, die Erbsen und den  Blumenkohl.
Zu  dem Blumenkohl mischt er sogar eine weiße Soße  zurecht. Ich
backe Puffer, immer vier zu  gleicher  Zeit. Nach  zehn Minuten habe  ich es
heraus, die  Pfanne  so zu schwenken,  daß  die auf  der  einen  Seite
fertigen  Puffer hochfliegen, sich in der Luft drehen und wieder aufgefangen
werden. Die  Ferkel werden unzerschnitten gebraten. Alles steht um sie herum
wie um einen Altar.
     Inzwischen ist  Besuch  gekommen,  zwei Funker, die freigebig zum Essen
eingeladen  werden. Sie  sitzen  im Wohnzimmer, wo ein Klavier steht.  Einer
spielt, der andere  singt:  "An der  Weser".  Er  singt  es gef

u

hlvoll, aber
ziemlich s

u

chsisch. Trotzdem ergreift es uns, w

u

hrend wir so am Herd all die
sch

u

nen Sachen vorbereiten.
     Allm

u

hlich merken wir,  daß wir Kattun kriegen. Die Fesselballons
haben den Rauch  aus  unserm Schornstein spitz bekommen, und wir  werden mit
Feuer belegt. Es sind  die  verfluchten  kleinen Spritzbiester, die  so  ein
kleines  Loch machen und so weit und  niedrig streuen. Immer n

u

her pfeift es
um uns  herum,  aber wir  k

u

nnen doch das Essen  nicht im Stich  lassen. Die
Bande  schießt  sich  ein.  Ein  paar  Splitter   sausen  oben  durchs
K

u

chenfenster. Wir  sind  bald mit dem Braten fertig.  Doch das Pufferbacken
wird  jetzt schwieriger. Die Einschl

u

ge kommen  so dicht,  daß oft und

u

fter die Splitter gegen die Hauswand klatschen und durch die Fenster fegen.
Jedesmal, wenn ich ein Ding heranpfeifen h

u

re, gehe  ich mit der Pfanne  und
den Puffern  in die Knie und  ducke  mich hinter  die  Fenstermauer.  Sofort
danach bin ich wieder hoch und backe weiter.
     Die  Sachsen  h

u

ren  auf  zu  spielen, ein  Splitter  ist  ins  Klavier
geflogen.  Auch  wir  sind  jetzt allm

u

hlich  fertig  und  organisieren  den
R

u

ckzug.  Nach dem n

u

chsten Einschlag laufen zwei  Mann mit den Gem

u

set

u

pfen
los, die f

u

nfzig Meter bis zum Unterstand. Wir sehen sie verschwinden.
     Der n

u

chste Schuß.  Alles duckt sich, und dann  traben  zwei Mann
mit je einer großen Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab  und erreichen
vor dem folgenden Einschlag den Unterstand.
     Jetzt schnappen sich  Kat  und  Kropp das  Glanzst

u

ck: die  große
Pfanne  mit den  braungebratenen Ferkeln.  Ein Heulen, eine  Kniebeuge,  und
schon rasen sie 

u

ber die f

u

nfzig Meter freies Feld.
     Ich backe meine letzten  vier Puffer noch fertig; zweimal muß ich
dabei auf den  Boden - aber es  sind schließlich vier Puffer mehr, und
es ist mein Lieblingsessen.
     Dann ergreife ich die  Platte  mit dem  hohen  Stapel  und presse  mich
hinter die  Haust

u

r. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden
H

u

nden die Platte an die Brust gedr

u

ckt. Fast bin ich  angelangt,  da pfeift
es anschwellend, ich t

u

rme wie ein Hirsch,  fege um die  Betonwand, Spritzer
klatschen gegen  die  Mauer,  ich falle  die  Kellertreppe  hinunter,  meine
Ellenbogen sind zerschlagen, aber ich habe keinen einzigen  Puffer  verloren
und die Platte nicht umgekippt.
     Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis  sechs.  Bis halb
sieben trinken  wir  Kaffee  -  Offizierskaffee  aus  dem Proviantamt  - und
rauchen  Offizierszigarren und Zigaretten - ebenfalls  aus dem  Proviantamt.
Punkt halb sieben fangen  wir mit dem Abendessen an. Um  zehn Uhr werfen wir
die Gerippe der Ferkel  vor die T

u

r.  Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls
aus  dem  gesegneten  Proviantamt  und  wieder  lange,  dicke  Zigarren  mit
Bauchbinden. Tjaden behauptet,  daß nur eines fehle: M

u

dchen aus einem
Offizierspuff.
     Sp

u

tabends h

u

ren wir Miauen. Eine kleine graue Katze  sitzt am Eingang.
Wir  locken sie  heran  und f

u

ttern sie. Dar

u

ber  kommt auch  uns wieder der
Appetit. Kauend legen wir uns schlafen.
     Doch  die  Nacht  ist  b

u

se.  Wir  haben  zu  fett  gegessen.  Frisches
Spanferkel  wirkt angreifend auf die D

u

rme.  Es  ist ein ewiges  Kommen  und
Gehen  im  Unterstand.  Zwei, drei Mann  sitzen  immer mit heruntergezogenen
Hosen  draußen herum und  fluchen.  Ich selbst bin neunmal  unterwegs.
Gegen vier Uhr nachts  erreichen wir einen Rekord:  alle elf Mann, Wache und
Besuch, sitzen draußen.
     Brennende H

u

user  stehen  wie  Fackeln in  der Nacht. Granaten  poltern
heran  und hauen ein. Munitionskolonnen rasen 

u

ber die Straße. An  der
einen Seite ist das Proviantamt aufgerissen. Wie ein  Schw

u

rm Bienen dr

u

ngen
sich  dort  trotz aller  Splitter die Kolonnenfahrer  und klauen  Brot.  Wir
lassen sie ruhig gew

u

hren. Wenn wir was sagen w

u

rden, g

u

be es h

u

chstens eine
Tracht Pr

u

gel f

u

r uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erkl

u

ren, daß
wir die Wache sind, und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven
an, die wir gegen Sachen tauschen, die uns fehlen.
     Was macht es schon - in kurzer  Zeit ist ohnehin alles zerschossen. F

u

r
uns selbst holen wir Schokolade aus  dem Depot und essen sie tafelweise. Kat
sagt, sie sei gut f

u

r einen allzu eiligen Bauch. -
     Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen,  Trinken und Bummeln. Niemand
st

u

rt uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir  f

u

hren
ein gl

u

ckliches  Leben.  Solange nur noch  ein Teil des Proviantamtes steht,
ist uns  alles egal, und wir w

u

nschen  bloß, hier das Ende des Krieges
zu erleben.
     Tjaden ist derartig fein geworden, daß er  die  Zigarren nur halb
aufraucht. Er erkl

u

rt hochn

u

sig,  er  sei es so gewohnt.  Auch Kat  ist sehr
aufgemuntert.  Sein erster  Ruf morgens ist: "Emil, bringen Sie  Kaviar  und
Kaffee." Es ist 

u

berhaupt erstaunlich vornehm bei uns, jeder h

u

lt den andern
f

u

r seinen  Burschen, siezt ihn und gibt ihm Auftr

u

ge. "Kropp, es juckt mich
unter dem Fuß, fangen  Sie doch  mal die Laus weg",  damit streckt ihm
Leer sein  Bein  hin wie eine Schauspielerin, und Albert schleift ihn  daran
die Treppen  hinauf.  "Tjaden!"  - "Was ?"  - "  Stehen Sie  bequem, Tjaden,

u

brigens heißt es  nicht: Was,  sondern:  Zu  Befehl -  also: Tjaden!"
Tjaden begibt sich wieder  auf ein  Gastspiel zu G

u

tz von  Berlichingen, der
ihm nur so im Handgelenk sitzt.
     Nach  weiteren  acht  Tagen  erhalten  wir   Befehl,  abzur

u

cken.   Die
Herrlichkeit ist aus.  Zwei  große Lastautos nehmen uns  auf. Sie sind
hoch bepackt mit Brettern. Aber noch oben  darauf bauen Albert und ich unser
Himmelbett  mit  dem  blauseidenen  

u

berwurf auf,  mit  Matratzen  und  zwei
Spitzenoberbetten.  Hinten drin  am  Kopfende liegt f

u

r  jeden  ein Sack mit
besten  Lebensmitteln. Wir  f

u

hlen  manchmal  dar

u

ber  hin, und  die  harten
Mettw

u

rste, die  Leberwurstb

u

chsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen
unsere Herzen jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich.
     Kropp und ich haben  aber außerdem noch  zwei rote  Samtfauteuils
gerettet.  Sie  stehen im  Bett, und wir  r

u

keln  uns  darauf wie  in  einer
Theaterloge.  

u

ber uns  bauscht sich die  Seide des 

u

berwurfs als Baldachin.
Jeder hat  eine lange  Zigarre im Mund. So  schauen wir hoch von oben in die
Gegend.
     Zwischen uns steht ein Papageienk

u

fig,  den  wir f

u

r die Katze gefunden
haben.  Sie wird mitgenommen und  liegt drinnen  vor  ihrem Fleischnapf  und
schnurrt.
     Langsam rollen die Wagen 

u

ber die  Straße. Wir singen. Hinter uns
spritzen die Granaten Font

u

nen aus dem nun ganz verlassenen Dorf.

     Einige  Tage  sp

u

ter  r

u

cken wir  aus, um  eine  Ortschaft aufzur

u

umen.
Unterwegs begegnen  uns die  fliehenden Bewohner, die ausgewiesen  sind. Sie
schleppen ihre Habseligkeiten in Karren, in  Kinderwagen und auf dem  R

u

cken
mit  sich.  Ihre  Gestalten  sind   gebeugt,  ihre  Gesichter  voll  Kummer,
Verzweiflung,  Hast  und Ergebenheit.  Die  Kinder h

u

ngen  an den H

u

nden der
M

u

tter,  manchmal f

u

hrt auch  ein 

u

lteres M

u

dchen die Kleinen, die  vorw

u

rts
taumeln  und immer wieder  zur

u

cksehen.  Einige  tragen armselige Puppen mit
sich. Alle schweigen, als sie an uns vor

u

bergehen.
     Noch sind  wir in Marschkolonne, die Franzosen werden ja nicht ein Dorf
beschießen,  in dem  Landsleute sind. Aber wenige Minuten sp

u

ter heult
die Luft, die Erde bebt, Schreie  ert

u

nen - eine Granate  hat den hintersten
Zug  zerschmettert.  Wir  spritzen auseinander und werfen  uns  hin, aber im
selben Moment  f

u

hle  ich, wie  mir die Spannung entgleitet, die mich  sonst
immer  bei Feuer unbewußt das Richtige tun l

u

ßt, der Gedanke "Du
bist  verloren" zuckt auf mit einer w

u

rgenden, schrecklichen Angst -  und im
n

u

chsten  Augenblick fegt ein Schlag wie von einer Peitsche 

u

ber mein linkes
Bein. Ich h

u

re Albert schreien, er ist neben mir.
     "Los, auf, Albert!" br

u

lle ich,  denn wir liegen ungesch

u

tzt auf freiem
Felde.
     Er taumelt hoch  und l

u

uft.  Ich bleibe neben ihm. Wir m

u

ssen 

u

ber eine
Hecke; sie ist h

u

her als wir. Kropp faßt in die Zweige, ich packe sein
Bein,  er schreit  auf, ich  gebe ihm Schwung, er fliegt hin

u

ber.  Mit einem
Satz bin ich hinter  ihm her und falle in  einen Teich, der hinter der Hecke
liegt.
     Wir  haben das Gesicht voll Wasserlinsen und Schlamm, aber  die Deckung
ist gut. Deshalb waten wir hinein bis zum  Halse. Wenn es heult,  gehen  wir
mit dem Kopf unter Wasser.
     Nachdem wir das ein dutzendmal gemacht haben,  wird es  mir 

u

ber.  Auch
Albert st

u

hnt: "Laß uns weg, ich falle sonst um und ersaufe."
     "Wo hast du was gekriegt?" frage ich.
     "Am Knie, glaube ich."
     "Kannst du laufen?"
     "Ich denke -"
     "Dann los."
     Wir  gewinnen den Chausseegraben und rennen  ihn  geb

u

ckt entlang.  Das
Feuer  folgt uns. Die Straße hat die Richtung auf  das Munitionsdepot.
Wenn das hochgeht, findet nie jemand von uns einen Knopf wieder.  Wir andern
deshalb unsern Plan und laufen im Winkel querfeldein.
     Albert wird langsamer. "Lauf zu, ich  komme nach",  sagt  er  und wirft
sich hin.
     Ich reiße ihn am  Arm auf und sch

u

ttele  ihn. "Hoch, Albert, wenn
du dich erst hinlegst, kannst du nie mehr weiter. Los, ich st

u

tze dich."
     Endlich erreichen wir  einen kleinen  Unterstand.  Kropp schmeißt
sich hin, und ich verbinde ihn. Der  Schuß  sitzt kurz  

u

ber dem Knie.
Dann sehe ich mich selbst an. Die Hose  ist blutig, ebenso  der  Arm. Albert
bindet mir seine P

u

ckchen um die L

u

cher. Er kann  sein Bein schon nicht mehr
bewegen,  und  wir  wundern  uns  beide,  wie wir  es 

u

berhaupt bis  hierher
geschafft  haben.  Das hat nur die Angst  gemacht;  wir  w

u

rden fortgelaufen
sein, selbst  wenn uns die F

u

ße  weggeschossen w

u

ren -  dann  eben auf
St

u

mpfen.
     Ich  kann   noch  etwas  kriechen  und   rufe  einen   vor

u

berfahrenden
Leiterwagen  an,   der  uns  mitnimmt.  Er   ist   voller  Verwundeter.  Ein
Sanit

u

tsgefreiter ist dabei, der uns eine Tetanusspritze in die Brust jagt -
     Im Feldlazarett richten wir es so ein,  daß wir nebeneinander  zu
liegen kommen. Es gibt eine  d

u

nne Suppe, die  wir  gierig  und  ver

u

chtlich
ausl

u

ffeln,  weil  wir zwar  bessere Zeiten gew

u

hnt  sind,  aber doch Hunger
haben.
     "Nun geht's in die Heimat, Albert", sage ich.
     "Hoffentlich", antwortet er. "Wenn ich  bloß w

u

ßte, was ich
habe."
     Die  Schmerzen  werden  st

u

rker. Wie  Feuer  brennen die Verb

u

nde.  Wir
trinken und trinken, einen Becher Wasser nach dem andern.
     "Wieviel 

u

ber dem Knie ist mein Schuß?" fragt Kropp.
     "Mindestens  zehn Zentimeter,  Albert", antworte ich.  In  Wirklichkeit
sind es vielleicht drei.
     "Das habe ich mir vorgenommen", sagt er nach einer Weile, "wenn sie mir
einen Knochen  abnehmen, mache ich Schluß.  Ich will nicht als Kr

u

ppel
durch die Welt laufen."
     So liegen wir mit unsern Gedanken und warten.

     Abends werden wir zur Schlachtbank geholt. Ich erschrecke und  

u

berlege
rasch,  was ich tun soll; denn es  ist bekannt, daß  die 

u

rzte in  den
Feldlazaretten leicht  amputieren.  Bei  dem  großen  Andrang ist  das
einfacher als  komplizierte Flickereien. Kemmerich f

u

llt mir ein. Auf keinen
Fall  werde ich mich chloroformieren lassen, selbst wenn ich ein paar Leuten
den Sch

u

del einschlagen muß.
     Es  geht gut.  Der  Arzt  stochert  in der Wunde herum,  daß  mir
schwarz vor Augen  wird. "Stellen Sie  sich nicht so  an",  schimpft er  und
s

u

belt  weiter. Die Instrumente blitzen  in dem hellen Licht  wie  b

u

sartige
Tiere. Die Schmerzen sind unertr

u

glich. Zwei Krankenw

u

rter halten meine Arme
fest,  aber ich kriege einen los und will ihn gerade  dem Arzt in die Brille
knallen, als er es merkt und wegspringt.  "Chloroformiert den Kerl!" schreit
er w

u

tend.
     Da werde  ich ruhig. "Entschuldigen Herr Doktor, ich werde stillhalten,
aber chloroformieren Sie mich nicht."
     "Na ja",  kakelt  er und nimmt seine Instrumente  wiedervor. Er ist ein
blonder Bursche, h

u

chstens dreißig Jahre  alt, mit Schmissen und einer
widerlichen goldenen Brille. Ich merke  daß er mich jetzt schikaniert,
er w

u

hlt nur so  in der Wunde und schielt ab und zu 

u

ber seine Gl

u

ser zu mir
hin.  Meine  H

u

nde quetschen sich  um die Griffe,  eher  verrecke  ich,  als
daß er einen Mucks von mir h

u

rt.
     Er  hat einen Splitter herausgeangelt  und wirft  ihn mir zu. Scheinbar
ist  er  befriedigt  von  meinem  Verhalten,  denn  er  schient  mich  jetzt
sorgf

u

ltig  und  sagt:  "Morgen  geht's  ab  nach  Hause."  Dann  werde  ich
eingegipst.  Als  ich  wieder  mit  Kropp  zusammen  bin, erz

u

hle  ich  ihm,
daß also wahrscheinlich morgen schon ein Lazarettzug eintreffen wird.
     "Wir  m

u

ssen mit dem Sanit

u

tsfeldwebel sprechen, damit wir  beieinander
bleiben, Albert."
     Es gelingt mir, dem Feldwebel mit ein paar passenden Worten zwei meiner
Zigarren  mit  Bauchbinden zu  

u

berreichen.  Er schnuppert  daran und fragt:
"Hast du noch mehr davon?"
     "Noch eine gute Handvoll", sage ich, "und  mein Kamerad", ich zeige auf
Kropp, "ebenfalls.  Die  m

u

chten wir  Ihnen  gern  morgen  zusammen  aus dem
Fenster des Lazarettzuges 

u

berreichen."
     Er kapiert nat

u

rlich, schnuppert noch einmal und sagt: "Gemacht."
     Wir k

u

nnen keine Minute nachts schlafen.  In unserm Saal sterben sieben
Leute. Einer singt eine Stunde lang in einem hohen Quetschtenor Chor

u

le, ehe
er zu r

u

cheln  beginnt.  Ein  anderer  ist vorher aus dem  Bett  ans Fenster
gekrochen. Er liegt davor, als h

u

tte er zum letztenmal hinaussehen wollen.

     Unsere  Bahren  stehen auf  dem  Bahnhof. Wir  warten auf  den  Zug. Es
regnet, und der  Bahnhof hat kein  Dach.  Die  Decken  sind d

u

nn. Wir warten
schon zwei Stunden.
     Der Feldwebel betreut  uns wie eine  Mutter. Obschon mir  sehr schlecht
ist, verliere ich unsern Plan nicht aus den  Gedanken. So nebenbei lasse ich
die P

u

ckchen sehen und gebe eine Zigarre als Vorschuß ab.  Daf

u

r deckt
der Feldwebel uns eine Zeltbahn 

u

ber.
     "Mensch, Albert", erinnere ich mich, "unser Himmelbett und die Katze -"
     "Und die Klubsessel", f

u

gt er hinzu.
     Ja,  die  Klubsessel aus  rotem Pl

u

sch. Wir  hatten wie  F

u

rsten abends
darauf  gesessen und uns vorgenommen, sie sp

u

ter stundenweise abzuvermieten.
Pro Stunde eine Zigarette. Es  w

u

re  ein sorgenloses  Leben und ein Gesch

u

ft
geworden.
     "Albert", f

u

llt mir ein, "und unsere Freßs

u

cke."
     Wir werden schwerm

u

tig. Die  Sachen  h

u

tten wir gebrauchen k

u

nnen. Wenn
der Zug einen Tag sp

u

ter f

u

hre, h

u

tte Kat  uns  sicher  gefunden und uns den
Kram gebracht.
     Ein  verfluchtes  Schicksal.  Wir  haben  Mehlsuppe  im  Magen,  d

u

nnes
Lazarettfutter, und  in unseren S

u

cken ist Schweinebraten als Konserve. Aber
wir sind so schwach, daß wir uns nicht weiter dar

u

ber aufregen k

u

nnen.
     Die  Bahren  sind klatschnaß, als  der  Zug morgens einl

u

uft. Der
Feldwebel sorgt daf

u

r,  daß wir in denselben  Wagen kommen. Eine Menge
Rote-Kreuz-Schwestern  sind  da. Kropp wird  nach  unten gepackt.  Ich werde
angehoben und soll in das Bett 

u

ber ihm.
     "Um Gottes willen", entf

u

hrt es mir pl

u

tzlich.
     "Was ist denn?" fragt die Schwester.
     Ich werfe noch  einen Blick auf das Bett. Es ist mit schneeweißem
Leinen   bezogen,  unvorstellbar  sauberem  Leinen,   das  sogar  noch   die
Pl

u

ttkniffe  hat. Mein  Hemd  dagegen ist sechs Wochen lang nicht  gewaschen
worden und sehr dreckig.
     "K

u

nnen Sie nicht allein hineinkriechen?" fragt die Schwester besorgt.
     "Das schon", sagte ich schwitzend, "aber tun Sie doch erst das Bettzeug
weg."
     "Warum denn?"
     Ich komme mir wie ein Schwein vor. Da  soll ich mich hineinlegen? - "Es
wird ja -" Ich z

u

gere.
     "Ein  bißchen  schmutzig?"  fragt  sie  ermunternd.  "Das schadet
nichts, dann waschen wir es eben nachher wieder."
     "Nee,  das nicht  -", sage ich aufgeregt. Diesem Ansturm der Kultur bin
ich nicht gewachsen.
     "Daf

u

r, daß Sie draußen im Graben gelegen haben, werden wir
wohl noch ein Bettlaken waschen k

u

nnen", f

u

hrt sie fort.
     Ich sehe  sie an, sie sieht knusprig und jung aus, blank gewaschen  und
fein, wie  alles hier,  man  begreift  nicht, daß  es  nicht  nur  f

u

r
Offiziere ist, und f

u

hlt sich unheimlich und sogar irgendwie bedroht.
     Das Weib ist trotzdem ein Folterknecht, es zwingt mich, alles zu sagen.
"Es ist nur -", ich halte ein, sie muß doch verstehen, was ich meine.
     "Was denn noch?"
     "Wegen der L

u

use", br

u

lle ich schließlich heraus.
     Sie lacht. "Die m

u

ssen auch mal gute Tage haben."
     Nun  kann  es mir ja gleich  sein. Ich krabbele ins Bett und decke mich
zu.
     Eine  Hand  fingert  

u

ber die  Decke.  Der Feldwebel. Er zieht mit  den
Zigarren ab.
     Nach einer Stunde merken wir, daß wir fahren.

     Nachts erwache ich. Auch Kropp r

u

hrt sich. Der Zug rollt leise 

u

ber die
Schienen. Es  ist alles noch unbegreiflich: ein Bett,  ein Zug,  nach Hause.
Ich fl

u

stere: "Albert!"
     "Ja -"
     "Weißt du, wo hier die Latrine ist?"
     "Ich glaube, dr

u

ben rechts die T

u

r."
     "Ich werde mal sehen." Es ist  dunkel,  ich taste nach dem Bettrand und
will vorsichtig hinuntergleiten. Aber mein Fuß findet keinen Halt, ich
gerate ins Rutschen, das Gipsbein ist keine Hilfe, und mit einem Krach liege
ich auf dem Boden.
     "Verflucht", sage ich.
     "Hast du dich gestoßen?" fragt Kropp.
     "Das k

u

nntest du doch wohl geh

u

rt haben", knurre ich, "mein Sch

u

del -"
     Hinten im Wagen 

u

ffnet sich die T

u

r. Die Schwester kommt mit Licht  und
sieht mich.
     "Er ist aus dem Bett gefallen"
     Sie f

u

hlt mir  den  Puls und faßt meine Stirn an. "Sie haben aber
kein Fieber."
     "Nein -", gebe ich zu.
     "Haben Sie denn getr

u

umt?" fragt sie.
     "So ungef

u

hr", weiche  ich aus. Jetzt geht die Fragerei wieder los. Sie
sieht mich mit ihren blanken  Augen an, sauber und wunderbar  ist sie, um so
weniger kann ich ihr sagen, was ich will.
     Ich werde wieder nach oben gehoben. Das kann ja  gut  werden. Wenn  sie
fort ist, muß ich sofort wieder versuchen, hinunterzusteigen. W

u

re sie
eine  alte  Frau, so ginge es eher, ihr Bescheid  zu  sagen, aber sie ist ja
ganz jung, h

u

chstens f

u

nfundzwanzig Jahre, es ist nichts zu machen, ich kann
es ihr nicht sagen.
     Da kommt Albert mir  zu Hilfe, er geniert sich nicht, er ist es ja auch
schließlich nicht, den die Sache angeht. Er ruft die Schwester an. Sie
dreht sich um. "Schwester, er wollte -",  aber  auch Albert weiß nicht
mehr, wie  er  sich  tadellos  und  anst

u

ndig  ausdr

u

cken  soll.  Unter  uns
draußen ist  das mit  einem einzigen  Wort  gesagt,  aber  hier, einer
solchen Dame gegen

u

ber - Mit einem Male jedoch f

u

llt  ihm die Schulzeit ein,
und er vollendet fließend: "Er m

u

chte mal hinaus, Schwester."
     "Ach so",  sagt die Schwester. "Dazu braucht  er doch  nicht mit seinem
Gipsverband aus dem Bett zu klettern. Was wollen Sie denn haben?" wendet sie
sich an mich.
     Ich bin  t

u

dlich erschrocken  

u

ber diese neue  Wendung, denn  ich  habe
keine Ahnung, wie man  die Dinge  fachm

u

nnisch benennt. Die  Schwester kommt
mir zu Hilfe.  "Klein  oder groß?" Diese Blamage! Ich schwitze wie ein
Affe und sage verlegen: "Na, also nur klein -"
     Immerhin, wenigstens noch etwas Gl

u

ck.
     Ich erhalte  eine Flasche. Nach einigen Stunden  bin ich nicht mehr der
einzige, und morgens haben  wir uns  gew

u

hnt und  verlangen ohne Besch

u

mung,
was wir brauchen.
     Der  Zug  f

u

hrt  langsam.  Manchmal  h

u

lt  er,  und  die  Toten  werden
ausgeladen. Er h

u

lt oft.

     Albert hat Fieber.  Mir  geht  es leidlich,  ich habe  Schmerzen,  aber
schlimmer ist es, daß  wahrscheinlich unter dem Gipsverband noch L

u

use
sitzen. Es juckt f

u

rchterlich, und ich kann mich nicht kratzen.
     Wir  schlummern durch  die  Tage. Die Landschaft  geht  still durch die
Fenster.  In  der  dritten Nacht  sind wir in Herbesthal. Ich  h

u

re  von der
Schwester, daß  Albert an der n

u

chsten Station ausgeladen werden soll,
wegen seines Fiebers. "Wie weit f

u

hrt der Zug?" frage ich.
     "Bis K

u

ln."
     "Albert, wirbleiben zusammen", sage ich, "paß auf." Beim n

u

chsten
Rundgang der Schwester  halte ich die  Luft an  und  presse den Atem in  den
Kopf. Er schwillt und wird rot. Sie bleibt stehen. "Haben Sie Schmerzen?"
     "Ja", st

u

hne ich, "mit einem Male."
     Sie gibt mir ein Thermometer und geht weiter. Ich m

u

ßte nicht bei
Kat  in  der  Lehre  gewesen  sein,  um  nicht  Bescheid  zu  wissen.  Diese
Soldatenthermometer sind nicht f

u

r  erfahrenes Milit

u

r berechnet. Es handelt
sich nur darum, das Quecksilber hochzutreiben, dann bleibt es in  der d

u

nnen
R

u

hre stehen und sinkt nicht wieder.
     Ich stecke das Thermometer unter den Arm, schr

u

g nach unten, und knipse
mit  dem  Zeigefinger st

u

ndig dagegen. Darauf sch

u

ttele  ich  es  nach oben.
Damit  erreiche  ich  37,9  Grad. Das  gen

u

gt  aber  nicht.  Ein Streichholz
vorsichtig nahe darangehalten ergibt 38,7 Grad.
     Als  die  Schwester  zur

u

ckkommt,  puste  ich  mich  auf,  atme  leicht
stoßweise, glotze sie mit etwas stieren  Augen an, bewege mich unruhig
und fl

u

stere: "Ich kann es nicht mehr aushalten -"
     Sie notiert mich auf einem Zettel. Ich weiß genau, daß ohne
Not mein Gipsverband nicht ge

u

ffnet wird.
     Albert und ich werden zusammen ausgeladen.

     Wir liegen  in einem katholischen Hospital, im gleichen Zimmer. Das ist
ein großes Gl

u

ck, denn die katholischen Krankenh

u

user sind bekannt f

u

r
gute  Behandlung  und  gutes Essen. Das Lazarett ist voll belegt worden  aus
unserm Zug,  es sind viele schwere F

u

lle dabei. Wir kommen heute noch  nicht
zur  Untersuchung,  da  zu wenig Arzte  da  sind.  Auf  dem  Korridor fahren
unabl

u

ssig die flachen  Wagen mit den Gummir

u

dern vorbei,  und  immer  liegt
jemand lang darauf. Eine verfluchte Lage -  so langgestreckt - nur gut, wenn
man schl

u

ft.
     Die  Nacht ist sehr unruhig. Keiner kann schlafen. Gegen Morgen  duseln
wir etwas ein. Ich erwache, als es  hell  wird. Die T

u

r steht offen, und vom
Korridor h

u

re ich Stimmen. Auch die andern wachen auf. Einer, der  schon ein
paar Tage da ist, erkl

u

rt uns die Sache: "Hier  oben wird  jeden Morgen  auf
dem Korridor gebetet von den Schwestern. Sie nennen das Morgenandacht. Damit
ihr euren Teil abkriegt, machen sie die T

u

ren auf."
     Das ist sicher gut gemeint, aber  uns tun die  Knochen und die  Sch

u

del
weh.
     "So ein Unsinn", sage ich, "wenn man gerade eingeschlafen ist."
     "Hier oben liegen die leichteren F

u

lle, da machen sie es so", antwortet
er.
     Alben st

u

hnt. Ich werde w

u

tend und rufe: "Ruhe da draußen."
     Nach  einer  Minute  erscheint  eine  Schwester.  Sie  sieht  in  ihrer
weiß und schwarzen Tracht aus  wie  ein h

u

bscher Kaffeew

u

rmer. "Machen
Sie doch die T

u

r zu, Schwester", sagt jemand.
     "Es wird gebetet, deshalb ist die T

u

r offen", erwidert sie.
     "Wir m

u

chten aber noch schlafen -"
     "Beten ist besser als schlafen."  Sie steht  da und l

u

chelt unschuldig.
"Es ist auch schon sieben Uhr."
     Albert st

u

hnt wieder. "T

u

r zu!" schnauze ich.
     Sie ist ganz verdutzt, so etwas kann sie scheinbar nicht begreifen. "Es
wird doch auf f

u

r Sie mitgebetet."
     "Einerlei! T

u

r zu!"
     Sie  verschwindet  und  l

u

ßt  die T

u

r  offen. Die Litanei  ert

u

nt
wieder. Ich  bin wild und sage: "Ich z

u

hle jetzt bis drei. Wenn es bis dahin
nicht aufh

u

rt, fliegt was."
     "Von mir auch", erkl

u

rt ein anderer.
     Ich z

u

hle  bis f

u

nf. Dann  nehme  ich eine Flasche, ziele und werfe sie
durch die  T

u

r auf  den Korridor. Sie  zerspringt in  tausend Splitter.  Das
Beten h

u

rt auf. Ein Schw

u

rm Schwestern erscheint und schimpft maßvoll.
     "T

u

r zu!" schreien wir.
     Sie  verziehen sich.  Die Kleine  von vorhin ist die letzte.  "Heiden",
zwitschert sie, macht aber doch die T

u

r zu. Wir haben gesiegt.

     Mittags kommt der Lazarettinspektor und ranzt uns an. Er verspricht uns
Festung  und  noch  mehr. Nun  ist  ein  Lazarettinspektor,  genau  wie  ein
Proviantamtsinspektor, zwar jemand, der einen langen Degen und  Achselst

u

cke
tr

u

gt, aber eigentlich ein Beamter, und er wird darum nicht einmal von einem
Rekruten f

u

r voll genommen. Wir lassen ihn deshalb reden. Was kann uns schon
passieren -
     "Wer hat die Flasche geworfen?" fragt er.
     Bevor ich 

u

berlegen kann, ob ich mich melden soll, sagt jemand: "Ich!"
     Ein Mann  mit  struppigem Bart richtet  sich auf.  Alles ist  gespannt,
weshalb er sich meldet.
     "Sie?"
     "Jawohl. Ich war erregt dar

u

ber,  daß wir unn

u

tig geweckt wurden,
und verlor die Besinnung, so daß ich nicht wußte, was ich  tat."
Er redet wie ein Buch.
     "Wie heißen Sie?"
     "Ersatz-Reservist Josef Hamacher."
     Der Inspektor geht ab. Alle sind neugierig. "Weshalb hast du  dich denn
bloß gemeldet? Du warst es ja gar nicht!"
     Er grinst. "Das macht nichts. Ich habe einen Jagdschein."
     Das versteht nat

u

rlich  jeder.  Wer einen Jagdschein  hat, kann machen,
was er will.
     "Ja", erz

u

hlt er, "ich habe einen Kopfschuß gehabt, und daraufist
mir   ein    Attest    ausgestellt   worden,    daß    ich   zeitweise
unzurechnungsf

u

hig bin.  Seitdem bin  ich fein  heraus.  Man darf mich nicht
reizen. Mir  passiert  also nichts.  Der unten wird sich sch

u

n  

u

rgern.  Und
gemeldet habe ich mich, weil mir das Werfen Spaß gemacht hat. Wenn sie
morgen wieder die T

u

r aufmachen, schmeißen wir wieder."
     Wir  sind  heilfroh.  Mit  Josef  Hamacher  in  der Mitte  jetzt  alles
riskieren.
     Dann kommen die lautlosen, flachen Wagen, um uns zu holen. Die Verb

u

nde
sind verklebt. Wir br

u

llen wie Stiere.

     Es liegen  acht Mann auf  unserer  Stube.  Die schwerste Verletzung hat
Peter, ein schwarzer  Krauskopf  -  einen  komplizierten  Lungenschuß.
Franz  W

u

chter  neben ihm hat einen  zerschossenen  Arm,  der  anfangs nicht
schlimm  aussieht.  Aber in  der  dritten Nacht ruft  er uns an, wir sollten
klingeln, er glaube, er blute durch.
     Ich klingele kr

u

ftig. Die  Nachtschwester  kommt nicht. Wir  haben  sie
abends  ziemlich stark in Anspruch genommen, weil wir alle neue Verb

u

nde und
deshalb Schmerzen hatten.  Der eine  wollte das  Bein so gelegt  haben,  der
andere  so,  der  dritte  verlangte  Wasser,  dem  vierten  sollte  sie  das
Kopfkissen aufsch

u

tteln; - die dicke  Alte hatte b

u

se gebrummt  zuletzt  und
die T

u

ren geschlagen.  Jetzt  vermutet sie  wohl wieder  so etwas,  denn sie
kommt nicht.
     Wir warten. Dann sagt Franz: "Klingle noch mal."
     Ich  tue es.  Sie  l

u

ßt sich immer noch  nicht sehen. Auf unserem
Fl

u

gel  ist nachts  nur eine einzige Stationsschwester, vielleicht  hat  sie
gerade in  andern  Zimmern  zu tun.  "Bist du  sicher,  Franz,  daß du
blutest?" frage ich. "Sonst kriegen wir wieder was auf den Kopf."
     "Es ist naß. Kann keiner Licht machen?"
     Auch  das geht nicht.  Der Schalter ist an  der T

u

r,  und  niemand kann
aufstehen. Ich  halte den  Daumen auf  der  Klingel, bis er gef

u

hllos  wird.
Vielleicht ist die Schwester eingenickt. Sie haben  ja sehr viel Arbeit  und
sind alle 

u

beranstrengt, schon tags

u

ber. Dazu das st

u

ndige Beten.
     "Sollen  wir  Flaschen schmeißen?" fragt Josef  Hamacher mit  dem
Jagdschein.
     "Das h

u

rt sie noch weniger als das Klingeln."
     Endlich  geht die T

u

r auf. Muffelig erscheint  die  Alte.  Als  sie die
Geschichte  bei  Franz bemerkt, wird sie  eilig  und ruft: "Weshalb hat denn
keiner Bescheid gesagt?"
     "Wir haben ja geklingelt. Laufen kann hier keiner."
     Er  hat  stark  geblutet  und wird  verbunden. Morgens  sehen wir  sein
Gesicht, es ist spitzer und gelber geworden, dabei war es am
     Abend noch fast gesund im Aussehen. Jetzt kommt 

u

fter eine Schwester.

     Manchmal  sind  es auch  Hilfsschwestern  vom  Roten  Kreuz.  Sie  sind
gutm

u

tig, aber  mitunter  etwas ungeschickt. Beim Umbetten tun sie einem oft
weh und sind dann so erschrocken, daß sie einem noch mehr weh tun.
     Die Nonnen  sind zuverl

u

ssiger.  Sie  wissen, wie sie  anfassen m

u

ssen,
aber wir m

u

chten gern, daß sie etwas lustiger w

u

ren. Einige allerdings
haben  Humor, sie sind großartig. Wer  w

u

rde Schwester Libertine nicht
jeden  Gefallen tun,  dieser  wunderbaren  Schwester, die  im  ganzen Fl

u

gel
Stimmung verbreitet, wenn sie  nur von weitem zu sehen ist? Und solcher sind
noch mehrere  da.  Wir  w

u

rden  f

u

r sie  durchs Feuer gehen. Man  kann  sich
wirklich nicht beklagen, man wird direkt wie ein Zivilist hier behandelt von
den Nonnen. Wenn  man dagegen an die  Garnisonlazarette denkt, in  denen man
mit angelegter Hand im Bett liegen muß, kann einem die Angst kommen.
     Franz  W

u

chter kommt nicht wieder  zu  Kr

u

ften.  Eines  Tages  wird  er
abgeholt und bleibt fort. Josef Hamacher weiß Bescheid: "Den sehen wir
nicht wieder. Sie haben ihn ins Totenzimmer gebracht."
     "Was f

u

r ein Totenzimmer?" fragt Kropp.
     "Na, ins Sterbezimmer -"
     "Was ist denn das?"
     "Das kleine Zimmer an  der Ecke des Fl

u

gels. Wer kurz vor dem Abkratzen
ist, wird dahin gebracht. Es  sind zwei Betten darin. 

u

berall heißt es
nur das Sterbezimmer."
     "Aber warum machen sie das?"
     "Sie haben dann  nicht  so  viel Arbeit nachher.  Es ist auch bequemer,
weil es gleich am Aufzug zur Totenhalle liegt.  Vielleicht  tun sie es auch,
damit keiner in  den  S

u

len  stirbt, wegen der andern. Sie  k

u

nnen  ja  auch
besser bei ihm wachen, wenn er allein liegt."
     "Aber er selber?"
     Josef  zuckt  die  Achseln.  "Gew

u

hnlich merkt er ja  nicht  mehr  viel
davon."
     "Weiß es denn jeder?"
     "Wer l

u

nger hier ist, weiß es nat

u

rlich."

     Nachmittags wird das Bett von Franz W

u

chter  neu belegt. Nach ein  paar
Tagen holen sie auch  den neuen  wieder ab.  Josef  macht  eine bezeichnende
Handbewegung. Wir sehen noch manchen kommen und gehen.
     Manchmal sitzen Angeh

u

rige an den Betten und weinen oder sprechen leise
und verlegen. Eine alte Frau will gar  nicht fort,  aber sie kann  die Nacht

u

ber ja nicht  dableiben. Am andern Morgen kommt sie  schon  ganz fr

u

h, aber
doch nicht fr

u

h  genug; denn als sie  an das Bett  geht, liegt schon  jemand
anders drin. Sie muß zur Totenhalle. Die 

u

pfel,  die sie noch bei sich
hat, gibt sie uns.
     Auch dem kleinen Peter geht es schlechter. Seine Fiebertafel sieht b

u

se
aus,  und  eines Tages steht neben  seinem Bett der  flache Wagen.  "Wohin?"
fragt er.
     "Zum Verbandssaal."
     Er wird  hinauf  gehoben.  Aber die  Schwester macht den Fehler, seinen
Waffenrock  vom  Haken zu nehmen und ihn ebenfalls auf  den Wagen zu  legen,
damit sie  nicht  zweimal zu gehen braucht. Peter weiß sofort Bescheid
und will sich vom Wagen rollen. "Ich bleibe hier!"
     Sie dr

u

cken  ihn  nieder.  Er  schreit leise  mit  seiner zerschossenen
Lunge: "Ich will nicht ins Sterbezimmer."
     "Wir gehen ja zum Verbandssaal."
     "Wozu braucht ihr dann meinen Waffenrock?" Er kann nicht mehr sprechen.
Heiser, aufgeregt, fl

u

stert er: "Hierbleiben!"
     Sie antworten nicht und fahren ihn hinaus. Vor der T

u

r versucht er sich
aufzurichten.  Sein schwarzer Krauskopf bebt,  die Augen sind  voll  Tr

u

nen.
"Ich komme wieder! Ich komme wieder!" ruft er.
     Die T

u

r schließt sich. Wir  sind alle erregt; aber wir schweigen.
Endlich sagt Josef: "Hat schon mancher gesagt. Wenn man erst drin ist,  h

u

lt
man doch nicht durch."
     Ich werde operiert und kotze zwei Tage lang. Meine Knochen wollen nicht
zusammenwachsen, sagt der Schreiber des Arztes. Bei  einem  andern sind  sie
falsch angewachsen; dem werden sie wieder gebrochen. Es ist schon ein Elend.
     Unter unserm Zuwachs sind zwei junge Soldaten mit Plattf

u

ßen. Bei
der Visite entdeckt der Chefarzt sie  und bleibt freudig stehen. "Das werden
wir wegkriegen", erz

u

hlt er, "da machen wir eine kleine Operation, und schon
haben Sie gesunde F

u

ße. Schreiben Sie auf, Schwester."
     Als er fort ist, warnt Josef, der alles weiß: "Laßt euch ja
nicht operieren ! Das  ist n

u

mlich ein wissenschaftlicher Fimmel vom  Alten.
Er ist ganz wild auf jeden, den er daf

u

r zu fassen bekommt. Er operiert euch
die Plattf

u

ße, und ihr habt nachher tats

u

chlich auch keine mehr; daf

u

r
habt ihr Klumpf

u

ße und m

u

ßt euer Leben lang an St

u

cken laufen."
     "Was soll man denn da machen?" fragt der eine.
     "Nein sagen! Ihr seid hier,  um  eure Sch

u

sse zu  kurieren,  nicht eure
Plattf

u

ße!  Habt ihr im Felde  keine gehabt ? Na,  da  seht ihr! Jetzt
k

u

nnt ihr noch laufen, aber wenn der  Alte euch erst unter dem Messer gehabt
hat, seid ihr Kr

u

ppel. Er braucht Versuchskarnickel,  f

u

r ihn  ist der Krieg
eine großartige Zeit deshalb, wie f

u

r alle 

u

rzte. Seht euch unten  mal
die  Station an; da kriechen ein Dutzend  Leute herum,  die er operiert hat.
Manche sind seit  vierzehn und f

u

nfzehn hier, jahrelang. Kein einziger  kann
besser  laufen als vorher; fast  alle aber  schlechter, die meisten  nur mit
Gipsbeinen. Alle halbe  Jahre erwischt  er sie  wieder und  bricht ihnen die
Knochen aufs neue,  und jedesmal soll dann der  Erfolg kommen. Nehmt euch in
acht, er darf es nicht, wenn ihr nein sagt."
     "Ach,  Mensch!"  sagt  der  eine  von  den  beiden  m

u

de.  "Besser  die
F

u

ße als der Sch

u

del. Weißt du,  was du  kriegst, wenn du wieder
draußen bist?  Sollen  sie mit  mir machen, was  sie  wollen, wenn ich
bloß wieder nach Hause komme. Besser ein Klumpfuß als tot."
     Der  andere, ein  junger  Mensch wie wir, will nicht.  Am andern Morgen
l

u

ßt der Alte beide  herunterholen und redet und schnauzt so lange auf
sie ein, bis sie doch  einwilligen. Was sollen sie anders tun. - Sie sind ja
nur Muskoten, und er ist ein hohes Tier.  Vergipst und chloroformiert werden
sie wiedergebracht.

     Albert geht es  schlecht. Er  wird geholt und amputiert. Das ganze Bein
bis obenhin wird abgenommen. Nun spricht er fast gar nicht mehr. Einmal sagt
er, er wolle sich erschießen,  wenn er erst wieder an seinen  Revolver
herank

u

me.
     Ein  neuer Transport trifft ein. Unsere Stube erh

u

lt zwei Blinde. Einer
davon ist  ein ganz junger  Musiker. Die Schwestern haben nie ein Messer bei
sich, wenn sie ihm  Essen geben;  er hat  einer schon einmal eins entrissen.
Trotz dieser Vorsicht passiert etwas. Abends beim F

u

ttern wird die Schwester
von seinem Bett abgerufen  und stellt den Teller mit der Gabel so lange  auf
seinen Tisch. Er tastet nach der  Gabel, faßt sie und  st

u

ßt sie
mit aller Kraft gegen  sein Herz,  dann  ergreift er einen Schuh und schl

u

gt
auf  den  Stiel,  so fest  er kann. Wir rufen um Hilfe, und  drei Mann  sind
n

u

tig, ihm  die  Gabel  wegzunehmen.  Die  stumpfen  Zinken waren schon tief
eingedrungen. Er  schimpft  die  ganze Nacht auf uns, so  daß  niemand
Schlaf findet. Morgens hat er einen Schreikrampf.
     Wieder werden  Betten  frei. Tage  um Tage gehen  hin  in Schmerzen und
Angst,  St

u

hnen  und R

u

cheln. Auch  das Vorhandensein  der Totenzimmer nutzt
nichts  mehr, es sind zu wenig,  die  Leute sterben nachts auch  auf unserer
Stube. Es geht eben schneller als die 

u

berlegung der Schwestern.
     Aber eines Tages fliegt die T

u

r auf, der flache Wagen rollt herein, und
blaß,  schmal,  aufrecht,  triumphierend,  mit gestr

u

ubtem,  schwarzem
Krauskopf sitzt Peter auf  der  Bahre. Schwester Libertine schiebt  ihn  mit
strahlender Miene an sein altes  Bett. Er ist zur

u

ck aus  dem  Sterbezimmer.
Wir haben ihn l

u

ngst f

u

r tot gehalten.
     Er sieht sich um: "Was sagt ihr nun?"
     Und selbst Josef muß zugeben, daß er so was zum ersten Male
erlebt.

     Allm

u

hlich d

u

rfen  einige von uns  aufstehen.  Auch ich bekomme Kr

u

cken
zum Herumhumpeln.  Doch  ich  mache wenig  Gebrauch davon;  ich kann Alberts
Blick nicht ertragen, wenn ich durchs Zimmer gehe. Er sieht mir immer mit so
sonderbaren Augen nach. Deshalb entschl

u

pfe ich manchmal auf den  Korridor -
dort kann ich mich freier bewegen.
     Im  Stockwerk tiefer  liegen Bauch- und  R

u

ckenmarksch

u

sse, Kopfsch

u

sse
und beiderseitig  Amputierte.  Rechts  im  Fl

u

gel  Kiefersch

u

sse, Gaskranke,
Nasen-,  Ohren- und  Halssch

u

sse. Links im Fl

u

gel Blinde und  Lungensch

u

sse,
Beckensch

u

sse, Gelenksch

u

sse, Nierensch

u

sse, Hodensch

u

sse, Magensch

u

sse. Man
sieht hier erst, wo ein Mensch 

u

bel getroffen werden kann.
     Zwei  Leute sterben an Wundstarrkrampf. Die Haut wird fahl, die Glieder
erstarren,  zuletzt  leben -  lange  -  nur  noch  die  Augen. - Bei manchen
Verletzten  h

u

ngt das zerschossene Glied an einem Galgen frei  in  der Luft;
unter die Wunde wird ein Becken gestellt, in das der Eiter tropft. Alle zwei
oder  drei Stunden wird  das  Gef

u

ß geleert.  Andere Leute  liegen  im
Streckverband,  mit  schweren, herabziehenden  Gewichten am  Bett. Ich  sehe
Darmwunden,  die st

u

ndig voll  Kot  sind. Der Schreiber des Arztes zeigt mir
R

u

ntgenaufnahmen   von   v

u

llig   zerschmetterten   H

u

ftknochen,  Knien  und
Schultern.
     Man  kann nicht begreifen, daß 

u

ber  so zerrissenen  Leibern noch
Menschengesichter sind, in  denen  das Leben  seinen  allt

u

glichen  Fortgang
nimmt.  Und dabei  ist  dies  nur  ein einziges  Lazarett, nur eine  einzige
Station  -  es  gibt  Hunderttausende  in  Deutschland,  Hunderttausende  in
Frankreich,  Hunderttausende in Rußland. Wie sinnlos ist alles, was je
geschrieben, getan, gedacht wurde,  wenn  so etwas m

u

glich ist! Es muß
alles gelogen  und belanglos sein, wenn die  Kultur von  Jahrtausenden nicht
einmal verhindern konnte, daß diese  Str

u

me von Blut vergossen wurden,
daß diese Kerker der  Qualen zu Hunderttausenden existieren.  Erst das
Lazarett zeigt, was der Krieg ist.
     Ich bin  jung, ich  bin zwanzig Jahre alt;  aber  ich  kenne  vom Leben
nichts anderes als  die Verzweiflung, den  Tod, die Angst und die Verkettung
sinnlosester Oberfl

u

chlichkeit  mit  einem  Abgrund des  Leidens.  Ich sehe,
daß  V

u

lker   gegeneinandergetrieben  werden  und   sich   schweigend,
unwissend,  t

u

richt,  gehorsam,  unschuldig t

u

ten.  Ich sehe,  daß die
kl

u

gsten Gehirne  der  Welt  Waffen und Worte erfinden,  um das  alles  noch
raffinierter  und  l

u

nger  dauernd zu  machen.  Und  mit mir sehen das  alle
Menschen meines Alters hier  und dr

u

ben,  in der ganzen Welt, mit mir erlebt
das meine Generation. Was werden unsere V

u

ter tun, wenn wir einmal aufstehen
und vor  sie hintreten und Rechenschaft  fordern? Was erwarten sie von  uns,
wenn  eine  Zeit  kommt,  wo  kein  Krieg  ist?  Jahre hindurch  war  unsere
Besch

u

ftigung T

u

ten -  es war unser erster Beruf im Dasein. Unser Wissen vom
Leben beschr

u

nkt  sich  auf den Tod. Was soll danach noch geschehen? Und was
soll aus uns werden?

     Der 

u

lteste auf unserer Stube ist Lewandowski. Er ist vierzig Jahre alt
und   liegt   bereits   zehn   Monate   im   Hospital   an   einem  schweren
Bauchschuß.  Erst in  den letzten  Wochen  ist  er  so weit  gekommen,
daß er gekr

u

mmt etwas hinken kann.
     Seit einigen Tagen ist er in großer Aufregung. Seine Frau hat ihm
aus dem kleinen Nest  in Polen, wo sie wohnt,  geschrieben, daß sie so
viel Geld zusammen hat, um die Fahrt zu bezahlen und ihn besuchen zu k

u

nnen.
     Sie ist unterwegs und kann jeden Tag  eintreffen.  Lewandowski schmeckt
das Essen nicht mehr, sogar Rotkohl mit Bratwurst verschenkt er, nachdem  er
ein paar Happen  genommen hat. St

u

ndig l

u

uft er mit dem Brief durchs Zimmer,
jeder  hat  ihn schon  ein dutzendmal  gelesen,  die  Poststempel  sind  wer
weiß  wie  oft  schon  gepr

u

ft,  die Schrift ist  vor  Fettflecken und
Fingerspuren  kaum  noch  zu erkennen,  und  was  kommen  muß,  kommt:
Lewandowski kriegt Fieber und muß wieder ins Bett.
     Er  hat seine Frau seit zwei  Jahren nicht gesehen.  Sie hat inzwischen
ein Kind geboren, das bringt  sie mit. Aber etwas ganz  anderes  besch

u

ftigt
Lewandowski. Er hatte gehofft, die Erlaubnis zum Ausgehen zu erhalten,  wenn
seine Alte kommt, denn es ist doch klar: Sehen ist ganz sch

u

n, aber wenn man
seine Frau nach so langer Zeit wiederhat, will man, wenn  es eben geht, doch
noch was anderes.
     Lewandowski  hat das  alles stundenlang  mit uns besprochen,  denn beim
Kommiß gibt es darin keine Geheimnisse. Es  findet auch  keiner  etwas
dabei. Diejenigen  von uns,  die  schon ausgehen  k

u

nnen, haben ihm ein paar
tadellose  Ecken  in  der Stadt gesagt, Anlagen  und Parks, wo  er ungest

u

rt
gewesen w

u

re, einer wußte sogar ein kleines Zimmer.
     Doch  was  n

u

tzt das alles.  Lewandowski liegt  im Bett und  hat  seine
Sorgen.  Das ganze Leben  macht  ihm keinen  Spaß mehr, wenn  er diese
Sache verpassen  muß.  Wir tr

u

sten ihn und versprechen  ihm, daß
wir den Kram schon irgendwie schmeißen werden.
     Am  andern Nachmittag  erscheint seine Frau, ein  kleines, verhutzeltes
Ding  mit  

u

ngstlichen und  eiligen Vogelaugen, in einer  Art von  schwarzer
Mantille mit  Krausen  und  B

u

ndern, weiß der Himmel, wo sie das St

u

ck
mal geerbt hat.
     Sie  murmelt leise  etwas  und  bleibt  scheu  an der  T

u

r  stehen.  Es
erschreckt sie, daß wir sechs Mann hoch sind.
     "Na,  Marja",  sagt  Lewandowski  und  schluckt gef

u

hrlich  mit  seinem
Adamsapfel, "kannst ruhig 'reinkommen, die tun dir hier nichts."
     Sie geht herum und gibt jedem von uns die Hand. Dann zeigt sie das Kind
vor, das inzwischen  in die Windeln  gemacht  hat. Sie hat eine große,
mit Perlen bestickte Tasche bei sich,  aus der sie ein reines Tuch nimmt, um
das Kind flink neu  zu  wickeln. Damit ist  sie 

u

ber  die erste Verlegenheit
hinweg, und die beiden fangen an zu reden.
     Lewandowski ist  sehr  kribblig, er schielt immer  wieder 

u

ußerst
ungl

u

cklich mit seinen runden Glotzaugen zu uns her

u

ber.
     Die Zeit ist g

u

nstig, die  Arztvisite ist vorbei,  es  k

u

nnte h

u

chstens
noch  eine  Schwester ins  Zimmer schauen. Einer geht  deshalb  noch  einmal
hinaus -  spekulieren. Er  kommt zur

u

ck und  nickt. "Kein Aas zu sehen.  Nun
sag's ihr schon, Johann, und mach zu."
     Die beiden unterhalten sich in ihrer  Sprache. Die Frau guckt etwas rot
und   verlegen   auf.  Wir   grinsen   gutm

u

tig   und   machen   wegwerfende
Handbewegungen, was schon  dabei sei! Der Teufel soll alle Vorurteile holen,
die  sind  f

u

r  andere  Zeiten  gemacht,  hier  liegt  der  Tischler  Johann
Lewandowski, ein zum Kr

u

ppel geschossener Soldat, und da ist seine Frau, wer
weiß, wann  er  sie  wiedersieht, er will sie  haben, und  er soll sie
haben, fertig.
     Zwei Mann stellen sich vor die T

u

r, um die Schwestern abzufangen und zu
besch

u

ftigen,  wenn sie zuf

u

llig vorbeikommen  sollten. Sie wollen  ungef

u

hr
eine Viertelstunde aufpassen.
     Lewandowski kann nur auf der Seite liegen, einer packt ihm deshalb noch
ein paar Kissen in den R

u

cken, Albert kriegt das Kind zu halten, dann drehen
wir  uns ein bißchen  um, die schwarze Mantille verschwindet unter der
Bettdecke, und wir kloppen laut und mit allerhand Redensarten Skat.
     Es geht alles gut. Ich habe einen w

u

sten Kreuz-Solo mit vieren  in  den
Fingern,   der   ungef

u

hr  noch  rumgeht.  Dar

u

ber  vergessen   wir  beinahe
Lewandowski. Nach  einiger Zeit beginnt das Kind zu pl

u

rren,  obschon Albert
es  verzweifelt  hin  und her  schwenkt. Es  knistert und  rauscht dann  ein
bißchen, und als wir so beil

u

ufig aufblicken, sehen wir, daß das
Kind schon die Flasche im Mund hat und wieder  bei der Mutter ist. Die Sache
hat geklappt.
     Wir  f

u

hlen  uns  jetzt  als  eine  große  Familie, die  Frau ist
ordentlich  munter geworden, und  Lewandowski liegt schwitzend und strahlend
da.
     Er packt die gestickte Tasche aus, es  kommen da  ein  paar gute W

u

rste
zum Vorschein, Lewandowski nimmt das Messer wie einen Blumenstrauß und
s

u

belt das Fleisch in St

u

cke. Mit großer Handbewegung weist er auf uns
-  und die kleine, verhutzelte Frau geht von einem zum  andern und lacht uns
an  und  verteilt die  Wurst, sie sieht  jetzt direkt h

u

bsch aus  dabei. Wir
sagen Mutter zu ihr, und sie freut sich und klopft uns die Kopfkissen auf.

     Nach einigen Wochen muß ich jeden Morgen ins Zanderinstitut. Dort
wird mein Bein festgeschnallt und bewegt. Der Arm ist l

u

ngst geheilt.
     Es laufen neue Transporte aus dem Felde  ein. Die  Verb

u

nde  sind nicht
mehr  aus  Stoff,  sie  bestehen nur  noch  aus  weißem  Krepp-Papier.
Verbandstoff ist zu knapp geworden draußen.
     Alberts Stumpf  heilt gut. Die  Wunde ist fast geschlossen.  In einigen
Wochen  soll er fort in eine Prothesenstation. Er  spricht  noch immer wenig
und  ist viel  ernster als fr

u

her. Oft bricht er  mitten im Gespr

u

ch  ab und
starrt vor  sich hin. Wenn  er nicht mit uns andern zusammen  w

u

re, h

u

tte er
l

u

ngst  Schluß  gemacht.   Jetzt  aber  ist  er  

u

ber  das  Schlimmste
hinausgelangt. Er sieht schon manchmal beim Skat zu.
     Ich bekomme Erholungsurlaub.
     Meine Mutter  will mich nicht mehr fortlassen.  Sie ist  so schwach. Es
ist alles noch schlimmer als das letztemal.
     Danach werde ich vom Regiment angefordert und fahre wieder ins Feld.
     Der Abschied von meinem Freunde Albert Kropp ist schwer. Aber man lernt
das beim Kommiß mit der Zeit.





     Wir z

u

hlen die Wochen nicht mehr. Es war Winter, als ich ankam, und bei
den Einschl

u

gen  der Granaten wurden  die gefrorenen Erdklumpen  fast ebenso
gef

u

hrlich wie  die Splitter. Jetzt sind die  B

u

ume wieder gr

u

n. Unser Leben
wechselt  zwischen Front und  Baracken. Wir sind es teilweise schon gewohnt,
der Krieg  ist eine Todesursache wie  Krebs und Tuberkulose, wie Grippe  und
Ruhr.  Die  Todesf

u

lle  sind  nur   viel  h

u

ufiger,  verschiedenartiger  und
grausamer.
     Unsere Gedanken sind Lehm, sie  werden geknetet vom  Wechsel der Tage -
sie sind  gut,  wenn wir Ruhe  haben,  und tot,  wenn wir  im  Feuer liegen.
Trichterfelder draußen und drinnen.
     Alle sind so, nicht wir hier allein -  was  fr

u

her war, gilt nicht, und
man weiß es auch  wirklich  nicht mehr. Die Unterschiede, die  Bildung
und  Erziehung schufen, sind fast verwischt und  kaum noch  zu erkennen. Sie
geben manchmal Vorteile im Ausnutzen einer Situation; aber sie bringen  auch
Nachteile mit  sich,  indem  sie  Hemmungen  wachrufen, die erst  

u

berwunden
werden m

u

ssen. Es ist,  als ob  wir fr

u

her  einmal  Geldst

u

cke verschiedener
L

u

nder gewesen w

u

ren; man  hat  sie  eingeschmolzen,  und  alle  haben jetzt
denselben Pr

u

gestempel. Will man  Unterschiede erkennen, dann  muß man
schon  genau das Material pr

u

fen. Wir sind Soldaten und erst sp

u

ter auf eine
sonderbare und versch

u

mte Weise noch Einzelmenschen.
     Es  ist  eine  große  Br

u

derschaft,  die  ein  Schimmer  von  dem
Kameradentum der Volkslieder, dem Solidarit

u

tsgef

u

hl von Str

u

flingen und dem
verzweifelten  Einanderbeistehen von zum Tode Verurteilten seltsam vereinigt
zu einer Stufe von  Leben, das mitten in der Gefahr,  aus der Anspannung und
Verlassenheit des  Todes sich abhebt und  zu einem fl

u

chtigen  Mitnehmen der
gewonnenen Stunden wird, auf g

u

nzlich  unpathetische  Weise. Es ist heroisch
und banal, wenn man es werten wollte - doch wer will das?
     Es ist darin enthalten, wenn  Tjaden  bei einem gemeldeten  feindlichen
Angriff  in rasender Hast seine Erbsensuppe mit Speck ausl

u

ffelt, weil er ja
nicht weiß, ob er  in einer Smnde noch lebt. Wir  haben lange  dar

u

ber
diskutiert, ob es richtig sei oder nicht. Kat verwirft es, weil er sagt, man
m

u

sse mit einem Bauchschuß rechnen, der bei vollem Magen  gef

u

hrlicher
sei als bei leerem.
     Solche  Dinge sind Probleme f

u

r uns,  sie  sind  uns ernst, und es kann
auch nicht anders sein.  Das Leben  hier an  der Grenze  des Todes  hat eine
ungeheuer  einfache Linie, es  beschr

u

nkt sich  auf das Notwendigste,  alles
andere liegt  in dumpfem Schlaf; - das  ist  unsere Primitivit

u

t und  unsere
Rettung. W

u

ren wir differenzierter, wir  w

u

ren l

u

ngst irrsinnig,  desertiert
oder  gefallen.   Es  ist  wie  eine   Expedition  im  hohen  Eise;  -  jede
Lebens

u

ußerung  darf  nur  der   Daseinserhaltung   dienen   und   ist
zwangsl

u

ufig darauf  eingestellt. Alles andere ist verbannt, weil es unn

u

tig
Kraft verzehren w

u

rde. Das ist die einzige Art, uns zu retten, und oft sitze
ich vor  mir selber wie vor einem Fremden, wenn der r

u

tselhafte  Widerschein
des  Fr

u

her  in stillen  Stunden wie  ein matter Spiegel die Umrisse  meines
jetzigen Daseins außer mich stellt, und ich wundere mich dann dar

u

ber,
wie das  unnennbare Aktive, das sich  Leben nennt,  sich angepaßt  hat
selbst an diese Form. Alle anderen 

u

ußerungen liegen  im Winterschlaf,
das Leben ist nur auf einer st

u

ndigen Lauer gegen die Bedrohung des Todes, -
es  hat uns  zu denkenden Tieren gemacht, um uns die Waffe des Instinktes zu
geben, - es hat uns mit Stumpfheit  durchsetzt,  damit wir nicht  zerbrechen
vor dem Grauen, das uns  bei klarem, bewußtem Denken 

u

berfallen w

u

rde,
- es hat in uns  den  Kameradschaftssinn  geweckt, damit wir dem Abgrund der
Verlassenheit entgehen,  -  es  hat  uns  die  Gleichg

u

ltigkeit  von  Wilden
verliehen,  damit wir trotz allem  jeden  Moment des Positiven empfinden und
als  Reserve aufspeichern gegen  den Ansturm des  Nichts. So  leben wir  ein
geschlossenes,  hartes Dasein  

u

ußerster Oberfl

u

che,  und nur manchmal
wirft  ein  Ereignis  Funken. Dann  aber  schl

u

gt 

u

berraschend  eine  Flamme
schwerer und furchtbarer Sehnsucht durch.
     Das sind die gef

u

hrlichen Augenblicke,  die  uns zeigen, daß  die
Anpassung  doch nur  k

u

nstlich  ist, daß  sie  nicht einfach Ruhe ist,
sondern sch

u

rfste Anspannung zur Ruhe. Wir unterscheiden uns 

u

ußerlich
in  der Lebensform kaum von Buschnegern; aber  w

u

hrend diese stets  so  sein
k

u

nnen, weil sie  eben so sind und sich durch Anspannung ihrer Geisteskr

u

fte
h

u

chstens fortentwickeln, ist  es bei uns  umgekehrt: unsere inneren  Kr

u

fte
sind nicht auf Weiter-, sondern auf Zur

u

ckentwicklung angespannt. Jene  sind
entspannt und  selbstverst

u

ndlich so,  wir sind es  

u

ußerst angespannt
und  k

u

nstlich. Und mit Schrecken empfindet  man  nachts,  aus  einem  Traum
aufwachend,  

u

berw

u

ltigt  und  preisgegeben   derBezauberung  heranflutender
Gesichte, wie  d

u

nn der Hak und  die  Grenze ist, die uns von der Dunkelheit
trennt - wir  sind kleine Flammen, notd

u

rftig gesch

u

tzt durch schwache W

u

nde
vor dem Sturm  der Aufl

u

sung und der Sinnlosigkeit, in dem  wir flackern und
manchmal  fast  ertrinken. Dann wird  das  ged

u

mpfte Brausen der Schlacht zu
einem  Ring,  der  uns  einschließt, wir kriechen in uns  zusammen und
starren mit großen Augen in die  Nacht. Tr

u

stlich f

u

hlen wir  nun  den
Schlafatem der Kameraden, und so warten wir auf den Morgen.

     Jeder Tag und jede Stunde, jede Granate und jeder Tote wetzen an diesem
d

u

nnen Halt, und die  Jahre  verschleißen ihn rasch. Ich sehe,  wie er
allm

u

hlich schon um mich herum niederbricht. Da ist die dumme Geschichte mit
Detering.
     Er war einer von denen, die  sich sehr  f

u

r sich  hielten. Sein Ungl

u

ck
war, daß er in einem Garten einen Kirschbaum sah. Wir kamen gerade von
der Front, und dieser Kirschbaum stand  in der N

u

he des  neuen  Quartiers an
einer Wegbiegung 

u

berraschend in der Morgend

u

mmerung vor uns. Er hatte keine
Bl

u

tter, aber er war ein einziger weißer Bl

u

tenbusch.
     Abends war  Detering  nicht zu sehen.  Er kam  schließlich an und
hatte ein paar Zweige  mit Kirschbl

u

ten in der  Hand. Wir machten uns lustig
und fragten, ob er auf Brautschau wolle. Er gab keine Antwort, sondern legte
sich auf sein Bett. Nachts h

u

rte  ich ihn rumoren, er schien  zu packen. Ich
witterte Unheil und ging zu ihm. Er tat, als w

u

re nichts, und ich sagte ihm:
"Mach keinen Unsinn, Detering."
     "Ach wo - ich kann nur nicht schlafen.
     "Weshalb hast du denn die Kirschzweige geholt?"
     "Ich werde  doch wohl  noch Kirschzweige  holen  d

u

rfen",  antwortet er
verstockt - und nach  einer Weile:  "Zu  Hause  habe ich einen  großen
Obstgarten mit Kirschen. Wenn die bl

u

hen, sieht das vom Heuboden aus wie ein
einziges Bettlaken, so weiß. Es ist jetzt die Zeit."
     "Vielleicht  gibt's bald Urlaub.  Es kann auch  sein, daß du, als
Landwirt, abkommandiert wirst."
     Er nickt,  aber  er ist abwesend.  Wenn  diese Bauern aufger

u

hrt  sind,
haben  sie   einen   sonderbaren  Ausdruck,  eine  Mischung  von   Kuh   und
sehns

u

chtigem Gott, halb bl

u

de  und halb hinreißend. Um ihn von seinen
Gedanken  abzubringen, verlange ich ein St

u

ck Brot von ihm.  Er gibt es  mir
ohne Einschr

u

nkung. Das ist verd

u

chtig, denn er ist sonst knauserig. Deshalb
bleibe ich wach. Es passiert nichts, er ist morgens wie sonst.
     Wahrscheinlich hat er gemerkt,  daß ich ihn beobachtet habe. - Am

u

bern

u

chsten Morgen ist er trotzdem fort. Ich  sehe  es, sage jedoch nichts,
um ihm  Zeit zu  lassen, vielleicht kommt er  durch. Nach  Holland haben  es
schon verschiedene Leute geschafft.
     Beim  Appell  aber f

u

llt  sein Fehlen auf. Nach einer Woche  h

u

ren wir,
daß  er gefaßt  ist  von  den  Feldgendarmen, diesen verachteten
Kommißpolizisten.  Er hatte  die Richtung  nach Deutschland genommen -
das war nat

u

rlich aussichtslos -, und  ebenso  nat

u

rlich hatte er alles sehr
dumm angefangen. Jeder  h

u

tte daraus wissen k

u

nnen, daß die Flucht nur
Heimweh  und momentane Verwirrung war. Doch was begreifen Kriegsgerichtsr

u

te
hundert  Kilometer hinter  der Linie  davon? -  Wir  haben  nichts mehr  von
Detering vernommen.

     Aber  auch  auf  andere   Weise  bricht   es  manchmal  heraus,  dieses
Gef

u

hrliche, Gestaute - wie aus 

u

berhitzten  Dampfkesseln. Da  ist auch noch
das Ende zu berichten, das Berger fand.
     Schon  lange   sind  unsere  Gr

u

ben  zerschossen,  und  wir  haben  die
elastische   Front,   so   daß   wir   eigentlich   keinen   richtigen
Stellungskrieg  mehr f

u

hren.  Wenn  Angriff und  Gegenangriff  hin  und  her
gegangen sind,  bleibt eine  zerrissene Linie und ein  erbitterter Kampf von
Trichter zu Trichter. Die  vordere Linie ist durchbrochen, und 

u

berall haben
sich Gruppen festgesetzt, Trichternester, von denen aus gek

u

mpft wird.
     Wir sind in einem Trichter,  seitlich sitzen  Engl

u

nder, sie rollen die
Flanke  auf und  gelangen hinter uns. Wir  sind umzingelt. Es ist schwierig,
sich  zu  ergeben,  Nebel und  Rauch  schwanken 

u

ber uns hin, niemand  w

u

rde
erkennen, daß wir kapitulieren wollen, vielleicht  wollen wir es  auch
gar  nicht, das weiß man selbst nicht in  solchen Momenten.  Wir h

u

ren
die   Explosionen  der  Handgranaten  herankommen.   Unser   Maschinengewehr
bestreicht den vorderen Halbkreis. Das K

u

hlwasser verdampft, wir reichen die
K

u

sten eilig herum, jeder pißt hinein, so  haben wir wieder Wasser und
k

u

nnen  weiterfeuern. Aber  hinter  uns kracht  es immer n

u

her.  In  einigen
Minuten sind wir verloren.
     Da rast  ein  zweites Maschinengewehr auf  k

u

rzeste Entfernung  los. Es
steckt  im  Trichter  neben uns, Berger hat  es  geholt, und  nun setzt  ein
Gegenangriff  von  hinten ein,  wir kommen frei  und finden  Verbindung nach
r

u

ckw

u

rts.
     Als wir nachher in einigermaßen guter Deckung sind, erz

u

hlt einer
von  den  Essenholern,  daß  ein paar  hundert Schritte  entfernt  ein
verwundeter Meldehund liege.
     "Wo?" fragt Berger.
     Der andere  beschreibt  es ihm. Berger geht los,  um  das Tier zu holen
oder  es zu erschießen. Noch vor einem halben Jahr h

u

tte er sich nicht
darum  gek

u

mmert,  sondern  w

u

re  vern

u

nftig  gewesen.  Wir  versuchen,  ihn
zur

u

ckzuhalten.  Doch   als  er  ernsthaft  geht,   k

u

nnen  wir  nur  sagen:
"Verr

u

ckt!" und  ihn laufenlassen. Denn diese Anf

u

lle von Frontkoller werden
gef

u

hrlich,  wenn man den Mann  nicht gleich  zu Boden werfen und festhalten
kann.  Und Berger ist ein Meter achtzig groß, der kr

u

ftigste  Mann der
Kompanie.
     Er  ist tats

u

chlich verr

u

ckt, denn er muß  durch die Feuerwand; -
aber es  ist dieser Blitz, der irgendwo  

u

ber  uns allen  lauert, der in ihn
eingeschlagen ist und ihn  besessen  macht. Bei  andern ist es so, daß
sie zu  toben anfangen,  daß sie wegrennen,  ja einer war da, der sich
mit  H

u

nden  und  F

u

ßen und Mund  immerfort  in  die Erde  einzugraben
versuchte.
     Es wird  nat

u

rlich auch viel  simuliert  mit  solchen Sachen, aber  das
Simulieren  ist  ja eigentlich auch schon ein  Zeichen. Berger, der den Hund
erledigen  will, wird mit einem Beckenschuß weggeholt,  und  einer der
Leute, die es tun, kriegt sogar dabei noch eine Gewehrkugel in die Wade.

     M

u

ller ist tot. Man  hat ihm aus n

u

chster N

u

he eine Leuchtkugel  in den
Magen geschossen. Er lebte noch  eine halbe Stunde bei  vollem Verstande und
furchtbaren Schmerzen. Bevor er starb,  

u

bergab er mir seine Brieftasche und
vermachte mir seine Stiefel -  dieselben, die er damals von Kemmerich geerbt
hat. Ich  trage sie,  denn  sie passen mir  gut. Nach  mir  wird Tjaden  sie
bekommen, ich habe sie ihm versprochen.
     Wir haben M

u

ller zwar  begraben k

u

nnen,  aber  lange wird er wohl nicht
ungest

u

rt bleiben.  Unsere Linien werden zur

u

ckgenommen.  Es  gibt dr

u

ben zu
viele frische englische und amerikanische Regimenter. Es gibt zuviel  Corned
beef  und  weißes  Weizenmehl.   Und  zuviel  neue  Gesch

u

tze.  Zuviel
Flugzeuge.
     Wir  aber  sind mager und ausgehungert. Unser Essen ist so schlecht und
mit so viel Ersatzmitteln gestreckt, daß wir krank  davon  werden. Die
Fabrikbesitzer in Deutschland sind  reiche Leute  geworden - uns zerschrinnt
die Ruhr die D

u

rme. Die Latrinenstangen sind stets dicht gehockt voll; - man
sollte  den  Leuten  zu  Hause  diese  grauen,  gelben,  elenden,  ergebenen
Gesichter hier zeigen, diese verkr

u

mmten Gestalten, denen die Kolik das Blut
aus  dem   Leibe   quetscht  und  die   h

u

chstens   mit   verzerrten,   noch
schmerzbebenden  Lippen sich angrinsen:  "Es hat gar keinen Zweck, die  Hose
wieder hochzuziehen -"
     Unsere Artillerie ist ausgeschossen - sie  hat zuwenig Munition -,  und
die Rohre sind so ausgeleiert, daß sie unsicher schießen und bis
zu  uns her

u

berstreuen. Wir haben  zuwenig Pferde. Unsere  frischen  Truppen
sind  blutarme,  erholungsbed

u

rftige  Knaben,  die  keinen  Tornister tragen
k

u

nnen, aber  zu  sterben  wissen. Zu  Tausenden.  Sie verstehen nichts  vom
Kriege,  sie gehen  nur  vor und lassen sich  abschießen. Ein einziger
Flieger knallte aus Spaß zwei Kompanien von ihnen weg,  ehe  sie etwas
von Deckung wußten, als sie frisch aus dem Zuge kamen.
     "Deutschland muß bald leer sein", sagt Kat.
     Wir sind ohne  Hoffnung,  daß  einmal  ein Ende  sein k

u

nnte. Wir
denken 

u

berhaupt  nicht so weit. Man kann einen Schuß bekommen und tot
sein; man kann verletzt werden,  dann ist das Lazarett die n

u

chste  Station.
Ist man nicht amputiert, dann  f

u

llt man  

u

ber kurz oder lang  einem  dieser
Stabs

u

rzte in die H

u

nde, die das  Kriegsverdienstkreuz  im Knopfloch,  einem
sagen:  "Wie, das  bißchen  verk

u

rzte Bein? An der Front  brauchen Sie
nicht zu laufen, wenn Sie Mut haben. Der Mann ist k.v. Wegtreten!"
     Kat erz

u

hlt eine  der Geschichten, die die ganze Front  von den Vogesen
bis Flandern entlanglaufen, - von dem Stabsarzt, der Namen  vorliest auf der
Musterung  und,  wenn  der  Mann  vortritt,  ohne  aufzusehen,  sagt:  "K.v.
Wirbrauchen Soldaten  draußen." Ein Mann mit  Holzbein tritt vor,  der
Stabsarzt sagt wieder: k.v. - "Und da", Kat hebt die Stimme,  "sagt der Mann
zu ihm: >Ein Holzbein habe ich schon; aber  wenn ich jetzt hinausgehe und
wenn  man mir den  Kopf abschießt, dann lasse  ich mir  einen Holzkopf
machen und werde Stabsarzt!<" - Wir sind alle tief  befriedigt 

u

ber diese
Antwort.
     Es  mag gute 

u

rzte geben, und viele sind  es; doch einmal f

u

llt bei den
hundert Untersuchungen jeder Soldat einem  dieser zahlreichen  Heldengreifer
in  die Finger, die sich bem

u

hen, auf  ihrer Liste m

u

glichst viele a.v.  und
g.v. in k.v. zu verwandeln.
     Es gibt  manche  solcher  Geschichten,  sie  sind  meistens  noch  viel
bitterer. Aber sie haben trotzdem nichts mit Meuterei und Miesmachen zu tun;
sie sind ehrlich und nennen die Dinge beim Namen;  denn es besteht sehr viel
Betrug, Ungerechtigkeit und Gemeinheit beim Kommiß. Ist es nicht viel,
daß  trotzdem  Regiment  auf  Regiment  in  den  immer  aussichtsloser
werdenden  Kampf  geht  und   daß  Angriff  auf  Angriff  erfolgt  bei
zur

u

ckweichender, zerbr

u

ckelnder Linie?
     Die  Tanks  sind vom  Gesp

u

tt zu  einer  schweren  Waffe geworden.  Sie
kommen, gepanzert, in  langer  Reihe gerollt  und verk

u

rpern  uns  mehr  als
anderes das Grauen des Krieges.
     Die Gesch

u

tze, die  uns das Trommelfeuer  her

u

berschicken, ]  sehen wir
nicht, die angreifenden Linien der Gegner sind Menschen wie wir - aber diese
Tanks  sind Maschinen, ihre  Kettenb

u

nder  laufen endlos wie der  Krieg, sie
sind die  Vernichtung, wenn  sie f

u

hllos in Trichter hineinrollen und wieder
hochklettern, unaufhaltsam,  eine Flotte br

u

llender, rauchspeiender  Panzer,
unverwundbare,   Tote   und  Verwundete  zerquetschende  Stahltiere   -  Wir
schrumpfen zusammen vor ihnen  in unserer d

u

nnen Haut, vor ihrer  kolossalen
Wucht  werden  unsere  Arme  zu   Strohhalmen  und  unsere  Handgranaten  zu
Streichh

u

lzern.
     Granaten,  Gasschwaden  und  Tankflottillen  - Zerstampfen, Zerfressen,
Tod.
     Ruhr,  Grippe,  Typhus  -W

u

rgen,  Verbrennen,Tod.   Graben,   Lazarett,
Massengrab - mehr M

u

glichkeiten gibt es nicht.

     Bei  einem  Angriff f

u

llt unser  Kompanief

u

hrer  Bertinck. Er war einer
dieser prachtvollen Frontoffiziere, die  in jeder brenzligen Situation vorne
sind. Seit zwei Jahren war er bei uns, ohne daß er verwundet wurde, da
mußte ja endlich  etwas  passieren. Wir sitzen in einem Loch  und sind
eingekreist. Mit  den  Pulverschwaden weht der Gestank von 

u

l oder Petroleum
her

u

ber. Zwei Mann mit einem Flammenwerfer werden entdeckt, einer tr

u

gt  auf
dem R

u

cken den  Kasten, der  andere hat in  den H

u

nden den Schlauch, aus dem
das  Feuer  spritzt.  Wenn  sie  so  nahe  herankommen,  daß  sie  uns
erreichen, sind wir erledigt, denn zur

u

ck k

u

nnen wir gerade jetzt nicht. Wir
nehmen sie unter Feuer.  Doch sie  arbeiten sich  n

u

her heran,  und  es wird
schlimm.  Bertinck liegt mit uns im Loch. Als  er merkt, daß wir nicht
treffen, weil  wir bei dem  scharfen Feuer zu sehr  auf Deckung bedacht sein
m

u

ssen,  nimmt er  ein  Gewehr,  kriecht aus  dem  Loch und  zielt,  liegend
aufgest

u

tzt. Er schießt - im selben Moment schl

u

gt eine  Kugel bei ihm
klatschend auf, er ist getroffen. Doch er  bleibt liegen und zielt weiter  -
einmal  setzt  er ab  und  legt  dann  aufs  neue  an;  endlich  kracht  der
Schuß. Bertinck l

u

ßt das Gewehr fallen, sagt: "Gut", und rutscht
zur

u

ck.  Der hinterste der  beiden Flammenwerfer ist verletzt, er f

u

llt, der
Schlauch rutscht dem andern weg, das Feuer  spritzt nach allen  Seiten,  und
der Mann brennt.
     Bertinck hat einen  Brustschuß.  Nach einer  Weile schmettert ihm
ein Splitter das Kinn weg. Der gleiche Splitter hat noch die Kraft, Leer die
H

u

fte  aufzureißen.  Leer  st

u

hnt und  stemmt  sich  auf die  Arme, er
verblutet  rasch, niemand  kann ihm helfen.  Wie ein leerlaufender  Schlauch
sackt er nach ein  paar Minuten zusammen. Was n

u

tzt es ihm nun, daß er
in der Schule ein so guter Mathematiker war.

     Die Monate r

u

cken weiter. Dieser Sommer  1918 ist der blutigste und der
schwerste. Die  Tage  stehen wie Engel in Gold und Blau  unfaßbar 

u

ber
dem  Ring  der  Vernichtung. Jeder hier weiß, daß wir  den Krieg
verlieren.  Es wird  nicht  viel dar

u

ber gesprochen,  wir gehen zur

u

ck,  wir
werden nicht wieder angreifen k

u

nnen nach dieser großen Offensive, wir
haben keine Leute und keine Munition mehr.
     Doch der Feldzug geht weiter - das Sterben geht weiter - Sommer 1918  -
Nie ist uns das  Leben in seiner kargen Gestalt so  begehrenswert erschienen
wie  jetzt; - der rote Klatschmohn auf  den  Wiesen unserer  Quartiere,  die
glatten K

u

fer  an  den Grashalmen,  die warmen Abende  in den  halb-dunklen,
k

u

hlen  Zimmern,  die schwarzen,  geheimnisvollen  B

u

ume der  D

u

mmerung, die
Sterne und das Fließen des Wassers, die Tr

u

ume und der  lange Schlaf -
o Leben, Leben, Leben!
     Sommer 1918 -  Nie ist  schweigend  mehr ertragen  worden  als  in  dem
Augenblick des Aufbruchs zur Front. Die wilden  und aufpeitschenden Ger

u

chte
von Waffenstillstand und Frieden  sind aufgetaucht, sie verwirren die Herzen
und machen den Auf bruch schwerer als jemals!
     Sommer 1918 - Nie ist das Leben vorne bitterer und grauenvoller als  in
den Stunden des Feuers,  wenn die bleichen Gesichter  im Schmutz liegen  und
die H

u

nde verkrampft sind zu einem einzigen: Nicht! Nicht! Nicht jetzt noch!
Nicht jetzt noch im letzten Augenblick!
     Sommer 1918  - Wind  der Hoffnung,  der  

u

ber  die  verbrannten  Felder
streicht,  rasendes  Fieber  der Ungeduld, der  Entt

u

uschung, schmerzlichste
Schauer des Todes, unfaßbare Frage: Warum? Warum  macht man kein Ende?
Und warum flattern diese Ger

u

chte vom Ende auf?

     Es gibt so  viele  Flieger hier, und sie sind so sicher,  daß sie
auf einzelne  Leute Jagd  machen  wie auf Hasen. Auf  ein deutsches Flugzeug
kommen  mindestens  f

u

nf englische und amerikanische. Auf  einen  hungrigen,
m

u

den  deutschen Soldaten im Graben  kommen f

u

nf kr

u

ftige, frische andere im
gegnerischen.  Auf  ein  deutsches Kommißbrot  kommen f

u

nfzig  B

u

chsen
Fleischkonserven  dr

u

ben.  Wir sind  nicht  geschlagen,  denn  wir  sind als
Soldaten  besser  und  erfahrener;  wir  sind  einfach  von  der  vielfachen

u

bermacht zerdr

u

ckt und zur

u

ckgeschoben.
     Einige   Regenwochen  liegen   hinter   uns  -  grauer   Himmel,  graue
zerfließende Erde, graues  Sterben.  Wenn wir hinausfahren, dringt uns
bereits die N

u

sse  durch die M

u

ntel und Kleider, - und so bleibt es die Zeit
vorne  auch. Wir  werden nicht trocken.  Wer noch Stiefel tr

u

gt,  bindet sie
oben mit Sands

u

cken zu, damit das Lehmwasser nicht so rasch hineinl

u

uft. Die
Gewehre  verkrusten, die Uniformen  verkrusten, alles ist fließend und
aufgel

u

st, eine  triefende, feuchte,  

u

lige  Masse Erde, in  der die  gelben
T

u

mpel  mit  spiralig  roten  Blutlachen  stehen  und Tote,  Verwundete  und

u

berlebende langsam versinken.
     Der Sturm peitscht 

u

ber uns hin,  der Splitterhagel reißt aus dem
wirren  Grau und Gelb die spitzen Kinderschreie der Getroffenen, und  in den
N

u

chten  st

u

hnt das zerrissene Leben sich  m

u

hsam  dem  Schweigen zu. Unsere
H

u

nde sind Erde, unsere K

u

rper Lehm und unsere Augen Regent

u

mpel. Wir wissen
nicht, ob wir noch leben.
     Dann  st

u

rzt  die  Hitze wie  eine Qualle feucht und schw

u

l  in  unsere
L

u

cher, und an einem dieser  Sp

u

tsommertage, beim  Essenholen, f

u

llt Kat um.
Wir beide  sind  allein.  Ich verbinde seine  Wunde; das  Schienbein scheint
zerschmettert  zu  sein.  Es  ist  ein  Knochenschuß, und  Kat  st

u

hnt
verzweifelt: "Jetzt noch - gerade jetzt noch -"
     Ich tr

u

ste ihn. "Wer weiß, wie lange der Schlamassel noch dauert!
Du bist erst mal gerettet -"
     Die Wunde beginnt heftig  durchzubluten. Kat kann nicht allein bleiben,
damit  ich eine Bahre zu holen versuche.  Ich weiß auch nirgendwo eine
Sanit

u

tsstation in der N

u

he.
     Kat ist  nicht sehr schwer; deshalb  nehme ich ihn auf  den R

u

cken  und
gehe zur

u

ck mit ihm zum Verbandsplatz.
     Zweimal machen  wir Rast. Er hat starke  Schmerzen durch den Transport.
Wir sprechen  nicht viel. Ich habe  den  Kragen  meiner Jacke aufgemacht und
atme heftig, ich schwitze, und mein Gesicht ist gedunsen von der Anstrengung
des  Tragens.  Trotzdem  dr

u

nge  ich, daß wir  weitergehen,  denn  das
Terrain ist gef

u

hrlich.
     "Geht's wieder, Kat?"
     "Muß wohl, Paul."
     "Dann los."
     Ich richte ihn auf, er steht auf dem unverletzten Bein und h

u

lt sich an
einem Baum fest. Dann fasse ich vorsichtig das verwundete Bein, er gibt sich
einen Ruck, und ich nehme auch das Knie des gesunden Beines unter den Arm.
     Unser  Weg wird  schwieriger. Manchmal pfeift eine  Granate  heran. Ich
gehe,  so schnell ich  vermag, denn das Blut von Kats Wunde tropft zu Boden.
Wir  k

u

nnen uns nur  schlecht sch

u

tzen vor  den Einschl

u

gen,  denn  ehe  wir
Deckung  nehmen, sind sie l

u

ngst  vor

u

ber. Um abzuwarten, legen  wir uns  in
einen kleinen Trichter. Ich gebe Kat Tee aus meiner Feldflasche. Wir rauchen
eine  Zigarette. "Ja, Kat", sage ich tr

u

bsinnig, "nun kommen  wir  doch noch
auseinander."
     Er schweigt und sieht mich an.
     "Weißt du  noch,  Kat, wie wir die Gans  requirierten? Und wie du
mich aus dem  Schlamassel holtest, als ich noch  ein kleiner Rekrut und  zum
erstenmal  verwundet  war? Damals habe ich noch geweint.  Kat, es  sind fast
drei Jahre jetzt."
     Er nickt.
     Die   Angst  vor   dem  Alleinsein   steigt   in   mir  auf.  Wenn  Kat
abtransportiert ist, habe ich keinen Freund mehr hier.
     "Kat, wir m

u

ssen uns  auf jeden Fall wiedersehen, wenn wirklich Frieden
ist, ehe du zur

u

ckkommst."
     "Glaubst  du,  daß ich  mit dem Knochen da  noch mal k.v. werde?"
fragt er bitter.
     "Du wirst  ihn  in  Ruhe  ausheilen.  Das  Gelenk  ist  ja in  Ordnung.
Vielleicht klappt es doch damit."
     "Gib mir noch eine Zigarette", sagt er.
     "Vielleicht k

u

nnen wir irgend etwas sp

u

ter zusammen machen, Kat." - Ich
bin  sehr traurig, es ist  unm

u

glich, daß Kat - Kat, mein  Freund, Kat
mit den  H

u

ngeschultern und dem  d

u

nnen,  weichen  Schnurrbart, Kat, den ich
kenne auf eine  andere  Weise als jeden  anderen  Menschen, Kat, mit dem ich
diese  Jahre geteilt habe -, es ist unm

u

glich, daß  ich Kat vielleicht
nicht wiedersehen soll.
     "Gib mir deine Adresse f

u

r zu Hause,  Kat, auf jeden Fall. Und hier ist
meine, ich schreibe sie dir auf."
     Den Zettel  schiebe ich in meine Brusttasche.  Wie  verlassen ich schon
bin, obschon  er noch neben mir sitzt. Soll ich mir rasch  in den  Fuß
schießen, um bei ihm bleiben zu k

u

nnen? Kat gurgelt pl

u

tzlich und wird
gr

u

n und gelb. "Wir wollen weiter", stammelt er.
     Ich springe auf, gl

u

hend, ihm zu helfen, ich nehme ihn  hoch  und setze
mich in Lauf, einen gedehnten, langsamen Dauerlauf, damit sein Bein nicht zu
sehr schlenkert.
     Mein Hals ist trocken, es tanzt mir rot und schwarz vor den Augen,  als
ich verbissen und ohne Gnade  weiterstolpernd,  endlich die  Sanit

u

tsstation
erreiche.
     Dort breche  ich in  die  Knie, habe aber noch so viel Kraft, nach  der
Seite  umzufallen,  wo Kats gesundes Bein ist. Langsam richte ich mich  nach
einigen Minuten wieder auf. Meine Beine und meine  H

u

nde zittern heftig, ich
habe M

u

he, meine Feldflasche  zu finden,  um einen  Schluck  zu nehmen.  Die
Lippen beben mir dabei. Aber ich l

u

chele - Kat ist geborgen.
     Nach einer  Weile unterscheide ich  den verworrenen Stimmenschwall, der
sich in meinem Ohr f

u

ngt.
     "Das h

u

ttest du dir sparen k

u

nnen", sagt ein Sanit

u

ter.
     Ich sehe ihn verst

u

ndnislos an.
     Er zeigt auf Kat. "Er ist ja tot."
     Ich begreife nicht. "Er hat einen Schienbeinschuß", sage ich.
     Der Sanit

u

ter bleibt stehen. "Das auch -"
     Ich drehe mich um. Meine Augen sind noch immer tr

u

be, der Schweiß
ist mir jetzt  von  neuem ausgebrochen, er l

u

uft 

u

ber die Lider. Ich  wische
ihn fort und sehe zu Kat hin. Er liegt still. "Ohnm

u

chtig", sage ich rasch.
     Der Sanit

u

ter pfeift leise: "Das kenne ich nun doch besser. Er ist tot.
Darauf halte ich jede Wette."
     Ich sch

u

ttele den Kopf. "Ausgeschlossen! Vor zehn Minuten noch habe ich
mit ihm gesprochen. Er ist  ohnm

u

chtig." Kats H

u

nde sind warm, ich fasse ihn
bei den Schultern,  um  ihn mit  Tee abzureiben. Da  f

u

hle  ich meine Finger
naß  werden.  Als ich  sie hinter seinem  Kopf  hervorziehe, sind  sie
blutig. Der Sanit

u

ter pfeift wieder durch die Z

u

hne: "Siehst du -"
     Kat  hat, ohne daß ich es bemerkt habe, unterwegs  einen Splitter
in den Kopf bekommen.  Nur ein kleines Loch ist  da,  es  muß ein ganz
geringer, verirrter Splitter gewesen sein. Aber  er hat ausgereicht. Kat ist
tot.
     Ich stehe langsam auf.
     "Willst  du sein  Soldbuch  und  seine  Sachen mitnehmen  ?" fragt  der
Gefreite mich.
     Ich nicke, und er gibt sie mir.
     Der Sanit

u

ter ist verwundert. "Ihr seid doch nicht verwandt?"
     Nein, wir sind nicht verwandt. Nein, wir sind nicht verwandt.
     Gehe ich? Habe ich  noch  F

u

ße? Ich hebe die Augen, ich lasse sie
herumgehen und  drehe  mich  mit  ihnen, einen Kreis, einen Kreis,  bis  ich
innehalte.  Es  ist   alles  wie  sonst.  Nur  der  Landwehrmann  Stanislaus
Katczinsky ist gestorben.
     Dann weiß ich nichts mehr.
     Es ist Herbst. Von den  alten  Leuten sind nicht mehr viele da. Ich bin
der letzte von den sieben Mann aus unserer Klasse hier.
     Jeder spricht  von Frieden  und Waffenstillstand. Alle warten. Wenn  es
wieder  eine  Entt

u

uschung  wird,  dann  werden  sie   zusammenbrechen,  die
Hoffnungen sind zu stark, sie lassen sich  nicht mehr fortschaffen,  ohne zu
explodieren. Gibt es keinen Frieden, dann gibt es Revolution.
     Ich habe vierzehn  Tage Ruhe,  weil ich  etwas Gas geschluckt habe.  In
einem  kleinen  Garten  sitze  ich  den   ganzen   Tag  in  der  Sonne.  Der
Waffenstillstand kommt bald, ich glaube es jetzt auch. Dann  werden wir nach
Hause fahren.
     Hier  stocken meine Gedanken  und sind nicht  weiterzubringen. Was mich
mit 

u

bermacht hinzieht und erwartet, sind Gef

u

hle. Es ist Lebensgier, es ist
Heimatgef

u

hl, es ist  das Blut, es  ist der Rausch der Rettung. Aber es sind
keine Ziele.
     W

u

ren wir 1916 heimgekommen, wir h

u

tten aus dem Schmerz  und der St

u

rke
unserer Erlebnisse einen Sturm entfesselt. Wenn wir jetzt zur

u

ckkehren, sind
wir  m

u

de, zerfallen, ausgebrannt, wurzellos  und ohne Hoffnung.  Wir werden
uns nicht mehr zurechtfinden k

u

nnen.
     Man wird uns auch nicht verstehen - denn vor uns w

u

chst ein Geschlecht,
das  zwar  die Jahre hier gemeinsam  mit uns  verbrachte,  das aber Bett und
Beruf hatte und jetzt zur

u

ckgeht in  seine alten Positionen, in denen es den
Krieg vergessen wird,  - und  hinter uns w

u

chst  ein Geschlecht, 

u

hnlich uns
fr

u

her,  das  wird uns  fremd  sein  und  uns beiseite  schieben.  Wir  sind

u

berfl

u

ssig f

u

r uns selbst, wir werden wachsen, einige werden sich anpassen,
andere  sich  f

u

gen,  und  viele  werden ratlos  sein; -  die  Jahre  werden
zerrinnen, und schließlich werden wir zugrunde gehen.
     Aber vielleicht ist auch alles dieses, was ich denke, nur Schwermut und
Best

u

rzung, die fortst

u

ubt, wenn  ich wieder unter den Pappeln stehe und dem
Rauschen ihrer Bl

u

tter lausche.  Es kann nicht  sein, daß es fort ist,
das  Weiche, das unser  Blut  unruhig  machte,  das  Ungewisse, Best

u

rzende,
Kommende, die  tausend Gesichter  der  Zukunft, die  Melodie aus Tr

u

umen und
B

u

chern,  das Rauschen  und  die  Ahnung  der  Frauen, es  kann nicht  sein,
daß  es   untergegangen  ist   in   Trommelfeuer,   Verzweiflung   und
Mannschaftsbordells.
     Die  B

u

ume hier  leuchten bunt  und golden, die Beeren  der  Ebereschen
stehen rot im Laub, Landstraßen laufen weiß auf den Horizont zu,
und die Kantinen summen wie Bienenst

u

cke von Friedensger

u

chten.
     Ich stehe auf.
     Ich bin sehr ruhig. M

u

gen die Monate  und Jahre kommen,  sie nehmen mir
nichts mehr, sie  k

u

nnen mir  nichts  mehr nehmen. Ich  bin so allein und so
ohne Erwartung,  daß  ich  ihnen entgegensehen kann  ohne  Furcht. Das
Leben, das mich durch diese Jahre trug, ist noch in meinen H

u

nden und Augen.
Ob  ich es 

u

berwunden habe,  weiß ich nicht.  Aber solange es  da ist,
wird es sich  seinen Weg  suchen,  mag dieses, das in mir "Ich" sagt, wollen
oder nicht.

     Er  fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war  an
der  ganzen  Front,  daß  der  Heeresbericht sich  nur  auf  den  Satz
beschr

u

nkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.
     Er war  vorn

u

bergesunken und lag wie schlafend an der Erde. Als man ihn
umdrehte, sah man, daß  er  sich  nicht lange  gequ

u

lt haben konnte; -
sein Gesicht  hatte  einen so gefaßten Ausdruck,  als w

u

re er  beinahe
zufrieden damit, daß es so gekommen war.

     OCR, Spellcheck: Илья Франк, 

http://franklang.ru

 (мультиязыковой проект
Ильи Франка)     

Мультиязыковой проект Ильи Франка www.franklang.ru


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